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Wie scharf auch und bitter Meister Jordan von jeher über die unverständige Wirthschaft der Goldschmieds-Familie geurtheilt haben mochte; jetzt gedacht' er nicht länger der Thorheiten, durch welche so großes Unglück entstanden war. Gideon Kürbis wagte nicht mehr, sich öffentlich zu zeigen. Er war die Zielscheibe des Lästerns und Höhnens der gesammten Stadt geworden. Herren und Damen, denen er, in seinen guten Tagen, gute Tage gemacht hatte, die seine beständigen Gesellschafter und Freunde gewesen waren, thaten jetzt sehr unwillig, als hätte er sie beleidigt und betrogen. »Würden wir gewußt haben,« sagten sie: »daß es eigentlich so um ihn stände, daß er es so hirnlos triebe, wir hätten uns geschämt, einen Fuß über seine Schwelle zu setzen!« – Die, welchen er Geld entliehen, oder abgekaufte Waaren noch nicht bezahlt, und die nun ihren Verlust voraussahen, überhäuften ihn mit den ärgsten Verwünschungen, wie einen Erzbösewicht, der in's Zuchthaus gehöre. – Andre, denen sein Glück und Glanz bisher ein Dorn in den neidischen Augen gewesen war, machten sich tapfer über seinen Fall lustig, weil er nun tiefer, als sie selbst, im Koth lag. – Andre, die sonst seinen Geldstolz getadelt, ihm ein böses Ende prophezeit hatten, konnten jetzt nicht des Vergnügens satt werden, ihre eigene Weisheit zu preisen, und wie oft sie gesagt hätten: Hochmuth kömmt vor dem Fall.
Der arme, von aller Welt verlassene Kürbis, mußte nun natürlich sein schönes Haus verlassen und, was er irgend besaß, zur Verfügung der Gläubiger stellen. Aber Nachbar Jonas ging voll Erbarmens zu ihm, und sprach: »Meine Frau hat Euch ein zwar kleines, doch nettes Stübchen in meinem Hause bereitet. Kommt, wohnet bei uns und nehmet mit unsrer gewohnten Hausmannskost vorlieb. Wir sind ja alte Freunde und Nachbarn.« Gideon saß dumpf und stumpf da, brach bei diesen Worten in lautes Weinen aus, stand auf und folgte, ohne ein Wort über die Lippen bringen zu können, seinem freundlichen Tröster.
Es dauerte weit über ein halbes Jahr hinaus, ehe das verwickelte Schuldengeschäft entstrickt ward. Gideon erhielt vom ehemaligen Besitzthum nichts mehr, denn die wenigen Kleider, welche er am Leibe getragen hatte, als ihn Jonas bei sich aufnahm. Alles ward den Meistbietenden verkauft. Nur das große, leere Haus, und der weite Hof- und Gartenplatz dahinter, fand keine Käufer. Es war für Jedermann zu kostbar und prunkhaft. So blieb zuletzt jenen Gläubigern, denen die öden Gebäulichkeiten unterpfändlich verhaftet waren, anheimgestellt, nach Belieben darüber zu schalten. Zwar traten diese Herren oft mit einander zusammen, sich zu berathen. Keiner wollte verlieren, und so wurden sie nie einig. Von dem entwichenen Notar Edwin vernahm man gar nichts mehr; eben so wenig von dessen Schwester Ida und dem polnischen Grafen.
Die Geschichte, nachdem sie sattsam genug an Thee- und Kaffee-, Wein-, Bier- und Branntwein-Tischen durchgeschwatzt war, wurde vergessen. Andre Vorfälle kamen unterdessen an die Tagesordnung, die neuen Stoff zur Unterhaltung boten.
Das meiste Aufsehen und Geräusch in der Bürgerschaft machte die fürstliche Einberufung von den Zunftmeistern sämmtlicher Handwerker im ganzen Lande. Sie mußten sich auf dem Stadt-Rathhause zu Altenheim versammeln. Niemand konnte errathen, zu welchem Zweck? Auch Meister Jonas Jordan durfte dabei nicht fehlen.
In der neugierigen und zahlreichen Versammlung der Meister erschien der geheime Kabinetsrath, Graf von Salm. In langer und wohlgesetzter Rede sprach er von der väterlichen Fürsorge des Landesfürsten und dessen hohem Wohlwollen gegen seine treuen Unterthanen überhaupt, wie insbesondere auch gegen den edeln Handwerksstand. Dann eröffnete er, aus Auftrag Sr. Durchlaucht, die Frage zur gemeinsamen Berathung: Wie das Gewerbwesen im Lande wieder in bessern Flor und Aufschwung gebracht werden könne, indem die Handwerker überall in sichtbar fortschreitenden Verfall gerathen seien? Dem müsse nothwendig, zum allgemeinen Besten, abgeholfen werden. – (Die ganze Versammlung äußerte, bei diesen Worten, stillen Beifall. In jedem Gesichte that sich schon frohe Lust kund, guten Rath mitzutheilen.) – In Frankreich, in der Schweiz, in Preußen, in andern Staaten, hieß es in der Rede weiter: wäre das bisherige Zunftwesen aufgehoben und statt dessen Gewerbsfreiheit eingeführt. Frage bleibe, ob solches im hiesigen Fürstentum, und unter welchen Bedingungen, thunlich sei? – (Fast in sämmtlichen Gesichtern der Zunftmeister las mau Bestürzung und hohe Unzufriedenheit.)
»Wenigstens ist so viel gewiß, meine Herren,« sagte der Kabinetsrath am Schlusse seines Vortrages: »daß Zünfte und Gilden, welche vorzeiten, als noch leibeigene Knechte und Mägde für ihre Herrschaften das Nötige verfertigten, durch ihre Einrichtungen die Gewerbe verfeinerten und künstlicher machten; ich sage, daß solche Zunft- und Gilden-Einrichtungen nicht mehr das Gleiche in unsern Tagen leisten können. Denn durch Fortschritt der Künste und Wissenschaften, ist eine Menge neuer Gewerbe, mechanische Kunstanstalten und Fabriken emporgegangen. Die Handwerke kommen entschieden dabei zu kurz, weil sie unvermögend sind, mit jenen in Güte, Zierlichkeit und Wohlfeilheit der Waare zu wetteifern.«
»Sollen, können wir die Einfuhr besserer fremder Artikel verbieten? Sollen wir unsern Handwerkern das Monopol und Vorrecht geben, allein dergleichen Arbeiten zu verfertigen, und hinwieder die gesamt Bevölkerung zwingen, ihnen solche abzukaufen? Das wäre Ungerechtigkeit gegen Alle, zu Gunsten weniger Einzelnen. Das Publikum ist nicht für Handwerker vorhanden, sondern Handwerker sind für das Publikum da.«
»Meine Herren, es haben sich die Zeiten und gesellschaftlichen Zustände gewaltig geändert. Vor Alters waren die meisten Landbauer auch noch leibeigene Knechte und Mägde. Heutzutage aber haben sie gleiche bürgerliche Rechte und Pflichten, wie die Städter. Ein Handwerker kann jeden Tag, wenn er Lust und Vermögen dazu hat, die Profession verlassen, und Landwirth werden. Warum soll nicht ein Landwirth eben so gut in seinem Dorfe ein Handwerk, oder anderes Gewerb treiben dürfen, wenn er Lust und Geschicklichkeit genug dazu besitzt?«
»Sind die Dörfer nur zur Bereicherung der Städte vorhanden? Sollen sie ihr Vieh, ihre Feldfrüchte dahin zu Markte führen, ihre Bedürfnisse da von Handwerkern und Krämern holen, um es den Städtern bequemer und wohlfeiler zu machen? Warum sollen Dörfer nicht ebenfalls, wenn sie es erforderlich glauben, Handwerker und Krämer haben?«
»Ich kenne alle Vorzüge und Vortheile, welche das Zunftwesen, ohne Widerspruch, noch heutiges Tages mit sich führt; aber ich kenne auch das Entbehrliche, Widerrechtliche und selbst Nachtheilige desselben in unsern Tagen. Es ist daher wohl eine ernste, für unser Vaterland wichtige Frage: was hier Zweckmäßiges zu wünschen und zu thun sei? Eine allerdings schwierige Aufgabe, die nur mit großer Umsicht und Vorsicht gelöst werden darf. Meine Herren, laut Befehl unsers gnädigsten Herrn und Fürsten leg' ich sie Ihnen zur Berathung vor. Ich fordere Sie auf, mir Ihre Ansichten darüber auszusprechen.«
Der geheime Kabinetsrath schwieg. Die Anwesenden schwiegen gleichfalls. Einige starrten verlegen vor sich nieder und dachten allerlei durch einander, oder dachten nichts. Andere sahen sich fragend an, als wollten sie des Nachbars Meinung aus dessen Gesicht hervorlesen. Vielen ward bei der anhaltenden, peinlichen Stille ganz bangmüthig. Sie rutschten her und hin auf den Stühlen.
Weil Niemand den Mund öffnete, indessen der fürstliche Abgeordnete erwartungsvoll dastand und seine Blicke, mit wachsender Ungeduld, bald auf diesen, bald auf jenen fallen ließ, heftete er zuletzt die Augen auf den Hofgürtler, dessen Redegabe ihm wohlbekannt war.
»Herr Zunftmeister Jordan,« sagte er: »ich lade Sie, als einen erfahrenen Mann, ein, Ihre allfälligen Gedanken über den Gegenstand äußern zu wollen.«
Jonas räusperte sich, erhob sich darauf etwas langsam vom Sitz und sprach: »Das ist ein kitzlicher Punkt, Excellenz. Man mag die Sache wenden, wie man will, sie hat rundum Stacheln, wie der Igel. Drum, merk' ich wohl, will Niemand anfassen. Ich verdenk' es Keinem. Denn, Exzellenz, es steht dabei viel auf dem Spiel, und Vorsicht ist besser, sag' ich, denn hintenher die Nachsicht. Freilich läßt sich sowohl Mancherlei dafür, als dagegen reden; beweist doch auch ein Pfarrer dem andern aus der gleichen Bibel das Gegentheil, von dem was er sagt. Daher, denk' ich, Eile mit Weile habe hier guten Platz. Man weiß, schneller Rath nur selten gerath! Mein unmaßgeblicher Vorschlag würde deshalb sein, diese bedenkliche Angelegenheit durch die hier versammelten Meister an ihre Zünfte gelangen zu lassen. Viel Köpfe zwar viel Sinne; aber man liest dennoch den besten Sinn aus allem Unsinn hervor. Guter Rath kömmt über Nacht. Most muß immer gegohren haben, eh' er Wein gibt.«
Die Zunftmeister nickten Beifall und Zustimmung. Niemand wollte nach ihm das Wort nehmen. So ward der Antrag des Hofgürtlers einmüthig zum Beschluß erhoben und die Versammlung aufgelöst.