Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Die Heimkunft des Gesellen.

Aber fünf und sechs Jahre vergingen, ehe er vom Wandern heimkehrte nach Altenheim. Und als er, zum Thor hinein, durch die Gassen der Stadt froh einhertrabte, wie verwandelt und fremd stand da Alles vor ihm! Die Straßen schienen enger, die Plätze kleiner geworden. Was jung gewesen, war älter geworden; was alt gewesen, lag im Grabe. Und wie ihn die Leute nicht mehr kannten, so kannte er auch die Leute nicht. Er war stark und kräftig aufgeschossen; sonneverbrannt; hatte indessen viel erlebt und erfahren; sah ernst drein und verständig; doch auch gutmüthig und bescheiden.

Sein erster Gang war zum Meiste Fenchel. Er wollte ihn lustig überraschen; dann um einstweilige Herberge anfragen, und in derselben Werkstätte sein Meisterstück anfertigen, wo er als Lehrling das Gürtlerhandwerk gelernt hatte.

Das Haus hatte neuen Anstrich erhalten, und große Fenster und Spiegelscheiben. Er klopfte an; traten ein zierlich möblirtes Zimmer und wähnte, am rechten Orte zu sein.

»Bleib' Er draußen, und läut' Er!« fuhr ihn ein Herr, mit der Feder hinterm Ohr, an: »Handwerksbursche müßen nicht selbst in der Leute Haus laufen, um den Zehrpfennig zu holen.«

Jonas stand verblüfft da. »Um Verzeihung, wohnt Meister Fenchel nicht mehr hier?«

Die Antwort war: »Der Gürtler? Der ist schon vor Jahren gestorben. Hier wohnt der Proviant-Commissär Schnurr.

Jonas seufzte still. »Gestorben!« und verließ das Haus mit betrübter Seele. Er nahm nun den Weg zur Wohnung des Krämers Wester, nicht ohne heimliche Besorgnisse und Aengsten, auch der möge vielleicht schon in die ewige Ruhe eingegangen sein. Doch wie pochte ihm vor Freuden das Herz, als er in der Ferne den Biedermann, nach dessen Gewohnheit, vor der Glasthür seines Kaufladens stehen sah! Er trat grüßend und schweigend, mit abgezogenem Hut, vor ihn hin. Westen warf einen flüchtigen Blick auf die vom Staub bedeckte Figur, mit dem Ränzel auf dem Rücken und den zerrissenen Schuhen an den Füßen; griff gleichgültig in die Westentasche und reichte ihm eine kleine Münze dar.

»Ei, ei, Herr Wester!« rief der Beschenkte lächelnd: »Ich komme nicht um zu fechten. Ist Ihnen Jonas Jordan unkenntlich geworden, oder schon ganz vergessen?«

Der Krämer machte große Augen. Als er sich jedoch von der Wirklichkeit der unerwarteten Erscheinung überzeugt hatte, streckte er beide Arme, voll fröhlichen Erstaunens, hoch in die Luft; schüttelte dann dem Freund herzlich die Hand zum Willkommen und führte ihn mit sich ins Haus. Hier empfing Frau Wester den jungen Mann mit nicht geringem Erstaunen und Vergnügen. Sie wies ihm eine saubere Schlafkammer an. Er mußte nun bleiben, und mit ihnen essen, bis er irgend ein anderes Unterkommen gefunden hätte, wo er bei einem Gürtler an seinem Meisterstück arbeiten könnte. Das fand er auch glücklicherweise nach einigen Tagen schon, nachdem er in seinen besten, freilich groben, doch sauber gehaltenen Kleidern, mehrern Meistern Besuch gemacht hatte.

Wenn er nun gleich nicht mehr von der Gastlichkeit des Herrn Wester Gebrauch machte, fehlte doch selten in der Woche ein Abendstündchen, welches er nicht bei ihm zubrachte. Da hatte er viel Wunderbares von seinen Reisen zu erzählen, aber auch Vieles von unterdessen in Altenheim vorgefallenen Geschichten zu hören. So vernahm er unter Anderm auch Meister Fenchels bösen Untergang.

Dieser Unglücksmensch hatte, durch fortgesetzten täglichen Genuß des Branntweins, Muth, Lust und Kraft zu seinem Gewerb und Beruf verloren; hatte, betrogen von Magd und Gesellen, sein Leben in bitterer Armuth beschlossen und nichts hinterlassen, als Schulden und seine Tochter Martha. Diese sei ins Waisenhaus der Stadt gebracht, und wieder entlassen, sobald sie alt genug war, Mägdedienst zu verrichten. Was seitdem aus ihr geworden, wußte Niemand zu sagen.

Das war dem guten Jonas schmerzlich zu hören. Desto erfreulicher klang der Bericht vom Schicksal seines ehemaligen Gefährten Gideon Kürbis. Dieser war gegenwärtig, obgleich nur Goldschmied, ein vornehmer Herr. Er lebte, wie man zu sagen pflegt, auf großem Fuß. Sowohl vom frühzeitig verstorbenen Vater, als seiner Mutter, hatte er ein stattliches Vermögen ererbt. Er war verheirathet; besaß schon zwei Kinder, einen Knaben, Edwin, und eine Tochter, Ida genannt.

»Schon diese Taufnamen neuester Mode,« fuhr hier Frau Wester in der Erzählung ihres Mannes fort, ein wenig boshaft dabei lächelnd: »Schon sie sagen Euch, daß Herr und Madame Kürbis zur höhern Region gehören. Auch darf Herr Gideon seine Gemahlin nicht anders, als Rosa nennen, und nicht Rosine. Ihr Vater war ein Weinhändler, und steinreich, aber ein Knauser, Knicker und hartherziger Wucherer. Ich erinnere mich noch, daß sie lange Zeit nur Röcke trug, die ihr der Vater aus abgetragenen Kleidern ihrer Mutter und Großmutter machen ließ. Sie hätte längst einen Mann haben können. An Freiern fehlte es nicht. Die fehlen, wo Geld vorhanden ist, so wenig, wie Ameisen und Fliegen beim Honig und Zucker. Aber keiner schien ihr edel, schön und gebildet genug. Sie war Liebhaberin vom Romanenlesen, und ist's wohl auch heut noch. Wer weiß, auf welchen bezauberten Prinzen sie hoffte?«

»Wie kam sie denn zu dem Gideon?« fragte Jonas neugierig: »Meines Wissens hat der in keinem Fall das Pulver erfunden, ob er gleich meint, er habe den Witz scheffelweis eingeschluckt.«

Frau Wester zuckte flüchtig die Achseln: »Nun, vermuthlich kam der erwartete Prinz nicht. Jungfer Rosine kam den Vierzigern nahe, wenigstes zehn Jahre älter, denn der Goldschmied, als dieser von der Wanderschaft heimkehrte. Darum kam er ihr ganz annehmlich vor. Nur gegen seinen unpoetischen Namen hatte sie vielleicht auszusetzen. Herr Kürbis konnte ihn jedoch so wenig ablegen, als sie ihr Gesicht. Außer ihrem väterlichen Gut, brachte sie ihm noch eins der größten und schönsten Häuser am Schloßplatz zu, das sie aus der Erbschaft eines Oheims empfangen hatte. Sobald sie Frau vom Hause ward, mußten Kammerjungfer, Köchin, ein eigener Kutscher mit Chaise und zwei prächtigen Pferden angeschafft werden. Es geht da hoch her. Ihr werdet ihn kaum wieder erkennen.«

Jonas schüttelte den Kopf und sagte: »Es macht mir bang, den Gideon heimzusuchen; und thät' es doch gern. Aber Kupferkreuzer und holländische Dukaten klingen schlecht zusammen. Er ging schon, als Lehrbursch, auf Storchenfüßen; jetzt stelzt er wahrscheinlich auf Storchenbeinen einher.«


 << zurück weiter >>