Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Sechste Nacht.

Stimme des Glaubens.

Wesen, Beweis und Wichtigkeit der Unsterblichkeit.

An Heinrich Pelham.

                Sie (deren Himmelsnam' ich noch nicht kenne)
Verließ nicht, wie Narzissa, früh' den Schauplatz,
Noch plötzlich, wie Philander. Frommt mir dies?
Der Schein der Milderung reizt nur den Schmerz,
Der Heilung Wahn erhöht die Krankheit nur.
Mit jedem Tag schloß unser Bund sich fester,
Und die allmähl'che Trennung wird allmählich Sterben;
Sie ist des grimmigen Tyrannen Folter,
Und preßt durch Stufenlast langsamer Qual
Aus Felsenherzen selbst den Schrei des Jammers.
    O langer, dunkler Gang durch Schmerzensjahre!
Des Todes Gallerie (wag' ich dies Wort?) 192
Mit Zweifelgram und schwarzer Angst behangen,
Vom Zitterstrahl der bleichen Hoffnungslampe
Nur matt erhellt! Dich wies zum düstern Pfad'
Das Schicksal meinen Schritten an, und hies
Der Eigenliebe schmeichelnd Flüstern schweigen.
Wie oft blickt' ich mit nassem Aug' der Ahnung
Nach Ihr, und sah Sie todt, wenn gleich noch lächelnd!
Im Lächeln barg Sie Ihren Schmerz, des meinen schonend,
Und trostlos machte mich Ihr Trosteswort.
Dem mächt'gen Heere gleich, die Stadt umschließend,
So drängte langsam, still und unaufhaltsam,
Im bleichen Wachsthum stets mehr Boden fassend,
Der Tod die untergrabende Belag'rung:
Der Kunst zum Trotz und allen Balsamkräften,
Die hülfreich armen Menschen beut Natur.
Ihr Sterne! Längst Vertraute meines Blicks,
Und du, o Mond! legt Zeugniß ab der Nächte,
Da meinem Haupt der Tod das Kissen nahm,
Der Seele Angst an seinen Angriff bindend,
An endlos gier'ge Plünd'rung eines Lebens,
Das theurer mir als das, so er mir lies.
Entsetzensposten der Beobachtung!
Mit jeder Stunde düst'rer! Minder furchtbar 193
Der Tag, der, mich zum Rand' des Abgrunds führend,
Den Blick mir gab in tiefe Ewigkeit,
Als Zukunft meinen Geist in Schauern faßte,
Der wicht'ge Würfel über Tod und Leben
Sich auf der Spitze eines Augenblicks
Verhängnißvoll gedreht, bevor er fiel,
Auf Leben fiel, das mich nur größerm Schmerz geweiht.
    Nur größerm Schmerz? Er werde höh'rer Trost!
Nur das ist todt, was sich den Tod gewünscht;
Nur das ist todt, was Elend ist und Qual;
Nur das ist todt, was, schwer den Wand'rer hemmend,
Ihn wund gedrückt, vom ächten Leben schied.
Denn wo verweilt des Weisen inn'ge Sehnsucht?
Nicht zeigt's das allzu dunkle Licht der Sonne,
Der Sterne höchster steht ihr allzu nieder;
Nur Tod, der große Tod, bringt triumphirend
Uns über Sonn' und Sterne dort ans Land.
    Nicht schrecklich ist der Übergang, so gern'
Auch unser Geist, an Kunst der Selbstqual reich,
Ein mächt'ger Schöpfer seiner Selbstzerrüttung,
Mit Schrecken ihn umgiebt. Wer unternimmt
Das treue Bild des Tods? Nie saß der Wütrich.
Die Skizzen unsrer Hand sind flüchtige Vermuthung; 194
Fest schließt das Grab sich zu, uns nichts erzählend;
Das Bild des Todes in des Menschen Innern
Giebt bleiche Ahnung nur der Ähnlichkeit;
Der Pinsel bebt in banger Hand des Mahlers,
An Übertreibung hängt die Phantasie,
Unwissenheit verschwendet düstre Schatten,
Und so erhebt sich das Gemälde des Entsetzens.
    Doch auch das Schrecklichste sey wahr! Es floh
Dahin! und neue Aussicht öffnet sich,
Und faltet um Ihr Grab den ew'gen Schleier.
Nach andern Szenen sehnt sich die Betrachtung;
Sie lohnen überschwenglich Lebensharm,
Und hemmen unsres letzten Kampfes Qual,
In der Unsterblichkeit Gefühl uns senkend,
In dieses einz'ge hehre Siegsgefühl.
Und flöße noch so lang des Lebens Strom,
Und nahte noch so unbemerkt das Alter,
Doch wär' die Seele dieses Stoffs nicht müde.
Sein Wesen, Grund und Werth entflammen mich.
O daß mein Lied der Seele Schwung erreichte!
Gleich ihr unsterblich. Nein! – so nieder Ziel
Verschmäht der Geist, entglüht in edlerm Hoffen.
Wenn Zeiten ohne End' die Stunde überwiegen,
Begeistern Lorbern nicht, die Palmen nur! 195
    Dein Wesen, o Unsterblichkeit! wer kennt's?
Und doch, wer kennt es nicht? Es ist ja Leben,
Aus stärkerm Faden nur von hell'rer Farbe
Gewebt, und ewig fortgewebt; hienieden
In Flut des Styx getaucht vom harten Schicksal,
Wie finster anzusehn und wie vergänglich!
Wie kurz verkehren wir doch mit der Sonne!
Wie ruhmlos obwohl kurz! Die beste Thaten
Wie dürftig leicht! Und uns're höchste Freuden
Nur karge Labung in dem Kampf mit Pein,
Und Stärkung nur, das Leiden zu bestehn!
Wie gros dagegen ist's, im inn'gen Bund der Liebe,
In inniger Gemeinschaft alles Daseyns
Zu leben mit den Kindern der Vernunft,
Wo immer sie gebor'n und wie begabt!
Mit Allen, in des Weltalls Räumen siedelnd,
Als freie Bürger der Gesammtnatur zu leben!
Durch Höheres, als schwache Glaubenskraft,
Uns an den Allerhöchsten anzuschließen!
Des Himmels unergründlich reiche Schätze
(Den Quell der Herrlichkeit für Engelschaaren!)
Zu nennen unser Gut! An Wissenschaft und Wonne,
Vertraut mit dem ätherischen Geheimniß,
Stets höher aufzusteigen, Schöpfung lesend
Und ihren mächt'gen Plan! Zu lesen in 196
Enthüllter Brust der hehren Gottheit selbst!
Den Entwurf zu vergleichen mit dem Werk.
Vor jedem Strahle unsers lichten Geistes
Die Wolken flieh'n zu sehn, die dunkle Schatten,
Und kein Geheimniß mehr – als Gottes Liebe,
Die auf des Seraphs Flammenschwingen uns
Aus dieser Erde blutigem Gefild'
Voll inn'rer Angst und äusserer Bedrängniß,
Aus Nacht und Staub zu solchem Anblick hebt!
Der Liebe Urquell! wahrer Freude Heimath!
Noch herrlicher im düstern Wiederschein
Des Erdballs, den wir traurend nun bewohnen!
O köstlichster von allen Schicksalswechseln!
Glücksel'ge Sühne unsrer schwärz'sten Stunde!
    Lorenzo! solch Erwägen macht den Menschen
Zum Menschen, giebt dem Weisen edles Licht,
Und hebt zur Gröse erst das Grose auf.
Wie gros! wenn wir (noch den verwandten Staub
Betretend, und in jedem Augenblick
In dem betretnen zu versinken bange,
Den bald betreten werden unsre Kinder)
Wie gros! wenn wir im Wirbelreihn der Zeit
Mit ernstem Blicke stille stehn, vertieft
In hoher Ahnung Fülle stille stehn,
Und hin die lange Bahn von tausend Jahren 197
Vor uns das ferne Selbst im Götterspiegel schaun,
Es größer, edler, höher, göttlich sehn!
Prophet der eignen Zukunft seyn, wie gros!
Im Geist erschaun, was jeden Geist bemeistert!
Mit den Genossen unsres Himmelstrebens
Uns unterreden von den hohen Wonnen,
Die Fassung und Verdienst des Menschen übersteigen!
Wie gros! zugleich der staunende Erzähler,
Und der Erzählung Gegenstand zu seyn!
    Lorenzo! hebt dir dies Gefühl die Brust?
Sie darf sich heben, denn der Stolz ist edel.
Verehr' dein Selbst – und doch! veracht' es auch.
Sein Wesen würdigt nie zu hoch der Mensch,
Nie sein Verdienst gering genug. O sey
Auf deiner Huth, und nimmer da bescheiden,
Wo stolz zu seyn dir ziemt: vermeide ihn
Den beinah' allgemeinen Irrthum sorgsam.
Gerecht blickt unser Stolz auf jene Höhen!
Nicht die in Luft die Ehrsucht mahlt, nein! die
Vernunft uns zeigt und Tugendglut erklimmt,
Der Engel auch ersehnt! Gerechter Stolz!
Wann steigen wir? wann lassen wir die Fesseln?
Der Schöpfung Zelle wann? dies enge Nest,
Im Winkel aufgehängt des Universums, 198
In Wolkenflaum gehüllt und Luftgeweb'?
Den Sinnen fein, unlauter plump den Himmelsgeistern!
Den Geistern, ausersehn Ambrosiaduft
Zu athmen, feinern Äther einzusaugen:
Wenn Sieg sie krönt auf fernem Zeitenufer,
Wo Tugend, reich in endlicher Vergeltung Fülle,
Den Zepter hält, indessen Königspomp
Dort um ein wenig Frieden betteln muß.
    In Macht erhöht, vertieft in stolzem Wissen,
Welch' Ziel, ihr Erdensöhne! stellt ihr auf
Nur halb so würdig, halb so reich und edel
Für Reiz und Glut des geist'gen Freudendranges,
Als dieses hier, das Engel jubelnd theilen?
Des Menschen Loos und Glück ertönt im Lied der Himmel.
    Welch schnödes Einerlei ersättigt uns hienieden!
Period'scher Labetrank für Kranke nur!
Für sieche Körper und für sieche Seelen!
Und welche Szenen beut uns Ewigkeit!
Wie thatenreich! wie reich an Ueberraschung!
Wie lösen sich Gewebe dort von Wundern!
Wie strömt das Licht von allen Himmelspfaden,
Auf des Allmächt'gen Spuren in der Tiefe!
Der sel'ge Tag, der uns're Fesseln lößt, 199
Entfaltet auch des Schicksals Labyrinthe,
Und ebnet der Verwicklung Zauberbann.
    Fühlst du in deinem Busen heißen Drang
Nach Wissen? o wie reich des Males Fülle!
Dort hüllt sich auf vor dir die geistge Welt.
Doch auch die Welt des Stoffes, jüngst gesehen
Im Schatten nur, und auch das dürft'ge Bruchstück
Nur mit dem mühsam angestrengten Aug',
Sie schwillt dir nun umfassend, herrlich, ganz
Im vollen Reichthum ihres weiten Seyns,
Im hehren Maase ihres Umfangs zu:
Dein jubelnd Aug' faßt sie in einem Blick.
Von Gipfelhöh'n (wer nennet ihre Stätte?
Genug! von Höhen, wo die Engel weilen!)
Beschauet das verklärte Aug' des Fremdlings
Im weiten Meer des unermeßnen Raums
Das zahlenlose Heer der Welten, schwebend
Im flüssigen Kristalle reinen Äthers,
In ew'ger Wanderung und ohne Hafen!
Wie groß der ausgestreuten Welten kleinste!
Und doch so sehr von andern übertroffen,
Wie riesenhaft Leviathan sich hebt
Ob jenem schwächlichen Geschlecht der schnell
Vorüberschimmernden Momentenschaar
Des kleinen Lebens, die er unbemerkt 200
Verschlingt! Du hörst mich mit Erstaunen an?
Doch was sind diese Welten selbst zum Ganzen?
Nur Pünktchen, kaum geahnete Atomen,
Den Tropfen gleich, in unsern Adern kreisend.
So wundergroß der Plan! O Gottes Fülle!
O Füllequell! – Mein dürftig Wort ist Frevel.
    Strömt aus Bewunderung uns Lust, wie reich
Erquillt Entzücken dort! Und dennoch bleibt,
Was ich dir nun gezeigt, des Himmels Kleinstes.
Was wird aus Alle dem vor jenem Prachtgewande,
Das Ihn bekleidet, der die Wundermasse
Aus seiner Hand entließ als Prob' und Pfand
Der Macht, die Sein? Es wird vor Seiner Glorie,
Die aller Herrlichkeit das Daseyn giebt,
Was vor der Sonne ist das Wiesenblümchen,
Das sie in's Leben rief. Doch diese Sonne
Des Himmels, was ist sie? und was das Glück,
Dies höchste Glück der höchst Beseligten?
Der Tod, und nur der Tod, lößt diese Frage.
Er giebt um leichten Preis der Seligkeit Ideen;
Nur die Idee: so fern steht ächte Wonne
Von ihrem Schatten, den die Welt erjagt.
    Und jagen wir dem Blendwerk immer nach
Durch Flamme, Sumpf und Abgrund bis zum Tod?
Und plagen immer uns für Erdensold? 201
Verschmäh'n Gefahr des Feldes und der Fluthen,
Und weben unser ganzes köstlich Gut,
Mehr als des Lebens Mark, der Spinne gleich
(Wenn wir der großen Zukunft nicht gedenken)
Zu künstlich Hirngespinnst und schlauen Planen:
(Des Geistes feines Nez) die Fliege zu erhaschen?
Ein augenblicklich Kitzeln eiteln Rufs!
Ein Name! sterbliche Unsterblichkeit!
    Doch (nied'rer noch) versinken wir, statt Luft
Zu haschen, nicht in Sumpf um goldnen Schmuz?
Mit Inbrunst schamlos, hold nur dem Gewinn',
Um schnöden Sudelplunder geben wir
Nicht Himmelshoffnung auf und Menschenwürde,
Zu Gold gereifte Schlacken hoch vergötternd?
Der Geiz, die Ehrsucht, sind die zwei Dämone,
Die unsre Menschenherde von der Wiege
Bis zu dem Grab' durch alle Pfüzen peitschen.
Wie tief die arme sinkt! wie steil sie klimmt!
Uns Alle quälen die Dämone; doch
Am tiefsten sitzen sie in deiner Brust,
Lorenzo, Himmlisches aus ihr vertreibend.
    Vermag die Zeit das Ew'ge zu verhüllen?
Und warum deckt ein Körnchen am Gestad'
Den Ozean nicht? ein Stäubchen nicht die Sonne?
Reichthum und Ruhm, verblenden sie so mächtig? 202
Wie dann, zeig' ich Lorenzo'n blind für beide?
Du staunst? So staune nur, daß du sie beide
Nicht kennst, und lerne, was sie sind, von mir.
    Vermerke wol, welch innig Band verknüpft
Mit meinem Lied die scheinbar fremden Dinge.
Was ist der ächte Ehrgeiz? Streben nach
Dem Ruhm, den nur der Mensch besitzen kann.
Denn wären sie so eitel als der Mensch,
Wie er vom Dunst des Selbstlobs aufgeblasen,
So möchten Thiere auch sich ihrer Künste rühmen
Und Lorberkränze fordern, unsern gleich;
Nur nicht vom Himmel. – Hier stehn wir allein,
Wie uns allein des Herrschers Bildung schmückt,
Die uns, senkt sich der Geist, zum Schandmal wird,
Daß die dem Himmel nahe Stirn' erröthet.
Dem Thier gehört, was Gegenwart ihm zeigt;
Ein karges Theil begrenzt in engen Schranken.
Sie überschwebt Vernunft mit Götterkraft,
Das Künftige, das Unsichtbare heischend;
Unsichtbares, im Umfang grenzenlos!
Und Zukunft, in der Tiefe unergründlich!
Wann groß sich hebt zu solchem Ziel die Seele,
Tief unter sich die rohere Natur,
O dann, erst dann, macht Adams Enkel sich
Vom Weisen und vom Helden los des Feldes, 203
Des Walds, und schwingt sich stolz zum Menschen auf.
Das ist der Ehrgeiz menschlicher Begeist'rung.
    Mag Geist und Rang (so kühn in ihrem Anspruch)
Lorenzo! aus dem Haufen dich erhöhen?
    Auch Genius und Kunst, gepriesne Schwingen
Der Ehrsucht, sind des hohen Lobs nicht würdig.
Ein schwacher Schutz! Dädalsche Waffenrüstung!
Wenn sie allein befördern unsern Flug,
So wird aus Flug nach Ruf des Ruhmes Sturz.
Und stiegen wir, an Herzensadel arm,
Auch noch so hoch, doch wäre unsre Höhe
Ein Galgen nur, der unsern Namen trüge.
Tritt ein berühmter Böswicht mir vor's Auge,
Schau' ich den herrlichen verworf'nen Geist,
Der edle Kraft den niedern Zwecken weiht:
So ist mir, als erblickt' ich reiche Trümmer
Der zur Unsterblichkeit geweihten Seele
Aus ihrer Höhe tief gestürzt, bedeckt
Vom Schutt und in dem Staube noch erglänzend.
Durch's herrlich-traurige Gesicht ergriffen,
Fühl' ich mit sanftem Mitleid Eifersucht –
Doch warum Eifersucht? Auch hehre Engelsgaben,
Verarmt an Werth, sind glänzend Werkzeug nur 204
In falscher Ehrsucht Hand, zu Meisterwerk
Gebrechen auszufeilen und der Schmach
Das Strahlenkleid des Ruhmes anzulegen.
    Gros Übel ist das Werk von grosen Kräften.
Der Mutterwiz führt selten aus der Bahn.
Vernunft giebt Mittel, Leidenschaft die Zwecke;
Verworfner Zweck bringt um den Werth die Mittel;
Und irrt das Herz, so denkt der Kopf umsonst.
Wie weicht selbst Pelham's Kopf vor Pelham's Herzen.
Dem Herz gebührt das Eigenthum des Ruhms.
Der Zwecke und der Mittel Richtigkeit
Im Bund macht Weisheit aus; und irdisch weise
Heißt auch im besten Fall nur halb vernünftig.
    So geb' es denn der Genius auf, dich gros zu machen;
Doch schmeichle dessen auch dein Rang sich nicht.
Was ist der hohe Rang? Ein stolzer Bettler,
Der prahlt und heischt; der Ehrfurcht Gabe heischt
Vom Haufen, der ihm oft die Gabe weigert.
Monarch! Minister! o ehrwürd'ge Namen!
Dem, der sie trägt, gebührt der Achtung Zoll.
Der Glaube, wie die Ordnung der Gesellschaft,
Gebieten äuß're Huldigung, gebeugte Kniee,
Vor Wesen, die in Herrlichkeit erhöht, 205
Auf daß sie auch dem ärmsten Knechte dienen;
Doch was darüber ist, gehört nur dem Verdienst
Als heilig unverletzlich Eigenthum;
Der Mensch allein empfängt's, nicht der Monarch.
Die Herzen beugen sich nur höherm Werthe,
Und nie versagen sie ihm Huldigung.
Zwar übersteht der Thor den Menschen völlig,
Und weiht zur Majestät den Purpurmantel.
Freu' sich das Thierchen seines Silberpelzes!
Sein königlich Gewand ist nicht erborgt,
Erkauft; sein eigen ist's, der Väter Erbe.
Doch ziemt dem Menschen Stolz auf's Kleid des Thierchens?
Der Seele ohne Hermelin Verachtung
Von der in Hermelin gehüllten Seele?
Kann Stellung uns vergrößern und verkleinern?
Der Zwerg bleibt Zwerg und steh' er auf den Alpen;
Und Obelisk bleibt Obelisk im Thal!
Sich selber baut der Mensch und seine Größe.
Nur Tugend überbaut die Pyramiden;
Und unerschütterlich stehn ihre Säulen,
Wenn auch Egyptens Riesensteine fallen.
    Warum dies Alles wahr, befragst du mich?
Die Ursach' wohnt in der Unsterblichkeit. 206
Vernimm und stimme ein. Dein Busen glüht
Nach Macht: doch welche Stelle zieht dich an?
Ich übertrag' sie dir, sie ist nun dein.
Bist du jetzt größer als zuvor? So warst
Zuvor du etwas wen'ger als ein Mensch.
Dein neuer Platz verlockt zum Stolze dich?
Verrätherisch betrügt dich Stolz um Würde,
Entehrt die Menschheit, nennt das Wesen niedrig,
Das Stäbe, Streifchen Band erhöhen können.
Behaubten Falken gleich, steigt dieser Stolz im Dunkeln,
Aus Blindheit kühn nach Wolkenhöhe segelnd,
Geboren von Unwissenheit, die nicht
Im Menschen hat erkannt des Engels Zwilling,
Und selbst sein Zwilling nur auf kurze Frist.
Ein Nero, der vom Kaiserthrone steigt,
Vom Klang des Saitenspieles Ruhm zu betteln,
Ist nur das bleiche Abbild einer Seele,
Die, der Unsterblichkeit geweiht, am Thron',
Erringt sie ihn, zum Übermuth erglüht, zum Jubel.
Strömt dir aus edlerm Quell' nicht Heilung zu,
So laß' von Eitelkeit dir Eitelkeit verpönen.
    Verdienst ist hoher Rang; Verdienst ist mehr;
Die Würden nöthigt es, um dich zu werben;
Es schafft (kein König kann's) den Ehrenmann; 207
Dem Schatz gebeut es nicht, doch selbst ist's Reichthum;
Es trägt kein Band, doch Ehre ist es selbst;
Es bleibt als Ruhm dir treu, wenn Gnade flieht,
Und macht dich frei vom Joch des Herrenlächelns.
Nur diesen Ehrgeiz heiligt die Natur;
Der and're all ist Unsinn ihr am Menschen,
Dem sie, wie er begann und endet, zeigt;
Sein erst Begehr war Milch und eine Windel,
Sein letztes Gut wird Rasen oder Stein;
Doch zwischen beiden scheint ihm eine Welt zu enge.
    Der wahrhaft grose Geist erstrebt auf Schwingen,
Die ächter Ehrgeiz lenkt, das hohe Ziel:
»Des Vorhangs Fall.« Hier steht er, nach der kurzen Szene,
Den Helden des Kothurnes ohne Schuh'
Und heimgebracht auf seine wahre Länge,
Hoch oder nieder, wie ihn Laster senkt,
Die Tugend hebt. Da blickt er lächelnd auf
Die tolle Mummerei seltsamen Narrenspiels,
Phantastischer Begebenheiten, wo
Auf Stelzen oft die Zwerge rüstig wandeln,
Und in der Welten Blut, der Noth der Völker,
Die angebohrne Kleinheit offenbaren.
Entsetzlich, wird dem Stolz des Christen solch ein Opfer! 208
Das finstre Heidenthum verwürf' es grausend,
Wär's seinen Göttern jemals dargebracht.
    O Friedensfeind! doch Allerchristlichster!
So griffst du abermals denn zu den Waffen?
Und forderst abermals zum Kampf das Schicksal?
Der Fürst – und er allein – ist wahrhaft gros,
Der schwer zum Schwerte greift, es gerne senkt,
Auf Herrschen baut, was Herrschen überwiegt,
Und seinen Thron zur Himmelstaffel macht.
    Warum erscheint er uns so selten nur?
Weil Alle nicht des Todestags gedenken,
Des großen Tags, der unser Urtheil fällt,
Des Tags, der unsrer Tage All entscheidet,
Die Lösung oder die Verwerfung spricht.
Lorenzo! nie verschließ' ihm deinen Geist;
Sey noch so sehr umdrängt, doch gieb ihm Raum
Und laß ihn zum Gehör im stillen Innern.
Fragst du den treuen Freund, so sagt er ungeschmeichelt,
Ob du ein groser Mensch, ein kleiner bist.
    Ist's Ehrgeiz, mit der heißen Sehnsucht hängen
An dem, was uns entfliehen kann, was wir
Verlassen können? O dann laß' die Flammen sinken,
Daß sie zum Boden kehren ihre Zungen, 209
Und Demuth von der Seele lernen, die
Mit ihrer Abkunft prahlt aus Himmelsglut.
Doch solche Seelen nennt die Welt die weise;
Die Welt, die Recht und Unrecht der Natur
Durchstreicht und eine neue Weisheit prägt:
Der Ernste selbst leiht ihr sein Festgesicht,
Die Münze mit Vertrauen auszustatten.
Einseit'ge Weisheit ist im Ganzen Unsinn.
So spricht sich paradoxe Vollmacht aus,
Den Weis'ten blöd an Sinn, und arm den Reichsten,
Den Ehrsuchtsvollsten ehrsuchtlos und klein,
Zu nennen, klein im Sieg, verworfen auf dem Throne.
Nichts nimmt des Unsinns Vorwurf von dem Menschen,
Der in der Fülle seiner Glut und Kraft
Die Seele über alle Schranken schwingt,
Als wenn er Den erstrebt, der ihn zum Schwung beflügelt.
Wenn blinder Ehrgeiz seine Bahn verfehlt,
Und niederblickt nach dem, was oben strahlt,
Nach ächter Seligkeit und wahrem Ruhm,
Dann springen wir, dem Aberwitz'gen gleich,
Der nach dem Bache starrt, den Sternen nach,
Und stürzen in den Schlamm; dann horchen wir
Nach Ruhm, und sinken in den Schoos der Schmach. 210
    Ehrgeiz! du mächt'ger Quell von Gut und Schlimm!
Wie große Fittiche den Luftbewohner,
So hebt uns deine Kraft, sind wir nur erst
Der Erd' entrückt, mit leichterer Bewegung
Und schnellerm Flug zum hohen Himmel auf;
Doch wenn dich Tand bestrickt und Schuld befleckt,
Wirst du zum Fluch'; bist Kette uns und Geissel
Im düstern Kerker hier, der fest uns hält,
Von schmuz'gem Sinnengitter eng umschlossen:
Dann wird der Blick auf Ewigkeit unmöglich,
Und nur der Tödtungstag befreiet uns.
    Im Ehrgeiz hat Lorenzo sich getäuscht;
Befinden wir ihn weiser bei dem Reichthum?
Wie! wenn ich dir, dein Zinsbuch umgestaltend,
Der Habe Werth aus richt'gem Standpunkt zeige?
Wo liegt dein ächter Schatz? Es spricht das Gold:
»In mir nicht,« und »In mir nicht!« spricht der Demant.
Arm ist das Gold und Indien unvermögend;
Such' in dir selbst, in deinem nackten Selbst,
Und find' ihn dort; in einem Wesen find' ihn,
Von solcher Herkunft, so geformt und ausgestattet;
Des Himmels Kind, vom Himmel hier geleitet,
Und ausersehn zur Wiederkehr gen Himmel! 211
Mit Sinnen, deren Erbtheil Erd' und Himmel,
Die reicher Spenden der Natur genießen,
Noch edler, selbst, was sie genießen, spenden,
Geschmack den Früchten leih'n, den Wäldern Wollaut;
Mit ihrer Strahlen Glanz das Gold bekleiden,
Und dieses Goldes Flammenquell'; durch enge Pforte
(Ein Sandkorn schließt sie zu) auf einmal das
Gemäld' der Welt in ihre Kreise ziehn,
Und halb erschaffen die gesehne Wunderwelt.
Gleich der Vernunft sind uns're Sinne göttlich:
Wär' nicht die Zauberkraft des mag'schen Nerven,
Noch läg' die Erde roh im bleichen Chaos.
Die Dinge sind uns nur Veranlassung,
Doch uns gehört die That; und unser ist
Das Tuch, der Pinsel und das Farbenbrett,
Die der Natur entzückend Bild entwerfen,
Und herrlich schmücken weiter Schöpfung Tempel.
Der Eva Milton's gleich, im See sich spiegelnd,
Bestaunt der Mensch im holden Bild sein Werk.
Sprich! soll des Menschen Geist denn immer auswärts schwärmen,
(Der höhern Wunder ungedenk in sich)
Soll er Bewund'rung um sich her verstreu'n,
Er, den der Himmel eingesetzt zur Seele 212
Von Allem, was sein Aug' umfassen mag?
Ach Unsinn! selten nicht! so gros, so klein ist dieser Mensch!
    O welcher Reichthum liegt in solchen Sinnen!
Und welcher erst in jener Phantasie,
Die glühend einen schönern Schauplatz bildet,
Als ihn die Sinne sehn! O welch ein Reichthum
Im treuen Buche der Erinnerung,
Die, gienge sie zu Grund, die Welt von neuem riefe
Aus finst'rer Nacht der Jahre, die sie decken!
Im Urglanz frischer Farbenmischung sie
Bewahrend, Kunde ihres Schicksals gäbe!
Und welcher Reichthum im Verstand, dem Herrscher,
Der Sinn und Phantasie als Richter ruft,
Sie fragt, Genehmigung ertheilt und Tadel;
Und aus dem Stoff, den diese Diener bringen,
Mit weiser Auswahl kluger Läuterung,
Und nach der Wahrheit strenger Wage prüfend,
Bereitet Kunst und Wissenschaft, Gesetz
Und Staatenform; den festen Grund und schönen Tempel,
Die Blutgefäße und den Schmuck gesell'gen Lebens!
Der, nehme ich die Sitten (leider!) aus,
Mit Meisterhand ein herrlich Nachbild liefert
Von der Idee des Gütigen, die früher, 213
Viel früher, als das Chaos noch gebahr,
Den Plan zu Menschenseligkeit entwarf.
    Wie reich der Geist, der steigend bald, bald sinkend,
Stets forschend sich im weiten Kreis bewegt,
Des Raumes Joch verschmähend und der Zeit;
Und in der Fülle des energischen Gedankens
Zugleich das Werde des Allmächtigen
Und des Gerichts Posaune hören kann!
Kühn an dem Saum' der Schöpfung wandelnd, sieht,
Was war und ist, und mehr in's Auge faßt,
Als jemals in des Daseyns Grenzen tritt,
Und mit der Allmacht des Gedankens in
Der Phantasie Gebiet die neue Schöpfung gründet.
Der Geist, der alles Werk des Höchsten faßt,
Und muthig das Unmögliche durchwandert!
Wie reich die Gaben all', die endlos wachsen!
In ew'ger Glut der Leidenschaft Begier!
Die Freiheit deiner Wahl, die Kraft zum Ziele!
Die Macht (o wie dein Reichthum steigt!) die Macht
Dir zu verewigen – ein grenzlos Glück!
    Fragst du, ob in dem schwachen Menschen wohne
Die Kraft, ein solches Glück sich zu gewinnen?
Blieb dir die Macht der Tugend unbekannt? 214
Sie ist uns Frieden hier, Belohnung dort;
Des Menschen sicherstes, natürlichstes Vermögen,
Das er nach Willen stets vermehren kann,
Die Tugend ist's; ein sicher Eigenthum,
Das göttliches Erträgniß uns gewährt.
    Was soll der aufgehäufte Überfluß?
Uns neu Bedürfniß brüten, täglich mehr
Zu Bettlern uns gestalten? Beute, die
Der Haufe einst errafft, noch mehr bereichern?
Kaum steht der schwache Puls, den Wunder nur
So lange gehen hieß, vom Spiel ermüdet,
So stäubt, wie Schutt vom donnernden Geschütze,
Der Vorrath unsres Tandes auseinander;
Nach hundertfacher Richtung fliegt er aus;
In Fremder Hand, in unsrer Feinde Hände;
Macht neuem Herrn den Hof und lacht des alten,
(Mit Recht!) daß er an seine Treu geglaubt.
Weit auseinander fliegt erst unser Spielzeug,
Dann kommt die Reihe auch an unsern Staub.
    Suchst du den Überfluß der Ruhe wegen?
Vernimm, wie traurig dieser Plan dich täuscht.
Der Reichthum führt zu immer größerm Reichthum,
Des Reichthums Zuwachs wies noch keiner ab.
So legt er dann, als harter Arbeitsvogt
Nur Müh' um Müh' uns auf, und endet nimmer, 215
Und würgt die Ruhe, die ihn erst empfahl.
Den Armen drückt nur halb des Reichen Elend,
Denn diesem fiel das Vorrecht stolzer Pein,
Die Doppellast des Leidens zu ertragen:
Des Neides und des Mangels Qual zu fühlen,
Des Mangels, der das Innerste verletzt,
Und den nicht beider Indien Schätze heilen.
    Zufriedner Sinn gedeiht durch Mäßigkeit.
Der große Reichthum ist beschwerlich Fett,
Wo nicht schon Krankheit; unser Glück wird siech
Durch ihn, und siecht es nicht, doch schwer belastet.
Auf mäßigem Vermögen ruht Genuß.
Bescheidet euch, giebt mehr der Himmel nicht:
Dies Mehr erhöht, dem Wasserstrahle gleich,
Der aus der Schleuße stürzt, auf eine Stunde
Des Geistes Regsamkeit; doch bald erschöpft
Sich seine Kraft, auch steigen unsre Freuden
Nicht über angeborner Neigung Strom.
Drum lauscht in jedem Gut das Hinderniß,
Wie in dem Blütenkelch die Biene lauscht
Und im Genusse selbst den Stich uns giebt.
    Der Reiche, der dies läugnet, heuchelt stolz,
Und ahnt nicht, daß der Weise ihn durchschaut.
Die Fülle der Gelehrsamkeit bewährt,
Wie Weniges die Menschen wahrhaft wissen: 216
Des Reichthums Fülle zeigt, wie wenig nur
Der Zögling dieser Welt genießen kann;
Im besten Fall ergözt sie uns mit ew'gen Puppen,
Und hält uns in der Wiege bis zum Grab.
Wie Affen staunend vor dem Spiegel weilen,
Daß sie nicht haschen, was sie deutlich sehn:
So schaut der Mensch im Glanz des Goldes auch
Der Freude Bild, nicht ahnend, daß er Schatten
Besieht und tastet, schaut und schauet wieder,
Und wünscht, und wundert sich, daß sie nicht kommt.
    Wie Wen'ge rettet Überfluß von Mangel!
Wer lebt naturgetreu, ist selten arm;
Wen Phantasie regiert, wird nimmer reich.
Wer Schulden hat, ist arm; der Mann des Geldes,
Des Glückes Schuldner, bebt der Macht des Glücks;
Der Mann des Geists verlachet Glück und Tod.
O welch ein reiches Gut, das er besitzt!
Ein Wesen von so eingeborner Kraft
Und Herrlichkeit, daß Eigenthum von Welten
Es nicht erhebt, und der Verlust von Welten
Es nicht verletzt; ein Wesen, dessen Bahn
Noch offen ist, wenn deine, o Natur, sich endet;
Zu selig, um der Schöpfung Tod zu trauern.
O welch ein Schatz liegt nicht in seiner Hand!
Monarchen stehn als Bettler vor dem Mann. 217
    Unsterblich! Zeitenflucht, nicht Untergang!
Ein Morgen, abendlos! Ziellos die Laufbahn!
Im grenzenlosen Fortgang unverkürzt!
Zukunft, die immer künftig sich erneuert!
Wo Lebensrechnung schließt, stets neues Leben!
Sieh' das Gemälde einer Gottheit hier!
Es ist das Bild des ärmsten Sklaven auch!
Lorenzo dürft' den ärmsten Sklaven höhnen?
Der ärmste Sklav' theilt seine Herrlichkeit.
Hochmüth'ger Jüngling! ekel vor Geringen!
Des Menschen edler Stolz begreift die Demuth,
Läßt sich zum Niedersten herab, und ist
Zu groß, Gering're aufzufinden; Alle,
Ja Alle sind Unsterbliche! und Brüder Alle!
Und deiner Liebe ew'ge Eigenthümer.
    Unsterblich! Was ergreift die Sinne so,
Wie dieses Wort den Geist? Es donnert dem Gedanken,
Vernunft erstaunt und Dankgefühl verstummt.
Nicht mehr am Schicksals-Abgrund schlummern wir;
Vom Schall erwacht, steigt jubelnd auf die Seele,
Und athmet froh die angeborne Luft;
Die Luft, die uns mit edlem Ehrgeiz nährt,
Und Ätherflammen in dem Busen weckt, 218
Schnell alles Göttliche in uns entzündet,
Daß kein Gedanke mehr hienieden zaudert.
    Ergriff die Flamme deine Brust, Lorenzo?
Unsterblich! Wäre Einer nur unsterblich,
Wie würden Alle ihn beneiden! wie
Zu seinen Füßen knien, die auf Thronen sitzen!
Weil die Unsterblichkeit Gemeingut ist,
Verlör' ihr Segen sich? Wie bände dieses
Des Himmels güt'ge Hand! O eitel, eitel, eitel!
Ist alles außer ihr! O Ewigkeit!
O herrliche und nöth'ge Zuflucht uns
Im schnöden Kerker niedrer Erdenplane!
Es ist Unsterblichkeit, nur sie ist es,
Die unter Lebensschmerz und Niedrigkeit und Leere
Die Seele stärkt, erhebt und reich begabt.
Nur sie vollbringt's, und sie vollbringt es herrlich,
Hebt über Lebenspein und Lebenslust,
Nimmt Angst von Pein und Schimmer von der Freude.
Erharrte Ewigkeit verhüllet Alles;
Erharrte Ewigkeit vollendet Alles,
Stellt uns die Erde fern, setzt sie in Schatten,
Mischt ihre Klassen, nimmt der Macht den Vorzug.
Gemeines, Hohes, Gram und Freudenfülle,
Des Glückes dräu'nder Grimm und zaub'risch Lächeln, 219
Das Alles liegt in unbeachtetem Gemenge
Vor ihm (darf ich ihn Mensch noch nennen?) Ihm,
Den mit der vollen Kraft Unsterblichkeit beseelet.
Nichts Irdisches rührt den erhab'nen Geist,
Denn Sonnen flammen, Donner rollen unvernommen
Von Seelen, die, der hehren Abkunft denkend,
Des jetz'gen Wirkens und der künftigen Belohnung,
Mit Himmelskraft die Wünsche aufwärts schwingen,
Im glüh'nden Schwung der Erde edel fremd!
    Du zweifelst? Was ist deinem Glauben schwer?
Vermöcht' ein Aug' aus der gehör'gen Ferne
Der Erde ganzen Ball auf einmal aufzufassen,
So sänken ihm die hochgethürmten Alpen,
Und Atlas gliche sich zur Ebne aus.
Also vergeht die Erde, und was immer
Das irdische Gemüth bewundern mag,
Im weiten Riesenkreis der Ewigkeit.
Wann zu dem Wunderblick der Geist erwacht,
So sinken (kaum noch mächtige Gebirge
Dem Menschen) alle Tändelei'n der Zeit,
Und Alles wird hienieden ebengleich.
    Das wäre Schwärmerei? So ist denn Jeder Schwächling,
Wer nicht ein reichbeseelter Schwärmer ist. 220
Zu dieser Gottheits-Höhe schwangen sich
Schon Seelen, floß je wirklich Märt'rerblut:
Und Alle mögen thun, was Einer that.
Umher geschleudert von den Stürmen unter'm Monde,
Wer kann die Freuden ohne End' und Schranken
Wol unentzückt und unbegeistert wägen?
Ist traurig wol der Sklave, der vom nächsten Morgen
Ein Reich erharrt? Nein! er vergißt der Kette,
Und schwingt, im Geist bethront, das Zepter schon.
    Und welcher Thron, welch Zepter harret uns'rer!
Wie strebt sie auf, des Menschen Götterseele,
Wie strengt sie sich vergeblich an hienieden,
Von Finsterniß unmünd'ger Zeit umhüllt,
Ihr herrlich unermeßlich Loos zu fassen,
Und zu begreifen künft'ge Herrlichkeit!
Zu groß für Erdenlust scheint Himmelshuld:
Und welches Herz erbebt nicht solcher Wunderwonne?
    So laut're Wahrheit auch die Muse sang,
(Genug zu schätzen nie! zu überdenken!)
Doch giebt's noch Menschen dicht in Welt gehüllt,
Die weiter nicht als zu den Wolken sehn?
Die auf den Narrenzeh'n der Eitelkeit,
Mit leichtem Sinne tanzen, bis im Springen
Sie über einen Strohhalm strauchelnd fallen 221
Hinab zur Tiefe, wo nicht Tanz noch Sang?
Lorenzo, giebt es solche? Wär' es möglich?
Auf Erden gäb' es Wesen (laß' mich sie
Nicht Menschen nennen) die in ihrer Brust
Den Geist bewahren, der unsterblich ist,
Doch dessen unbewußt, wie Gold der Berg
Und Edelstein im Innern trägt der Fels?
Wann Felsen schmelzen, Berge einst zerstäuben,
Dann werden solche Sterbliche den Schatz
(Zu jener Zeit kein Schatz mehr!) erst erkennen.
    Und gäb' es (weit erstaunlicher!) noch And're,
Die sich dem Aufschwung des Gedankens widersetzen?
Im Keime schon erhab'ne Wahrheit würgen,
Und ringen nach der Wonne, Thier zu seyn?
Sich durch des Innern Damm die Straße bahnen,
Und abwärts streben mit verkehrtem Ehrgeiz?
Die, trotzend dem vereinten Widerstand
Des angebornen Triebs und der Vernunft,
Und selbst der Welt, sich nach der Tiefe kämpfen,
Wo sie ein traurig Hoffen schwarz umhüllt,
Und Sturm der Finsterniß, die nimmer endet,
Und, dunkler als das Grab, ihr Obdach wird?
Die, der Unsterblichkeit Beweis bekämpfend,
Mit grausem Eifer und Entsetzenskünsten,
Aus tausend Schlünden Höllenflammen sprüh'n, 222
Das göttliche Geschenk (dem Weisen theurer,
Als seines Herzens Blut) dem Menschen zu entreißen,
Des eignen Selbsts frech lästernde Verläugner?
    Gesamtnatur erhebt sich gegen sie!
Was ist und was geschieht hier unterm Monde,
Das Zukunft nicht beweißt und theuer macht?
Dem Geist beweißt? der Sehnsucht anvermählt?
Laut ruft das All: sie müsse seyn! uns zu;
Und Ein'ges steigt die grose Stufe weiter,
Und thut uns: daß sie ist, dar als Gewißheit.
Vom Himmel, auf der Erde und im Menschen
Versammelt sich um mich der Gründe Schaar.
O folge mir, nur ein'ge zu beschauen,
Die als ihr Alltagskleid Natur uns zeigt;
So nahe legt der Himmel uns die Wahrheit,
Durch welche aller Wahrheit Reich besteht.
    Du! dessen allseh'nd Aug' die Schöpfung schirmt,
Die deine Hand regiert, dein Geist erfüllt,
Erwärmt, indeß Du in der fernen Höhe thronest!
Der Ewigkeit erhabener Bewohner!
Erstaunenswürd'ger Herr der beiden Ewigkeiten!
Denn eine war bereits dahingegangen,
Als ihre Schwester kam für Engel und für Menschen:
O hilf die herrliche Unsterblichkeit, 223
Die du dem Menschen gabst, mir vor dem Angriff
Des Feindes retten: diese ew'ge Wahrheit,
So überwichtig Allen, die da sind!
Doch Jenen nur am köstlichsten, die mit
Der Liebe Inbrunst und der Andacht an dir hängen!
    Natur, dein Kind, das wechselreiche Werk
Aus deiner Hand, erhabner Wandelloser,
Sie redet Weisheit zu dem Menschensinn;
Sie ist sein höchst Orakel, und wer sie
Am treusten fragt, ist auch der Weiseste.
Lorenzo, eil' nach diesem Himmels-Delphos;
Von ihm kehrst du unsterblich, göttlich wieder.
Durchschaue die Natur, ihr Kreis ist endlos;
Stets Wechsel, nirgends Tod. Der Nacht folgt Tag,
Die Nacht dem Tag, der stirbt; die Sterne steigen,
Und sinken wieder, um sich wieder zu erheben;
Die Erde ahmt des Himmels Beispiel nach.
Sieh, wie der frohe Sommer, laubbekränzt,
Von Blumen, reich an süßem Duft, umgeben,
Zum blassen Herbst allmählich matt erbleicht;
Der graue Winter, starr vor Frost, vom Sturm
Umtos't, treibt mit dem kalten Hauch den Herbst
Und seine goldne Früchte von der Bahn;
Dann schmilzt er über in den milden Lenz,
Der mit dem sanften Fächeln seiner Weste 224
Den Sommer wieder lockt aus Südens Gluten.
Um wieder aufzublüh'n welkt alles Irdische.
Wie sich des Rades Kreislauf ringsum dreht,
So senkt sich alles, wieder aufzusteigen.
Getreues Sinnbild von des Menschen Wallen,
Der nur vorübergeht, doch nicht vergeht.
    Recht ist das Sinnbild wol, doch auch bedingt.
Denn kreißt sich die Natur, so schreitet fort
Der Mensch: der Ewigkeit gehören beide:
Doch sie als Zirkel nur, als Linie er;
Sie senkt sich ab und er schwingt sich empor.
Der Flamme gleich schwebt sehnsuchtsvoll die Seele
Erglüh'nd und zitternd auf den Himmelsschwingen
Der Inbrunst und der Demuth nach der Höhe.
Die Welt des Stoffs in ihrer Formenfülle
Erstirbt zu neuem Leben, das, aus Tod geboren,
Die Riesenmasse wälzt und wälzt auf immer.
Verlieh'nen Seins beraubt zeiht kein Atom
Den Allerhöchsten je des Unbestands.
    Was folgerst du, Lorenzo? Ist es möglich?
Unsterblich wär' der Stoff, der Geist vergienge?
Unedles überschwebte Edleres?
Der Mensch allein, dem Alles wieder auflebt,
Entbehrte seines Lebens Wiederkehr?
Der Mensch allein, der königliche Mensch, 225
Er wäre in den dürren Grund gesät,
Geringer als das Korn, das ihn ernährt?
Der Mensch, in dessen Brust allein die Kraft,
Die Seligkeit des Seyns zu fühlen, wohnt,
So wie der Schmerz, der voraus seinem Ende trauert,
Er wäre von des Schicksals Eigensinn
Allein zum ungelösten Raub des Todes
Durch ein entsetzlich Urtheil auserseh'n?
    Wenn die Natur im Kreislauf mächtig spricht,
So spricht sie lauter noch in ihrem Stufengange.
Durchschaue sie; sie ist ganz Stufenfolge;
In welchen kleinen Graden steigt sie auf!
Wie knüpft sich jedes Mittelwesen weiter
An seinen Grenzen an, nach oben und nach unten!
Wie schließt sich Theil an Theil im Wechselbund,
Der Scheidung feind! Wie herrscht der Eintracht Liebe!
Hier schlummert Stoff, des Rufs zum Leben harrend;
Dort eint halb Leben sich mit halbem Tod;
Hier schließt mit Sinnlichkeit das Leben Bündniß;
Dort stiehlt die Sinnlichkeit ein glimmernd Fünkchen
Vernunft; die dann im Menschen sonnig strahlt.
Doch was bewahrt die Kette unzerrissen 226
Bis dahin, wo das Leben körperlos?
Zu jenen Räumen der Glückseligkeit,
Wo keine Herrschaft mehr dem Tod gebührt?
Ein Wesen, das halb sterblich, halb unsterblich,
Aus Erdenstaub und Äthergeist verschmolzen:
Die ew'ge Menschenseele gieb mir zu;
Wo nicht, so schließt der Mensch die Stufenfolge;
Weit gähnt die Kluft; Verbindung ist zerfallen;
Gehemmt steht die Vernunft im Wandern still,
Denn ihrem nächsten Schritt fehlt schon der Grund;
Sie strebt empor, doch stürzt zurück vom Ziele!
Vom Ziele, das als heil'ge Wahrheit ihr
Analogie so deutlich ausgesprochen –
Analogie, hienieden unser Leitstern.
    Bis hieher ruft Gesammtnatur dem Glauben.
Und wollte unbekümmert um den Ruf,
Lorenzo sie als falsche Zeugin schmähen,
Um treu zu bleiben seinem Bund' mit Tod?
Entsagt' er lieber der Vernunft, als dem
Geliebten Staub, und sezte gern' aufs Spiel
Des Himmels Sicherheit? O welche Schmach
Für einen Geist, der von dem Tod' befreit!
Welch Hochverrath an edler Menschenwürde!
Am Menschen, der unsterblich ist! Vernimm,
Wie er zur Urkund' seiner Würde spricht: 227
»Was der Allmächtige beschloß, geschehe!
Die Erde löse sich, stürzt, Riesensphären!
Malmt uns zu Staub: die Seele ist gesichert.
Es schwingt sich über Schutt der Mensch empor,
Wie von dem Scheiterhaufen der Natur die Flamme;
Als Sieger lächelt er in die Verwüstung;
Und wonnevoll liest er in Donners Ohnmacht,
Dem stumpfen Pfeil des Tods, der Hölle Unterliegen,
Des hehren Freibriefs unverletzlich Recht.«
    Doch solche Träumereien rühren dich,
Lorenzo, nicht! Dein siebenfaches Schild
Ist Erdenherrlichkeit. Ein and'rer Ehrgeiz,
Als der nach Kronen in der Luft und Wonnen
Jenseits des Monds, macht dir den Busen heiß.
Ich kühle diese Gluth, vermag ich es,
Und wend' die Herrlichkeit, die dich bezaubert,
Nun gegen dich. Denn alles, was an dieses Leben
Dich knüpft, verkündet auch das nächste dir.
Bist weise du, so heilt der Wunde Quell!
    Laß' uns, Ehrgeiziger, zusammen steigen
(Das Steigen weisest du nie ab, Lorenzo!)
Vom Wolkensitz, wo Hochmuth gerne weilt,
Zur Erde hin zu schau'n. – Was siehst du? Wunderdinge! 228
Der Erde Wunder, himmlische verdunkelnd.
Welch weit bebautes Land! beladne Meere!
Beladen von der Hand des Menschen für
Genuß, Gewinn und Krieg! Ihm unterthan
Erkennen Meere, Winde und Planeten
Den Künstler an, und dienen seinen Zwecken.
Ihm muß sich selbst der ew'ge Felsen beugen:
Wie viele Berge gleich! erhöht, wie viele Thäler!
Und auf den Thälern und den Bergen schwillt
Der Städte Pracht empor, die weite Landschaft
Mit ihrer stolzen Thürme Glanz bestrahlend.
Dort steigt sie aus erstaunter Wellen Schoos
Und spiegelt ihre Herrlichkeit im Meer'!
Noch Größeres vermag des Menschen Kraft.
Aus Ozeanstiefe sieh' die weiten Länder steigen!
Die Tiefe schäumt vor Zorn ob engern Gränzen.
Blick' zu dem Süden hin nach schöner Größe;
Die fein're Kunst gedeiht am Sonnenstrahl.
Wie die erhabne Tempel zu den Wolken steigen,
Als suchten sie dort ihre Götter auf!
Des stolzen Siegesbogens weiter Halbkreis
Zeigt uns den Himmel halb von ihm umfaßt.
Hier muß der Strom durch Luftgebiete wallen,
Und Flüsse schlummern zahm in Becken dort.
Hier wird die Ebne Meer; dort schmelzen Meere 229
Im neuen Bett, das Königreiche theilt;
Und die verwandelte Gestalt der Schöpfung
Nimmt aus des Menschen Hand das neue Antliz.
Wünscht deine muth'ge Brust sich Schreckensszenen,
Wo Ruhm und Macht dem Schwerte zinsbar sind?
Sieh' blutbenetzt die Flur; vernimm der Schiffe Donner;
Britannia's Ruf, die Welt zum Frieden schreckend!
Gewaltig bricht des Riesendammes Stirn'
Die zornempörte Fluth des offnen Meers!
Doch durch ihr Brüllen schallt das Götterwort:
»Bis hieher, Ozean, und weiter nicht:
Den neuen Schranken füge dich gehorsam!«
Dem Schoos der Erde wird das Innerste entwunden!
Und Meßkunst nimmt das Maas der Himmel auf!
Der Sterne heimlichst Wandern offenbar!
Erweitert Schöpfung! Unterjocht Natur!
Errungen ihr Geheimniß! Kunst herrscht vor!
Welch Ehrenmal für Genius, Geist und Kraft!
Und nun Lorenzo – an Entzücken reich,
Das dir ein herrlich Schauspiel gab, Ersatz des Himmels –
Nun sag' mir, wessen solche Spuren sind?
Es sind Unsterbliche, die hier gewandelt! 230
Wer sonst, als Geister, die unsterblich sind,
Vermochte das zu thun, was hier vollbracht?
Bedeckt ist diese Erde mit Beweisen,
Daß unsern Geist Unsterblichkeit begleitet,
Und daß er der Unsterblichkeit vergißt.
    Sey immerhin (der Schwäche geb' ich's nach,
Die dir so theuer ist!) das Alles Werk der Ehrsucht,
Und noch so groß, doch ist's das Kleinste immer,
Was Kinder der Unsterblichkeit vermögen.
O schwinge höher dich, als alles dies! –
Doch was kann alles dieses übersteigen?
Du fragst mich: Was? – Ein Seufzer für den Jammer!
Was für Ungläub'ge denn? – Ein tief'rer Seufzer!
Ein großer Mann ist nur, wer sittlich groß;
Wie klein, dem Irdisches für Großes gilt!
Was Menschenehrgeiz heißt, besiegt der Tod,
Nur einen nicht, und dem reicht er die Krone.
Hier läß' uns ruh'n; bis dich nach kurzer Frist
Der Wahrheit Wort noch mächtiger bekämpft,
Die, stärker als der Tod, des Grabes lächelt.


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