Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Mit gemischten Gefühlen trat Fritz den Heimweg an. Die Freude über die unleugbare Thatsache, daß seine Stimme dem Professor gefallen und daß dieser sich bereit erklärt hatte, seine weitere Ausbildung zu übernehmen, wurde durch allerhand gewichtige Bedenken getrübt. Da war zunächst das Honorar, das der Professor gefordert hatte! Es war nicht übertrieben hoch – es war das gewöhnliche, das in Instituten von dem Renommee der Schmidtschen Opernschule gezahlt zu werden pflegte, – und doch ein riesenhohes für einen armen Teufel, wie Fritz! Seine Ersparnisse waren bis auf einen geringen Rest in der Zeit, da er stellungslos, verzehrt worden, sein Gehalt bei Leo Leppiehn langte kaum für die notwendigsten Bedürfnisse des täglichen Lebens. Fritz dachte an Hempel und den Grafen Kölpin. Die beiden hatten ihn schon einmal aus drückender Notlage befreit; bis heute war es ihm noch nicht möglich gewesen, auch nur einen kleinen Teil jener Schuld zurückzuerstatten, – würde Graf Wendelin oder der alte Herr ihm angesichts dieses Umstands noch einmal helfen? – Sie waren reich genug, selbst einen Verlust von Tausenden gleichmütig ertragen zu können, – aber was ging sie schließlich Fritz an! 420 Wenig oder nichts, – selbst die wärmste Fürsprache Hempels konnte dabei nichts ändern! Und wenn Fritz ihnen auch auf Ehre und Gewissen und schriftlich und mündlich versprechen wollte, den ihm gewährten Vorschuß in den erhofften besseren Tagen auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen, – wer garantierte ihnen denn dafür, daß diese »besseren Tage« wirklich in fester Aussicht ständen? –

Fritz dachte auch an Otto und an das Pfarrhaus in Klein-Busedow, aber er mußte selbst bei dem Gedanken lächeln, daß von dort vielleicht Hilfe zu erhoffen sei. Du lieber Gott – die Pfarrersleute in Klein-Busedow gehörten zu den Ärmsten im Dorfe; Matzenthien und Groß-Schulze waren reiche Leute gegen die Bewohner des Pastorats! Fritz hatte lange, lange nichts von ihnen gehört. Der briefliche Verkehr war gänzlich eingeschlafen, seit Fritz zum erstenmale die Bühne betreten hatte. Wohl war, als er nach Berlin zurückgekehrt, mehr als einmal der Wunsch in ihm aufgestiegen, sich nach Otto umzuthun, der aller Wahrscheinlichkeit nach noch in der Residenz weilen mußte, – aber er schämte sich, dem Jugendfreunde mit dem ganzen Ballast seiner bankerotten Existenz unter die Augen zu treten . . .

Fritz mochte überlegen, so viel er wollte, – als letzte Hoffnung blieb ihm immer nur die Freigebigkeit und der Wohlthätigkeitssinn der Kölpins. Er verhehlte sich nicht, daß er auch im Leppiehnschen Geschäfte nicht länger bleiben konnte. Die Thätigkeit daselbst nahm fast seine ganze Zeit in Anspruch, und es war erklärlich, daß man im Institute des Professors Schmidt in Bezug auf die Einteilung seiner Übungsstunden weniger Rücksicht 421 nehmen konnte, als dies Schilling gethan hatte. Fritz wußte noch nicht einmal, wie er sein Ausbleiben am Donnerstag Vormittag, an dem er zu Schmidt bestellt worden war, entschuldigen sollte. Durch Kranksein – nun ja, einmal ließ sich dieser Entschuldigungsgrund wohl brauchen, aber öfter nicht. Fritz sah bereits im Geiste das strenge, verkniffene Gesicht des ersten Buchhalters vor sich. Wahrhaftig, – die Kölpins blieben auch diesmal die einzige Rettung – ach, und es wurde Fritz so schwer, bitten und betteln zu müssen! –

Im gedankenlosen Umherschlendern war er vor einem Schauladen in der Französischen Straße stehen geblieben. »Antiquariat von Oskar Hammer« stand in Goldbuchstaben auf der Spiegelscheibe, und dahinter türmten sich, in steifer Regelmäßigkeit aufgebaut, Berge von Büchern auf. Fritz ließ den Blick müde und gleichgültig über dies Wirrsal aus allen Sprachen und Wissenschaften vieler Jahrhunderte schweifen, über die in allen Farben strahlenden Einbände, die meist vergriffen und abgenutzt aussahen und auf denen dicker Staub lagerte. Plötzlich flog ein Lächeln über das Gesicht des jungen Mannes. Ganz in einer Ecke des Fensters, zwischen zwei Folianten, die ihrem ehrwürdigen Äußeren nach aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert stammen mochten, hatte er ein paar unscheinbare Bändchen entdeckt, die sein Interesse in Anspruch nahmen. Der Goldtitel auf dem braunen Lederrücken war zwar reich verblaßt, ließ sich aber immer noch lesen. »J. F. Cooper« stand auf allen drei Bänden und darunter als Titel: »Conanchet« – »Der letzte der Mohikaner« und »Die Waise von Wish-ton-Wish« . . .

422 Wie lange war es her, daß Fritz die kindliche Phantasie an den Schilderungen Coopers berauscht hatte, daß er dem letzten vom Stamme der Mohikans an das Lagerfeuer gefolgt war und mit dem tapferen Conanchet das Kriegsbeil ausgegraben hatte, um durch Prairie und Urwald auf hundert Schleichpfaden gegen die Bleichgesichter zu Felde zu ziehen! – In mächtiger Wallung stieg die Erinnerung an das Heimatsdorf in ihm auf und trieb ihm das Blut in die Wangen und die Sehnsucht ins Herz. Der alte Cooper hatte ihm dereinst so manche Stunde versüßen und verträumen helfen, daß er ein fast unbezwingliches Verlangen darnach trug, sich noch einmal die wildromantischen Gestalten seiner Indianerhelden, die brennenden Steppen und den im Sturme jauchzenden Urwald mit all' seinen Geheimnissen vor die Seele zu zaubern . . . Und ohne Zögern trat er in den von dumpfer Luft erfüllten Laden, dessen Wände mit Büchern tapeziert zu sein schienen und in dem man sich kaum bewegen konnte, ohne an ein schweinsledernes Ungetüm oder einen Ballen zusammengeschnürter, staubaufwirbelnder Drucke zu stoßen.

Ein kleiner Mann kam dem Eintretenden entgegen und fragte nach dessen Begehr. Fritz erhielt die drei Bände Cooper für den ungeheuren Preis von einer Mark und 423 wollte soeben seelenvergnügt abgehen, als sein Blick zufällig auf zwei altertümliche Foliobände fiel, die aufgeschlagen auf dem Ladentische paradierten. Fritz las auf der von Würmern an der Randung benagten und von der Zeit fast gelbbraun gefärbten ersten Seite des einen Bandes die Worte: »Bibel teutsch der erst tail.« Zwischen der ersten und zweiten Seite ragte ein Pappstreifen hervor auf den in großen Buchstaben geschrieben war: »Günstige Occasion! Nur Mark 90! Komplettes Exemplar!« –

Fritz schüttelte den Kopf. »Neunzig Mark?« meinte er fragend, »– für dieses Buch? für eine alte Bibel?«

Herr Hammer lächelte überlegen.

»Scheint's Ihnen zu viel, verehrter Herr?« gab er zurück, sich die schmutzigen Hände reibend. »Zu viel?! Du lieber Himmel! Der Levy von nebenan, der sich gern den bedeutendsten Antiquar von Deutschland nennt, würde das Werk nicht unter hundertundfünfzig Mark abgeben! Ja ja, – gucken Sie mich nur so erstaunt an – das ist ein sehr seltenes Buch, mein verehrter Herr, ein Buch, das man nicht alle Tage findet! Wollen Sie gefälligst sehen – da hier, – was steht hier? »Augspurg, Siluan Otmar, in verlegung vn Kosten des Johan Rynman, 1518!« Und wissen Sie, was das heißt, verehrter Herr? Das heißt, daß dieses Werk die sogenannte vierzehnte und letzte deutsche Bibel vor Luther ist – ein Rarum ersten Ranges! Und nun sehen Sie sich einmal den Einband an! Lederpressung von oben bis unten und mitten darin die Jahreszahl 1519! Ein gleichzeitiger Einband, verehrter Herr – – da sind neunzig Mark ein Spottgeld – ein Spottgeld, mein Herr!«

424 Der alte Antiquar war ganz erregt geworden und murmelte noch immer vor sich hin, während Fritz sich verlegen über das »Rarum« beugte und die verschnörkelten Buchstaben betrachtete.

»Entschuldigen Sie nur,« meinte er, »– ich wußte ja nicht, daß die Dinger so teuer sind! Ich habe auch eine alte Bibel zu Hause und wenn ich –«

Der Antiquar unterbrach ihn mit schrillem Lachen.

»Auch eine alte Bibel ist gut, mein Herr!« er rieb sich wieder die dürren, vom Bücherstaube inkrustierten Finger. »Ja, du lieber Gott, wenn alle alten Bibeln 'was wert wären, dann könnte man es bald zum reichen Manne bringen! . . Aus welchem Jahre stammt denn Ihr Exemplar?«

Fritz wurde wieder verlegen. »Ich weiß es nicht genau,« entgegnete er, »es ist mir entfallen, – ich glaube, es steht gar keine Jahreszahl auf dem Titel, – ich glaube, meine Bibel hat überhaupt kein Titelblatt« . . .

»Was denn? Kein Titelblatt? Es wär' ein Inkunabel? I das ist ja gar nicht möglich!« Der Antiquar fuhr sich mit dem Finger über die Nase. »Eine deutsche Bibel?«

»Nein, keine deutsche – eine lateinische, aber nicht in lateinischen Lettern gedruckt! Ich kann Ihnen wirklich keine genaue Auskunft über das alte Ding geben, mein Herr, ich hab' es mir lange nicht angesehen, aber ich bin gern bereit, es Ihnen einmal herzubringen, wenn es Sie interessiert.« Fritz lächelte. »Für neunzig Mark laß' ich es Ihnen,« fuhr er heiter fort, »die kämen mir gerade zu passen!«

425 Der Antiquar überhörte den letzten Satz.

»Wo stammt denn die Bibel her?« fragte er.

»Von meiner Mutter, das heißt aus dem Hause meiner Mutter – aus einer Försterfamilie« . . .

Der Antiquar sah nach seiner Uhr. »Bis sechs bin ich im Geschäft,« sagte er, »bringen Sie mir das Buch einmal her; vielleicht ist etwas daran. Freilich – ich glaub's nicht, aber man kann ja nicht wissen! Vielleicht hab' ich auch einmal Glück – ebensolch' Glück wie der Levy! 's ist nichts mehr zu verdienen am Antiquariat; die Sammler werden seltener, und die wirklichen Wertstücke bleiben in festen Händen. Faule Zeiten! . . Also bis sechs! Habe die Ehre, mein Herr – empfehl' mich!«

Fritz zog mit seinen drei Bänden Cooper davon. Er wollte noch nicht so recht an die Möglichkeit glauben, daß seine alte Bibel ihm ein paar Groschen Geld einbringen könne – vielleicht sogar mehr als nur ein paar Groschen! Neunzig Mark – das war beinahe so viel, als Herr Leo Leppiehn ihm Monatsgehalt bezahlte – das war das Honorar für vier Unterrichtsstunden im Institut des Professors Schmidt und immerhin mitzunehmen! Freilich – vielleicht zuckte Herr Hammer auch nur bedauernd mit den spitzen Schultern, vielleicht war das alte Ding gar nichts wert und verlohnte sich nicht einmal der Mühe des Einstampfens! Man mußte es darauf ankommen lassen, – in seiner gegenwärtigen Situation hielt es Fritz für erforderlich, auch nicht die geringste Möglichkeit, zu Gelde zu kommen, außer Augen zu lassen . . .

Er suchte, als er in seinem Stübchen angelangt 426 war, die Bibel aus der Kommode hervor, löste die vergilbten Zeitungspapiere, in die er sie bei seiner Abreise aus Paris eingehüllt hatte, und betrachtete sie noch einmal forschend von allen Seiten. Und wieder flog ein lustiges Lächeln über sein Gesicht. Nein – neunzig Mark gab es nicht für die verstaubte Scharteke mit dem in allen Fugen klaffenden Einband – das war sicher! – Er schlug den Deckel auf, aus dem eine Motte emporhuschte. Auch die ersten Blätter waren nicht sonderlich gut erhalten, – sie waren beschmutzt, hie und da eingerissen und zeigten Stockflecken und die Spuren des Bücherwurmes, – erst von den folgenden Seiten ab war die äußere Erhaltung des Buchs eine bessere. Fritz schaute sinnend auf den Anfangsbuchstaben des Werks, ein schön ausgeführtes, bunt koloriertes Initial, ein F darstellend. Die Füllung des Buchstabens war lilafarben, die Konturen erstrahlten in mattem Golde; auch die Umrandung der ganzen Seite war in Farben gehalten – grün, blau, rot und golden. Es war merkwürdig, wie diese zarten Farbentöne verhältnismäßig noch frisch erglänzten, – von Staub und Schmutz auf chemischem Wege gereinigt mußten sie in voller Deutlichkeit hervortreten! . . Fritz wurde es plötzlich recht schwer, das alte Buch aus der Hand geben zu sollen; er entsann sich, daß seine Mutter ihm einstmals erzählt hatte, ihr Vater habe die Bibel aus seiner Heimat, einem westfälischen Städtchen, mitgebracht, und dort sei sie bei einem Hausumbau in einem vergessenen Abschlag unter allerhand altem Gerümpel gefunden worden. Die Mutter hatte immer eine gewisse Pietät für das schweinslederne 427 Unding empfunden, und deshalb hatte Fritz es auch seiner Zeit bei der Auktion in Klein-Busedow zurückgekauft – für bare fünfzig Pfennige, er wußte es noch ganz genau! Und deshalb hatte er es auch mit durch die Welt geschleppt – nach Berlin und nach Kopenhagen und nach Paris und wieder zurück nach Berlin – und nun sollte das einzige Erbstück aus dem Kantorshause in dem muffigen Buchladen des Antiquars für immer verschwinden? . . .

Ärgerlich klappte Fritz den mächtigen Deckel, von dem die Bronzeschließen längst abgefallen waren, wieder zu und griff nach dem »Letzten Mohikaner«. Er war unruhig und nervös – der Cooper sollte ihn zerstreuen helfen.

Er setzte sich am Tische dicht am Fenster nieder und begann zu lesen. Aber der selige James Fenimore wollte seine Schuldigkeit nicht thun. Fritz hatte keinen Sinn für die braunhäutigen Helden der Pampas; er durchblätterte die ersten Seiten, stützte dann den Kopf in die Hand und begann zu träumen – allerhand Zukunftsträume, die ihn in aufsteigender Linie in einen glänzenden, lichtstrahlenden Tempel des Ruhms und in absteigender Kurve in die Bedrängtheit des Augenblicks zurück führten. Was sollte werden? Ja, was sollte werden, wenn er nicht zu energischem Handeln schritt! . . . Er sprang auf und warf den Cooper beiseite. Er mußte an den Grafen Kölpin und als Unterstützung seines Bittgesuchs an den alten Hempel schreiben, – so schwer es ihm wurde, es half nichts! Courage, rief er sich zu, du hast Schlimmeres ertragen müssen, als den moralischen 428 Kampf um eines Bettelbriefes halber! . . . Er griff nach dem Hute, um sich im nächsten Laden anständiges Briefpapier zu kaufen – und dabei fiel sein Blick wieder auf die Bibel, die noch immer auf der Kommode unter dem Bilderbogen aus Neu-Ruppin lag und von der verscheuchten Motte in alter Anhänglichkeit umkreist wurde.

Einen Augenblick blieb Fritz stehen – dann griff er hastig nach dem ungefügen Buche, hüllte es wieder in die Zeitungspapiere ein, nahm es unter den Arm und stürmte die Treppe hinab. Er wollte sein Glück versuchen; bot ihm der Antiquar wirklich nur einige Groschen, so konnte Fritz die Bibel immer wieder mit zurück nehmen – für einige Groschen war sie ihm nicht feil, aber warum sollte sie nicht auch neunzig Mark wert sein wie jene andre von Anno Soundsoviel! Die neunzig Mark wollten Fritz nicht aus dem Kopfe . . .

Es dämmerte schon, als er abermals in den Laden des Antiquars trat. Der kleine Mann stand vor seinem Pulte unter einem flackernden Gaslicht und schrieb. Er schaute beim Eintritt Fritzens flüchtig auf, schob seine Brille höher auf die Stirn und nickte.

»Ah – da sind Sie ja – gut! Bitte Platz zu nehmen! Einen Augenblick – so!« Er rieb sich die 429 Nase. »Nun her mit dem Ding! Wetter, hat das ein Gewicht!«

Er riß das Zeitungspapier voneinander und beugte sich tief auf das Buch herab. Seine dürren Finger glitten tastend über das Schweinsleder.

»Schlechter Einband,« murrte er, »wenigstens schlecht erhalten – da fliegt eine Motte – das Wetterzeug nistet sich allenthalben ein!« Er griff nach der Motte, fing sie in der hohlen Hand, zerdrückte sie und warf sie auf die Erde. Dann schlug er den Einbanddeckel zurück und neigte sich wieder tief über die erste Seite des Bibelwerks.

Als er den Kopf von neuem erhob, bemerkte Fritz mit Befremden, daß das gelbhäutige, faltige Gesicht des Alten von dunkler Röte übergossen war. Seine kleinen Augen funkelten förmlich, und ein Blick unverhohlenen Mißtrauens flog zu Fritz herüber. Er sprach kein Wort, begann aber plötzlich eine unruhige, fast fieberhafte Thätigkeit zu entfalten. Er schleppte dickleibige Bücher herbei, in denen er eifrig blätterte, nachschlug und nachlas, dann irrten wieder seine Finger über die erste Seite der alten Bibel und schienen die Zeilen zu zählen, während sein Auge durch eine mächtige Lupe mit schwarzer Horneinfassung auf das Blatt schielte. Und dann schüttelte und nickte er zuweilen mit dem grauen Kopfe und seine Lippen murmelten nur halb verständliche Worte: »Das ist ja unglaublich . . . aber eine Täuschung ist gar nicht möglich . . . die Beschreibung Panzers stimmt auf das Haar . . . ist auch mit Klemm konform . . . das ist ja unfaßlich . . . Nöldeke! Nöl–de–ke!«

430 Auf diesen letzten, schmetternd hervorgestoßenen Ruf schlurrte aus dem Nebenzimmer ein buckliger kleiner Kerl hervor, schaute sich blöde um, machte einen Kratzfuß vor Fritz und blieb dann vor dem Ladentische stehen.

»Riefen Sie mich, Herr Hammer?« fragte er und klappte, um der Antwort schärfer gewärtig zu sein, die rechte Ohrmuschel um.

Herr Hammer wurde immer erregter. »Natürlich rief ich Sie! Esel!« fuhr er heraus. »Sie scheinen geschlafen zu haben! Das verbitt' ich mir! Nachtmütze! – Nehmen Sie Ihren Hut und springen Sie auf der Stelle zu Herrn Levy hinüber; Herr Levy möchte sofort einmal zu mir kommen, es sei eine Sache von größter Wichtigkeit! Pascholl!«

Der Buckelinski schlurrte davon und kehrte nach wenigen Minuten mit einem jüdisch aussehenden älteren Herrn von hagerer Statur und intelligenten Gesichtszügen zurück. Das war der Hofantiquar Saul Levy, ein raffinierter Geschäftsmann, so zu sagen mit allen Hunden gehetzt, aber auch ein vielseitig gebildeter Mann, vor allem ein ausgezeichneter Kenner der altdeutschen Litteratur und der sogenannten Wiegendrucke: der gelehrteste Antiquar seiner Zeit, wie er sich gern nennen hörte.

Herr Levy stellte seinen Cylinderhut auf den Ladentisch und reichte seinem Kollegen die Hand.

»Na, mein guter Hammer,« meinte er mit jovialem Accent im Tone, »was giebt es Neues? Wieder einmal einen rare bit aufgefischt? – aber auch wirklich einen? – Wissen Sie noch, wie Sie mich das letzte Mal rufen ließen? Glaubten ein komplettes Exemplar von Sprengers 431 Statuten der Rosenkranzbrüder aufgestöbert zu haben, und als Gott den Schaden besah, waren von den fünfzehn Blatt zwei facsimiliert . . . Was haben Sie denn heute da?«

Ohne ein Wort zu entgegnen, schob Herr Hammer dem Hofantiquar die Bibel Fritzens zu.

Levy setzte den Klemmer auf und beugte sich über das Buch. Aber er hatte nur einen einzigen Blick auf die erste Seite, das kolorierte Initial und die Typenstellung geworfen, als er voll maßlosester Überraschung wieder aufschaute.

»Hammer – eine zweiundvierzigzeilige?!«

»Zu dienen, mein Herr – zu dienen, mein Herr,« jubelte Hammer, »eine zweiundvierzigzeilige! Komplett und gut erhalten! Was sagen Sie nun, Herr Hofantiquar?!

Und Hammer rieb sich mit dem Zeigefinger vergnügt die spitze Nase und schaute seinen Konkurrenten triumphierend und nicht ohne ein Gemisch von Bosheit und Schadenfreude an. Der aber klappte ohne weiteres das Bibelwerk zu und nahm es unter seinen Arm.

»Ist das da der Besitzer?« fragte er, auf Fritz deutend, der in krassem Staunen noch immer auf dem Schemel neben dem Ladentisch saß.

»Das ist er,« gab Hammer zurück.

Der Hofantiquar nickte. »Werden uns schon einigen,« meinte er. Kommen Sie in Ihr Comptoir, Hammer, 432 – wir wollen das Ding einmal ein wenig genauer prüfen« . . .

Und die beiden Männer verschwanden hinter der Thür des Nebenzimmers und ließen Fritz allein mit dem buckligen Nöldeke zurück, der auf eine Stehleiter gekrochen war und mit einem Handwedel die Bücher an den Wänden abstäubte.

Fritz konnte sich von seinem Staunen noch immer nicht recht erholen. Daß er Glück gehabt hatte, daß die alte Bibel doch so eine Art Seltenheit war – daran zweifelte er nach dem, was er gesehen und gehört, allerdings nicht mehr. Aber was sollte er fordern, wenn er gefragt wurde, wie viel er für das Schweinslederne haben wolle? – Er überlegte. Mit neunzig Mark Wertangabe war die zweibändige Bibel vom Jahre 1518 bezeichnet gewesen, die er am Vormittage auf dem Ladentische gesehen, – da war es wohl nicht zu viel, wenn er für sein Buch den gleichen Preis stellte. Versuchen ließ es sich ja – man konnte noch immer handeln . . .

Währenddessen wurde im Nebenzimmer ein lebhaftes und erregtes Gespräch geführt. Fritz hörte die Stimmen der beiden Antiquare deutlich, ohne jedoch den Zusammenhang der Unterhaltung zu verstehen. Herr Hammer erhob von Zeit zu Zeit sein Organ zu unmutvollem Schmettern, und dann erklang wieder besänftigend und salbungsvoll die Stimme des Hofantiquars. Endlich schien eine Einigung erfolgt zu sein – es wurde still im Comptoir nebenan – man flüsterte nur noch miteinander.

433 Weit über eine halbe Stunde mochte verflossen sein, als die beiden Leute mit roten Gesichtern wieder in den Laden traten. Der Hofantiquar hatte die Bibel noch immer im Arm. Er wandte sich direkt an Fritz.

»Sie wollen das Buch verkaufen?« fragte er. »Wissen Sie, was es wert ist?«

»Nein,« entgegnete Fritz, und, vorsichtig werdend, denn er sah, daß das Luchsauge des Antiquars forschend auf seinem Gesicht las, fügte er hinzu: »Aber ich werde es ja erfahren« . . .

»Gewiß – ganz gewiß,« fuhr der Hofantiquar hastig fort, »ich fürchte nur, Sie können leicht in die Hände eines Betrügers fallen . . . Hören Sie mich an: ich habe mich mit Hammer geeinigt – ich will die Bibel für mein Lager erwerben. Es ist ein seltenes – ein höchst seltenes Buch, das überhaupt nur noch in wenigen Exemplaren existiert. Ich biete Ihnen daher auch einen sehr hohen Preis, aber Sie müssen sich auf der Stelle entschließen, ja zu sagen oder nein . . . Ich biete Ihnen fünfundzwanzigtausend Mark!«

Fritz machte in diesem Augenblick ein unglaublich albernes Gesicht. Seine Augen weiteten sich, sein Mund stand halb offen – mit blödem Ausdruck stierte er den Hofantiquar an. Scherzte der Mann? Hatte er recht gehört? Fünfundzwanzigtausend . . . ah, es war ja Unsinn!

Und Fritz erhob sich. Er zitterte so stark, daß er sich mit den Händen rückwärts auf den Ladentisch stützen mußte. Dann lallte er: »Fünfundzwanzig« . . .

»Tausend Mark,« vollendete der Hofantiquar. Der 434 Schlaufuchs war ein viel zu gewiegter Menschenkenner, als daß ihm die maßlose Überraschung des jungen Mannes entgehen konnte. Sie mußte ausgenutzt werden. Er zog ihn in das Comptoir nebenan, nahm dort sein Checkbuch aus der Brusttasche und füllte ein Blatt mit der genannten Summe und seiner Unterschrift aus.

»Da,« sagte er; »präsentieren Sie den Check morgen vormittag an der Filiale der Deutschen Bank in der Mauerstraße und lassen Sie sich das Geld auszahlen. Und nun bitte hier! Wollen Sie mir gütigst bestätigen, daß ich das Buch rechtmäßig gegen Barzahlung von fünfundzwanzigtausend Mark von Ihnen erworben habe – dann sind wir quitt. Darf ich bitten?«

Er drückte Fritz die Feder in die Hand, und Fritz unterschrieb – betäubt, verwirrt, klaren Denkens unfähig. Nur das Zahlwort »fünfundzwanzigtausend Mark« klang unablässig in seinem Ohre . . .

Der Hofantiquar lachte.

»Nun stecken Sie Ihren Check aber auch ein, bester Herr,« meinte er wohlwollend, »verbummeln Sie das Ding nicht! Sie sind ja ganz konsterniert! Ei nun ja, 435 ich kann mir schon denken, daß einem die Fassung verloren geht, wenn man im Umsehen so ein kleines Vermögen verdient! Sie haben Glück, bester Herr! Ihr Buch ist eine sogenannte zweiundvierzigzeilige Bibel, das erste Druckwerk, das aus der Gutenbergschen Offizin in Frankfurt hervorgegangen ist. Sie wissen doch, wer der Gutenberg war? Na, sehen Sie, und von diesen zweiundvierzigzeiligen Bibeln existieren derzeitig nur noch zwanzig Exemplare – zwei davon habe ich aufgefunden, eines in der Rheinprovinz und eines in einer kleinen spanischen Stadt, – Ihr Exemplar würde das einundzwanzigste sein! Begreifen Sie nun die Seltenheit? – Ich würde Ihnen das doppelte gezahlt haben, wenn Ihre Bibel auf Pergament gedruckt wäre, – Guttenberg hat nämlich eine Anzahl Exemplare auf Pergament abziehen lassen, von diesen sind uns aber nur noch neun verblieben, nicht mehr! Es giebt auch noch eine ältere Bibel, die sogenannte sechsunddreißigzeilige, das älteste Holztafelwerk, das überhaupt vorhanden ist, – das soll aber aus der Pfisterschen Offizin stammen . . . na, das sind Sachen, die Sie wohl kaum interessieren dürften! Ich gratuliere Ihnen – und nun adieu, lieber Herr Fliedner, und verlieren Sie Ihren Chek nicht! Adieu, lieber Hammer, – ich erwarte Sie also morgen früh, – adieu, meine Herren!« . .

Und der Hofantiquar drückte seinen Bibelschatz fest an sich, stülpte den Cylinder auf und ging ab. Herr Hammer rieb sich die Nase und schickte sich an, Fritz gleichfalls eine längere Rede über das ihm widerfahrene unerhörte Glück zu halten, – aber Fritz hatte an dem 436 guten Willen genug. Er faltete eiligst das Checkblatt zusammen, pfropfte es in sein Portemonnaie und stürzte dann mit kurzem Gruße ins Freie. Der Wind, der draußen erwacht war und der ihm mit erfrischender Kühle entgegenschlug, war ihm eine Wohlthat, denn die Stirn brannte ihm und seine Pulse schlugen wie im Fieber.

* * *

In der Nacht, die jenem Glückstage folgte, vermochte Fritz herzlich wenig zu schlafen.

Er war stets ein Freund weiter Spaziergänge gewesen, und er hatte es sich, besonders wenn er sich in Aufregung befand und wenn ihn die Sorgen bedrückten, angewöhnt, oft stundenlang durch die Straßen oder in der Umgebung der Stadt umherzuschweifen. In Kopenhagen waren Marienlyst und Lyngby, in Paris Meudon und St. Cloud die gewöhnlichen Ausflugspunkte für ihn gewesen, wenn er einmal in der Nacht nicht schlafen konnte, weil das stürmende Blut und die zuckenden Nerven ihm die Ruhe raubten, – hier in Berlin suchte er die Stille und die Einsamkeit des in nächtlichem Dunkel sich dehnenden Grunewalds auf.

Mit starken Schritten eilte er, als er den Laden des Antiquars verlassen, die Straßen hinab und schlug den Weg nach der westlichen Endseite der Hauptstadt ein. Das im Schimmer der Gaslaternen und der elektrischen Ballons an ihm vorüberflutende geräuschvolle Leben bedrückte und verstimmte ihn, – er sehnte sich nach friedfertiger Ruhe, die ihm helfen sollte, die Gedanken zu sammeln. Denn noch toste und brandete es gewaltig 437 hinter seiner Stirn; zu unerwartet hatte der Zufall in sein Geschick eingegriffen, als daß er im stande gewesen wäre, in kaltblütiger Überlegung sich jetzt schon über die praktische Ausnutzung des ihm in den Schoß gefallenen Glücksloses klar zu werden. Er befand sich in einer Stimmung, in der ihm ein logisches Denken förmlich schwer fiel; er konnte das Geschehene noch gar nicht recht fassen und begreifen – die ganzen letzten Stunden dünkten ihm wie eine Art Traum, dem früher oder später ein krasses Erwachen folgen mußte . . .

Als er am Ende des Kurfürstendammes die letzte Gaslaterne leuchten und dahinter Feld und Wald in dunklen Linien sich erstrecken sah, blieb er hochaufatmend einige Minuten stehen. Dann trat er dicht an die Laterne heran, zog aus seinem Portemonnaie das Checkblatt des Hofantiquars hervor und las es noch einmal durch – und noch einmal – und wieder und wieder . . . Und dann griff er plötzlich in überwallendem maßlosem Jubel an seinen Hut und schleuderte ihn hoch in die Luft und stieß einen so hellklingenden Jauchzer aus, daß es aus schwarzer Ferne wie ein leises Echo widertönte und hie 438 und da in den vereinzelt stehenden Villen mit heiserer Stimme ein in der Nachtruhe gestörter Hund anschlug.

Allmählich ward es Fritz lichter und klarer im fieberheißen Kopfe. Er schritt mächtig aus, die breite Chaussee hinab, die durch Felder und Wiesengrund nach dem Grunewald führt, – ließ sich den kühlenden Wind um die bloße Stirne wehen und atmete mit vollen Zügen die Nachtluft ein. Eine wohlthuende Stille lag über der Natur. Ein Eulenschrei, das Quakquak eines Frosches oder auch einmal der schrille Pfiff einer Lokomotive, deren brennende Augen in der Ferne vorübergehend das Dunkel erhellten, waren die einzig hörbaren Laute.

Mitternacht mochte vorüber sein, als Fritz an den Heimweg dachte. Der Mond war aufgegangen und schüttete blendenden Glanz auf den Weg, dessen weiße Staubschicht wie Silber flimmerte. Dunkler noch als zuvor, in tiefster Schwärze ragten die Tannen und Kiefern auf, die Wahrzeichen märkischen Sandes, und ließen den Nachtwind in ihren Nadeln singen und rauschen. Es war sehr kühl geworden, fast frostig, so daß Fritz seinen leichten Mantel zuknöpfen mußte und den Kragen in die Höhe schlug.

Der Mond, der dem Kantorsjungen in die Augen leuchtete, sah ein lachendes, glückstrahlendes Gesicht, – und als derselbe Mond zwei Stunden später durch das Mansardenfenster Fritzens auf dessen Bette lugte, sah er noch immer das Lächeln auf den Zügen des jungen Mannes, der sich zu kurzem Schlummer niedergelegt hatte und dem der Traumgott das Glück des Tages in einer rosigen Fata Morgana noch einmal vorzauberte.

Der erste Gang Fritzens am folgenden Morgen 439 führte ihn selbstverständlich nach der Deutschen Bank, wo er (noch immer mit dem leisen und ganz geheimen Zittern, die Sache könne vielleicht doch nicht ihre Richtigkeit haben) den Check des Hofantiquars präsentierte und sich alle Taschen voll Tausendmarkscheine pfropfen konnte. Sein zweiter Weg ging in das Comptoir von Leo Leppiehn, wo man schon seit einer Stunde auf ihn wartete und wo Fichte, der erste Buchhalter, bereits eine ernsthafte Rede über die Verlotterung der jungen Leute von heutzutage im allgemeinen und über die Fritzens im speziellen losgelassen hatte.

Fritz hatte in seinem Glücksgefühle beschlossen, seine Comptoirgenossen mit der neuen Lage der Sache durch einen Scherz bekannt zu machen. Er trat, den Hut auf dem Kopfe, mit großartiger Grandezza mitten in das Zimmer, begrüßte die Anwesenden mit vornehmer Handbewegung und sagte dann in näselndem Tone:

»Ich wünsche Briquettes zu kaufen, meine Herren – für tausend Mark! Da!«

Und er legte einen Tausendmarkschein auf den Pult des Herrn Fichte nieder. Herr Fichte schnitt ein Gesicht, als ob er versteinert worden sei, sämtliche übrigen Herren aber ließen die Federn fallen, sperrten die Münder auf, machten große Augen und lächelten blöde. Sie mochten glauben, der arme Fiedler sei verrückt geworden.

Und nun zog Fritz einen zweiten sepiafarbenen Schein aus der Tasche, legte ihn vor dem jungen Herrn Schindler nieder und sagte ernsten Tones:

»Ferner wünsche ich für weitere tausend Mark Feueranzünder deutsches Reichspatent Nr. 6487, – und dann 440 noch für tausend Mark Coaks – oder Steinkohle, das ist mir egal, – und dann noch für zweitausend Mark Buchenholz, vierschnittig, aber bitte, lassen Sie mir jedes Scheit extra polieren« . . . und dabei legte er noch drei weitere Scheine auf die Pulte der übrigen Herren, trat dann wieder in die Mitte der Stube und ergötzte sich an der sprachlosen Verwunderung des gesamten Comptoirpersonals.

Herr Fichte sah noch immer völlig versteinert aus, nur hin und wieder zuckte ein Funke von Leben um seine Nasenspitze. Die sonstigen Herren kamen über ihr blödes Lächeln nicht heraus, nur der Allerjüngste streckte vorsichtig seine Finger nach dem vor ihm liegenden Bankscheine aus, um nachzusehen, ob es nicht etwa eine Blüte sei . . .

Nun aber konnte Fritz nicht anders: er brach in ein herzhaftes Lachen aus.

»Geben Sie mir meine Tausendmärker wieder, meine Herren,« lachte er noch immer, »– es war nur ein schlechter Witz, den ich zu entschuldigen bitte! Sie insbesondere, Herr Fichte, den ich zugleich meine Kündigung bei Herrn Leo Leppiehn anzubringen ersuche! Ja wohl, meine Herren, ich kündige, denn – seien Sie nicht böse darüber – ich habe soeben eine Erbschaft erhoben, die mir gestattet, den Handel mit Holz und Kohlen feierlichst niederzulegen!«

Im nächsten Augenblick war Fritz vom ganzen Personal umringt und ein halb Dutzend Stimmen sprachen auf einmal auf ihn ein. Das Ende vom Liede war aber, daß Fritz sich genötigt sah, Herrn Fichte und 441 Herrn Schindler und Herrn Beinhammer und Herrn Gluckshuhn und den langen Lebede und den kleinen Fechner für den Abend zu einer Riesenbowle geziemend zu laden.

Die Bowle wurde denn auch getrunken, und es ging um so lustiger bei derselben zu, als der erste Buchhalter mit seinem strengen Gesicht, des süßen Weines ungewohnt, sehr bald in einer Ecke den Schlaf der Gerechten hinüberschlummerte.

Es war ganz gut, daß Fritz an diesem Abend nicht durch die Französische Straße ging – sonst wäre ihm seine Jubelstimmung sicher ein wenig verkümmert worden. Denn in der Französischen Straße sammelte sich um diese Zeit ein ganzer Schwarm neugieriger Menschen vor dem glänzenden Schauladen des Hofantiquars Levy, in dem unter einer Glashülle die Bibel Fritzens lag. Zu Häupten derselben war aber ein Zettel angebracht worden, auf welchem in Kurrentschrift die Worte zu lesen waren: »Seltenheit ersten Ranges! Zweiundvierzigzeilige Bibel aus Guttenbergs Offizin! Preis 50 000 Mark!«

Das war das Doppelte der Summe, die Fritz am Abend vorher erhalten hatte! Und doch verlangte Herr 442 Levy noch nicht zu viel, denn schon acht Tage später verkaufte er seine litterarische Rarität für den von ihm geforderten Preis an einen reichen englischen Sammler, der die von dem Hofantiquar in die Zeitungen lancierten Notizen über seinen »Fund« gelesen und sich das Rarissimum durch Quaritsch in London sofort auf telegraphischem Wege gesichert hatte. 443

 


 


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