Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Vierte Nacht.

Des Christen Sieg.

An Yorke.

                Ein dankbar Lied, o Yorke, drängt sich zu dir.
Vom Glücke angelacht, von blüh'nder Jugend,
Erträgst du gerne doch den Ernst der Muse.
Wie tiefe Wurzeln schlug in Menschenbrust
Die Todesfurcht! Bewährte Hilfe sing' ich.
    Dem Tode starr'n! warum? Wo ist er denn?
Gekommen, schon vorbei: nie ist er da,
Er komme noch, er sey dahingegangen.
Vor Hoffnung sinkt Gefühl; und düster ahnend
Empfängt der Mensch mehr, als er ihn empfindet,
Des Todes fürchterlichen Schlag. Es sind
Der Glockenruf, das Leichenkleid, die Schaufel,
Das Grab, das tiefe schaurige Gewölb,
Die Finsterniß, der Wurm, Gespenster nur
Von einem Winterabend, das Entsetzen 96
Der Lebenden, doch nicht der Todten mehr.
Von Phantasie verführt, des Irrthums Knecht,
Schafft sich der Mensch den Tod, wie ihn Natur
Nicht kennt, stürtzt dann in seines Machwerks Grausen,
Und fühlt nun tausendfach, was er nur einmal fürchtet.
    Doch – schrecklich sey der Tod – was bebt das Alter,
Wenn's weise ist? Es nah' dem Freunde-Feind,
Und schirme sich im gastfrei düstern Schatten.
Wo nur ein Grabmal meinem Blick erscheint,
Find' ich in ihm den Jüngeren verschlossen;
Und jede Jahrzahl ruft mir: »Komm von hinnen!«
Und was ruft mich zurück? Schau' rings umher,
Und sag' mir: was! Der Weis'ste weiß es nicht.
Wenn je ein Weibgeborener dem Geist
Auf grenzenlosem Feld gerechten Mißvergnügens
Den freien Gang erlaubt; wenn er erwägt
Der Dinge Eitelkeit, der Menschen Mängel,
Der Besten Mängel, dann der Mehrheit Flecken,
Wie Parder bunt getuscht, wie Mohren schwarz!
Des Übels Lebenskraft; des Guten frühes Welken;
(Wie früh', bezeugt Narzissa's Leichenstein!)
Und sein Vermächtniß, Schmerzen ohne End: 97
So zagt sein Herz, so kühn es sey, bei'm Anblick,
Und lößt sich auf in Seufzern nach der Zukunft.
    Doch gieb dem Leben auch sein Freudentheil
(Und traun! dem glücklichen gebührt es wohl):
Doch kommt die Zeit, da gleich dem aberzählten Mährchen,
Ein lang geplündert Leben nicht mehr reizt,
Als höchstens noch im Kommentar zum Spiel,
In freundlicher Erwägung wohlgeführter Rollen,
Beschlossener Verbeß'rung, wo wir fehlten,
Und Hoffnung aus des milden Richters Beifall,
Wenn nach dem Stück die Seele sich entkleiden,
Dem Glück sein Flittergold und seine Federn
Zuwerfen muß, die Körperlarve sinkt.
    Mir kam die Zeit schon; meine Welt ist todt;
Und neue Welt erhebt sich, neue Sitte;
Und fremde Spieler – schön geschmückte Bande –
Vertreiben von der Bühne mich, und zischen
Mich auf ihr aus. Muthwilliges Geschlecht
Kommt da empor! Die Fremde starren her,
Ich starre hin, den Nachbar kenn' ich nicht;
Und schlimmer noch! Weh mir! es straft sich schwer
Mein Zaudern hier, das lang den Tod getäuscht:
Von jeher mir so hold (laß' das genügen!)
Erkennt mich jetzt sogar mein Herr nicht mehr. 98
    Darf ich es seltsam nennen, mein Geschick?
So lange denkt man mein, daß ich vergessen!
Was immer augennah, schwächt das Gesicht,
Und Sehnsucht nach dem Blick beraubt sich seiner.
Ergieß' ich klagend mich den Höflingen des Meisters,
So schlürfen sie die Pein wie seinen Nektar,
Und sagen mir mit Händedruck: komm' morgen!
Verweig'rung! kannst du milder dich gestalten?
    Vergönn' mir einen Augenblick der Muße,
Dem Gegenstand' des Lieds entsag' ich nicht. –
Wer Leben minder schätzt, schwächt Todesfurcht.
Zweimal so lang, als Troja widerstanden,
Belagre ich die Hofgunst, unerobert;
So unklug sucht der Ehrgeiz reich zu werden.
Ach! Ehrgeiz macht mein Weniges noch minder,
Vergällt was mein. Warum der Wunsch nach Mehr?
Das Wünschen ist, von allem Thun, das schlimmste!
Der Weisheit Widerspiel, Gesundheitsmord!
Wär' ich so fett auch, wie ein feister Bauchpfaff',
Das Wünschen zehrte mich zum Schatten wieder.
Wär' ich so reich wie nur ein Südseeträumer,
Doch führte Wünschen mich zum Bettelstab.
Das Wünschen, diese stete Thoren-Schwindsucht,
Am Hof daheim, von rein'rer Luft verscheucht,
Und schlichter Kost, wie sie das Land uns giebt. 99
    O Heil der Himmelshand, die sanft mein Herz
Zur Ruhe unter niederm Dach geführt!
Die Welt, ein herrlich Schiff auf dräu'nder See,
Schön anzusehn, doch mit Gefahr bestiegen.
Gerettet an's Gestad' auf einzelm Brette,
Vernehm' ich das Getös' des fernen Drangs,
Als sey's die ferne See, des Sturms Verhallen,
Und häng' im Geist' noch stillern Szenen nach;
Dem Plane treu bekämpf' ich Todesfurcht.
Dem Hirten gleich, der auf der Flöte spielend,
Gelehnt am Stab, aus seiner Hütte schaut,
Seh' ich die heiße Jagd der gier'gen Ehrsucht;
Ich sehe, wie der Kreis der lauten Schützen
Gesetzeszaun durchbricht, des Rechtes Damm
Kühn überspringt, verfolgend und verfolgt,
Und einer nur des andern Beute wird;
Als Wölfe räuberisch, als Füchse schlau,
Bis sie der mächt'ge Jäger Tod vergrubt.
    Wozu das Treiben all um Stundensieg?
Wozu des Goldes Fülle und des Ruhms?
Der Erde höchste Bahn begrenzt: »Hier liegt«
Und »Staub zum Staub,« so schließt ihr herrlichst Lied. –
Lebt dies mein Lied, soll Nachwelt Einen kennen,
Der, Britte zwar, und unter Höflingen erzogen, 100
Doch meinte, auch das Gold könnt' sich verspäten
Um einen Tag: der nicht auf list'gem Sterbebett
Den Plan ersann nach künftig freien Stellen
In Kirch' und Staat, weil er die Schwierigkeit
Bedacht, die kleine – daß er sterben müsse;
Den nicht die Wuth ergriffen, reich zu sterben;
Gemeine Schuld! Der Hölle lautstes Hohngelächter!
    O meiner Zeit Genossen! Selbst Ruinen!
O schwache Menschentrümmer, überm Grabe wankend!
Wir wollten, Greise wollten, tiefer stets,
Den alten Bäumen gleich, die welke Wurzel
Verbreitend, fester an dem Boden haften,
Dem schnöden, den wir inniger stets liebten?
Stets streckten sich die bleichen welken Hände,
Im Zittern der Begierde und des Alters,
Und griffen, geizig krampfhaft, fest nach Beute?
Und griffen Luft! denn was hat Erde sonst?
Nur wenig braucht der Mensch auf kurze Frist:
Wie bald muß er dem eignen Staub entsagen,
Dem Stunden-Anleih'n sparsamer Natur!
Erfahrungslose Jahre stürzen rasch
Zahllosen Leiden zu; und wie der Mensch, 101
Von Zeit belehrt, den Lebensschlüssel fand,
So öffnet dieser ihm des Todes Pforte.
    Send' ich den Blick zurück in's Thal der Jahre,
Und miß' so Viele dann, so Viel' zumal,
Gesundheitskräftiger und jugendreicher,
Und mehr auf ihrer Huth, und weit gewandter
Im feinen Lebensspiel: so glaub' ich kaum,
Daß ich sie überlebt. Sollt' ich am Leben hängen,
Da mir kaum möglich scheint, daß noch ich lebe?
Durch Wunder leb' ich! durch ein halbes Wunder,
Ich leb' durch Mead! Wenn anders der noch lebt,
Der längst begrub was Leben giebt dem Leben,
Der Nerven Kraft, des Geistes Energie.
Des Lebens Hefen sind so seicht als unrein
Und schaal; es zeigen mir Vernunft und Sinn
Die Pforte; meiner Bahre rufen sie,
Und weisen mir den Pfad zum Staube nach.
    O Du, des Lebens großer Meister und des Tod's!
Unsterblich geist'ge Sonne der Natur!
Deß allbelebender Strahl mich jüngst berief
Aus Finsterniß, aus schwang'rer Finsterniß,
Wo ich noch unterm Wurme lag, dem Staub
Am Range wich, den nun mein Fuß betritt;
Mich rief, die Stirne hoch empor zu tragen, 102
Den Geist zu trinken goldnen Tags, des Daseyns
Mich jubelnd zu erfreun; der du mich riefst,
Um keinen andern Grund, als um mein Glück,
Und dieses Glückes Stufenfolge ordnest!
Ich folge froh, wie einst der Patriarch,
Nach unbekanntem Lande deinem Ruf:
Auf dich vertraue ich, und weiß, wem ich vertraue:
Mir wiegen Tod und Leben gleich! und nichts!
Mein Alles wägt das Wort: – laß' mich Dir leben!
    So hemmt sich zwar der Schrecken der Natur:
Doch immer dräut' er noch, der grimm'ge Tod,
Und Schuld spitzt an der Lanze des Tirannen.
Woher der Menschen Schuld? Vom Tod vergessen!
Weh' mir! zu lang' verschmähte ich die Schaar
Der güt'gen Warnungen, die mich umflattert,
Und lachte unverletzt. Wie arm mein Recht
Zu lachen! Denn es nimmt des Todes Warnung,
Dem aufwärts geh'nden Pfeile gleich, nur mehr
Gefahr von dem Verzug; je später er
Zum Herzen dringt, so tiefer wird's verletzt.
O denk' wie tief, Lorenzo! Hier brennt Schmerz;
Wer lindert diese Angst? Ha! wie es glüht!
Und keine Hand lößt solchen Wiederhaken,
Entzieht der Brust den giftigen Gedanken? 103
Und keine Hand, die heilend Friede träufelt,
Und nach dem Grab' mir lenkt den muth'gen Blick?
    Mit Lust – mit Schmerz seh' ich die Hand des Heils;
Zu sichtbar, weh! ist hoch sie angeheftet.
Wie? hoch! – was meint mein Wahn? Ich läst're Gott;
Ach! wie so tief! wie ferne unterm Himmel!
Den sie gemacht, die jetzt für mich erblutet. –
Doch meinen Rettungsbalsam blutet sie! –
O daß sie bluten muß! Heraus den Stahl
Des Gräuls!–Doch nein! den furchtbar hehren Segen
Welch Herz ertrüg' – vermiede tollkühn ihn?
Dort hängt des Menschen Hoffen all: es trägt
Der Nagel die dem Sturze nahe Welt:
Er weicht, wir fahren hin; und Grausen nimmt
Uns auf, und der entsetzlichste der Wünsche:
O daß die Schöpfung im Erblüh'n vergangen! –
Sein Vorhang Finsterniß, Sein Bett der Staub;
Da Stern' und Sonn' Staub unter Seinem Thron!
Kann solche Milde selbst im Himmel wohnen?
O welch ein Seufzer das! Sein Seufzer nicht:
Er griff zu unserm furchtbar'n Recht, die Wucht
Nahm er auf sich, und hob Gebirgeslast 104
Von schuld'ger Welt. Doch tausend Welten wären,
Um solchen Preis erkauft, zu hoch gelößt:
Ein neu Gefühl erhebt sich in der Engel Busen,
Ihr Lied schweigt in der Paus' der Seligkeit.
    Wär' mein ihr Lied, zu nah'n dem hohen Stoff'!
Beseel' mich, Nacht! mit deinen Sphärenklängen,
(Bist du es doch, die sie den Sphären giebt!)
Daß ich, mit Engeln Engelslieder singend,
Dem Menschen zeigend, was des Menschen Würde,
Den Gegenstand mit meinem Lied nicht lästre.
Auf Heidenblättern glühte Himmelsflamme,
Und Christenlied versänk' in schwacher Ohnmacht?
Das Herz befleckt, nicht unser Haupt, die Schmach.
Erwach' mein Herz! – was weckt dich, ist's nicht dies:
»Der Gottheit Hingebung für Menschenwohl?«
Empfinde sie, der Wahrheit hohe Reihe,
Die einst des Heiden-Irrthums dichte Nacht
Mit ew'gen Tages goldnem Lichterguß
Durchbrach. Sie fühlen heißt, begeistert seyn,
Sie glauben, o Lorenzo, heißt, sie fühlen.
    Allgüt'ge Macht, vor welcher Ehrfurcht zittert!
Noch furchtbarer durch deine Wunderliebe,
Die dein Gebot mit immer höheren Schrecken waffnet,
Und siebenfache Nacht um Sünde hüllt; 105
Wir beben deiner unermeßnen Liebe!
In unermeßner Liebe hehr Gerechter!
Daß fleckenlos Gerechtigkeit sich wahre,
Vergönntest du dem Kreuz, befleckt zu seyn;
Und aller Wunder höchstes wirktest Du,
Daß, was am liebsten dir, sein Blut vergösse.
    Verwegen Wort! geb' ich ihm Laut? verstummt's?
Wird Menschenfluch, wird Menschenstolz der Schuld,
Die solche Sühne heischte? solche Lieb' entflammte?
Ob dieser Riesenschuld umarmten sich
Gerechtigkeit, so ernst, und Liebe, lächelnd,
Und stützten Deinen Thron im Strahlenglanz,
Als diesem Glanz die Stütze nöthig schien,
Und er verloren war, wo nicht, der Mensch.
Die Unerforschlichkeit des Gottesgeistes
Nur konnte Rettung schöpfen aus Verzweiflung,
Und beide retten! Retten! und erhöhen!
O beide wie erhöht durch solche That!
O wundervolle That! Nenn' ich's noch höher?
Ein Wunder in dem Schoos der Allmacht selbst!
Den Himmlischen Geheimniß wie den Menschen.
    So schildert Unglaub' nicht den Ewigen:
Als allerhöchsten, unbegrenzten Gott,
Reich abgeschlossen in dem vollen Strahlenkreise:
Er setzt in Widerspruch des Himmels Eigenschaften, 106
Verletzt das Herrliche mit Herrlichem;
Verstümmelt himmlische Vollkommenheit;
Bricht ihren gleichen Strahl, und fordert Sieg
Der Gnade über – hehre Gottheit selbst,
Die solch ein schmählich Lob entgöttern muß:
Ein Gott, ganz Gnade, wär' des Unrechts Gott.
    Ihr geistlos Witzige! getaufte Heiden!
Gebessert Schlimmere! gewaschen unrein!
Erlegt ist's Lösegeld; der Schatz des Himmels,
Erschöpfter Schatz des unerschöpften Himmels,
Des Himmels, der erstaunt Erstaunen spendet,
Erlegte ihn, den Preis ob allem Preis:
Die Engel suchten ihn, doch ihre Kraft
Erreichte nicht das Wort des hehren Werths:
Erschaffner Sinn kann nimmer ihn erfassen,
Auf ewig hüllt des Höchsten Glut ihn ein.
    Erlegt das Lösegeld? Erlegt, für euch
(Was spricht die Güte mächt'ger aus?) erlegt.
Die Sonne sah's – Nein! dieser Schreckensanblick
Trieb ihre Bahn zurück; und Mitternacht
Verhüllt' ihr Angesicht; nicht Mitternacht,
Wie diese um mich her, Naturgebild:
Nein! Mitternacht, vor der Natur erschaudernd flüchtet!
Nein! neue Mitternacht! verfinstert schwarz 107
(Vom Lauf' der Sterne nicht) vom Blick des Schöpfers!
Flohst du, o Sonne! deines Meisters Schmerz?
Erbebtest du der ungeheuern Last
Der Menschenschuld, die beugt' sein heilig Haupt,
Sein Kreuz bedrängt', der Erde Mittelpunkt
Erächzen ließ, auf daß ihr Marmorschoos
In Schmerz, o seltnem Schmerz! die Todten neu
Gebahr? Die Hölle heulte, und der Himmel
Lies diese Stunde eine Thräne fallen.
Daß Menschen lächeln dürften, weint' der Himmel!
Der Himmel gab sein Blut, damit der Mensch
Nie sterben soll! – –
    Und ist nun Andacht Tugend? – Sie ist Pflicht.
Nur Marmorherzen wärmt nicht solch Erwägen.
An ihm erheben wir den Geist, und sollten
Stets höher ihn erheben; und so oft
Den Menschen es berührt, sollt' flammendes Entzücken
Begeistern seine Brust. Wohin, Gedanken!
Schwebt ihr, von Wundern auszuruhn? Schon steigen
Noch and're Wunder auf, und fassen euch;
Und meine Seele fühlt sich tief ergriffen:
Erhabne Himmelswonne thaut vom Kreuz, 108
Drängt sich um sie und hüllt sie mächtig ein;
Erstaunen hält sie fest! In Seinem heil'gen Leben
Seh' ich den Pfad, in Seinem Tod' den Werth,
In Seiner hehren Auffahrt den Beweis,
Den höchsten, der Unsterblichkeit. – Erstanden?
Vernehmt's, ihr Völker! hört es, o ihr Todten?
Er auferstand! erstand! brach Todes Riegel.
Erhebt die Häupter, o ihr ew'ge Pforten,
Und öffnet euch dem Herrn der Herrlichkeit.
Wer ist der Herr der Herrlichkeit? Er ist's,
Der ließ den Thron der Herrlichkeit um Todesschmerzen.
Erhebt die Häupter, o ihr ew'ge Pforten,
Und öffnet euch dem Herrn der Herrlichkeit.
Wer ist der Herr der Herrlichkeit? Er ist's,
Der schlug den gier'gen Feind des menschlichen Geschlechtes!
Der Herr der Herrlichkeit ist, dessen Glorie
Die Himmel mit Bewunderung erfüllte,
Daß Er den Menschen so geliebt; Er ist's,
Der mit erhabner Gotteslust die Mächte
Des Himmels, die Sein Licht am innigsten beseelt,
In dem Gedanken irr' verloren sah.
    Wie trägt sie denn der Mensch, dies Anschau'n, diese Wonne? 109
Die Pforte sprang! der Stachel brach! der Thron
Versank! besiegt verröchelte der Tod.
O jauchze, Erde, Himmel jauchzt der Fülle
Des Glücks, die sich zum Menschen niederließ!
Ihm Schwingen gab, mit ihm dem Grab entstieg.
Damals erstand auch ich! Da zog die Menschheit
Zum erstenmal durch die kristall'ne Pforten
Des Lichts, (erstaunenswürd'ger Gast!) und nahm
Besitz von ew'ger Jugend, auch für uns.
Seit jener Zeit ist's Gotteslästerung,
Den Menschen sterblich nennen! Denn
Die Sterblichkeit gieng über auf den Tod;
Auf immer war der leicht verletzte Leib,
Des Staubes Kind, mit Himmelsdauer ausgestattet.
Heil dir, o Mensch! o All-Unsterblicher!
Heil Himmel, dir! mit seltnen Gaben für den Menschen
Verschwenderisch! Die Herrlichkeit ist dein,
Des Menschen wird die grenzenlose Wonne.
    Wohin, o seliges Gefühl, entführst
Du mich auf Jubelschwingen christlichen Entzückens,
Weit höher, als der Muse ist vergönnt? –
Ach! ärmlich Recht zur Freude! Wie! wär' ich
Zur Pein unsterblich nur? Schlöß' meines Seyns
Verlängerung nur End' des Leidens aus? 110
Was denn mein Prahlen mit Unsterblichkeit?
Doch preis' ich sie, obgleich mit Schuld bedeckt;
Der Schuld gab Er, der Unschuld nicht, Sein Leben!
Die Schuld allein rechtfertigt seinen Tod;
Und dennoch nur, wenn dieser Tod die Reue
Der Schuld vor'm Vateraug' des Himmels adelt.
Bereu' ich, ihrer müd', die Thorheit, schreibt
Er meinen Namen in dem Himmel ein
Mit dem verkehrten Speer' (dem Speer, so tief
In Blut getaucht!) der, seine Seit' durchbohrend,
Dort allen Menschen öffnete den Born,
Die ringen, kämpfen gegen das Verbrechen,
Auf daß sie trinken mögen, lebensfroh:
Denn dies, nur dies, bezähmt die Furcht vor Tod.
    Und was ist es? – Beschau' die Wunderheilung,
Bei jedem Schritt laß' dein Erstaunen steigen!
»Verzeihung grenzenloser Kränkung! Und Verzeihung
Auf einem Weg, der uns vor Augen legt,
Wie ohne Grenzen köstlich sey ihr Werth!
Vergebung, eingelößt um Blut! um Blut
Aus Gottesquell! um Dessen göttlich Blut,
Den ich zum Feinde mir gemacht! den ich
Mit starrem Sinn' stets kränkend aufgefordert!
Gelockt, bedräut, gesegnet und gestraft 111
War ich doch stets in Leidenschaft empört;
Empörer unter Seines Thrones Donnern!
Nicht einzel ich! Empörerin die Welt!
In Waffen mein Geschlecht! nicht Einer fehlt!
Doch stirbt Er für der Sünder Sündigste!
Erlösung aus der tiefsten Schuld ist Ihm
Die höchste Lust! als sey uns zugeschieden
Der erste Rang, und Ihm die Gottheit theurer,
Je gütiger sie für den Menschen ist.«
    Es walle jedes Herz, es glühe jeder Busen!
O welche Wunderleiter zeigt sich hier!
In Himmelshöhen ruht die erste Staffel,
Zur Riesenzinne reicht nicht der Gedanke
Des Menschen, nicht des Engels! Könnt' ich doch
Mit gleichem Lob' die Wunderbare steigen!
O Lob! erströme stets (vergönnt es dir
Das Staunen); o mein Lob, erströme stets;
Ein heiß und herzlich und beständig Lob,
Dampft lieblicher zum hohen Himmel auf.
Als rauchten Ihm Arabia's Balsamberge.
    Und dieses Lob, so werth dem Himmel, ihm gehörig,
Es sänke auf dem lieblichen Gefieder,
(Den Schwingen erst der Engel, die da preisen,
Von uns entpflückt,) ein sterblich Ohr zu kitzeln, 112
Und tauchte unter in der Großen Gold?
Gehört das Lob denn jeder Klaue an,
Die höllenschwarz in Erdenschätzen wühlt?
O Buhlerei mit Gold! verworfenste!
Den Duft vergeudete an Tugendleichen Lob,
Der Niederträchtigkeit weiht' es den Balsam,
Durchwürzte modrigen Geruch der Schuld,
Gewönne schmählich Brod, an Mohren bleichend,
Und reinigte mit schmutz'ger Sklavenhand
Die Bühnen, wo, den leeren Galgen gleich,
Noch leere Stellen ihrer Zierden harren?
Zurück, abtrünnig Lob, von Hof und Thron!
Zurück, verirrte Buhlerinn, zur ersten Liebe;
Zur ersten, innigsten, einst ohne Nebenbuhler!
    Dahin ergieße dich in reichem Strom',
Mäandergleich ström' deiner Quelle zu;
Nach jener väterlichen Macht, die Schall
Der Zunge giebt, und dem Gedanken Schwung,
Der Seele Seyn. Dem Menschen huldigt Mensch,
Uneingedenk des scharfen Seheraugs
Das aus der Höhe schaut, wie Wechselehrfurcht,
Den Staub vor Staub, vor Sünde Sünde beugt;
Wie sie den Rücken wenden dir, o großer Vater!
Den himmlisch hohe Mächte endlos preisen;
Anbetend staunen Engel solchem Anblick! 113
Wie frech des Menschen Ehrfurcht gegen Menschen! –
Des Menschen Schöpfer, Ziel, Erretter, und
Gesetz und Richter! Dein ist das weite All;
Dein ist der Tag, dein diese Finsterniß
Mit ihren Schätzen all, und ihren Strahlenwelten.
Ist ew'ge Nacht denn nicht dein zorn'ger Blick?
Ist Himmels Mittagsglanz denn nicht dein Lächeln?
Und Dein wär' nicht das Lob, der Menschen Lob,
Indeß die hohe Schaaren Himmlischer
Von Hallelujahs leben, dir geweiht?
    O daß nicht länger Odem mich belebe,
Als meine Seele nur im Preise Dessen athmet,
Der mir die Seele gab, und alle Fülle
Der herrlich unermeßnen Aussicht ihr;
Eröffnet ihr von dir, allmächt'ge Liebe!
Durch Höllenschatten hin; von dir, o du
Anbetungswürdigster! Anbetungslos'ter!
Wo soll das Lob, das nimmer enden soll,
Beginnen? Ach! wohin mein Blick sich wendet,
Erglänzt dein heilig Recht auf vollen Preis!
Wie herrlich ist das schwarz Gewand der Nacht
Mit göttlich hohen Zeichen ausgeschmückt!
Wie Weisheit strahlt! wie Liebe! dieser Pomp
Der Mitternacht, des hohen Bogens Pracht
Mit goldnen Welten eingelegt! gebaut 114
Von göttlicher Begeistrung! nicht für Dich;
Für And're solcher Überfluß! Du bist
Gesondert, oben, überm All. O sag'
Mir, mächt'ger Geist! wo wohnest du? Soll ich
Mich in den Schoos der Tiefe senken? Ruf' ich
Der Sonne, oder frag' der Winde Brausen
Nach ihrem Schöpfer? forsche laut vom Donner,
Ob der Allmächtige in ihm verweilt?
Hält er der Ungewitter Wuth in straffen Zügeln,
Und fährt mit wilden Wirbelwinden hin?
    Wozu die Fragen? – Zitternd widerruf' ich,
Und meine Seele kniet vor'm gegenwärt'gen Gott.
Lob' eine ferne Gottheit ich? Er giebt
Den Wohlklang meiner Stimme (klingt sie lieblich),
Die Nerve stützt er, welche niederschreibt;
Von Seinem Seyn umhüllt, besing' ich Ihn.
Doch strömt Sein Wesen gleich in gränzenloser Fülle
Durch's All, doch ruht Sein Thron an festem Punkt,
(Als Ziel) zu sammeln die Zerstreuten, (wie
Das Panier die fernen Krieger zu sich ruft)
Ein fester Mittelpunkt für Seine Kinder,
Weil, außer Ihm, in Schranken alles wandelt.
    DER Namenlose, dessen Wink Natur
Gebar; der mit dem Schatten Seiner Hand 115
Natur beschirmt; deß unterlaß'nes Lächeln
Vergehn sie heißt! der große Erste – Letzte!
Im Zelt' der Höhe weilt Er, Finsterniß
Um Ihn, von Überfüll' des Lichts erzeugt;
Den Himmelsmächten selber unsichtbar,
Legt Er nicht einen Theil des Glanzes ab,
Denn Seine Glorie überstrahlt erschaff'ne,
Wie diese überstrahlt die Mitternacht;
Von oben schauet Er auf alles Hohe,
Und Unermeßlichkeit umfasset Er.
    Ein zahllos Weltenheer enthüllt die Nacht,
Doch was bist du, o grenzenlose Schöpfung?
Ein Strahl, der Seiner Herrlichkeit entströmt.
Und darf denn ein Atom auf diesem Weltatome
In Staub und Sünde von den Himmeln stammeln?
Und stieg' mein Geist zum Erden-Mittelpunkt,
Wo Erze funkeln, Diamanten glühn,
Ihr dürft'ger Glanz bereichert nicht mein Lied,
Erlischt in Nacht. Und schwänge sich mein Geist
Auf kühnen Flügeln nach dem grenzenlosen
Gewölb der Sterne auf, wie lößt das Gold
Der reichen Sterne sich in Schaum vor Dir,
O großer, guter, weiser, wundervoller,
Und ew'ger König! Und erhöb' er sich
Bis zu den geistbeseelten Sternen, die 116
Um deinen Thron das ew'ge Loblied singen,
Und Wonne trinken, ihre Töne zu erflehn, –
Sie selber darben noch, bedürften mehr!
In Fülle arm, und hoch erhaben nieder,
Und matt in Kraft, und kalt in ihren Gluten,
Auf der Begeistrung Gipfel noch im Mangel,
Dem Ziele fern, des Himmels schwache Kinder.
    Mehr noch – der Gegenstand gehört dem Menschen,
Und ihm allein; der Himmlischen unendlich
Erbtheil erreicht ihn nicht; sie schau'n auf Erden
Die Huld, die nicht der Höhe ist gespendet,
Und seh'n herab nach höherm Himmelspreis.
Des Äthers Erstgeborne! hoch in Lichtgefilden!
Im Menschen schaut die Glorie eures Gott's!
Läg Neid in Engelsbrust, hier würd' er rege.
In ein'gen wurde ers: und ihre Brüder,
Ob göttlich gleich, doch göttlich unerlößt,
(Hier triumphirt der Mensch, versucht den Himmel
Zu wägen gegen Staub!) sie schmückten wohl,
Mehr als ich kann, mein Lied, doch fühlten's minder.
Die Schöpfung fangen sie (sie galt auch ihnen);
Wie trug empor ihr Lied der Liebe Kind!
Hoch über Schöpfung steht, was dein ist, Mensch!
Erlösung dein; sie gaben nur den Grundton,
An dir ist es, der Ewigkeit zu singen, 117
Ein menschlich-göttlich Lied; denn sollt' es nicht,
Den Menschen über Menschenthum erhebend,
Hienieden schon die Seraphsflammen zünden?
Erlösung war die größte, höh're Schöpfung!
Erlösung war Geburtsarbeit des Himmels!
O sie war mehr – der Tod im Schoos des Himmels.
Zu kühn erschien dem Geist das Wahrheits-Räthsel,
Wär's nicht weit kühner noch, es nicht zu glauben.
    Hier weil' erwägend. War der Tod im Himmel?
Was auf der Erde dann? auf ihr, die gab
Den Todesstreich? Wer gab ihn? Wer? O wie
Vergrößert sich der Mensch aus diesem Punkt' geseh'n,
Zu welcher Riesenhöhe steigt der Zwerg!
Wie reich wiegt sein Entstehn aus Staub sich auf!
Wie reich zum Staub' die trübe Wiederkehr!
Verschwunden ist sein Abstand von den Himmeln!
Wie drängt er sich der Seraphsschwinge nah!
Wer ist der Seraph? wer der Erde Sohn?
Wie klar erscheint, auch durch die dichte Hülle
Von Schuld und Staub, der Sohn des Himmels nun!
Der Doppelsohn; geschaffen, neu geschaffen!
Und wär' ein doppelt Himmelsgut verloren?
Nur Doppel-Menschenunsinn kann's zerstören.
Dem Menschen hat gelobt das blut'ge Kreuz
Einst Alles, ew'ge Gnade schwur es ihm. 118
Der Leben für ihn ließ, was weigert er?
Ihr, die ihr euch von diesem Felse aller Zeiten
Abtrünnig in des Abgrunds Tiefe stürzt!
Wie innig freut, wie kräftig tröstet es,
Im Sturmgeheul, im wilden Wogenkampf
Dem Herrn des Ungewitters zu vertrau'n!
Hier haltet euch, und lächelt in die Trümmer
Der scheiternden Natur, indessen selbst
Auf ruh'ger See Abtrünnige erbeben.
    Mensch, kenn' dich selbst: hier liegt der Weisheit Summe.
Dem Menschen nur erscheint der Mensch unedel;
Was Großes er verschmäht, bewundern Engel.
Wie lange noch, entartetes Geschlecht!
Liest Engelsang' im Buche deines Wesens,
Dir unbekannt? Der Strahl, den dürftig dir
Vernunft gewährt, zeigt dort dir Wunder:
Erhab'ner Inhalt! Reicher Gaben Spende!
Doch, was so mächtig uns des Menschen Würde,
Von Gottes Standpunkt kaum getrennt, bezeugt,
Der Himmel schrieb's, es gab das Kreuz es kund.
    Wer blickt dahin, und steht nicht in sich selbst
Erhab'nen Fremdling, einen ird'schen Gott?
Den herrlichen Genossen seines Schöpfers
Auf hehr beschied'ner Bahn des ew'gen Lebens? 119
Für einen Wurm fließt nicht der Gottheit Blut.
Ich schaue, und im Schauen höher schwebend,
Entbrennt die Seele dir, o Ewigkeit!
Und läßt die Welt – doch nein! genießt sie wärmer.
Wie umgewandelt der Natur Gestalt!
Wie hoch verschönt! Was kaum noch Chaos schien,
Erscheint uns nun als reich geschmückte Welt; die Welt
Als Eden: alles aufgeschwungen! alles
Ein ander Wesen, und ein ander Selbst!
Ein and'res stets, wie sich die Zeit bewegt,
Und stets ein herrlicher verklärtes Selbst!
Im noch verhüllten Hintergrund der Zeiten,
Dem schärfsten Strahl' der kühnsten Forschung unzugänglich,
Welch' eine Wunderfülle der Entwicklung!
Wie schließt Natur sie auf, die Seele führend
In grenzenlos Gebiet des geistigen Entzückens!
Mit offnen Armen nahen Götter mir!
Welch neue Welt der seltensten Erscheinung,
Der Sonne fremd! wo wir vielleicht vergessen,
Was jetzt mit süßem Zauber uns umfängt,
Vielleicht vergessen, was nur immer ist,
Die alte Zeit und diese holde Schöpfung!
    Ist dieses Schwärmerei! O denkt vom Menschen
Das Kühn're nur, zur Wahrheit zu gelangen: 120
Des Geistes höchster Flug erreicht ihn nicht;
Die Gottheit nur schwebt diesem Flug noch höher.
Der große Vater zündete die Welt
Vernünft'ger Wesen an der gleichen Flamme:
Nur einen Geist aus hehrem Geistesquell,
Sich selbst, in aller Seelen Inn'res strömend,
Doch nicht in gleicher Fülle seines Stroms;
Freigebig, sparsam, mit der göttlichen Begeist'rung,
Wie es sein weiser Plan gebot; und sind
Die Prüfungsbahnen alle einst erfüllt,
Und blieb Vernunft, die anerschaffne, rein,
So nimmt Er alle wieder auf in sich.
Sein Thron vereint, sein Lächeln krönet sie.
    Was zagen wir denn, herrlich Wahres zu besingen,
Aus Schüchternheit allein noch unbesungen?
Die Engel sind nur Menschen höh'rer Art;
Sind Menschen nur in leichterem Gewande,
Zum Himmelsflug mit Schwingen ausgestattet;
Und Menschen sind für Stundenfrist belad'ne Engel,
Wallfahrend durch dies Thal des Sumpfs, und mühsam
Auf glattem Pfad zur Höhe aufwärts klimmend.
Auch Engel fehlen, Menschen auch sind edel; 121
Hienieden schon gehören sie der Ätherschaar;
Bald sammelt sie das herrliche Panier,
Das ew'gen Purpur durch die Wolken flammt.
Auch sind die Brüder uns'rer eingedenk,
Obwohl wir fern; doch fern nicht ihrer Liebe.
Für uns focht Michael, den Sieg besang
Einst Raphael; für uns flog Gabriel,
Des Allerhöchsten Bothe: solche Freunde
O Mensch, hast du, so zärtliche Genossen,
Und du (mög' Schaam die Wange dir versengen!)
Du machst dich zu des Thieres Nebenbuhler?
    Dein Alles ist die heil'ge Gottverehrung.
Vom Himmel sich zum armen Menschen senkend,
Zeigt dir die Göttliche in ihrer Linken
Die Erdenwelt, die künft'ge in der Rechten.
O Religion! nur du bewährst das Seyn des Menschen;
Hebst ihn allein empor hoch über sich;
Und giebst in dieser Nacht von Schwäche, Wandel,
Und Tod der Seele eine Seel' die göttlich handelt.
O Religion! Vorsehung! künftig Daseyn!
Hier fußen wir; hier trägt uns Felsengrund;
Dies trägt uns fest, das Übrige ist See,
Sinkt unter uns, bestürmt, verschlingt zuletzt.
Der fromme Mensch hält an des Himmels Veste, 122
Und heißt vertrauensvoll die Erde rollen,
Denn nicht mehr fühlt er ihren eiteln Wirbel.
    Dem Armen gleich, der aus der Moderluft
Des finstern Kerkers durch des Schicksals Huld
Erlößt, der düstern Gräul umher befreit,
Den schönen Hügel fröhlich aufwärts steigt,
Wo reine Lüfte ihn umwehn und sich
Vor seinem Blick Elisiums Aussicht zeigt;
Sein Herz frohlockt, sein Geist entlastet sich,
Wie neu gebor'n erfreut er sich des Wechsels: –
So freut die Seele sich, wenn sie vom schnöden Tagwerk,
Und niedrer Lust, vom Hefenschaum der Erde
Befreit, zu dem Vernunftgebiet sich hebt,
Dem ihr beschiednen Element; und dort
Unsterblich Hoffen athmet, Himmelsstreben.
    Du, Religion! beseelest Seligkeit,
Wie dich beseelt der Schmerz auf Golgatha.
Dort strahlt der Wahrheit edelstes Kleinod;
Und ihre stärksten Gründe wirken dort;
Mit heiliger Gewalt bestürmen sie
Den Geist; und nur der Zwang ist untersagt.
Kann Liebe locken uns? Die Angst uns schrecken?
Er weint! – die Thräne löscht die Sonne aus. 123
Er seufzt! – der Seufzer heißt den Kern der Erde wanken.
So furchtbar, liebevoll, was ist Er zürnend?
Was wird Er seyn in Flammen Seiner Liebe?
In Flammen, die, dem milden Oele gleich,
In heiß'rer Glut als andre Feuer lodern?
Vermitteln hier Gebet und Lobgesang? –
O Du, mir Alles! Lied, Begeistrung, Kranz!
Des Alters Kraft! die Stütze der Erniedrung!
Du, meiner Seele Ehrgeiz, Wonne, Reichthum!
Du, meine Welt! mein Licht in Finsterniß!
Mein Leben in dem Tod! mein Ruhm in Zeit!
Und meine Seligkeit für ew'ges Seyn!
Für Ewigkeit, zu kurz, dich lobzupreisen,
Zu messen deine inn'ge Lieb' zum Menschen!
Zum unbedeutendsten, zu mir zu messen!
Mein Opfer! und mein Gott! O welche Fülle!
    Und was bist Du? Wie soll ich dich benamen?
Wüßt' ich den Namen, den andächt'ge Engel brauchen,
Andächt'ge Engel sollten seiner jubeln,
Von meinem Neide frei; dich nennen tausend
Der höhern Namen, doch nicht halb so theuer
Mir, als der, der mir unausgesprochen
Im Herzen immer glüht. O wie verliert 124
In Liebe Allmacht sich! O großer Freund
Des Menschen! Du, der Engel Vater, doch
Des Menschen Freund! Wie vormals Jakob
Am holdesten dem nachgebornen Sohn!
Du, der du ihn errettet, aus den Flammen
Den Brand im Glimmen zogst, in deinem Blut'
Ihn löschend! o warum gefiel es dir,
Durch deine Huld mit Schmerz uns zu bedrängen?
Wir seufzen unter unsers Dankes Last,
Zu mächtig ist er, ihn an Tag zu bringen!
Begnadigung legt uns Verwirrung auf.
Du mahnest uns, und hemmest die Vergeltung!
Zum Wundergipfel allerhöchster Liebe
Erhebst du dich; es bleibt der Lobgesang
Erschöpft im fernen Thale hinter dir!
Dein allzu reiches Recht raubt dir Befried'gung,
Und frevelhaft ist unser heiligst Lied.
Doch weil dem Willen schon du gnädig lächelst,
Sey unter diesem Denkmal unbezahlten Lobes,
Und eines Lebens, das zum Liede stimmt,
(Die Hymne, die allein des Himmels würdig!)
Für immer meine Todesfurcht versenkt!
Und jede Furcht! nur die nicht deines Zornes.
    Wer sind sie dort, die sittsam steifen Lächler?
Denn Lachen müht, und stört sie in der Ruhe. 125
Ihr Quietisten in Verehrung Gottes!
Andächtler, mit dem süßlichen Gebet!
Die sonder Ungestüm ihr Herz dem Höchsten bieten,
Gewalt verabscheu'nd! Die ihr freilich hinkt,
Doch nicht vom Kampf um Segen mit dem Himmel!
Däucht euch mein Lied zu aufgeregt? zu warm?
Sind Leidenschaften denn der Seele Heiden?
Ist nur Vernunft getauft? allein geweiht,
Für's Heiligthum? O immer mehr der Wärme!
Mein Eifer starrt vor Schuld, die Kraft vor Alter.
O wär' mein Herz der Demuth hingegebner,
Doch stolzer mein Gesang! Erhaben Ziel,
Das ich zu mir in Staub herunterziehe,
O sende gnädig aus dem sanften Aug',
Das dem verruchten Salem überfloß,
Erbarmen für den Frost in meiner Brust,
Vergebung für den Winter meines Liedes.
    Kaltherzige, erstarrte Formenmenschen!
Bei solchem Gegenstand wird Ruhe gottlos,
Die Leidenschaft Vernunft, Entzückung Ruhe!
Der Himmel, der mit Wärme uns begabt,
Die seinige für uns so kräftig zeigte,
Verwirft, was glatte Weichlinge der Kirche,
Was seidne Lehrer predigen der Schlummertugend,
Der Andacht Prosa, lauwarm Gotteslob! 126
Haucht unentflammtes Rauchwerk süße Düfte?
Die laue Andacht ist nicht Andacht mehr;
Nur wenn sie glüht, steigt sie gen Himmel warm;
Nach Menschenherzen stimmen sich die goldne Harfen,
Des Äthers Chor singt Amen uns herab.
    Vernehm' ich recht? täuscht mich ein Traum? Mir ist,
Als hör' ich ihre ferne Melodien,
Der Seele hold, ätherisch süß entzückend,
Auf Schwingen göttlichen Erbarmens sanft
Des Weltalls weite Räume hingetragen,
Mich in der Schwermuth Finsterniß zu laben.
O wann wird Tod (nun stachellos) sich freundlich
Zu ihrem Chor gesellen? Wann wird Tod
Die morsche alte Scheidewand zerbrechen?
Zusammenführen die Geschwisterwesen?
Tod! Himmelskind! das uns zum Himmel lenkt!
Erhabne Zukunft! edle Schützerin
Der Gegenwart und der Vergangenheit,
Wann bete ich vor deinem Heiligthum?
Vom weiten Riesenlande der Natur,
Von dem unendlich sel'gen, scheidet uns
Die kleine Lebensinsel hier, die finstre
Gefängniß-Kolonie. O selger Tag,
Der unsre Fesseln bricht! die Knechtschaft lößt! 127
Der aus Verbannung uns nach Hause ruft,
Uns führt zur hohen Hauptstadt der Natur,
Und an der ältern Brüder Schützerhand
Zu unsers Vaters Thron zurück uns lenkt,
Wo dieser Vater, unsern Anwalt hörend,
Und durch des Mittlers Wunden uns erschauend,
Den liebevollen Namen uns gewährt.
Und darum wird des Christen Sieg Gebot,
Es wird die Heiterkeit zur Pflicht dem Weisen
Und Traurigkeit zum Frevel für den Frommen.
    Siehst du, Lorenzo, unsers Hoffens Pfeiler?
Das Kreuz berührt uns, und wir leben, oder
Wir sterben mehr noch als des Todes nur.
Berührung, welche Engel nicht empfanden;
Noch göttlicher als die, so einst das Chaos
In Formen goß, und Finsterniß erhellte.
O unaussprechlich hohe Gunst! dem Menschen
Allein gewährt, und mächtig eingeflochten
Der ganzen goldnen Wunderkette, die,
Für Ewigkeiten von des Himmels Höhen prangend,
Im herrlichen erhabnen Plan, Natur!
Dein reich Gedeih'n und Gottes Glorie trägt;
Berührung, die mit Himmelszauber heilt
Den kranken Geist, der Sünde Qual verscheucht,
Im Tode selbst das Leben neu entzündet. 128
Zum Himmel Erde macht, zu Himmelsthronen
Die Schreckenstrümmer wandelt dumpfen Grabs.
    Du fragst mich: Wann? Wann wiederkehrt, der starb;
Und wie verändert wird Er wieder kehren!
Wo ist der Mann der Schmerzen dann? Es glüht
Die Gottheit in der Glorie hohen Schrecken,
Und vor dem Fluthendrang der Himmlischen,
Die Ihr zu folgen sich begeistert fühlen,
Bleibt einsam leer des Himmels hoher Sitz.
Doch bald erfüllt er sich, erfüllt sich reich
Mit Pomp und Menge, mit der Strahlenschaar
Der neuen Engel, Engel aus dem Grab.
    Entfernt den Zeitpunkt Phantasie zu weit?
Und hebt der Zweifel auf sein düster Haupt,
Verheißungsblüthen trennend von der Frucht?
Zu Büchern send' ich dich, o kranker Freund,
Um deine Heilung nicht; lies nur Natur;
Natur ist freundlich zugethan der Wahrheit;
Natur ist Christin, predigend den Menschen;
Sie heißt den todten Stoff den Glauben stützen.
Ersahst du nie des Irrsterns Flammenflug?
Der hohe Wand'rer gießt vorüberziehend
Auf starre Völker Angst aus seinem Feuerschweife,
Dem Riesenschweif', und nimmt die weite Bahn 129
Durch Ätherschlünde; Welten ohne Zahl,
Die Sonne überglänzend, segelt er
Vorüber, schifft um's mächt'ge Vorgebirg
Des Himmels, kehrt dann zu der Erde wieder,
Nach langem Reiselauf von tausend Jahren.
So kehrt auch nach der vorerseh'nen Zeit
Zur Erde Der, durch den Kometen flammen,
Und mit Ihm kommt des Menschen Grabessieg.
    Natur verstummt ob dieser wicht'gen Frage,
Ein ungewisses Hoffen höchstens flüsternd:
Doch laut und deutlich spricht sich Glaube aus;
Selbst Ottern hören's, doch sie dreh'n sich schnell
Und schiessen in die Finsterniß zurück.
Der Glaube wölbt die Brücke über'n Abgrund
Des Todes, daß der Brandung Wuth sich breche,
Der die Natur in Blindheit weichen muß,
Und leitet sanft den Geist an's and're Ufer.
Des Todes Schrecken ist der Berg, den Glaub' versetzt,
Die Felsenscheide zwischen Mensch und Frieden.
Der Glaube nimmt die Waffen der Vernichtung,
Und weist vom reinen Grab die laute Klage.
    Was weigerst du des Glaubens dich, Lorenzo? –
»Vernunft gebeut's, hochheilige Vernunft.« –
O halt' sie immer heilig; mehr! ich theile
Die Liebe, die du ihr geweiht: Vernunft,
Hochheilige! o Quell und Seel' von Allem, 130
Was herrlich ist auf Erden, über ihr!
Mein Herz ist dein: in seinem Innersten
O leb' du mit dem Leben, theurer mir
Als Leben selbst. Trag' ich das Segenskreuz
Als ein Gepräg der leidenden Natur,
Vom Glück' verlieh'n noch vor des Geists Geburt?
Bin ich der Wiege blinder Götzendiener?
Von angeerbtem Eifer nur entflammt?
Nein; die Vernunft gab mir die zweite Taufe,
Als ich erwachsen war; und Wahr und Falsch
Wog sie in ihrer unparthei'schen Wage;
Mein Herz bekehrte sich durch meinen Kopf;
Was Schicksal war, hat es zur Wahl gemacht.
»Auf Gründe nur erbau' ich meinen Glauben.«
Vernunft, die fortwirkt, ist schon Glaube; bleibt
Sie stille stehn, wo ihr Beweise winken,
Ist sie nicht mehr Vernunft; doch der Beweis
Bewährt, daß unser Glaube richtig ist,
Oder Vernunft betrügt, zum Irr'n geschaffen.
Das glaubten wir? Was wäre dann noch Lästrung?
    So innig wir mit Recht am Glauben hängen,
Doch ziemt die erste Huld'gung der Vernunft;
Die Mutter sey uns werth, wie lieb das Kind.
Vernunft ist Wurzel, Blüt' der holde Glaube;
Die welke Blume stirbt, doch ewig lebt
Vernunft, gleich ihrem Vater in den Himmeln. 131
Wenn Glaube Tugend ist, so macht ihn die
Vernunft dazu. O kränkt den Christen nicht!
Wähnt nicht Vernunft nur euer Eigenthum;
Vernunft ist unserm großen Meister theuer;
Vernunftverletzung weckt den Zorn in Ihm;
Vernunft-Getreue krönen seine Glorien.
Verlorene Vernunft neu zu beleben,
Gab Er sein eigen Leben hin zum Opfer.
So glaub', und zeige die Vernunft des Menschen;
So glaub', und fühle Wonnen eines Gotts;
So glaub', und blick' als Sieger auf das Grab.
Nur durch die Wunden der Vernunft erstirbt
Dein Glaub', und stirbt er, so verzehnfacht sich
Des Todes Schrecken, denn er taucht in Gift
Den doppelt mörderischen Stachel ein.
    Erlerne hier, welch' Ehre ihnen ziemt,
Welch lautes Loblied, ihnen, die von uns
Verdrängen unser Gegengift; den hoch
Gepries'nen Freunden der Vernunft, des Menschen,
Die, ihm unselig hold, die Freude würgen,
Und höh're Todesangst, die nagende,
An's Herz ihm legen. Sie, die stolzen Söhne
Vergötterter – geschändeter Vernunft,
Sie würgen sie, vergöttern sie alsdann,
Wie einst die alte Zeit mit Kön'gen that.
Welch Recht hat ihre Stirn' zum stolzen Lorber? 132
Indeß von Wahrheitslieb' ihr Lager schallt,
Zieh'n sie vor Mittagsstrahl der Hoffart Vorhang;
Das Kerzchen ihres Geistes setzen sie
Auf die Sophistenspitze, Grund genannt,
Und rufen dann, des Lichtleins jubelfroh:
»Die Sonne seht!« und knien Indiern gleich.
    Sie reden von Moral? O Liebe! für uns blutend!
Die für den Menschen gab ein neu Gesetz!
Die heiligste Moral ist, dich zu lieben.
So weis' als Sokrates, (wenn sie es wären!
Doch lassen sie nichts nach am hohen Anspruch.)
So weis' als Sokrates, das möchte gelten
Als richtig Bild der Thoren unsrer Zeit.
    Ein Christ zu seyn ist höchste Menschenstufe.
Wer löschte wohl des Kreuzes Segenszeichen
Als Schandfleck sich von der entehrten Stirne?
Wenn Engel zittern, so geschieht es dann:
Sie weichen von dem aufgegeb'nen Frevler,
Und Schmerz theilt sich mit Thränen in ihr Herz.
    Ihr Sinnensklaven! ihr, der Erde Bürger!
(Denn Ihr nur flieht des Christenthumes Banner)
Kennt ihr die weise Wahl, die ihr getroffen,
Und euern Hochgewinn? Blickt auf das Bild
Des glücklichsten Bewohners dieser Erde:
Er rufet seinem Wunsch, der sich ihm naht;
Er schickt ihn weg, weil er den andern aufgefordert; 133
Auch dieser kommt, empfängt den gleichen Gruß;
Und dennoch setzt er stets das Rufen fort,
Bis ihm der Eine ruft, der nicht den Ruf verändert,
Ihn fest in Ketten hält der Finsterniß,
Bis die Natur vergeht, und das Gericht
Ihm Freiheit giebt; ach! Freiheit, die ihm wohl
Weit minder willkomm ist, als seine Fesseln.
    Doch! laßt den Menschen glücklich seyn; laßt selbst
Ihn lange glücklich seyn; und setzt des Lebens
Erhöht'stem Preis das spätste Ende zu.
Die späte, späte Stunde naht doch flüchtig,
Geflügelt kommt sie, wie der Bote eilt.
Wie hurtig webt das Schiff dein Sterbekleid!
Wo kam das Mährchen hin von deinen frühern Jahren?
Verschlungen in dem Schoos der Zeit; dir ferne,
Als waren sie nie dein; in deiner Hand
Der Tag ist im Begriff, von dir zu flieh'n,
Dem Vogel gleich, der flattert, zu entkommen;
Du hast ihn kaum erfaßt, so ist er hin;
Und jeder rasch entflogne Augenblick
Schickt dir nicht minder rasch den Tod nur näher.
Die Ewigkeit ist Alles; wessen ist sie?
Wer triumphirt in ihr? Wer badet immer
Im Quell der Seligkeit? wer sonnt sich immer
Am Strahl der Göttlichkeit? Lorenzo, wer?
Laß dein Bewußtseyn mir die Antwort geben. 134
    O lös' die Lippen ihm; bald lößt es sie
Von selbst, nicht mehr bei dir Erlaubniß suchend.
Lorenzo, hör' es jetzt, da noch die Warnung
Dir heilsam ist, und ihre Stimme mild.
Das hohe Wort der göttlichen Verordnung
Vertraut die Wahrheit an der letzten Stunde,
Die redlich ist, und treu ihr Amt erfüllt.
Die Wahrheit, Gottes erstgeborne Tochter!
Die ihn berieth, als er die Welten schuf,
Die ihn berathen wird, kommt er zu richten
Die Welten, welche er geschaffen hat:
So lange sie auch schweigt, so fest sie schläft,
Von Irrthum eingehüllt, von Tand gebunden,
Doch bricht, sobald die Stunde ruft, die Gott
Bestellt, aus ihrer Höhle in der Seele Tiefen,
Gleich ihm, den Dichtung unter'n Ätna lagert,
Die Göttin auf in Donnern und in Flammen,
Führt laut Beweis und spricht das strenge Urtheil.
Der Höllengeister nicht bedarfs, nicht Hydrastiche;
Durchdringend Wahrheitslicht – das ist die Hölle;
Lehrt's auch die Schule nicht, doch ist dem so.
Der Wahrheit Taube! lest dies Predigtblatt,
Nur einmal traut dem Priester und Propheten:
»Der Mensch lebt wol als Thor, doch stirbt nicht so.«


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