Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achte Nacht.

Schutzrede für die Tugend.

                So wäre denn Natur, Gesammtnatur,
Auf meiner Seite? Kauft' ich mir zu Zeugen
Den Himmel und die Erde gegen dich?
Dein Geist ist nun unsterblich dir erwiesen?
Was wäre übrig noch? Lorenzo! Alles! Alles!
Erheb' zur Seligkeit Unsterbliches.
Unselige Unsterbliche! Wie schrecklich!
Doch liebt Lorenzo immer noch die Welt;
Dort liegt sein Schatz; dort sucht er seinen Namen:
Mann nach der Welt (so heißest du doch gern!)
Auf solchen schnöden Titel bist du stolz?
Auf Schande stolz? denn Schande war der Name
In alter Zeit; so wie der Name Christ
Des edlen Strebens Ziel, der Freude Kranz,
In jener Zeit, da Menschen Menschen waren,
Und an dem Himmel unbeschämt noch hiengen. 312
Wie gerne tauft' ich dich zum Andernmal'
Mit der castal'schen Quelle mildem Thau,
Und gäb' dir reinern Geist und edlern Namen!
    Die Gegenstände jener Zärtlichkeit,
Die so verderblich dir das Herz entzündet,
Bezeichnen meinem Liede seinen Pfad.
So schön erscheint dir diese Welt! so mächtig
Ergreift dich Ehrsucht! und noch mächtiger
Die frohe Lust! Sieh da dein dreifach Gift!
Den Drillingspfeil, der deine Tugend tödtet!
So sey denn dreifach des Gesanges Inhalt,
Und deines Witzes auch gedacht und deiner Weisheit.
    Gewöhnlich ist der Stoff, doch nicht das Lied,
Wenn Sie, zu der es fleht, Urania,
Mit holdem Lächeln günstig niederschaut.
Lößt sie des Erdemenschen Bande auf,
Mit welchen ihre Feindin Welt ihn zaub'risch fesselt,
So starrt er plötzlich auf aus seinem Taumel,
Und sehnt sich heiß nach anderm Aufenthalt;
Dahin, wo ein unzählbar Sonnenheer,
Die Funken dieser Nacht, die Sterne, flammend,
(Denn alles schaut der Sel'ge wie es ist!)
In ungetheilter Herrlichkeit, die Fülle
Des Glanzes in des Menschen zitternd Aug' 313
Erstrahlen; dahin, wo dies Lichtmeer selbst
Noch höherm Ziele der Bewund'rung weicht.
    Lorenzo! weil denn Ewigkeit so nah',
Der Zeit ehrgeiz'ge Plane zu verschlingen,
Wie Ries' Leviathan die eitle Wasserblasen,
Die oben auf dem Schaum der Wellen schweben,
Was frommt der Titel Stolz, der Abkunft Adel,
Des Vortheils Übermaaß, bleibt Höchstes fern?
O mein Lorenzo! sollten nicht Gedanken,
Hoch über diesem ird'schen Element,
Nicht über Sonnenbahn erhöhtes Hoffen,
Und göttlicher Bestimmung große Aussicht,
Nicht stolze Ahnung unergründlichen Geschickes,
Wie sollten sie nicht Busen mächtig füllen,
In welchen Geist erglüht, für Ewigkeit geschaffen?
Die Busen, welche Er durchblickt, der in
Des Himmels höchsten Geistern Schwächen sieht!
Auf Menschenherz senkt er sein wachsam Auge,
Und schaut und schreibt im Buch des Himmels ein,
Wie jede Wahl entsteht und sich entwickelt;
Im Buch, dem Tage des Gerichts geweiht!
Der öffnet es und zeigt uns Engeln und der Welt.
    Und wie hast du gewählt, Lorenzo! wie!
Vom Himmel ungerührt nur Erdenwelt!
Die Welt, wo Lust, Gewaltbesitz und Gold 314
(Der Dreibund herrschafttheilender Dämonen)
Des Menschen banges Herz, ihr lustig Spielwerk,
Im Wechselwurf sich hin und wieder senden,
Bis es, vom wilden Umschwung siech und matt,
Nach Ruhe lechzt und in Verzweiflung sinkt.
Und diese Welt ziehst du, Lorenzo, vor
Der herrlichen Verheißung, welche uns zu künden,
Selbst Engel nicht die Allmacht würdig hielt?
Die Er, vor dem sie betend knien, uns brachte;
Zu bringen, selbst vom Himmel nieder stieg;
Hernieder stieg, um sie durch Lehr' und Wunder,
Im Leben und im Tod dem Menschen einzuprägen.
Nach dieser Welt sehnt sich Lorenzo's Weisheit,
Auf ihrem Dornenkissen sucht er Ruhe;
Auf ihm, das, dem verfälschten Schlaftrunk gleich,
Besänft'gen soll, doch nur betäuben kann,
Und den berauschten Sinn mit muntern Träumen
Und aller wilden Schwärmerei des Schlafs,
Doch nicht mit seiner Labung überfüllt.
Ach wieviel ächte Angst und nur erträumte Freude!
    Die Menschen und die Dinge, wie vergänglich!
Wie sehr des Augenblicks Geschöpfe beide!
Im bunten Spiel der Phantasie die Jagd
Der Schatten, die nach Schatten eifrig haschen!
Der Lebemensch und der Geschäftige, 315
Wie ähnlich sich, so sehr sie unterschieden!
An Weisheit gleich, doch nicht auf gleiche Art!
Der Eine tanzt sich todt durch blüh'nde Auen
Und über weite Steppen plagt sich todt der And're.
Kein Tag vergeht, der nicht dem ernsten Denker
Geheimnisse verräth zu neuem Nachtheil
Des Lebens und ihm mehr zu sehn verleidet.
Die Bühne der geschäft'gen Welt erzählt:
»Was Menschen sind« – die Bühne des Vergnügens:
»Was alles ausserdem noch ist.« Auf jener
Erlernen wir, die andern zu verachten,
Auf dieser, uns! Und kann denn in dem Schoos'
Des ew'gen Überdrusses Freude wohnen?
Zufriedenheit allein lockt Klang aus ihren Saiten.
    Was für ein Wunderpreis hat zollhoch über'm Grabe
Auf frohem Plan des Lebens diesen Wettlauf
Entzündet, der uns mit Getös' betäubt,
Und in dem Staub erstickt? Der Stolze rennt,
Sich Augen, die ihn schauen, aufzusuchen;
Der Sinnliche verfolgt Gering'res noch;
Der Ernste Gold; der Staatsmann die Gewalt;
Und alle Andre jagen nach Gefallen
Noch andern schnöden Schmetterlingen nach!
Wie gern der Strudel leichten Tand ergreift, 316
So faßt die Eitelkeit das Herz des Menschen;
Im schnellen Kreislauf' steter Spielerei,
Dem Halme gleich, sich in dem Wirbel drehend,
Wird es vom Schlund zuletzt hinab gezogen,
Und lust'ge Täuschung endet in Verzweiflungsdunkel!
    »Des ausgetretnen Pfad's!« – Und darum miede
Den Pfad der Schritt? Nie ist er treu genug betreten,
Wenn wir auf ihm nicht Wahrheit eingesaugt.
Die Wahrheit schwiege, weil die Thorheit grinzt?
Der Welt Geschichte fragt! Was zeigt sie euch?
Des Glückes Spiel, Natur in harter Strenge,
Des Weibes List, das Rachgefühl des Mann's,
Und ewige Unmenschlichkeit am Menschen.
Des Rufs Posaune tönt, wie Todtenglocke,
Nur selten, ohne schlimme Post zu bringen!
Wie bläßt sie stündlich Menschenunfall aus
Der Welt, die ihr im Kreise eifrig lauscht!
Der Mensch ist die nie ruhende Erzählung
Der alten Schwätz'rin Zeit; ein traurig Mährchen,
Das längst und mit dem Paradis begann!
Der Reise Schwierigkeit ihr zu erleichtern,
Berichten ihre Töchter ihr, die Tage,
Am Rad' des Glückes unsre Stunden spinnend,
(Wo durch den unverseh'nen Zufall oft 317
Der stärkste Lebensfaden plötzlich reißt)
Von Post zu Post des unaufhörl'chen Kreislaufs
Der Reihe nach, was Trauervolles sich
Begab und auch armselig Zwischenspiel:
So füllen sie mit Menschenweh der Mutter Jahrbuch.
    Den Erdentöchtern gleich betrügen uns
Die Töchter auch der Zeit; nicht eine ist,
Die nicht auf ihre Weise uns berückte.
So lang' sie noch der Schoos der Mutter birgt,
Sie noch nicht unser sind, wie schmeicheln sie
Der inn'gen Hoffnung, Freundlichstes versprechend!
Doch halten sie für allzuweis' den nicht,
Der ihnen zu vertrauen wagt; und lachen
Das ganze Jahr hindurch des Menschen,
Der stets vertrauend und doch stets betrogen,
Doch immer wieder traut, obwohl betrogen;
Der Hoffnung fröhnt, von Prüfung unbelehrt,
Und, von Beweisen nicht im Geist ergriffen,
Nur immer nach dem schaut, was nie erscheint.
Das Leben lügt, verstockten Sündern gleich,
Bis zu dem letzten Augenblick; erst dann,
Wann es vergeht, bekennt es seinen Trug.
Die Freudenfünkchen löschen ein's um's and're
Ihm aus, und dichte Nacht umringt zuletzt 318
Den armen Menschen, finstrer noch als die,
Die jetzt den Erdkreis dicht in Schatten hüllt.
    O Du, der solche Übel wandeln läßt
Für güt'gen Zweck und Menschen Trauer sandtest!
O Du, der dieses schöne Werk geschaffen,
Es innig kennst, und willst, daß auch der Mensch es kenne!
Was ist sie, diese Erdenwelt? Ein Dunst!
Nur Dunst ihr Inhalt, Dunst sie selber nur.
Dein Strahl erhob ihn aus des Chaos feuchtem Bette,
Dein Wille hieß die vorbestimmte Frist
Ihn schwimmen in der Luft, die ihn umgiebt,
Und dann zerfließen in Unsichtbarkeit.
Der Erde Tage sind gezählt, nicht fern'
Ihr End'; so sterblich sie, als ihre Kinder,
Doch nicht so schnell vorübergeh'nd; und dennoch
Vergöttern diese sie, als wären ewig
Die Welt und sie; als wärst Du, Gott! ein Traum!
    Vergöttern zärtlich – was? Das Reich des Scheines,
Fehlt ihm die Aussicht auf Unsterblichkeit.
Der Schatten Land! Ein fruchtbar Feld voll Hoffnungsblüthen!
Der Freuden öde Wildniß! reich durchflochten 319
Mit Zweifeln, und mit Dornen scharf begabt!
Ein Meer im Sturm, bedeckt von kühnen Abentheurern,
Ihr All am Bord und ohne Zwillingshoffnung,
Zürnt hier das Glück! Wie bald erscheint sein Zorn!
Auf ganz verschiednen Schiffen segeln sie
Und mit verschiedner Flagge: doch sind alle
Vor gleicher Angst in steter Unruh' reg';
Der Furcht und Hoffnung Ball bei'm hellsten Himmel,
Dem Sturme ausgesetzt, dem Element des Lebens!
Und nach Glückseligkeit geht Aller Fahrt;
Doch Wen'ge suchten sich die Karte der Erkenntniß,
Zu sehen, wo sie weilt; der Tugend Steuer,
Den Lauf nach festbestimmter Bahn zu lenken.
Und alle klagen mehr und minder laut,
Des Schicksals Laune an, wenn sie die Fluth
Jetzt hebt und jetzt verschlingt und weiter vom
Erwünschten Ziel verschlägt, als sie begonnen.
Und alle treffen mehr und minder hart zusammen
Im Wechselstoß empörter Leidenschaften,
Durch eigne Thorheit mehr, als Schicksal, leidend.
    O Meer! du furchtbar ungestüme Heimath
Des Untergangs, im steten Krieg mit Menschen!
Des Todes Hauptsitz, wo er, mächtig herrschend 320
In Mitte seiner auserles'nen Schrecken,
Den Riesenrachen (kaum auf Albions Kosten
So reich gespeißt!) weit öffnend, brüllt nach Mehr!
Zu treuer Spiegel! o wie zeigst du wahr
Des Menschenlebens traurig Angesicht!
Es lockt die starke Ähnlichkeit mich weiter:
Vielleicht fühlt inniger Britannia
Die Wahrheit der Moral vor solchem Spiegel,
Den ihrem Aug' Natur beständig zeigt.
    Sich selbst beschmeichelnd, an Erfahrung arm,
Doch reich an Hoffnung, kappt mit frohem Muthe
Und buntem Wimpel Jugend ihren Tau;
Wir fliegen in die Welt in süßen Träumen:
Hold sey uns jede Luft und jeder Stern.
Uns alle lockt ein reitzend Unternehmen,
Doch wer vermag den Ausgang zu ergründen?
In Mitte einer Schaar von ungeübten Händen
(Verderbens sich'rer Raub! rechtmäß'ger Preiß!)
Erheben gute Steu'rer sich; doch braußt
Der düstre Sturm mit Macht und treibt sie weit
Von ihrer Hoffnung; Heldenmuth im Busen
Erringen Jene Bahn durch Sturm und Fluth;
Ihr wack'rer Kampf verdiente schon den Hafen,
Der ihrem Blick erscheint – gewonnen! hin!
So stark ihr Ruder war, noch stärker ist 321
Ihr Schicksal, und sie sterben, da sie siegen.
Die Mehrheit wird des Ungewitters Beute;
So Manche sinken gleich; und über ihnen
Und ihren Namen schließt sich zu das Meer;
Der nächste Morgen weis nicht, daß sie je geboren.
Ein flüchtig Denkmal lassen And're nach,
Der Flagge gleich, die an der Stätte schwimmt,
Wo erst das Schiff zum Abgrund niedersank;
Sie schwimmt sekundenlang, auf ewig zu verschwinden.
Ein Cäsar lebt und tausend sind vergessen.
Wie Wen'gen schien der günst'ge Stern zur Stunde
Der Geburt (den Günstlingen des Himmels!
Des Schicksals Lieblingskindern!) daß sie rasch
Mit vollen Segeln nach verheißnem Hafen
Die unverkürzte Fracht der Wünsche bringen!
Und dennoch klagen sie, mit reicher Ladung
Geborgen bald; des Unglücks frei, doch der
Natur gehorsam, bleiben sie stets Menschen;
Und wann hat volle Sicherheit der Mensch?
Dem Sturme gleich verderblich ist die Zeit!
Der Jahre Drang wirft ihre Kraft darnieder,
Und oft errettet, sinken sie zuletzt:
Dann waffnet nur ihr früher Glück die Stirn'
Des siegenden Geschicks mit neuen Schrecken; 322
O Schmerz, die Welt, so eben erst gewonnen,
Das Nest, so weich gepolstert und so hoch
Hinangebaut, so plötzlich zu verlassen!
Wer untern Sternen baut, baut stets zu nieder.
    Doch – sey die Lebensbahn vom Übel frei
(So fern' der Sterbliche es meiden mag!)
Und unserm Winke bleibe Glück gehorsam;
Was seyd ihr Fröhliche! ihr Reiche! Große!
Ihr Sieger! und Erlauchte! o was seyd ihr? –
Die Glücklichsten (ein seltsames Geständniß!)
Bezeugen Menschenjammer mir am laut'sten:
Was sind sie? Elend morgen, heute lächelnd!
Elender dann, als es ihr Knecht mag seyn;
Ihr treulos Glück zieht auch am Tag' der Noth
Die Larve ab, gleich andern falschen Freunden,
Und quält; zur herben Armuth wird dann Reichthum!
Zur schweren Ohnmacht sinkt Gewalt herab!
Wie bitter spotten ihrer ihre Titel!
Wenn nicht der Anker, der allein der Wellen mächtig,
Unsterblich Hoffen, trotzt der Wuth des Sturms,
Sich neue Kraft holt aus der Brandung Toben,
Und in dem Grab willkommnen Hafen findet.
    Und was ich so geschildert, liebst du heiß?
»Doch schildernd (sprichst du) führt ich Lebensleiden
In wildem Drange vor. Genauer ausgeschieden 323
Ergäbe sich wohl besserer Bericht.«
So schaue denn des Lebens Szenen durch;
Sie reden gleiche Sprache klarer noch;
Je klarer sie, so tiefer seufzest du!
Blick' deinen holden Knaben an; in ihm
Das Beste was dem Besten werden kann auf Erden;
Von Mutterseite hat der Knabe Tugend:
Ja! blick' Florello an; ein Vaterherz
Bleibt zärtlich, wär' das Herz des Menschen auch
Von Stein. Vielleicht ergreift dich Wahrheit tiefer,
Wenn sie aus solchem Anblick wiederstrahlt,
Und freundlich hilft die Zärtlichkeit dir auf.
    Vor kurzer Frist als hülflos Kind verschlagen
Auf diese rauhe Küste, ist Florello
Ein leichtgesinnter Knabe nun; den Wehen
Der armen lieblichen Clarissa folgt
Nun deiner Sorge Weh, die liebevoll
Ein strenges Antlitz doch vom Hasse borgt!
Wie oft blickt deine Zärtlichkeit mit Ernst
Auf deiner Seele Lust; beschränkt den Willen
Ihm der Erziehung heilsam hart Gesetz;
So hütet Dornenhag die zarte Pflanze.
Noch wandert sein Verstand nicht ohne Stütze,
Der ernstern Wärterin bedarf sein Schwanken.
Sein kleines Herz bewegt sich oft im Zagen; 324
Das Morgenroth erbleicht auf seiner Wange;
Des Thaues Perle bebt in seinem Aug'!
Im frommen Aug'! und löscht den Blick des Engels!
Ach! wozu frommt ihm Unschuld? Bänd'gen soll
Der Bürde Last die jugendliche Kraft;
Und seufzen lernt er, eh' er Sünde kennt;
Schuldlos betrübt! und leidend eh' er fiel!
Wie hart! doch härter unbedachtsam Schonen.
Es gilt für unser Wesen als Gesetz:
Der ungewissen Ruhe Aussicht mit
Des Übels Unvermeidlichkeit zu kaufen.
Trügst du auch in der Brust kein Vaterherz,
Doch zolltest du der Wahrheit deinen Seufzer!'
    Denk' dir den Sohn schon völlig ausgerüstet,
(Und würd' er's nicht, verarmt noch mehr die dürft'ge Rechnung!)
Der Huth entreift, auf seine Freiheit stolz,
Wie er die Schranken überspringt, sich stürzt
In's Weltgetös; dem alten Troja gleich
Ist nach zehn Jahren Müh' die Welt erobert,
Und jede ihrer Freuden sein. Doch ach!
Die Welt erzieht viel strenger noch; und hart
Und seines Fleißes unwerth ist die Lehre.
Verlernen soll er, was sein edles Herz
Freiwillig ihn an Tugend schon gelehrt, 325
Was edle Schriften ihm (der holden Tugend
Vertreter!) schon begeisternd eingeflößt.
    Denn wer führt ihn zum thät'gen Leben ein?
Die Menschen nach der Welt, der Erde ächte Kinder,
Begrüßen den bescheidnen Fremdling in dem Kreise,
Der längst von ferne schon ihm zugeschimmert,
Und schließen gastfrei ihn in ihre Arme;
Die Menschen, welche ächter Freundschaft lachen
Als Erzromans und Donquixotten-Wesens;
Die vor der goldnen Vorschrift der Berechnung
Die Schwäche des Gefühls zum Opfer brachten,
Die schamerglühten, gälten sie für offen,
Und sich aus Ruhmsucht gern' die wen'gen Fehler,
Die ihnen mangeln, bei der Lüge borgten;
Die, wär' die Wahrheit auch der Lüge gleich
An Vortheil, doch aus Neigung Lüge wählten,
Als lohnte sich, für sie, von selbst das Laster.
    Erträgst du einen grausenvollen Anblick?
Ich zeig' ihn dir, nur um Florello's willen.
Sieh' die gestählte Reihen dort der Veteranen,
Im Weltdienst reif, von blanker Falschheit schimmernd,
Tief eingeweiht in arge Friedenslisten:
Ihr sanfteres Gefühl rieb sich im Leben 326
Und seinem Drange ab; und Höflichkeit
Versteckt in glatter Scheide ihren Dolch;
So lang ihr Vortheil will – die treusten Freunde,
Erbittert feind – wenn sich's der Mühe lohnt;
Im Krieg' mit jedem Wohl, das nicht ihr eignes;
Wie Satan klug; nur halb so gut als Satan;
Und niemand frommend doch als nur der Hölle –
Nackt muß dein Sohn (so will es Menschenschicksal!)
Entblößten Herzens muß er durch die Reihen
Den harten Lauf der Schmerzensbahn beginnen:
Hinausgespöttelt aus des Lebens schönsten Reitzen,
Dem raschen wahren Wort, dem offenen Gedanken,
Dem unerzwungnen Lächeln lichter Freude,
Der Liebe – reich wie zahlreich sein Geschlecht –
Dem edlen Hang zu wohlverdientem Ruhm,
Der biedern Zuversicht, dem Bande des Vertrauens.
    Dies Freudenrecht (wenn Sterbliche es haben!)
Wird seinem Busen manchen Seufzer kosten,
Bis Zeit und Mühe spät' von der Erfahrung,
Der langsamen Regentin solcher Schule,
Und ihrem Beistand, dem behutsamen
Und bleichen Mißtrau'n, um sehr theuern Preis
Den Faden schaffen für des Jünglings Schritt
Durch das verschlungne Winkelland des Lebens, 327
Und durch der Herzen dunkles Labyrint.
Und Heil ihm! zahlt er keinen theu'rern Preis!
Denn während wir den Kampf mit Weltschuld lernen,
Beschleicht ihr schnödes Gift oft unser Herz,
Schützt uns nicht hohe Himmelstugend selbst.
So zwingt ein seltsam Loos fluchreicher Noth
Der Seele rein gediegenes Metall
Zu schnödem Zusatz und gemeinem Stempel,
Der auf der Erde Weisheit heißt; senkt sie
Hinab in Sicherheit und brandmarkt sie,
Um bei der Welt sie zu beglaubigen;
Bei ihr, wo Namenglanz die Schande adelt,
Und Kränkung der Natur als Kunst erscheint,
Des Geistes höher Maas zu größern Freveln locket,
Und Himmelsgaben zeugen Höllenherzen;
Der Schuld unübertrefflich letztes Ziel!
    O guter Macchiavel! wozu die Mühe,
Mit welcher du dein Lehrsystem entworfen?
Daß Genius nicht zur Schule geht vergessend,
Vergessend, daß der Mensch, weis' ohne Lehrer,
Lang' eh' du schriebst, was du geschrieben, that!
Die Welt ist Titelblatt, doch ohne Inhalt;
Ist ganz Gesicht: wer offen zeigt sein Herz,
Wird über die Enthüllung ausgespottet.
Ich kannte Ihn, der von der Gnade Lächeln 328
Sich nährend wohl gedieh; er glänzte feist und blühend,
Doch in den Adern schäumte Natterngift.
Lorenzo! nicht verarge mir mein Wort:
Im Leben kroch der Mann vor jedem Thoren,
Und flucht' im Tod' dem Freund', von dem er lebte!
Halb heilig bist du solchen Meistern gegenüber.
Welch eigen Schauspiel in dem Ausland' ist's
(Du reistest weit ja) um zwei Staatsbetrüger,
Wie sie, bemüht ihr Nest im Nu zu polstern,
Mit aller reichen Schwarzkunst ihres Handwerks
Das Mienenspiel im list'gen Wechsel treiben,
Verzuckern der geheimen Galle Gift
Und an der kühnen Hoffnung üppig schwelgen,
Sich wechselseits den Glauben abzuhaschen!
Betrügend beide, jubelnd und berückt,
Und beide manchmal (Heil der Welt!) verloren!
Ihr Geist ist groß, doch sey er ihre Schmach.
Wie mag der Mann, zur Herrschaft ausgeprägt,
Zu Ränken, die den Narr'n entehren, sinken,
Und doch den Dank der wen'gen Freunde missen,
Für die er es gethan? denn wie dem danken,
Den unsers Auges Blick nicht sehen kann?
    Wozu so viel Verstellung? Sie zernichtet
Sich selbst. Ihr, die ihr alles wißt, blieb euch 329
Denn unbekannt, daß man der Menschen Herzen,
Weil sie verhüllt, nur um so besser kennt?
Warum sind sie verhüllt? Der Grund ist klar.
Wohl dem, dem das Geschick zur Lüge fehlt;
Deß schwach' Gemüth die Wahrheit immer fürchtet;
Sein Mangel an Talent dient ihm zum Ruhm.
Groß ist es, männlich, die Verstellung zu verachten,
Urkundet Geist in uns, zum mind'sten Kraft.
Dir scheint sie nöthig. Ist sie darum recht?
Doch sey's; ich laß' ihr diese arme Gunst,
Das Pförtchen des Behelfes bleib' ihr offen.
Dich frag' ich nur, ob dir am Herzen liegt,
Zu meiden grausame Nothwendigkeit?
Es wird dir leicht; erachte nur die Stelle,
Die einen Schurken fordert, für entbehrlich.
Als jüngst in andre Hände kam des Staates Ruder,
Da dachte Pelham so. Denk', kannst du's besser.
    »Zu selten die Erscheinung! unrein ist
Der öffentliche Pfad des Lebens!« – Wohl!
Doch thu' auch diesem Schmutz sein Recht; auf ihm
Erhebt sich höher nur der hohe Geist.
Die Welt ist nie partheilos! steht beständig
Auf Leben oder Tod; löscht sie nicht Tugend
Uns in der Brust, so facht sie edlen Zorn.
Die Welt erkennen, sprichst du, macht den Mann; 330
Die Welt erkennen, sag' ich, macht das Herz
Zum Eigenthum des Himmels, oder uns
Noch lang vor unsers Lebens End' zu Teufeln.
    Auf daß du die Geliebte, deine Welt
Im vollen Glanze ihrer Schönheit schauest,
Erwähl' von zweien Seiten eine nach Gefallen,
Gewiß des Ungemachs bei jeder Wahl,
Gewiß des Schadens, doch nicht ganz des gleichen.
Die Tugend selbst wird hier noch nicht zur Göttin;
Ihr drohen Rückfall, Kampf und manche Feinde,
Die ihren Haß ihr möglichst fühlen lassen.
Die Tugend hat ihr eignes Leidgefolge;
Zwar klagen ihre Freunde nur zuletzt,
Am wenigsten; doch müssen auch sie seufzen,
Wem bleibt dann wohl des Lächelns Hoffnung noch?
Wenn Weisheit selbst nicht ohne Kummer ist,
Wie mag mit Glück sich arme Thorheit schmeicheln?
Und haben beide ihren Schmerz, was prahlt die Erde,
Wo klein're Klage höchstes Wohlseyn ist?
Der beste Zustand viel, ach viel Geduld
Erheischt, der Freunde bester einige Vergebung?
Wer nicht nach Glück und Freundschaft höher schaut,
Wird ihren Schatten nicht hienieden finden.
    Der Welt geschworner Anwalt (obgleich unbesoldet)
Lorenzo sagt, indem er höhnisch lächelt: 331
»Bis jetzt hat Recht dein Lied; gewiß die Tugend
Ihr eigen Leidgefolg. – Doch eigne Freuden
Wer spricht sie wohl dem Laster ab? Wenn's anders
Ein Laster ist, sich der Natur zu fügen.
Sind Stolz und Sinnlichkeit so übermächtig,
Daß schon die Kraft, sie zu beschränken, nicht
Sie auszurotten, uns zu Heil'gen adelt:
So ruft Natur mit ihrer vollsten Stimme
Vergnügen aus und Ruhm als höchstes Gut des Menschen!«
    Kann Stolz und Sinnlichkeit das Herz erfreu'n?
Aus Reinheit des Gedankens quillt die Freude,
Und alle Ruhe sproßt aus Geistesdemuth.
Ehrgeiz und Lust! – Von ihnen laß' uns reden:
Von ihnen sprachen Stoa und die Weisen
In Akademos Hallen auch; von ihnen
Sprach jede Folgezeit noch viel und oft;
Doch ist der wicht'ge Stoff noch nicht erschöpft.
Zum menschlichen Gesammtgeschlechte spricht,
Wer diesen Punkt berührt; denn wo der Heil'ge,
Der sich des mächt'gen Paares ganz erwehrt?
Ehrgeiz und Lust! sie wären deine Zuflucht?
O nein! sie stürmen über dich und fassen
Dein Innerstes als gier'ge Geier auf.
Versuchen will ich, dich von deinem Fels 332
Zu lösen, Prometheus! von diesem dürren Erdball:
Sprengt Ketten die Vernunft, so bist du frei.
    Vorerst schau deinen Kaukasus, den Ehrgeiz:
Gebirg der Qual! der Leiden Riesengipfel!
Dir liebes Leiden! und aus Irrthum lieb!
Nach Größe greifst du? Erst erkenne sie!
Wähnst du sie in dem Glanz des Rangs zu finden?
Nicht in der Feder (walle sie auch noch so hoch)
Die Glück verlieh, im Haufen auszuzeichnen,
Hat Ehre ihren Sitz; zurück den Pfad!
Such' sie in dem, was alle knüpft und gleicht,
Den mächtigen Monarch und seinen Sklaven:
Im Geiste, der dem Tod nicht unterworfen,
Im Blick auf eine Zukunft ohne Schranken,
In der Unsterblichkeit Genossenschaft,
Dem Vater Gott, den Brüdern in den Himmeln,
Zwar älter nach der Zeit, doch nicht so fern
Dem Menschen, als er denkt, an Wesenadel;
Denn warum stünde, was des Falls empfänglich,
An Größe über dem, was steigen kann?
    Währt noch dein Wahnsinn, nun, so geh' Lorenzo,
Und streu' mit deinen aufgeblähten Brüdern,
Den Weltlingen rings um dich her, den Hohn;
Wirf ihn nach deinen Sklaven! – deines Gleichen! – 333
Wie prallt von ihnen er auf dich zurück!
Ist Mensch als Mensch gering, bist du ein Gott?
Erniedrigt ihn das Glück, so denk' der Folge;
Denn dieser Grundsatz mahlt uns das Geschlecht
Im ungeheuern Styl, wo sich der Mensch
Im Faltenwurfe des Gewands verliert;
Vor üpp'gem Schmuck vergessen wir des Geistes.
Fühlst du Beruf, mit deinem höchsten Ruhm zu prahlen,
So prahle laut mit dem, den theilt dein Knecht.
    Wir schauen klug das feile Roß enthüllt:
Und eingehüllt erkennten wir den Menschen?
Nicht frommt dir: wo? dir frommt nur: was du bist.
Die Herrlichkeiten dieses kleinen Lebens
Gehören nur der Haut und nicht dem Menschen.
Wenn einst der Erde schlau gewandte Schlangen,
Die in den Schoos des Reichthums jetzt sich schleichen,
Am Ruhm empor, wie am verbot'nen Baum
Gekrümmt der Satan, sich zur Höhe winden,
Wenn durch des Todes engen Pfad sie kriechen,
So legen sie das bunt gefleckte Kleid
Und alles ab, was jetzt an ihnen schimmert,
Da sie den ehrnen Kamm noch stattlich heben
Und auf uns niederzischen aus der Höhe.
Des Glückes Firniß nimm den noch lebend'gen; 334
Streif' ihnen ab den Balg; stets tiefer dringe;
Hinweg mit allem was an ihrer Seele
Nicht geistiger Natur! und nenne das,
Was bleibt, bei seinem ächten Namen keck,
Sey's edel oder schwach, groß oder nieder.
Wie klein das Flämmchen Ruhm, das Glück entzündet
Und Tod ausbläßt! Verlangst du eine Urkund'
(So unfehlbar an Kraft als in der Form gediegen)
Von ächter Größe? Wohl! der Mann lebt groß,
Der, unabhängig von Geschick und Ruf,
Auch groß zu sterben weis; von Hoffnung hoch
Beseelt im Augenblick, da Helden auch verzweifeln.
Ist diese Probe ächt, so sind die Großen
Auch an den glänzendsten der Höfe selten.
    Wenn der Allmächtige von seinem Thron'
Zur Erde niederschaut, sieht er nichts größers,
Als ein bescheiden tugendhaftes Herz;
Ein kindlich Herz, sein Aufenthalt! erkannt
Als Gottes ird'scher Sitz, des Himmels Nebenbuhler.
Des Menschen stiller Pfad, geheimes Thun,
Sind, wenn sie edel, unsers Lebens Kleinod.
Wie hoch thront über deinem Ruhm, Lorenzo!
Der herrliche Besitzer unbekannten Namens,
Deß Werth, von Nebenbuhlern frei, von Zeugen, 335
Gern in des Lebens Weiheschatten weilt,
Wo Himmelsgeister sich mit Menschen unterreden
Und Friede lächelt, den die Welt nicht kennt!
Wie du, jetzt noch in Finsterniß befangen,
Gewahren sollst, eh' du von mir dich trennst.
    Dein großer Geist verschmäht den scheuen Ruhm.
Krank ist Lorenzo, steht Lorenzo nicht
Zur Schau, und Wahrheit ist er nicht geständig,
Wenn er die Achseln zuckt beim Glanz der Stellen.
Das Aug' des Volks bedarf er, seiner Stimme,
Sonst stirbt er, der vom fremden Odem lebt.
Wie gern macht' er die Welt zu seinem Fußgestelle,
Die Menschen zu Begaffern, sich zum Kunstwerk!
Weis er, daß wider Willen nur die Menschen loben
Und mit Verläumdung gern dies Lob versetzen?
Weis er, daß die Betrüg'rin Fama flüstern,
Wie die Posaune blasen kann? und daß
Nur darum seine Eitelkeit sich kitzelt,
Weil sie nicht alles hört? Weis er, der Alleswisser,
Daß, führt der Reiz des Lobs – ein nied'rer Reiz
Vielleicht, ihn schimmernd auf der Bühne vor,
Daß, faßt' er auch sein Volk durch tausend Ohren,
Im knienden Senat Verachtung mitkniet,
Die unter lautem Beifall leise lacht?
Nur um so sicherer den Ruhm zu Tode lachend! 336
Ja! seinen Ruhm, der, gleich dem mächt'gen Cäsar,
Gekrönt mit Lorbern, in der Mitte des Senates,
Dem Dolche stattlich fällt der falschen Freunde,
Die tief vor ihm gebeugt ins Grab ihn stürzen.
An Ehre wachsen wir, sinkt unser Stolz;
Wo Prahlerei sich schließt, beginnt die Würde;
Und dennoch ist (o Übermaas des Irrthums!)
Verblendet stolz – auf seinen Stolz Lorenzo;
Und träumt, indem er fällt, er steig' empor.
    Auch die erträumte Höhe macht uns schwindeln:
Ein jeglich Laster braucht der Niesewurz;
Doch unter allen Lastern schreit der Stolz
Am lautesten, den größten Becher fordernd;
Weil er, den übrigen Genossen ungleich,
Das Ziel der heißen Sehnsucht wirklich flieht.
Wer buhlt um Lob verpflichtet sich die Welt;
Er labt des Menschen Neigung: zu versagen.
Der höh're Ruhm entschlüpft, wenn wir ihn greifen;
Auch Ehrenmänner werden dann Banditen,
Erfreut, wie Kuli-Chan, den Stolz zu plündern.
    Obwohl ein wenig in Verlegenheit,
Doch treu der Sache seiner lieben Welt,
Ruft mir Lorenzo mit der halb erfreuten Miene: –
»Wolan! der Ehrsucht sey der Stab gebrochen;
Sie, die weit theurer uns, bleibt unverletzt, 337
Die frohe Lust! der stolze Ehrgeiz dient
Als Sklave ihr; für sie strebt er zur Größe,
Für sie wagt er sich in's Gebiet des Bösen;
Er kämpft und blutet, siegt für sie allein,
Und pflastert um ihr Lächeln seinen Weg mit Kronen:
Denn wer vermag wohl ihrem Reiz zu trotzen?« –
Vom wem heischt diesen Trotz die Pflicht, Lorenzo?
Wie stünde wohl der Mensch, wo Engel weichen?
Die Lust ist selbst der Himmelsmächte Herrin;
Um sie bewerben sich die Göttlichen.
Die Lust ist dieser Unterwelt Gebiet'rin,
Und wohl dem Menschen, daß sie ihn bezaubert.
Wie starrte Alles, wirkte nicht ihr Strahl!
Wie stockte dann im Frost des Wirkens Strom!
Was ist der Pulsschlag dieser regen Welt?
Die Liebe zu der Lust; sie treibt durch alle Adern
Bewegung warm und bannt den Tod aus Leben.
    So bunt verschieden auch der Menschen Sinn,
Doch fesselt sie der Freuden munter Volk.
Der liebt die dunkle Farbe, der die lichte;
Die edle Freude der, die schmutz'ge dieser.
Unreine Lust ist mannichfach gestaltet,
Wie in der Brust der Leidenschaften Schwarm,
Der hin und wieder irrt und bald das Ziel
Verfehlt und bald die Schranken übertritt. 338
Wähnst du, es gäbe eine Unzucht nur?
Nein! Unzucht ist dann überall vorhanden,
Wann unsere Vernunft die Lust entfesselt.
Bezweifelst du, Lorenzo? Zweifle nicht.
Dein Vater tadelt deine Liebeleien,
Doch küßt er selbst im Dunkeln eine niedre Metze;
Mit seines Nächsten Gold ein geiler Ehebrecher,
Buhlt er im Winkel mit dem Scheusal Rache.
Ja, wie die Liebe hat der Haß sein Haus,
Wo blutig schwelgen Höllen-Epikure.
Der Grund ist tausendfach, stets Lust das Ziel:
Für sie ergreift das Schwerdt der düst're Mörder;
Für sie entzündet der verschloßne Staatsmann
Sein mitternächtlich Licht, das Völker opfert;
Für sie weiht sich der Heilige dem Fasten;
Der Geitz'ge hungert ihr; für Lust verhöhnte
Der stolze Stoiker die Lust; um sie
Ergeben sich die Töchter der Betrübniß
Dem Schmerz, von Thränen Wonne hoffend, suchend;
Für sie nur trotzen wir der Schuld, der Schmach,
Der Mühe und Gefahr, und stürzen uns,
Nur sie im Aug', selbst nach des Todes Rachen.
Denn unumschränkt tyrannisch herrscht die Lust!
    So weit ihr Reich, so billig auch ihr Ruhm.
Du Freund der Freude! du, der Wonne Freund, 339
Ich buhl' um sie mit dir; ich huld'ge ihr;
Die Lust meint auch mein ernsterer Gesang.
Denn Lust ist nur der Tugend froh'rer Name:
O nein! ich kränke sie durch niedre Schätzung:
Die Tugend ist die Wurzel, Lust die Blume,
Der Feind des guten Epikur ein Thor.
    Doch hart ertönt dies Wort, des Weisen Kränkung:
Kann anders Überspannung Weisheit heißen.
Wie faltet strenger Ernst bewölkte Stirne
Und schilt das Lob der Lust ein Wagestück,
Da sie, schon ungelobt, nur allzulieb dem Menschen.
Hört meine ruh'ge Antwort, Stoiker
Der neuen Zeit! – Es will der Mensch den Sinnen trauen;
Wir können ihn nicht täuschen; und wofern'
Wir's könnten, wär' die Täuschung uns erlaubt?
Gesteht ihm zu, daß Honig süß, doch fügt
Den Stachel bei, daß Gift in Honig tödtlich!
Nie gieng die Wahrheit bei der Lüge borgen:
Ist denn auf Erden außer Tugend nichts,
Was reinen Lobes werth und fähig wäre?
Warum zieht ihr Gesundheit vor der Krankheit?
Was die Natur mit Liebe sucht, ist gut,
Sie nimmt dazu nicht erst bei uns Erlaubniß; 340
Wo dir kein künftig Mißbehagen warnend zuruft,
Da laß' der Lust ihr Spiel, entsproßt sie gleich
Der Tugend nicht unmittelbar. Sie ist
Des Lebens Balsam, Dankgebet zum Himmel;
Wie kalt der Dank für nicht empfund'ne Wohlthat!
Die Liebe zu der Lust ist erstgeborne Neigung
Des Menschen; in der Wiege ihm geboren,
Lebt sie mit ihm, bis er zu Grabe geht;
Die jüng're Schwester Weisheit und die ernst're,
Erhielt den Ruf, der königlichen Lust,
Die als Gebiet'rin herrscht in Menschenherzen,
Mit Rath zu dienen, nicht sie zu entsetzen.
    Lorenzo! du, der Königin Vertreter,
So gründlich in der Welt zu Haus, ein Murray
In deinem Wahn, magst immer spöttisch sehn:
Doch, mein Demosthenes, weist du die Sache
Der Lust so triftig zu vertheidigen,
Als ich? Kennst du ihr Wesen, ihren Zweck,
Und ihre Herkunft? Hör' dem Liede zu,
Es sagt dir alles dies! Und kenn' dich selbst,
Erkenn' in dir (so seltsam Wahrheit laute)
Den Patriarchen der Enthaltsamkeit.
Sag' es Callisten nicht! sie lacht dich todt;
Schickt sie nicht gar mit dem, den ich nicht nenne,
Nach ihrem Pathmos dich: des tollen Wahns! 341
Du, der den ernsten Sinn noch nie geahnet,
Gestattest keck den Traum von Wonne dir!
Nie fand ein Mensch des Lebens Glück durch Zufall,
Nie hat der Wunsch in's Daseyn es gegähnt;
Die niedre Sinnenlust erspäht' es nie
Mit thierischer Begier im Erdenschoos.
Auf Kunst beruht es, die gelernt seyn will;
Gelernt mit treuem Muth, sonst flieht sie uns,
Und läßt in seinem Glück den Dummkopf sitzen.
Es können Rang und Gut uns aus den Wolken thauen;
Der Reichthum naht vielleicht von freien Stücken;
Doch selber müssen wir nach Weisheit gehn;
Vor allem suchen sie; die (o wie ungleich
Dem Andern all, was wir hienieden suchen!)
Sich nie von uns vergeblich suchen läßt.
    Laß' uns zuerst der Lust Entstehn beschauen,
Ihr Wachsthum dann und ihre Kraft und Würde.
Dem Licht geboren aus der Weisheit Schoos,
Gepflegt von Zucht und von Geduld erzogen,
Gekrönt von der Beständigkeit, erhebt
Sie hoch ihr herrlich Haupt; um ihren Thron,
Der in dem Busen des Gerechten steht,
Vereinen sich zur Schaar die Tugenden,
Sie mit dem tapfern Schutze zu beschirmen. 342
Denn was sind Tugenden, (furchtbarer Name!)
Wenn sie nicht Quelle oder Schutz der Lust? –
Warum uns Pflicht? Bedarf der Mensch Gesetze,
Daß er sein Glück verdient, indem er's schafft? –
Erhabner Schöpfer des Naturgesetzes!
Erhabner kaum, als hulderfüllt für uns!
Befolgt Vernunft der Mensch und liebt er Lust,
So schmeichelt seiner Wahl die Vorschrift deiner Güte,
Doch ihre Übertretung straft sich selbst;
Wer ihr am innigsten Gehorsam leistet,
Der wird am reichsten auch an Lust des Daseyns.
    Laß' uns nun nach dem letzten Grund' der Lust,
Nach ihrem hohen Zweck und wicht'gen Ziele forschen.
Nicht, um zum Thier den Menschen zu erniedern,
Nein, Göttlichkeit auf Menschenthum zu gründen,
Kam sie zu uns herab von Himmelssitzen;
Vernunft zu stützen kam die göttliche;
Durch ihren Zauber sie in voller Kraft zu wecken.
Denn erst steht Lust der Tugend bei; zum Dank
Verleiht die Tugend ihr ein ewig Reich.
Ist's nicht die Lust in Nahrung, Freundschaft Glauben,
Die leben heißt Natur und Staat und Kirche?
Die Lust an Speise flößt uns Leben ein; 343
Die Lust am Beifall macht uns liebenswerth;
Die Lust am Glauben führt uns zum Gebet;
(Wie bald verstummt' es ohne Glaube an Belohnung!)
Sie dient uns selbst, der Gattung, unserm Gott;
Und mehr zu thun liegt nicht im Kreis' des Menschen.
So ström' denn ewig, heil'ger Quell der Lust!
Durch Eden fließt er, wie einst Euphrat floß,
Und nährt des sel'gen Lebens Wurzeln alle;
Ein neues Eden grünt um seinen Lauf; –
Ein Eden, das Lorenzo's Fall verscherzt.
    »Was ich mit deinem Falle will?« fragst du.
Es wird dir klar, wenn ich das Wesen sang
Der Lust, wie ihren Ursprung und ihr Ziel
Mein Lied schon dargestellt. – Entweiht die Lust
Durch Gattung oder Grad die edle Bahn,
Der sie geweiht, dann wird sie Laster erst
Und Strafe auch und eilt dem Leiden zu.
Aus ächter Lust quillt Leben und Gesundheit,
Vernunft und Wonne; wildem Übermaas
Entspringen Qual und Schmerz, Zerstörung, Tod;
Dies spricht Gerechtigkeit des Himmels aus,
Und jenes seine Huld. Welch schwerer Übel
Kann ich dem Haupt des Feindes zürnend wünschen,
Als Füllerausch aus dem Pokal der Lust, 344
Den höh're Macht nicht seinen Lippen aufgeschlossen,
Nicht Mäßigkeit geprüft, Vernunft geläutert?
Es lauschen Tausende von finstern Geistern
Am Grund verborgen in des Bechers Hefen.
Doch kränkt die Lust den Himmel nicht, die Menschen,
Dich selber nicht, dann labe dich mit vollen Zügen!
Je inn'ger sie, so göttlicher wirst du:
Denn Engel sind durch diese Freiheit Engel;
In unbereuter Lust ruht göttlich Daseyn.
    Du wähnst durch and're Freuden dich vergöttert?
O nein! ein Opfer bist du, bald verblutend.
Des Lasters harrt der Schmerz: kann Himmelsschluß je trügen?
Wird je der Mensch die Allmacht überlisten?
Erkünsteln selbstgemachte Seligkeit,
Die nicht im hohen Plane dessen liegt,
Der uns einst schuf und für uns diese Welt?
Des Saitenspiels Erfinder ordnet auch,
Von wannen Wohlklang ihm und Mißklang werde.
Gott rief dem Geist, den Körper zu beseelen,
Den sterblichen; Gott sandt' den Himmelsstrahl
Der Tugend dann, die Seele zu begeistern
Aus unerschöpftem Quell lebend'ger Lust:
Erst wann der Mensch wird ohne Odem leben,
Dann findet er auch Frieden ohne Tugend. 345
    »So wären eins denn Gottesfurcht und Tugend?
Nein. Gottesfurcht ist mehr, der Tugend Quelle;
Sie zeugt des Menschen Werth, die Tugend seine Freude.
Die Menschen deiner Welt verstehn mich nicht;
Sie lächeln, hören sie von Gottesfurcht;
Doch laut berühmen sie die Menschenliebe:
Unwissend, daß sie, was Natur vereinte,
Zu trennen sich bemüh'n, sich selber widerlegend.
Mit Gottesfurcht beginnt, was gut auf Erden;
Sie ist die Erstgeborne der Vernunft
Und des Gewissens Urgesetz, das tief
Erkrankt, bricht Frevel seines Daseyns Grund,
Und lebensschwach nichts Gutes mehr vermag,
Zum höchsten nur der Liebe Lüge noch.
So Manche sind, die wir nicht lieben könnten,
Wär' nicht der Gottesfurcht Begeisterung:
Nie war des Himmels Feind ein ächter Freund des Menschen.
Ein düstrer Sinn beflecket all sein Wirken,
Im liebevollsten Thun erscheint er lieblos.
    Auf Gottesfurcht nur ruht die Menschenliebe;
Auf Menschenliebe hohe Seligkeit;
Und doch mehr Seligkeit auf Gottesfurcht.
Die Seele, die mit ihrem Gott' verkehrt, 346
Ist Himmel selbst! Sie fühlt des Lebens Unruh'
Und Stürme nicht; sie fühlt nicht das Getreibe
Der Leidenschaft, des Herzens tiefe Wunden.
Gott Glauben weih'n heißt Lebensfreude gründen;
Gott Andacht weih'n heißt Lebensfreude mehren;
Gott Liebe weih'n heißt Lebensfreude reifen.
Ein jeder Zweig der Gottesfurcht beseelt
Mit eigner Lust; es baut der Glaub' die Brücke,
Die uns von dieser Welt zur nächsten führt
Und, unserm Blick das Gräßliche verbergend,
Des Todes finstern Abgrund überwölbt.
Des Höchsten Jubellob ist süßer Duft,
Der, aus dem Blütenkelch der Freude steigend,
Die Lust erhöht und sie noch süßer macht.
Das innige Gebet eröffnet sich den Himmel
Und leitet einen Strom von Seligkeit
Der Weihestunde zu, da sich der Mensch
Dem heiligen Gehör' der Gottheit naht.
Wer sich anrufend kehrt zum großen Gotte,
Gesellt sich zu den Engeln augenblicklich,
Und setzt auf Höllenschlund den starken Fuß.
    Lorenzo! wann giengst du wohl sonst zur Kirche?
Zu lange währt sie dir; doch ist ihr Dienst
Vernünftig? Immerhin, doch dir nicht lieb:
Du wandelst lieber auf unheil'gem Boden! 347
Und nur ein leichtes Lied gewinnt dein Ohr.
Die Muse fügt sich auch in diesen Wunsch. –
Ein gut Gewissen! – Wie das Wort die Welt
Verscheucht! Die Verse flieh'n; Lorenzo lacht!
Und doch besitzt es einen eignen Harem,
An Schönheit reich, die Alter hebt, nicht schwächt.
Du fühlst dich trübgestimmt? das Herz dir schwer?
So wähle dir die Schönste hier der Schönen,
Den Gram von dir zu scheuchen. – »Hebe dich!
Stell' eine wicht'ge Wahrheit fest in dir;
Hier lege eine Leidenschaft in Fesseln
Und rufe dort in's Leben Edelthat;
Unwissenheit lehr' sehn und lächeln Schmerz;
Den Freund geleite auf den bessern Pfad;
Erwirb zum Freunde dir den bittern Feind;
Mit Herzensglut und himmlischem Vertrauen
Schwing' dich zum Himmel, fasse innig Ihn,
Der in das Daseyn dich allmächtig rief.«
Sieh! wie der Schwermuth Wolke von dir floh!
Die heitern Lebensgeister wallen fröhlich,
Ist gleich die Rebe welk, die Harfe saitenlos.
    Den Becher forderst du, das Saitenspiel,
Den Tanz und Freudenlärm und toll Gelächter?
Elende Tröster! Ärzte! dir halb Krankheit!
Galt gleich bis jetzt für Sünde nie das Lachen, 348
Doch ist's (vergieb dem strengen Schein des Wortes)
Unsittlich halb! Wird es der kecke Liebling
Des tollen Spleens, des schwärmenden Gedankens,
So ist der Spötter da, wenn nicht der Narr beginnet;
So sündigt es, uns oder andern schadend.
Es sind der Stolz und eigne inn're Leerheit,
Die mit dem Strohhalm kleine Geister kitzeln,
Daß sie in Wuth des Lachens sich ergießen;
Des nah'nden Grames schwere Vorbedeutung!
Das Haus des Lachens wird zum Haus des Jammers.
Der Mensch im Freudentaumel schreckt das Aug',
Entnervt von Gram erfüllt er's mit Verachtung.
Warum der Freudenrausch in solcher Übel Fülle?
Warum die Trauerweh'n im Reich' der Macht,
Die uns zu unserm Glück in's Leben rief?
Im Schmerze halte stets die Wahrheit fest,
Daß sich der Schmerz zur Freude heben mag;
Und in der Freude Schoos bleib' eingedenk,
Daß Freude niedersinken kann zum Schmerz.
Nie überläßt der Schwermuth sich der Weise;
Doch zeigt auch nie der Lärm der Sprudelfreude
Die seichte Quelle seines Glückes an:
Zu selig für die laute Fröhlichkeit,
Geht er den stillen Pfad des heitern Sinnes. 349
    Doch willst du lachen (auf die eigne Kosten!)
So laß' dir meinen sonderbaren Rath gefallen:
»Im Stillen lies dich an der Bibel froh!«
Sie ist unsäglich reich an Wahrheit, von
Bewährter Kraft, die Ruhe dir zu sichern:
Nur schätze sie, weil sie der Himmel eingegeben,
Geringer nicht, wie du und die Genossen
So gerne thun und stolz sind es zu thun.
Denn war es auch vom Himmel nicht verliehen,
Doch bleibt dies reiche Buch der Zeiten Kleinod
Und die Bewunderung des Weisen ewig!
Du bringst vielleicht nur die Gefahr in Anschlag,
Die deiner Seele dräut. Doch! wie? verstünden
Die Menschen dich nun falsch als einen – Narren –
Wo wäre dann der Mann mit Sinn für Genius,
Und Weisheit, Wahrheit, der, so lieb er ihm,
Den guten Ruf dir zu erretten wüßte?
Vernunft – o glaube mir – wirkt zweifach hier,
Zum ächten Christen wird der ächte Prüfer.
    Allein dir ist der Pfad zur Lust zu düster.
Nie fand sich ächte Lust sogleich im Sonnenscheine:
Was uns so sehr gefällt, mißfiel zuerst;
Nur Arbeit schenkt uns die gesunde Ruhe.
Der Himmel stellt die Lust zum Kaufe aus 350
Und Mühe ist der Preis; Erobrerfreude
Ist Menschenlust; und Ruhm streut Sieges-Lorber
Auf reine ew'ge sanfte Fluthen des Vergnügens.
Die Zeit erscheint, da ihm die Arbeit vorgeht,
Soll Lust nicht sterben an unzeit'ger Liebe.
Wer nur der Freude lebt, wird Sklav' des Leidens:
Du scheu'st die Mühe, die das Glück dir kostet.
Wohl ist unächte Lust das Kind der Geistesleerheit;
Die wahre zeugt nur thät'ge Geisteskraft;
Und diese heischt der Seele Gleichgewicht,
Gleich fern der Nacht des Grams, der Gluth der Freude.
Unmäß'ge Lust urkundet dürftig Glück,
Ein Glück, das raschen Flugs vorüber geht.
Kann Freude, der des Denkens Stütze fehlt,
Bestehn? und Denken in dem Sturm gedeih'n?
Kann eine Lust, wie deine ist, sich selbst
Für einer Stunde Dauer Bürgschaft leisten?
Kann eine Lust, wie deine ist, dem Spiel
Des Zufalls unbesorgt entgegengehn?
Die Pforte öffnen edler Dürftigkeit?
Und reden mit dem Tod', der dräut, und nicht erbleichen?
In dieser Welt, bei unserer Natur,
Beruht auf solcher Feste nur die Lust: 351
Nur sie gewährt in Wahrheit uns Vergnügen,
Die reine, zarte, dauerhafte Lust,
Die unerschüttert, männlich, göttlich blüht;
Beständig und gesund, obwohl auch ernst.
    So wäre Freude denn der Strenge Tochter?
Sie ist's: – doch meine Lehre fern der Strenge.
»Erfreue immer dich!« dies ziemt dem Menschen,
Und bringt erhöhend ihn der Gottheit näher.
»Erfreue immer dich!« ruft die Natur,
»Erfreue dich!« und trinkt aus ihrem Nektarbecher,
Mit süßem Reiz gefüllt für alle Sinne,
Dem Menschen zu. Sie trinkt dem großen Geber
Des Fest's, das Seine Huld verliehen, Ruhm
Und Dank und ewig innig Jubellob;
Wer ihr Bescheid nicht thut, der ist ein Wicht.
Das Übel kräftig tragen, innig fühlen Gutes!
Sieh hier des Glückes ganze Wissenschaft!
Doch thu' Bescheid mit Mäßigung; es ist
Der Becher nicht des Menschen höchstes Gut.
»Ein geistig Mahl, die Regsamkeit, die Thatkraft,
Die Seele stark in voller Rüstung Macht,
Die kriegerische Zucht des Denkvermögens,
Versuchung zu besiegen auf dem Schlachtfeld,
Und schlummerloser Eifer für das Rechte.«
Sie sind's, die, uns ein fröhlich Herz verleihend, 352
Uns auch erhalten ein frohlockend Herz.
Nie schätze das, was recht, gering; bedacht,
Daß, was Vernunft gebeut, auch Gott gebiete.
Wie sehr erhöht sich unser kleinstes Thun
Durch sein Gebot! So ist dem Weisen nichts
Bedeutungslos; doch dir bedeutet nur der Unsinn!
Nur stark gewürzte Lust, nach Sünde schmeckend!
    »Der Unsinn!« (rufst du mir unmuthig zu)
»Stolz geh' ich in dem Pfad' der alten Weisen,
Und auf den Spuren der Natur.« – Folg' ihr!
Doch sorge, daß es deine eigne sey.
Ist das Gewissen nicht ein Theil von ihr?
Ist das Gewissen nicht ganz unabhängig?
O Königsmörder! weck' es von den Todten!
Dann folge der Natur und ähnle Gott!
    Verfolgen wir, wenn das Gewissen warnt,
Die Lust, so widerstrebt sie der Natur;
Und Unnatur büßt in den Zwischenschmerzen
Und schreckt zuletzt dich ab durch Überdruß.
Du weißt, daß dem so ist; vielleicht ist dir
Die Ursach' unbekannt. – Der Tugend Grund
Ward mit dem Grunde dieser Welt gelegt;
Der Himmel mischte sie in's Wesen seines Menschen
Und schlang ihr heiliges Gedeihen fest
In unsers Lebens Bande. Wer verletzt 353
Ihr hehr Gebot, verletzt sich selbst, sein besser Wesen;
Und welche Pein erachtest du die größ're:
Der Seele Schmerz, des Staubes Widerstand?
Doch ist im steten Kriege zwischen beiden
Des Einen Unterliegen unvermeidlich.
    Ist einem Theil das Leiden nicht zu sparen,
Für welchen lassen wir die Schonung zu?
Der Seele Schmerz steht über Schmerz der Sinne.
Befrage nur die Gicht um Qual der Sünde.
Der Sinne Lust ist dürftig gegen geist'ge:
Die Sinne schwelgen an der Gegenwart;
Vergangenheit und Zukunft sind des Geistes Nahrung.
Nur er vermag den Blick zurückzusenden
Durch das vollständige Gebiet der Zeit
Und vorwärts auch durch reiche Stufenfolge.
Erreichte Menschenzüchtigung die Seele,
So möchten Beile rosten, Foltern fallen
Und Hochgericht! Bewahr' drum deine Seele
Und stell' das Übrige dem Schicksal heim.
    Lorenzo! willst du nie ein Mensch denn seyn?
Todt ist der Mensch, der für den Körper lebt,
Dem Pulsschlag folgt zu jeder Lust Verlockung,
Die seinem Frieden widerstrebt und ihn
Auf ewig mit sich selbst in Zwiespalt setzt.
Dich selbst erkenne erst, dann liebe dich. 354
Denn in dir ist ein Selbst, das liebetreu
Mit glüh'nder Zärtlichkeit an Tugend hängt;
Doch noch ein ander Selbst ist auch in dir,
Das liebetreu den Lastern allen huldigt,
Von jeder Tugend tief verletzt sich fühlt,
Bedrückt von Demuth, von Gerechtigkeit
Beraubt, von Segensmilde ausgezogen,
Getäuscht von holder Wahrheit und zerstört
Durch hohen Edelmuth, die Gabe Gottes.
Wird dieses Selbst des ersten Nebenbuhler,
O dann verachte es; weicht es bescheiden,
So sey ihm hold und schütz' es, seiner pflegend.
Doch wenn die Tugend es gebeut, so wirf's
Von dir, den Vögeln vor, der Flammen Glut.
Du forschest nach dem Grund? Es heischt die Liebe
Zur Lust von dir dies Opferblut. Gehorche!
Gehorchst du nicht, so gieb mir zu, daß Liebe
Zu deinem Selbst erblindet ist, wenn nicht erstorben.
    Denn, was ist Laster? Täuschung nur der Liebe
Zu uns selbst: ein armer blinder Handelsmann,
Der allzu theuer einkauft seine Freuden.
Und Tugend ist? Die wohl bedachte Liebe
Des eignen Selbst, einheimisch auf dem Markt
Der Lust. Der Eigenliebe ächter Sinn 355
Schmiegt liebend sich an jene hohe Macht,
Der sie das Daseyn dankt wie den Genuß.
Unächt gesinnt wird sie verhüllter Selbsthaß,
Viel tödtlicher als Bosheit uns'rer Feinde;
Kaum fühlen wir jetzt noch den innern Gegner,
Doch wühlt sein Stachel bald in uns'rer Brust,
Wenn unser Fluch Weh' über Daseyn ruft,
Vernichtung unsre Stimme laut erfleht,
Und jeder Gegenstand in der Natur
Vor unserm Aug' mehr Werth hat als wir selbst.
    Und solche Selbstlieb' ist Lorenzo's Wahl,
Und stolz auf solche Wahl prahlt er mit Freude!
Doch wie verräth sich seine Freudenarmuth
Durch seine Kälte für die Gegenwart!
Die Phantasie schwärmt durch die weite Ferne;
Die Zukunft lockt, weil das, was ist, mißfällt –
»Doch ein Geheimniß das!« – was alle Menschen wissen:
Von dir es wissen, unverseh'ns entdeckt.
Was ist die unaufhörliche Bewegung,
Dein rastlos Kreisen durch der Täuschung Reih'n
Das sich an keine Pause binden läßt?
Der Seele Wiegenbett, das der Instinkt
Ihr schickt, sie einzulullen in dem Mißbehagen,
Das die Vernunft, ihr Arzt, nicht heilen will. 356
Erbärmlich Mittel! doch dein bestes noch;
Es lindert keine Pein, doch zeigt es sie.
    Das sind Lorenzo's schwache Rettungsmittel!
Der Schwache nimmt Arznei, der Weise Freude:
Die höh're Weisheit ist auch höh're Wonne.
An welchem Merkmal kennen wir den Weisen?
Standhafte Weisheit will dasselbe stets;
Dein Flatterwunsch regt immer seine Schwingen.
Stets ist die Thorheit ihrer selber müd';
Bescheiden selbstzufrieden bleibt die Weisheit.
Dein höchstes Gut liegt in der Übel Wechsel,
Nur in Bewegung magst du Ruhe finden;
Des Menschen höchste Kraft zeigt sich im Stillestehn.
Das erste sich're Zeichen des gesunden Geistes
Ist Herzensruh' und Frohgefühl im Innern;
Unächte Lust holt ihre Freuden außen,
Die ächte freut sich eigner inn'rer Fülle.
Fest ist die ächte, wie ein Felsen stark,
Wie Wellen schlüpfrig ungestüm die falsche.
Wie Kain irret diese wild auf Erden um,
Doch jene findet, gleich der Fabel Jüngling,
Der für sich selbst in Leidenschaft entbrannt,
Ihr höchstes Glück in innerer Beschauung;
Die äuß're Unterbrechung fürchtet sie, 357
Des eignen Wesens froh; je mehr sie es
Beschaut, je inniger umfaßt sie's liebend.
    Beglückt ist nur, in wem der Glaube wohnt,
Daß auf dem Erdenrunde keiner athmet,
Der glücklicher als er: dann stirbt die Mißgunst,
Und Liebe überfließt; und nur die Liebe,
Die überfließt, macht auf der Erde Engel.
Und solche Engel sind die insgesammt,
Die sich berechtigt zum Vertrauen fühlen
Auf den, der mächtig das Geschick beherrscht.
Wenn Stürme grollen, die Natur erbebt,
Wie süß ist's dann, sich an den Himmel stützen!
An ihn, in dessen Schutz des Himmels Mächte ruhen!
In sich gekehrt und schweigend wie das Grab,
Versammeln sie in sich des Geistes Strahlen,
Bis sich in heitrer Lust ihr Herz entflammt;
Denn wie die Engel, die im Traume einst
Sah Israel, so schwebet ihr Gedanke
Vom Himmel nieder und zum Himmel auf:
Und darum sind der Einsamkeit sie hold,
Indeß der Lärm dich labt und die Zerstreuung.
    Wär' aller Menschen Loos Glückseligkeit,
Dann würde jede wilde Lust verschwinden,
Die nur für inn're Unruh' Schlaftrunk wird. 358
Lorenzo! dem, der wahrhaft glücklich ist,
Giebt sein zufriedenes Gefühl die Miene,
Aus welcher Thorheit Freudenmangel liest,
Weil sie dem Jubelprunk' des Stolzes fern',
Ein frohes Herz vereint mit dem bescheidnen Antlitz.
O süße Freude aus Philanders Quell!
Dem ew'gen Quell, der in der Brust entspringt,
So rein als unvergänglich! Nicht der Strom,
Der trübe Strom der jubelnden Entzückung,
Der hoch empört die Schranken überwallt;
Der, gleich dem Wolkenbruch, nach kurzem Toben
Urplötzlich sinkt und uns im Schlamme läßt.
Was thut der Mensch, wählt er die flücht'ge Lust?
Zieht er dem Strom' nicht Wasserblasen vor?
    Nur eitel sind die Wallungen der Wonne,
Der schwachen, kranken Freude Krampfgenuß.
Die Freude ist ein fest bestimmter Zustand;
Sie soll uns Haltung seyn und nicht ein Aufsprung.
Unwandelbare Wonne nur ist Wonne.
Sie ist der Edelstein; verkauf um ihn dein Alles.
Warum willst du bei'm Zufall betteln gehn?
Schwer nur gewinnen seine Gaben sich
Und die gewonnenen liebt man in Angst.
Vom Gut des Ohngefährs zieh' dich zurück 359
Und hemme deine Hand: vertrau' ihm nicht!
Nur was du sichern kannst wähl' zum Genusse;
Doch nur was du dir selbst geschenkt ist sicher.
Vernunft verewigt Lust, die sie gewährt,
Und theilt mit ihr Unsterblichkeit, ihr Gut:
Dem Sterblichen ist nur sein Werth unsterblich.
    Des Menschen Werth! dein selbstbewußter Werth!
Ihm nur gebührt die unbeschränkte Herrschaft;
Nur flehend sollte jede and're Lust ihm nahen;
Nur streng geprüft sich der Gewährung freu'n.
Dein ganzes Wesen lößt sich in Verwirrung:
Der Freudenpöbel führt in deiner Brust
Den Krieg und reibt sich selbst in Zwietracht auf;
Und keine Aussicht bleibt dem Seelenfrieden!
Kein stilles Glück, kein unerborgtes bleibt!
Auf wilder Irrfahrt treiben die Gedanken:
Nach außen kreuzen sie in Ungewittern
Und zwischen Klippen und der Brandung Bänken
Nach Lust, die, selbst erobert, viel zu kostbar
Und glücklicher entbehrt ist, als erobert:
Viel Pein büßt ab, was viele Pein gewann,
Denn Phantasie und Sinnlichkeit, sie bringen
Vom Ufer, das die Pest beherrscht, dir Ladung,
Und dein Gewinn heißt – Seuche! Doch verzehrt
Dich Durst (ein heißer, unersättlicher, 360
Den die Befriedigung nur mehr entflammt!)
Und Phantasie setzt ihre Kreuzfahrt fort,
Ist gleich die arme Sinnlichkeit erschöpft.
    Die Phantasie umschließt die Paphos-Esse,
Wo matte Sinnenlust, lahm wie Vulkan,
Befleckten Geist in seiner düstern Grotte,
Wie Hölle heiß, (denn Hölle schürt die Glut)
Mit üpp'ger Kunst die Pfeile schmieden läßt,
Die Zeit, Gesundheit, Gut und Ruhm dir würgen.
O nähmest du sie in die Brust nur auf,
Ganz andere Gedanken senkten sich
Auf Engelsschwingen himmelwärts herab,
Mit göttlich edler Kunst den Feind bestreitend
Und rüstend deine Ruh' mit Himmelswaffen.
    Der Phantasie Verbrechen zeigt' ich dir:
Doch ihrer Thorheit ist wie Sand am Meere.
Sie lügt dir vor, die Pracht sey Größe auch.
Nach Werken seltner Kunst und altberühmt
Erhungert nun dein Geist ästhetisch peinvoll;
Aus weiter Ferne sammelt dein Geschmack.
Doch welch ein Unfall! Alles ist bezahlt,
Da hält bepurpurte Gewalt der Stadt,
Die auch schon stolz den Heidenpurpur trug,
Die Leckerbissen dir zurück an Latiums Ufer
(So geht es, wenn der rechte Glaube fehlt!) 361
Und Hungers sterben muß die arme Pracht.
Wie groß dein Recht, gekränkt, erzürnt, erboßt zu seyn!
Doch fasse dich! Sind Außendinge groß,
So ist es Größe, Großes zu verschmähn:
Der Pracht Verschwendung, herrlich Schaugepränge,
Des Hofes herzens-ungesunden Boden.
Das ächte Glück kehrt nicht durch's Auge ein;
Im Unsichtbaren wohnt das ächte Glück.
Fortuna's Lächeln heilt den Böswicht nie,
Ihr grimmig Antlitz raubt nicht Lust der Unschuld.
Fehlt dies Kleinod, so darben Kronen auch;
Schreib' das nach Rom und nimm so deine Rache.
    Des Menschen höchstes Gut – hierin sind wir
Vereint, Lorenzo! – ist Genuß der Lust;
Wir streiten noch, was Lust zu heißen werth.
Gieb diesen Namen nur, wenn die Vernunft
Urkundlich auch das Recht dazu erkannte;
(Sie, die wie Yorke erwägt, eh' sie besiegelt!)
Nur dem gieb ihn, was trotzt dem Zahn der Zeit;
Was auch noch Lust nach dem Genusse bleibt;
Durch Prüfung werther noch, durch Alter liebenswürd'ger,
Und doppelt köstlich wird, weil es die Lust
Der Zukunft in der gegenwärt'gen sichert. 362
So manche Lust bewölkt die Zukunft grau,
Und andre sammelt nur auf ihr die Strahlen
Und sendet nach dem Grab Verklärungslicht;
So manche macht die Ewigkeit uns werth,
Und andre schmückt Vernichtung furchtbar aus.
Wenn Lust und Lust um deine Auswahl buhlen,
Dann frag' dein ganzes Daseyn und sey sicher,
Denn dies Orakel läßt dir keinen Zweifel.
Sein Spruch ist kurz, erklär' ich ihn gleich länger:
Sey fromm! – den Rest befiehl der Himmelssorge.
    Und dennoch muß ich, das Geschlecht der Menschen
Bedauernd, eingestehn, daß hier, am Tag
Der Prüfung und in uns'rer Hoffnung Land,
Den Frommen auch die Wolken oftmals decken;
Verdunkelt wird sein Erdentag, doch nicht
Besiegt. Dem Besten wird's hienieden klar,
Daß nur Geduld und männliche Ergebung
Die Pfeiler sind für ird'sche Menschenruhe.
Doch ferner sind dir nicht die Säulen Seth's,
Als sie, bevor der Heldengrundsatz dir geläufig:
»Begeistert von dem Blick auf reine Wonne,
Der Lust zu trotzen und dem Schmerz zu lächeln.«
Der Sonne gleich, noch unter'm Horizont,
Erfreut der Himmel, unser Erbtheil, uns
In dieser Welt bereits und sendet Seelen, 363
Die lichtempfänglich sind, in reiner Fülle
Die Morgenröthe unsers ew'gen Tags.
    »Die Predigt (spricht Lorenzo) ist sehr schön:
Doch drängt die Rede wohl den mächt'gen Strom
Der Urnatur zurück? hemmt sie die Fluth,
Die uns're Adern hin der Himmel wälzt,
Die schwachen Menschen-Entschluß mit sich reißt
Und sein Bestreben beugt dem Lauf' der Welt?«
    Der Mensch erklärt den Menschen stets nach sich,
Und denkt, was nicht in ihm zu Haus', sey nicht:
So wandelt Schwäche Wahrheit um zur Grille;
Doch meine Muse schwärmte nicht in ihrer Vorschrift.
Im frühern Theile ihres Liedes sah
Lorenzo ihn, den Menschen dieser Erde,
Den Mann der Sterblichkeit; ein trüber Anblick!
Als Gegenstück, zum Trost und zur Begeist'rung,
Sieh nun den Menschen der Unsterblichkeit:
Ihn meine ich, der ihrer würdig lebt;
Ihn, dessen Herz, dem Himmel innig zugewendet,
Nur diesen Pfad zum Sternenzelt betritt;
Der Erde düstre Schatten heben nur,
Im Gegensatze höher seinen Glanz!
Der ohne Folie auch schon herrlich strahlt:
Bewundernd faß' sein würd'ges Bild in's Auge; 364
Doch bleibe nicht in der Bewund'rung Schranken;
O ahm' ihm nach und lebe ächtes Leben!
    O daß ein Engel führte meine Hand,
Da sie ein Wesen mahlt, das nur ein Engel
Noch übertreffen mag; den Menschen mahlt,
Der in dem Staub den Himmeln huldiget;
Dem Schiffe gleich auf hohen Meereswogen,
Noch in der Welt, doch in ihr über ihr!
    Mit mildem Angesicht, den Blick am Himmel,
Sieh ihn auf jener heitern Höhe stehn,
Hoch über Sinnendunst und Sturm der Leidenschaften;
Des Lebens düstre Sorgen all' und Wetter
(Gleich matten Blitzen sich zu seinen Füßen brechend)
Erwecken in der Brust sein Mitgefühl,
Doch stören sie der Seele Frieden nicht.
Der Erde ächte Kinder, Zepterträger
Und Kettenträger – o der bunten Herde!
Der leicht beweglichen! – er sieht im Thale
Sie grasend irren; o wie ungleich ihm!
Wie ganz sein Widerspiel! Was preißt ihn mehr?
Was zeugte bündiger für seine Wahl?
    Nur Gegenwart beschäftigt sie; ihn Zukunft.
Ruft öffentliches Wohl, ruft Brudernoth,
So geben sie um Ruhm; er birgt die Wohlthat. 365
Wenn ihre Tugend die Natur entstellt,
So adelt die Natur noch seine Tugend.
Um Menschenachtung werben sie mit Eifer,
Er sucht mit edlem Stolz die eigne nur.
In wilder Jagd nach Scheinglück irren sie;
Er fühlt sich ruhig im Besitz des ächten.
Sein festes Wesen ist durchaus dasselbe,
Von einer Farbe, einem Faden nur;
Indeß sie sich aus bunten Freudenfetzen,
Die lückenhaft nicht an einander schließen,
Den Narrenrock mühsam zusammen flicken;
Ein jeder Hauch Fortuna's bläßt die Lappen
Von ihrem Platz und zeigt die Naktheit klar.
    Wie ganz verschieden ist, was er erblickt,
Von dem, was sie an gleicher Stelle schauen!
Wo sie die Sonne sehn, sieht Gottheit er.
Was sie zum Lächeln nur bewegt, das beugt
Sein Knie, er betet an. Doch wo Gebirge
Vor ihrem Blicke ruhn, sieht er Atome;
Ein Sandkorn wiegt ein Königreich ihm auf.
Als göttlich ehren sie die ird'schen Dinge;
Sein höh'res Hoffen haucht sie weg wie Staub,
Der seinen Blick beengt, sein Auge hemmt,
Die nach Unendlichem sich beide sehnen.
Giebt ihm Geschick der Titel und der Würden, 366
So legt er sie beiseit um ächter Würde willen;
Doch jene finden Würde nur in Zeichen.
Sie thun sich viel zu gut auf Außenwerk,
Das nur des Menschen ächten Glanz verbirgt:
Es macht sie die Verfinsterung nur stolzer.
Er schätzt sich selbst zu hoch für Übermuth,
Am Menschen ist der Mensch das Höchste ihm.
Sein Wohl liegt ihm zu innig an, um Wohl der Andern
Auf's Spiel zu setzen, es an Recht zu kränken.
Ihr Eigennutz lebt, wie der Löw', vom Raube.
Der bloße Schatten der Beleidigung
Entflammt in ihrer Brust der Rache Glut;
Er trägt das Unrecht kalt, steht auf zum Himmel
Und läßt sich nie zu dem Gedanken nieder,
Es sey, der ihn beleidigt hat, sein Feind;
Nur was die Tugend kränkt, kränkt ihm den Frieden.
Verhüllung des Gemüths ist nur ihr Schutz;
Sie würde ihm des Werthes Hälfte rauben.
Sein reines Herz zeigt sich gewandlos ruhig;
Ihr breites Feigenblatt zeugt ihrem Falle.
Wenn ihre Lügenseligkeit zu Ende,
Beginnt für ihn der Feste herrlichstes.
Die Lust, die ihre Freude mörd'risch würgt, 367
Sie schafft ihm seiner Zukunft reines Glück.
Des Daseyns froh zu seyn, geziemt nur ihm,
Nur ihm geziemt der köstliche Gedanke,
Daß noch sein wahres Daseyn nicht begann.
Sein edler Lauf war gestern schon vollendet;
Schon gestern war, erschien er, Tod willkommen
Und doch bleibt ihm das Leben heute süß.
    Doch höher schätzt Lorenzo nichts, als Muth
In unbezwungner Brust – weß ist der Lorber?
Doch ihrer nicht, die, den Gefahren trotzend,
Die Waffen feig vor Freuden niederlegen
Und, nur im Schlachtfeld ihre Kraft bewährend,
Sie dort nur zeigen um des Ruhmes willen,
Der nicht einmal ihr schwaches Herz stets stärkt?
Ihn trägt die Stärkung, die ihm nimmer fehlt.
Vom Joch der Lust befreit, dem Schmerz gewachsen,
Hat er an jener Allmacht Theil, der er vertrauet;
Alldauernd, Allerstrebend, bis er fällt;
Und fallend schreibt er »Sieger« auf sein Schild.
Sein edler Muth schwebt über jeder Furcht;
Sein edler Preis erhebt ihn über Beifall,
Der nur das schwache Menschenauge reizt.
Abhold zu glauben, was er nie empfand,
Ruft mir Lorenzo zu: »Wo strahlt dies Wunder?
Aus welcher Wurzel sproßt der Mann des Himmels?« 368
Die Wurzel wächst nicht auf Lorenzo's Boden;
Doch prüfe sie mit mir, dann wird die Blume,
Die ihr entsproßt, dir nicht unmöglich dünken.
    Er folgt (doch nicht auf deinem Wege) der
Natur und zeigt uns, was der Mensch seyn soll.
Sein Trieb trägt goldne Kette der Vernunft
Und findet Wonne in gerechtem Zwang.
Dem edel auferzognen Adler gleich
Schwebt seine Leidenschaft nur nach Unendlichem.
Sein Hoffen ist Geduld, sein Sorgen angstlos,
Und seine Vorsicht kennt nicht bange Furcht;
Sein Schmerz (schickt Schmerz der Himmel auf sein Haupt)
Bleibt der zerstörenden Verzweiflung fremd.
Warum? Weil Neigung nie mehr, als sie darf,
Vom Himmel seine Weisheit erdwärts lenkt.
Die Nebengüter, die auf Erden locken,
Liebt er nach wahrem Werth', mithin in Ruhe:
Wer diese Welt am wenigsten bewundert,
Genießt sie wohl in ihrer reichsten Fülle.
Sein Geist vermeidet die gemeine Wolke,
Die dampfend aus dem heißen Busen steigt.
Sein Haupt ist hell, weil ruhig ist sein Herz,
Das keine irdische Begier entzündet.
Der Seele mäßige Bewegung giebt 369
Ihm deutliche Ideen und reife Prüfung,
Ein unbefangen Aug' und richtig Maas,
Gesundes Urtheil, unbereute Wahl.
So sind die Guten doppelt weise auch
Und weiser als die Welt auf ihrem – Thron.
Was ist daher die Welt? Auch doppelt albern.
Ein Satz, der diese Welt befremden wird:
Sie würde eher wohl dem Glauben glauben.
    Und doch ist's so und kann nicht anders seyn;
So fern' ist jeder Fabel mein Gesang.
Denn wesenlos ist Glück und kraftlos Tugend,
Fällt auf Unsterblichkeit die Aussicht weg.
Wem Erde alles ist, wer (ganz dasselbe!)
An ihr nur hängt, schätzt, was sie giebt, als Kleinod;
Er liebt, was ihre Grille schafft, mit Inbrunst
Und fühlt sich stolz in ihres Prunkes Glanz.
Wem Erde nichts, den kann ihr Reiz nicht rühren;
Auch für den Todfeind fühlt er keinen Haß,
Weil er im Haß den größern Feind noch sieht.
Den Menschen, die so laut uns vorerzählen
Von ihrer Menschenfreundlichkeit, fällt schwer,
Auch ihren besten Freund so recht zu lieben:
Denn kann er nicht, ihr höchstes Gut erlüsternd,
Die kleinste Eifersucht zum Gallenfieber treiben? 370
Was eine Zeitlang prangt, glänzt ihnen stets;
Doch jede Handlung, jeglichen Gedanken
Befragt Er um Gewicht und Farbe, die
Sie nach Jahrtausenden noch haben werden,
Und sieht sie jetzt als das, was sie dann sind:
Daher ist rein sein Herz im Innersten.
Der Mensch nach Gottes Ebenbild hat kein Geheimniß!
Im sichern Gleichgewichte tief begründet,
Hat seine Tugend Festigkeit der Haltung,
Und edle Glut der Leidenschaft zugleich.
Es senken sich, ihm nah' verwandt, die Engel
Von Himmelshöh'n, die heil'ge Glut zu pflegen,
Und jener Tod, der Andere erwürgt,
Hebt Ihn zu sel'ger Göttlichkeit empor.
    Und nun, Lorenzo! dieser Welt in Andacht
So hold; auf jene schwache Seelen, die
In Andacht sich vom Himmel fangen lassen,
Verachtungsvoll herabzusehn gewohnt!
Lorenzo! weich' zurück mit deinem Spotte
Und fühle dich im Innersten vernichtet!
Denn was bist du? – O Prahler! wenn dein Glanz,
Dein bunter Prunk, dein bloßer Erdenwerth,
Gleich breitem Nebel, aus der Ferne stattlich, 371
Zu Nichts, wenn man ihm naht, als Nebel wird:
So steigt, wie ein erhabenes Gebirg,
Des Edlen Werth dem nah'nden Auge höher,
Und immer höher, höher nach den Himmeln,
Sein Eigenthum schon jetzt durch die Verheißung
Und bald (für ihn ist's nie zu bald) in Wahrheit.
    Aus der Vernichtung, die mit Recht dich traf,
Erhebe dich, Lorenzo, mir erwiedernd,
Zu Etwas wieder! Sieh! die Welt, dein Schützling,
Sie lauscht erwartungsvoll und hält voll Sehnsucht
Den Kranz des ew'gen Ruhms als Lohn dir vor.
Und du verstummst? Unmöglich! du bist witzig;
Der Witz ergießt die Suada dann am reichsten,
Wenn er am ärmsten ist an Stoff zur Rede,
Und seinen Lauf kann die Vernunft nicht hemmen.
Er sagt vielleicht: daß Nebel Berge übersteigen,
Und treibt sein scherzhaft Unterhaltungsspiel;
Und sprüht und täuscht und flattert und umstäubt
Und deckt umstäubend seine Flucht vor Wahrheit.
    Wie süß der Witz für leckre Menschenzungen!
Auch hat er hohen Werth als Diener des Verstandes;
Doch wird er Herr, so ist er furchtbar Gift.
Gefährliches Geschenk! von Welt beschmeichelt,
Von blinder Welt, der es für selten gilt. 372
Weisheit ist selten; Witz strömt überall;
Er quillt aus Leidenschaft; aus Bechern flammt
Der Geistesblitz; er ist der Tollheit Bergwerk.
Was immer nur den Geist mit Kraft erregt,
Verleiht den Kranz und weckt die Nebenbuhler
Für deinen Ruhm. Und doch ist deinem Ruhme
Noch größer Ungemach, als dies, beschieden:
Oft wird der Witz des blinden Zufalls Fund;
Doch, was noch schrecklicher für deine Eigenliebe,
Die Dummheit selbst grast auf dem Feld des Einfalls
Und schüttelt dann ihr kluges Haupt bedächtlich,
Daß Unfall sie dem Lachen preisgegeben
Und sie zu dir hinabgesetzt. – Dagegen Weisheit,
Ehrwürd'ge Weisheit! sie! die prüft und sondert,
Vergleicht und wägt und trennt und Schlüsse zieht,
Die Wahrheit faßt und bis zum End' behauptet,
Wie selten Sie! Wie oft umsonst gesucht
Im Rathsaal wie im Zimmer der Synode!
Gefunden, nur der Wen'gen heil'ger Schatz;
Indeß des Haufens schlechte Metze ist
Gemein verderbensvoll der Witz. Er spielt
Im Leben, wie es ist, den Abentheurer;
Als ernster Mann erscheinet der Verstand.
Witz haßt Gesetz, er liebt des Aufstands Brausen 373
Und wähnt sich selber des Gewitters Blitz;
Er droht dem Staat und tödtet Glaubenskraft;
Wo Einfalt selig glaubt, da kniete Witz?
Verstand ist Helm, der Witz nur Federbusch;
Der Busch gefährdet, wo der Helm bewahrt.
Verstand ist Demant, wichtig, fest und ächt;
Vom Witz geschliffen strahlt er herrlicher;
Doch bleibt er Demant ohne Schliff des Witzes.
Witz ohne klaren Sinn steht unter Nichts;
Er segelt rascher nur, an Klippen zu zerschellen.
So wird ein halber Chesterfield zum ganzen Narren,
Und dumme Narren spotten seiner froh
Und segnen sich, daß ihnen Witz gebricht!
    Wie droh'nd die Klippe, die ich warnend zeige,
Wo, Unglück singend, die Sirene weilt!
Die Lust, von der sich die Vernunft getrennt,
Ist nur ein Schmerz, der kitzelt, eh' er sticht.
O gieb dem Girren dieser Welt nicht nach!
Wer liebte jemals sie und fand sie treu?
O selig, wer die niedrige nicht kennt! –
Und doch – will unser Heil, daß wir sie kennen:
Sie kennen, lieben nicht, das ist die Sache:
Denn wenig nur giebt sie auf kurze Frist.
Wohl hüpfen jubelnd oft die Pulse auf, 374
Die Lebensgeister tanzen, Freude schäumt.
Gedankenloser Regung nichtig Kind
Ist solcher Schaum; er sprüht zur Höhe auf
Und perlt und ist dahin, und schaaler läßt
Er unsern Geist, als er ihn vorgefunden:
Ein thierisch Opfer am Altar der Lust,
Die, keines Bundes mit Vernunft empfänglich,
Nur von der Säfte bestem Mark sich nährt,
Das rein ihr fließt durch kräftige Kanäle;
Ein zart Geweb! fast niemals recht gestimmt;
Und knarrt es erst–dann schweigen die Sirenen;
Aus ist dein Tanz; der stolze Halbgott stürzt,
(O kurzer Götterruhm!) noch unter'n Menschen,
Nur zwischen feigen Gram und tobende Verzweiflung!
    Bist du in Einfalt noch genug befangen,
Verzweiflung zu befürchten, und zu schaudern
Vor der Zerstörung? O! empfange dann
Den Schild, den ich dir mit auf's Kampffeld gebe!
(Ein Schlachtfeld ist für uns des Lebens Bahn!)
Droht dir Gefahr, so deck' dein Herz mit ihm,
Denn seine Aufschrift trotzt der Macht der Welt.
»Dem Geist, dem Körper oder dem Vermögen
Gehören alle Güter dieser Erde!
Doch schätze sie nicht um den gleichen Preis; 375
Des Glückes Gut laß' dem Gedeih'n des Körpers weichen,
Den Leib dem Geist, den Geist vor seinem Gott!«
Wenn du ein dauernd Glück dir bauen willst,
Dann richte so die Stufenfolge ein:
Nie steht die umgekehrte Pyramide.
    Bezweifelst du auch diese Wahrheit noch?
Doch überstrahlt sie Sonnenlicht; noch mehr!
Die Sonne leuchtet nur, sie zu beleuchten,
Dies Hauptgesetz des Menschen auf der Erde.
Und doch – doch was? Nichts Neues! Menschen rasen!
In so gewalt'ger Schaar bekämpfen sie die Wahrheit,
(Und was vermag nicht die berückte Menge?)
Sie plaudern sich im Tausch den Glauben auf,
Daß ihnen jede Erdenlust gehört!
So lachte zu Athen einst jener Thor
Im Hafen jedes Wimpel an als seines.
    Sie lachen, doch warum? wie lange währt's?
Ihr Glück ist halb Unwissenheit, halb Lüge:
Sie lachen nur, die Welt zu hintergehn
Und dann sich selbst. Schwer ist das Doppelwerk.
Auch der Verworfenste bekennt es laut,
Daß der Verworfene verloren sey:
Doch im Moment, da die Vernunft erwacht, 376
(Und lange Ruh' verweigert ihr der Himmel!)
Wie mühsam wird dann ihre Fröhlichkeit!
Sie werden kaum des wilden Unmuths Meister,
Kaum dauern sie das End' der Posse aus
Und pressen sich ein traurig Lachen ab,
Bis sich der Vorhang senkt. Kaum! sagte ich?
O manche können nicht den Schluß erharren;
Mit eigner kühner Hand ziehn sie den Vorhang
Und ihr Verzweifeln sagt, was ihre Lust gewesen.
    Die blut'ge Locken, in der Brust die Wunde!
Im Aug' die Lästerung, die ruchlos wüthend
Im Tod noch lebt! – Hinweg das Schreckensbild! –
Doch solcher Schuld versagt der Himmel Schleier;
Und auch der Mensch verschleiere sie nicht.
Lorenzo, blick' um dich! Hier raucht der Dolch,
Dort schäumte Gift, am Boden rollt das Blei,
Das tödtliche; die Schlinge hier erwürgte;
Dort strömt der Fluß, der Lebensodem nahm;
Der Fäulniß Abscheu sieh' und gräßliche Verheerung
Der tollen Üppigkeit (Selbstmörder, die
Nur langsam gehn zum Ziel) und, schrecklicher
Als alles das, sieh' Stolz auf dieses Alles! –
Entsetzlicher Gedanke! – Doch bestätigt
Entsetzen hier der Wahrheit heilig Wort
Und stählt des schwachen Liedes Wirksamkeit. 377
    Aus Laster, Sinnlichkeit und Phantasie
Kann nie das Glück des Menschen sich erheben:
Der Stunde Raum ist ihm zu enge Wohnung;
Strebt ein unsterblich Wesen nach dem Glück,
Dann muß sich mit dem Wort die Dauer einen.
O Wonne, die Vernunft gewährt! O Wonne,
Gewährt von dem, was uns zu Menschen macht
Und ächt gebraucht uns höher noch erhebt!
Wohlthät'ge Wonne, die versprechend giebt,
Und mit geheimer Kunst die reichste Aussicht
In unsern jetz'gen Frieden huldvoll webt!
Erhab'ne Lust! Gemeinschaftlich besessen
Mit Äthermächten, und – der Äthermächte Meister!
O Lust, vor Zufall, Zeit und Tod geschützt!
Im Tod verdoppelt, vor'm Gericht gekrönt!
Ja! in der langen Folge ew'gen Tags
Der Seligkeit stets herrlicher gekrönt!
Dem schmerzlichen Gefühl' des Leidens ferne,
So fern' als Ihm, aus dessen reicher Hand,
Der gütevoll verschwendrischen, von dessen Liebe,
Der wunderbar unsäglichen, so viel
Des Göttlichen dem sünd'gen Staube wurde!
Dort, meine Lucia! möcht' ich dich wieder finden,
Wo deine Gegenwart mein Glück nicht mehrt! 378
    Auch das rührt nicht die Weisen dieser Welt?
Kann sie bewegen nur, was sie bethört?
Die Ewigkeit, am Wink' der Stunde hangend,
Macht ernstere Erwägung für den Menschen
Zur Weisheit wie zur Lust und auch zum Ruhm.
Erröthet nicht (scheu'n manche eurer Plane
Das Licht) ob eurer Plane auf den Himmel;
Der einz'ge Punkt, wo ihr zu blöde seyd!
Seyd ihr nicht weis? Ihr wißt's wohl, daß ihr's seyd.
Doch mögt ihr eine Wahrheit von mir hören,
Die ihr, in eurer Plane Zahl verlegt,
Gern überseht, gesehn gern seitwärts drängt:
»Ob wir auf diese Welt, ob auf die künft'ge
Den Plan des Lebens bau'n, nur das entscheidet,
Ob Weisheit uns beherrscht, ob Thorheit.«
Der würd'ge Mensch wägt euch auf dieser Wage;
Was Wunder denn, erscheint ihr ihm zu leicht?
Ist seine Achtung nicht allein schon werth,
Daß ihr um sie euch müht? So wählt ihn denn,
Den schlichten Plan der richtigen Vernunft,
Den ich euch biete; rettet eure Ehre
Und macht zwei Welten euch zum Eigenthum.
    Die Welt erwiedert nichts, – doch bleibt sie störrig
Und bis zur längsten Frist den Rechtstreit zögernd,
Ersinnt sie Ausflucht für den Tag des Urtheils. 379
Doch ferne dem Erfolg bei'm letzten Richter,
Kehrt sich ihr eigen Zeugniß gegen sie.
Vernimm's, Lorenzo! sey nicht morgen weise:
O eile, eil'! Den Mensch drängt Natur;
Denn wer verbürgt ihm wohl die nächste Stunde?
Sehr weise suchst du einen Freund zu sichern;
Doch findest du ihn nicht hienieden auf.
    Ihr Erdenkinder! (mehr zu seyn verschmäh'nd!)
Weil ihr doch halbbefreit von Priestertäuschung
Das Werk der Dichtkunst wähnet, hat die Muse
In dieser muntern Zeit mit schlichter Wahrheit
(Die ihr in Prosa in der Kirche fändet)
Sich an das Licht gewagt. Vergessen sey
Ihr Lied, behaltet ihr die Wahrheit nur,
Und wird, statt Lobes, euer Glück ihr Kranz.
Doch Lob ist's, was sie nicht befürchten darf:
Ich sehe mein Geschick, und stürze mich,
Wie Curtius einst, entschlossen in den Abgrund.
So manche Riesenbände müssen sterben
Und sterben unbeweint: so wandle denn,
Du kleines Blatt, dem Opfertod geweiht!
So wandle hin in Mitte deiner Feinde;
Geh edel stolz auf Märtyrthum für Wahrheit
Und stirb des Doppeltods: der Menschen Rache
Versagt ein langes Leben dir; selbst todt 380
Wirst du nicht ruh'n; im Schoos der Höllennacht
Von Satan angeklagt des Hochverraths
An seinem Thron', und kühner Lästerung
Der Freundin, die er liebt, der Welt – der Welt,
Die ihm Legionen giebt für kleinen Sold,
Die um sein Banner sich so willig drängt,
Um klüglich gegen sich für ihn zu kämpfen.
    »Sind alle Menschen Thoren denn?« rufst du! –
Ja! alle sind's; nur die allein nimm aus,
Die der für dich so neuen Lehre huld'gen:
»Daß Willenskraft der wahren Weisheit Mutter«
Denn ohne sie ist reichster Geist ein Thor.
Die Erdenweisheit that des Grosen viel
In Kunst und Wissenschaft, in Krieg und Frieden;
Und sie vermag des Grosen mehr; doch Kunst
Und Wissenschaft verlassen dich, wie Reichthum,
Und machen dich zum Doppelbettler, wann
Des Todes Stunde schlägt. Und darum ist
Der höchsten Nachsicht letztes Zugeständniß:
»Es werde deiner Weisheit alles möglich,
Nur könne sie dich selber weis' nicht machen.«
Glaub' meinen Tadel nicht zu streng für dich;
Kühn nenn' ich Dunz den Satan, deinen Meister.


 << zurück weiter >>