Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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26. Ueberraschung um Ueberraschung.

Diese Rastlosigkeit, mit Sachkunde und umsichtiger Klugheit verbunden, blieb nicht ohne Erfolg. Er war nach kurzer Zeit im Stande, jedem im Fürstentum, der kleine Gußwaaren zu eigenem Gebrauch oder zum Handel bedurfte, deren zu liefern, feiner und stärker gearbeitet, dennoch mäßigern Preises, als man sie bishin aus entfernten Orten erhalten hatte. Am Ende des ersten Jahres empfing er sogar Bestellungen von ihm bekannten auswärtigen Handlungen und goß er schon, für eine benachbarte Dorfgemeinde, die erste Kirchthurmglocke.

Der junge Meister hätte wohl zufrieden sein sollen; und doch war er's nicht; und immer weniger, als er sich aus dem gröbsten Wirrwarr der Geschäfte und Sorgen hervorgearbeitet, Allem in fester Ordnung geregelten Gang gegeben hatte, so daß ihm wieder manche Mußestunde frei blieb. Er hätte sie lieber mit ganz andern Dingen, als nur mit oft überflüssiger Beaufsichtigung seiner Angestellten, ausgefüllt. Denn die Pläne, mit welchen er nach der Vaterstadt zurückgekehrt war, hatte er sich von ziemlich hochfliegender Art geschaffen. Dahin gehörte unter andern, sich nicht mit des Vaters Sonntagsschule zu begnügen, sondern eine großartige Gewerbschule für Künstler, Fabrikanten und Handwerker zu gründen, wie er sie in Paris, München, Karlsruhe und andere Städten bewundert hatte.

Darauf mußte er nun leider verzichten. Denn er hatte auf Unterstützung vom alten, guten Fürsten von Altenheim gezählt, bei welchem Vater Jordan wohl angeschrieben stand. Allein der Fürst lebte nicht mehr. Schon anderthalb Monate vor Veits Ankunft, hatte ihn ein Schlagfluß zu den Leichen seiner durchlauchten Vorfahren im Erbbegräbniß versammelt. Der neue Regent, ein Neffe des Verstorbenen, der bisher im Heerdienst einer auswärtigen großen Macht eine Oberbefehlshaberstelle bekleidet hatte, schien zu einer fast überstrengen Sparsamkeit geneigt. Dieser vereinfachte deswegen die Behörden, und ihre Geschäfte; verminderte die Menge der Beamten; verringerte den kostspieligen Uniformprunk des Militärs; ja, beschrankte sogar Feste, Bälle und allen Aufwand des Hofes. Man sah ihn selten.

Er war, wie man sagte, unaufhörlich in seinem Kabinete thätig; oder auf Bereisung der Städte und Dörfer seines Landes, wo er sich um deren geringste Zustände, Bedürfnisse und Einrichtungen erkundigte. Geld zusammen zu scharren, oder nicht außer Landes laufen zu lassen, belegte er Branntweinbrennereien und Branntweinschenken mit unverhältnismäßig schweren Abgaben; sogar Verfertigung und Verbrauch dieses Getränks in und für eigene Haushaltungen. Er untersagte alle Glücksspiele und Lotterien im Lande, indem sowohl die entdeckten Kollekteurs, als Käufer von Loosen mit schweren Geldbußen bestraft wurden; ungerechnet andere dergleichen Anordnungen, die er, gleich beim Regierungsantritt, vornahm. Das machte der Mißvergnügten viele im Lande.

Einer derselben war, wie gesagt, nun auch Veit, obwohl er weder Branntwein noch Glücksspiel liebte.

»Es thut mir sehr leid, den schönen Gedanken aufgeben zu müssen!« sagte er eines Tages zu seinem Vater, mit dem er nach dem Mittagessen vor den Gießereien und Schmieden im Hofplatz auf und ab zu gehen pflegte: »Die Anlagen hier, welche sich gar nicht mit denen von Bellarme vergleichen lassen, haben mir dennoch bedeutendere Kosten verursacht, als ich geglaubt. Es bleiben mir von allem Gewinn und allem in London und Paris Ersparten nur noch wenige Tausend Gulden übrig.«

»Ich glaub's!« erwiderte Meister Jordan bedächtig mit dem Kopf dazu nickend: »Wer sich Eierkuchen backen will, muß freilich auch dazu seine Eier zerschlagen. Ich kann dir nicht helfen, bin ein Habenichts, aber froh, nach und nach die Schuld für das Kürbis-Haus, bis auf eine Kleinigkeit, abgetragen zu haben.«

»Aber Herzensvater, was meinst du? Soll ich mich an unsern neuen Fürsten wenden? Oder was erwartet, was hofft man eigentlich von ihm? Die Urtheile über ihn widersprechen sich zu sehr.«

»Nun, Kind, in Hoffnung schweben, macht ja süßes Leben! Er wenigstens hat es nicht an schönen Verheißungen in seinen gedruckten Proklamationen fehlen lassen, die bei seinem Einzug, an alle Straßenecken gekleistert, zu lesen waren. Nun denn, wir wollen die goldenen Zeiten abwarten. Alle Kirschbäume hängen im Frühjahr voller Blüthen; kömmt man aber nachher, die versprochenen Kirschen zu holen. zieht man mit leerem Korbe heim. Schlag' dir das vor der Hand aus dem Sinn. Ich wollte dir eigentlich heut von ganz andern Dingen reden.«

»Und doch, lieber Vater, und doch wär' es für unser gesammtes Land das wohlthätigste Unternehmen. Unsre Handwerker, ich überzeuge mich täglich mehr, gehen immer abwärts. Es wird noch dahin kommen, daß man ihre schwierigsten Arbeiten mit Maschinen verrichtet, schneller als mit den fertigsten Händen.«

»Hast Recht, Veit. Vorzeiten konnte man sagen: Handwerk hat goldnen Boden! Heut heißt's: Handwerker müssen Kunstwerker werden, sonst stehen die Fabriken auf goldnem Boden und die Handwerker im Koth. Dein Ziel ist gut und löblich; behalte es nur fest im Auge!«

»Ich halte es fest,« entgegnete der junge Mann mit Begeisterung: »Aber ich bedarf zur Ausführung der guten Sache einer mächtigen Stütze!«

»Freundchen, eigne Beine sind die besten Stützen,« versetzte der Vater: »an Krücken hinkt man, und wären sie von Elfenbein oder Mahagoni. Glaub' mir's! Sei lustiger Dinge. Damit dir auf dem langen Wege zum Ziel aber die Füße nicht ermüden und du den Muth verlierst, nimm dir noch zwei gesunde Beine dazu. Das ist mein Rath. Zum Beispiel Christianens Füße; ich weiß, sie gibt sie dir gern, und du hättest sie gern. Das haben wir längst bemerkt, Mutter und ich.«

Bei diesen sehr unerwarteten Worten stand Veit stumm da, mit einer Glut, wie vom Wiederschein seiner Schmelzöfen übergossen. Dann ergriff er tiefbewegt und heftig des Vaters beide Hände und rief:

»Herzensvater, ist's dein reiner Ernst? Ist er's wirklich? Du und die Mutter äußerten immer und immer, ich müße für mein Geschäfte ein reiches Mädchen suchen; darum, nur darum fürchtete . . .«

»Aber ist Christiane,« fiel ihm der Alte in die Rede: »ist sie nicht die reichste Bürgerstochter der ganzen Stadt? Welche von Allen darf sich ihr an Vermögen und Reichthum des Geistes und Herzens, Kenntniß und Ameisenfleiß, schöner Demuth und tugendhafter Hoheit gleichstellen?«

Veit wollte eben in das Lob einstimmen, sein Entzücken aussprechen, als die Unterredung durch eine neue Ueberraschung abgebrochen wurde. Einer der Arbeiter kam eilfertig herbeigesprungen, und meldete, daß dem jungen Herrn Jordan von einigen Offizieren nachgefragt werde.

Wirklich traten drei Personen in den Hof, zwei in Uniform, welche den Rang höherer Artillerie-Offiziere andeutete; der dritte in bürgerlicher Kleidung, schwarzem Frack und rundem Hut. Meister Jonas zog sich zurück; sein Sohn ging unmuthig und verdrossen den Kommenden entgegen. Einer der voranschreitenden Offiziere sagte, indem er auf den Herrn im Frack zurückwies: »Seine Durchlaucht, der Fürst, verlangt Ihre Gießereien zu besichtigen.«

»Der Fürst?« stammelte Veit etwas bestürzt, warf einen ängstlichen Blick auf sein Schurzfell, seine aufgestreiften Hemdärmel und die nackten, rußigten Arme. Sein Auge suchte den Fürsten. Da trat ihm der wohlbekannt Graf von Königsfelden entgegen und sagte: »Richtig! Sie sind es selbst! Kennen Sie mich noch? Der Graf von Königsfelden erlaubte sich, Sie auf jener Landstraße ein wenig zu belügen.«

»Ihre Durchlaucht wolle geruhen . . .« stammelte der verlegene Glockengießer: »Mein Anzug in diesem Augenblick . . .«

»Possen!« unterbrach ihn der Fürst: »Schurzfell und Arbeitskittel ist des Handwerkers wahre Galakleidung. Darin darf er würdig vor jedem König stehen! Ich bin Ihr alter Schuldner, . . . wissen Sie noch, die Brieftasche? – Ich möchte abzahlen. Sie sind Stückgießer. Ich habe fürs Zeughaus eine Batterie Achtpfünder nöthig. Darüber werden diese beiden Herren mit Ihnen ausführlicher sprechen. Der alte Professor der Physik am Gymnasium hat mir von Ihren Plänen gesprochen; mir Ihren Entwurf zur Gründung einer höhern Gewerbschule mitgetheilt. Trotz aller im Lande bestehenden Gewerbsfreiheit, mein Freund, dürfen Sie mir so wenig, als ich Ihnen, ins Handwerk fallen. Ich treibe mein Regenten-Metier gerne selbst. Aber Ihr Rath wird mir lieb sein. Künftig mehr davon! Ich werde Sie zu mir rufen lassen. Jetzt führen Sie mich in alle Ihre Werkstätten umher. Ich weiß, Sie geizen mit der Zeit; ich ebenfalls.«

Damit schritt er vorwärts, ohne Antwort zu erwarten. Veit, ganz verblüfft von Allem, was er vernommen, folgte. Er gewann erst wieder Sprache und Fassung, als er dem wißbegierigen Fürsten über Verfertigung der mannigfaltigsten Waaren hundert und hundert Fragen beantworten mußte. Der Besuch dauerte einige Stunden. Der Fürst äußerte Zufriedenheit. Als dieser endlich die geräumigen Anlagen verließ, nahm er den Sohn des Gürtlers beiseite und sagte:

»Junger Mann, ich danke Ihnen. Sie sind im Besitz von mehr Kenntnissen, als ich erwartete, und von gemeinnützigern Gesinnungen, als Viele, die höher stehen. Ich werde Sie gebrauchen. Bisher hab' ich in Verwaltung meines Landes, wie billig, nur Schutt weggeräumt, altes Flickwerk abgerissen. Jetzt bin ich daran, neu zu bauen. Wir sprechen uns weiter. Ich werde Sie zu mir rufen lassen. Wegen der Batterie wenden Sie sich an die beiden Artillerie-Obersten. Die polytechnische Schule ist aber meine Sache, sag' ich Ihnen.«

Hiemit empfahl er sich.


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