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Mehr, denn drei Jahre lang, war Veit vom Vaterhause entfernt gewesen. Wie freute er sich, es wieder zu erblicken, und fortan Freude und Stütze seiner Aeltern zu werden, denen sich schon die Tage des Alters naheten. Jetzt noch standen sie in voller Kraft des Lebens, der Vater hoch in den Fünfzigern, die Mutter in den Vierzigern.
Bald endlich hielt ihn nichts mehr zurück. Das Geschäft der Auseinandersetzung mit Frau Bellarme war vollständig abgethan, sein gesammtes Vermögen in gute Wechsel verwandelt; der Koffer gepackt.
Da empfing er noch, wenige Tage vor der Abreise, einen Brief, der sein Gemüth in ungewöhnliche Bewegung brachte. Erstaunen, Schmerz und Mitleiden wechselten, während des Lesens in ihm. Der Brief kam aus einer kleinen Stadt am Rhein. Er kam von Ida, die sich noch Ida Kürbis unterschrieb, statt Gräfin Ida Zarinsky, wie man hätte glauben sollen. Es lautete darin folgendermaßen:
»Ich weiß nicht, o Unvergeßlicher. ob ich Du oder Sie sagen soll? Du nennt dich täglich mein Herz; Du nenne ich dich in den süßesten meiner Träume. Aber, wie ich von einem durchreisenden Herrn vernehme, der Sie kennt, der mir von Ihnen viel erzählen mußte, – Sie sind in hohem Wohlstand; Sie sind reich, und ich dürftig, verlassen, krank, der Verzweiflung und dem Grabe nah. Jener Betrüger und Verräther, jener Zarinsky, der mir Unschuld, Ehre, Vermögen und theuren Vater, der mir meine ganze Zukunft raubte, war ein lüderlicher Abenteurer, ein Komödiant, ein Spieler. Zu Prag ließ er mich, wenige Monden nach unserer Flucht von Altenheim, treuloser und diebischer Weise im Stich. Meine letzten Kleinodien, meine ganze Baarschaft nahm er mit sich. Wohin er damit gekommen ist, hat man nie erfahren. Eben so unbekannt ist mir das Schicksal meines Bruders geblieben. Er soll, heißt es, im Elsaß wegen eines Verbrechens, gefangen und nach Toulon auf die Galeeren geführt worden sein.«
»Nun sitz' ich trauernd da, eine reuige Sünderin in Thränen, eine büßende Magdalena! Ach, wie manche brave, aber eitle Bürgerstochter, die über ihren Stand hinauswollte, wie ich, ließ sich durch Schmeicheleien und Schwüre vornehmer junger Herren verblenden und verführen! Ach, hätt' ich, edler Freund, Ihren Winken gefolgt! Hätt' ich einen ehrlichen, fleißigen, wenn auch armen Handwerksmann geheirathet, jetzt würd' ich eine glückliche Hausfrau sein. Freilich, meine lieben Aeltern – – Doch nein, ich will sie nicht anklagen. Ich trage alle Schuld. O hätt' ich dich, du Liebling meiner Kindheit, du noch immer der Engel meines Lebens – – aber ich darf nicht. Ich will schweigen. Mein Himmel ist verloren.«
»Und dennoch wend' ich mich im Kummer eines zerrissenen Herzens noch an Sie, Engel meiner Kindheit; an Sie, den das Glück wunderbar begünstigt hat. Helfen Sie mir. Ich wohne hier im Städtchen bei einer frommen, ehrwürdigen Matrone, Madame Schlakker, die sich meiner mütterlich angenommen hat. Sie will mich in ein wohlthätiges Frauenstift einkaufen, wo ich meine Tage in frommen Uebungen der Andacht, und von der sündigen Welt abgeschieden, leben könnte. Nur fehlen mir noch zur Einkaufssumme 1000 fl. – Helfen Sie der armen Ida, die Sie einst Ihre Ida nannten. Sie sind reich. Bist du aber auch noch der gutherzige, zärtliche, liebenswürdige Veit von ehmals? O, verlaß mich nicht in meiner Noth! Antworte mir!« – –
Der Brief war noch länger. Er schloß mit Klagen und Gebeten zu Gott. Einige leichte blasse Flecken auf dem Papiere schienen der Nachlaß dabei geweinter Thränen zu sein. Veit, nach kurzem Ueberlegen, entschloß sich, ihr, die doch die Liebe seiner frühern Jahre gewesen, und nun durch Hochmuth der Aeltern und eigenen Leichtsinn eine der Unglücklichsten ihres Geschlechts geworden war, Hülfe zu bringen. Statt ihr die verlangte Summe durch die Post zu übersenden, zog er vor, einen kleinen Umweg auf der Reise zu machen, die Unglückliche selbst noch einmal zu sehen, und, genauer von ihren gegenwärtigen traurigen Verhältnissen unterrichtet, ihr ein erträgliches Loos für die Zukunft zu bereiten.
Mit diesem menschenfreundlichen Vorsatz reiste er nach Paris, um der Frau Bellarme einen Abschiedsbesuch zu geben, den sie aber abwies. Darauf ging er über den Rhein nach Deutschland.
Sobald er das von Ida bezeichnete Städtchen erreicht hatte, begab er sich, obgleich es schon spät am Tage war, in die Wohnung der Dame Schlakker. Es war dies ein altes zusammengeschrumpftes Mütterchen, welches in ihrem von allerlei Dünsten durchdufteten, kleinen Kramladen saß, Tabak, Käse, Butter, Theer, Oel und Kerzen feil zu haben. Er hatte sich von der »frommen, ehrwürdigen Matrone« eine ganz andere Vorstellung gemacht.
»Was geht mich das lüderliche Weibsstück an?« fuhr sie belfernd auf, sobald er den Namen Ida Kürbis nannte: »Ich habe die Dirne längst aus dem Hause gejagt. Sie ist mir zur Stunde noch sieben Gulden fünfzehn Kreuzer schuldig. Ich habe aber Arrest auf ihren Lohn legen lassen. Ich bin eine ehrliche Frau, und dulde bei mir im Hause keine Schandwirthschaft. Packen Sie sich, Herr. Suchen Sie die wüste Kreatur anderswo.«
Der arme Veit war nicht wenig über einen so unhöflichen Empfang und über dergleichen harte Aeußerungen gegen die schöne Tochter des Herrn Gideon betroffen. Er blieb jedoch gelassen: vermuthete bloßes Mißverständniß und versuchte sich deutlicher zu erklären. Allein die mürrische Alte fertigte ihn kurz ab, und deutete mit der dürren Hand auf die Hausthür, indem sie sagte: »Ist Ihnen an der Mamsell so gar gelegen, dann suchen Sie sie in ihrer Wohnung beim Schneider Läpplein in der stänkrigen Rosengasse auf. Jetzt aber ist sie nicht zu Hause, sie spielt diesen Abend auf dem Theater.«
Mehr erfuhr er nun nicht. Er konnte, was er gehört hatte, durchaus nicht glauben. Es stand in zu rohem Widerspruch mit dem Briefe, welche ihm Ida, die »büßende Magdalena«, geschrieben. Er ging verlegen und verdrossen durch die Gassen, und ließ sich den Weg zum Theater zeigen, wo eine Bande wandernder Schauspieler dem genügsamen Publikum der Stadt ihre Kunststücke zeigte. Er kam noch zum letzten Aufzug und sah gleich bei seinem Eintritt ein junges auf der Bühne herum hüpfendes Mädchen, welches in der fröhlichsten Mode-Unschuld dem zankenden Oheim gestand, statt eines Anbeters ein volles halbes Dutzend zu haben. So wenig Veit, eine Stunde vorher, im Laden der ehrwürdigen Käsekrämerin, seinen Ohren geglaubt hatte, eben so wenig verließ er sich jetzt auf seine gesunden Augen. Er drängte sich der Schaubühne näher. Aber die im Flitterputz Umhergaukelnde – sie war es, sie blieb es. Das Herz zog sich krampfhaft in seiner Brust zusammen.
Er erwartete die Komödiantin, nach Beendigung des Stücks, am Ausgang des Gebäudes. Denn sprechen wollte er sie. Aber als sie erschien, vertrat ihm ein dicker Dragoner-Offizier den Weg. Der Offizier blieb an ihrer Seite, und zog sie endlich, nachdem sie einigen Widerstand geleistet, mit sich in ein Haus. Voller Entsetzen, Bekümmerniß und Abscheu, begab sich Veit in seinen Gasthof. Er verlangte nicht weiter, die Entehrte, die Tiefgesunkene zu sprechen.
Und doch, andern Morgens, änderte er den Sinn. Es war ja noch Möglichkeit, das unglückliche Geschöpf vom gänzlichen Seelenverderbniß zu retten. Selbst jener Brief, wenn auch aus Lügen und schönen Worten zusammengesetzt, schien noch auf solche Möglichkeit hinzudeuten. Er wollte ihre Schulden bezahlen und sie überreden, mit ihm nach Altenheim und in die Arme ihres Vaters zurückzukehren.
So suchte er ihre Wohnung auf. Er trat in ihr Zimmer, wo er sie in nachlässig umgeworfenen, schmutzigen Nachtkleidern, beim Auswendiglernen einer ihrer Rollen, fand. Sie sprang bei seinem Anblick erschrocken auf und starrte ihn einige Augenblick sprachlos an. Doch faßte sie sich bald, eilte ihm mit schauspielerhafter Begeisterung entgegen, umschlang mit beiden Armen seinen Nacken und rief: »Süßer Junge! Du selber? Gott, welche Seligkeit!«
Er schob sie sanft von sich und betrachtete sie eine Zeit lang voll stummen Mitleids. Die Jugendfrische war von ihr gewichen. Aus den eingesunkenen Augen leuchtete nur noch leichtfertig-frecher Sinn. Die Züge des bleichgelben Gesichts waren noch die ehemaligen; aber von wüster Lebensweise schärfer gegraben und entstellt; die weiland blühenden Rosenwangen etwas hohl und deren sonst glatte, zarte Haut, vom Bleiweiß, oder anderer Schminke zerfressen.
»Arme Ida!« seufzte er endlich: »wie verwandelt find' ich dich wieder! Nein! Dich so zu erblicken, hab' ich nicht erwartet.«
»Nicht wahr?« erwiederte sie, und ließ mit einem Seufzer den Kopf klagend zur Seite niederhangen, als bemitleide sie sich selber: »Nicht wahr? Auch mein Aeußeres hat sich sehr verändert? Ja, ich bin schwer von Gott gestraft.«
»Am Aeußern wäre wohl wenig gelegen, antwortete er mit trauerndem Ernst: »Auch Krankheit, auch Jahre konnten das verderben. Aber, Ida, du hast mehr als den vergänglichen Schmuck der Jugend verloren. Du hast deine Ehre verloren, armes Mädchen, und mit ihr die Scham. Du überließest dich einem Verführer, und wolltest selbst mich verführen. Du hast deinen armen Vater in der Noth verlassen und vergessen, und ziehst nun umher in der Welt, heimathlos; bietest Wüstlingen, wie gestern Abend dem Dragoner, Ueberbleibsel der zerstörten Reize feil. Du lebst also gewissenlos und reuelos in Ausschweifungen fort, dich und Alle betrügend. Selbst dein Brief, in dem du mich um Beistand anriefst, und dessentwillen ich hieher eilte, war, wie ich seit gestern erfahren, Heuchelei. Ich, dessen Abgott du einst warst; ich, der dich nie vergessen konnte, ich, der . . .«
»Höre auf mit deinen Vorwürfen!« rief sie, indem Thränen in ihre Augen traten: »Ich weiß es, ja, ich habe gegen dich gefehlt. Sei wieder, wie sonst, mein guter, lieber Junge. Hätte ich vermuthen können, daß du dich selber hieher bemühen würdest, ich würde nicht das geschrieben. sondern gerade herausgesagt haben: Hilf mir. ich bin arm, wie eine Kirchenmaus; stecke bis über die Ohren in Schulden; habe kein Reisegeld, nicht einmal die nothdürftige Garderobe, um bei einer bessern Schauspielergesellschaft Engagement zu suchen. Nein, nein, nein, du, guter Veit, beurtheilst mich hart, sehr hart. Aber Unglück über Unglück, wie ich erfahren habe, . . .«
»Das eben ist das Schreckliche,« unterbrach sie der junge Mann: »daß selbst die Gewalt des Unglücks dir nicht Muth, nicht Kraft zu edlerer Erhebung geben konnte: selbst die Gottesstrafe an dir fruchtlos verloren ging!«
»Predige nicht,« entgegnete sie, ihn schelmisch anlächelnd: »Ich weiß deine schönen Sachen alle auswendig, du kennst aber meine Geschichte nicht ganz. Setz' dich ein wenig zu mir, höre mich an. Ich will dir Alles ehrlich erzählen, und du wirst anders von mir denken lernen.«
Sie zog ihn mit der Hand zu sich auf ein halb zerrissenes Sofa, von welchem sie in der Geschwindigkeit einige Kleider und unreine Wäsche weggeräumt hatte. Dann erzählte sie, mit geläufiger Zunge, bald weinend, bald lachend, wie es der Text eben mit sich brachte, von ihren Abenteuern und Erlebnissen. Das Wesentliche davon war: Sie sei aus Furcht vor den Folgen ihres unvorsichtigen Umgangs mit dem Zarinsky, und weil sie deutlich den Bankerot ihres Vaters vorausgesehen, mit dem schlauen Verführer entflohen. Beide wären, als Eheleute, gereist, als vornehme Herrschaft, mit männlicher und weiblicher Dienerschaft, bis das Geld zu Ende gegangen. Dann, statt auf die polnischen Güter zu gehen, habe ihr Zarinsky die Wahrheit gestanden, er sei kein Graf, sondern Schauspieler von Profession. Nur Liebe habe ihn vermocht, sie so lange zu täuschen. Beide hätten endlich Aufnahme bei einem deutschen Theater gefunden. Zarinsky sei in seinen Rollen, wie an den Spieltischen, glücklich gewesen; gegen sie selbst sehr artig, nicht einmal eifersüchtig. Er selber habe ihr reiche Anbeter zugeführt, die von ihr schön gepflückt worden wären. Als er sie endlich in Prag um ihre paar Diamanten und Geldbörsen betrogen und bestohlen und sie heimlich verlassen, sei ihr natürlich nichts anders übrig geblieben, als von guter Herren Gunst zu leben und von einem Theater zum andern zu gehen. Sie habe, sie müsse es gestehen, dennoch auch angenehme Zeiten gelebt; viele Freunde gehabt; bis sie von einer häßlichen Krankheit heimgesucht, nach langsamer Genesung, in die dürftigsten Umstände gerathen sei. Und in diesen befinde sie sich leider noch jetzt.
Veit hörte die ekelhaften Geständnisse mit um so größerm Widerwillen, weil sie ihre bisherige Lebensweise nichts weniger, als bereute, sondern die Schule ihres Elends und ihrer Vergehungen, auf Niederträchtigkeit der Männer und auf ihr unverdientes, widerwärtiges Schicksal warf. Sie habe, meinte sie, nicht anders in ihrer Lage handeln können. »Nicht wahr, mein süßer Junge,« schloß sie ihre Rede: »Du rettest diesmal deine Ida aus der Noth? Ja, ich bin noch deine Ida! Könnt' ich dir nur noch gefallen. Wie bist du so kräftig, männlich schön geworden! Du Schelm, du hast gewiß indessen auch dein paar Dutzend Pariser Göttinnen gehabt!«
Sein Gesicht verfinsterte sich bei ihrer Frechheit. Er stand auf und sagte mit strengem Ton zu ihr: »Rede nicht mit mir die Sprache einer feilen Dirne. Ich erkenne dich nicht mehr. Willst du gerettet sein: werd' ich dich retten. Ich nehme dich mit mir nach Altenheim, zu deinem Vater. Wir werden für deinen Unterhalt dort sorgen; dir Gelegenheit zu ehrlichem Erwerb verschaffen; du wirst wieder . . .«
»Halt ein!« fiel sie ihm mit höhnischem Lächeln ins Wort: »Das fehlte mir noch! Unter Philistern und Spießbürgern zur Schau ausgestellt werden; wohl gar Küchenmagd, oder Schneiderin werden! Geh, geh, daraus wird nichts! Muthe mir nicht zu, eine Künstlerin in solchem Grade zu erniedrigen. Lieber verhungern, mein gottesfürchtiger Kapuziner!«
»Beklagenswürdiges Geschöpf!« rief er: »Du stehst niedriger und verworfener, als das ärmste Bettlermädchen, welches noch Schamgefühl, Unschuld und Ehre bewahrt hat.«
»Mein schöner Herr,« erwiederte sie und klopfte ihm leise auf die Wange: »werden Sie nicht böse, wenn ich mich der Ehre schäme, die Sie mir mit Ihrem Vorschlag verschaffen wollen. Nein, Veit, nein, holder Junge, sei nicht böse! Ich weiß, du bist eine liebe, ehrliche Haut, und kannst mich nicht im Stich lassen. Auf einige Hundert Gulden kömmt's dir nicht an. Du bist reich und alte Liebe rostet nicht.«
Mit diesen Worten schmiegte sie sich liebkosend ihm an, und ihre Lippen nahten sich den seinigen. Er aber entzog sich ihr mit Grausen; warf zwei Goldstücke auf den Tisch, und sagte, indem er zur Thür hinausging: »Du bist verloren! Auch nicht einmal so viel bist du werth.«
Sie rannte ihm nach und schrie ärgerlich: »Du Filz, behalt' dein Almosen! Was soll mir der Quark?«
»Du wirst noch geringere Almosen vor den Thüren mit Thränen suchen!« rief er zurück und ging.