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Salzburg, Kapuzinerberg 5
29. III. 1920
Mein lieber Frans,
Ich war sehr glücklich mit Deinem Brief. Das Leben ist so ekelhaft, daß man vorzieht in der Sicht seiner Freunde zu leben. Du hast keine Vorstellung von der Depression, die hier aus jedermanns Mund hervorgeht wie ein übler Geruch. Die guten Leute haben endlich angefangen zu begreifen, daß man nach einem verlorenen Krieg sehr, sehr arm wird und diejenigen, die die ganze Zeit das Doppelte und Dreifache ihres Gehalts bezogen haben, wundern sich, wenn sie sehen, daß die Preise sich verhundertfachen. Mein Freund, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man lachen: Du gehst in einen Laden um einen Bleistift zu kaufen; er kostet drei Kronen. Zwei Tage später gehst Du in den gleichen Laden um den gleichen Bleistift zu kaufen, und er kostet bereits 12 Kronen. Ein Brief in die Schweiz wurde mit einer 25 Heller Marke frankiert; seit einem Monat ist das Porto auf eine Krone gestiegen und vom nächsten Monat an wird es zwei Kronen sein. Du kannst wohl verstehen, daß die Leute verrückt werden. All das ist zu schnell gekommen für ihre dummen Köpfe – ich hab's bereits seit zwei Jahren vorausgesagt!
Trotz allem, mein lieber Frans, würde Dir das Leben hier ungemein gut gefallen. Die Ernährung ist natürlich wenig zufriedenstellend, aber man bescheidet sich. In Deutschland ist man besser dran, nur fürchte ich, daß Du schwer Unterkunft finden wirst, wenn Du Dich in München niederlassen willst. Alles ist voll, die Leute warten ganze Monate und man ist übermäßig streng, besonders mit Ausländern. Aber die Idee ist ausgezeichnet. Du wirst sicherlich in Deutschland ungeheuer viel zu tun finden und Du wirst sehr bekannt werden, sowie Deine Bücher im Insel-Verlag und bei Kurt Wolff erschienen sind. Nur weiß ich nicht ob der Verkauf von Büchern und besonders von illustrierten Büchern weitergehen wird; sie sind bereits jetzt furchtbar teuer. Und überdies, was für Schwierigkeiten! Es wird noch eine Weile dauern bis ›Zwang‹ herauskommt, in Leipzig fabrizierten sie Barrikaden anstelle von Bucheinbänden. Gott weiß wann die Ordnung wieder hergestellt sein wird. Für uns wäre es natürlich das größte Glück Dich in München zu wissen, denn wir sind nur zweieinhalb Stunden von dort entfernt und man könnte sich oft sehen. Vielleicht könntest Du Dich auf dem Land niederlassen, ein oder zwei Stunden von München weg, um dort ein friedliches Landleben zu führen und nur ein- oder zweimal im Monat in die Stadt gehen. Auf alle Fälle komm, um das Terrain auszukundschaften, und wenn Du über München kämst, würde ich die Reise machen um Dir zu helfen und Dich zu uns zu führen.
Du weißt, daß der Kongreß, der in Bern gehalten werden sollte, vielleicht hier stattfinden wird. Man wird sich vorher in der Schweiz treffen und ich würde mit Vergnügen hinkommen um Dich wiederzusehen, nur ist die Reise sehr, sehr teuer für uns. Es scheint, die guten Schweizer haben zu viele Geschäfte gemacht und ersticken in ihrem eignen Fett. Für Euch ist die Situation natürlich anders, da ihr von andren Ländern abhängt. Die Rettung für Dich wäre einen amerikanischen Verleger zu finden; ich bin augenblicklich in Verbindung mit einem, vielleicht kann ich etwas für Dich tun. Du könntest dort einen ungeheuren Erfolg haben, genug um Dir eine Reise um die Welt zu leisten, (diese schmutzige Welt, die man trotzdem sterblich liebt, die man bis in die Eingeweide umwühlen möchte mit Liebe und Zorn). Ich fürchte, daß die Situation für Jouve und Arcos schwieriger ist; was Dich betrifft, Du stehst gerade vor großem Ruhm. Widersetze Dich dem nicht aus falscher Bescheidenheit – mein lieber Frans. Ich habe meinen guten Instinkt bewiesen; ich habe den Erfolg von Verhaeren, von Rolland und manchen Anderen vorausgesehen. Ich bin Deiner sicher und ich bin sicher, daß Du Erfolg nie mißbrauchen wirst. Mein Lieber, dies ist ein langer Brief für einen Schriftsteller, der gezwungen ist ein oder zwei dutzend Briefe per Tag zu fabrizieren; möge er Dir meine Freundschaft bezeugen. Meine Frau erwidert die Grüße Deiner lieben Familie von ganzem Herzen. Wir sprechen so oft von Euch. Dein Bild ist auf unserem Schreibtisch und macht uns große Freude – aber nicht so viel wie das Original selbst machen würde! Ich umarme Dich, mein lieber Frans.
Stefan
›Zwang‹ wird im April herauskommen! Viele Grüße an die Freunde.
Salzburg, am 10. Juli 1920
Lieber Frans, Verzeih, wenn ich Dir deutsch schreibe und diktiere, ich habe jetzt etwas reichlich zu tun und die Korrespondenz beginnt mich allmählich ganz aufzufressen. Ich habe gestern an Dich das Manuskript von zwei kleinen Novellen geschickt, die noch nicht in Buchform veröffentlicht sind, die aber zu meinen wichtigeren Sachen zählen und von denen ich mich freue, daß Du nun die Handschrift besitzt. Du wirst daraus ersehen, daß ich so wie Du auch ein ziemlich fleißiger Arbeiter bin: ich hoffe, es Dir noch in diesen Tagen durch Zusendung eines neuen Buches zu beweisen, das schon erschienen ist, von dem ich aber nur noch nicht die Exemplare bekommen habe. Den »Zwang« erhoffe ich auch für die nächste Zeit, er ist schon lange ausgedruckt und wird nur besonders sorgfältig gebunden. Die Insel macht diese Sachen erstaunlich schön und auch der »Ewige Jude«, auf den Kippenberg besonders viel hält, wird sicherlich Deine Stellung in Deutschland sehr befestigen. Leider scheinen die guten Zeiten des Buchabsatzes bei uns vorbei. Während man bisher nicht genug Papier auftreiben konnte, um alles zu drucken, was die Leute kaufen wollten, hat jetzt infolge der ungeheuren Preise eine Art Streik der Käufer eingesetzt. Aber immerhin wäre sehr ernstlich zu erwägen, ob Du nicht von der Schweiz herüber übersiedeln solltest, für Dich hätte Deutschland ein viel weiteres Feld als Frankreich, und ich glaube, Deine künstlerische Stellung würde hier viel besser und früher anerkannt werden.
Das Blatt, das Du mir geschickt hast, finde ich ganz wunderbar. Du bist ja einen kolossalen Schritt weiter gekommen, und ich kann mich kaum erinnern, je in acht Blättern so viel Leben und Schicksal zusammengedrängt gesehen zu haben. Dieses Blatt ist irgendwie flämisch in seiner Kühnheit, in seiner dämonischen Freiheit, und Du kommst immer mehr zu den eigentlichen Quellen Deiner Kunst zurück.
Däubler habe ich dringend beauftragt, Dich aufzusuchen, er ist nicht nur einer unserer besten Dichter, sondern auch einer der ersten Kunstkenner. Ich kenne ihn persönlich nicht, aber ich weiß, wie viel er wert ist und hoffe, daß er auch für Dein Werk eintreten wird. Mein Buch über Rolland ist fertig, oder soviel wie fertig und erscheint gleichzeitig in England. Wir hoffen auf einen Holzschnitt von Dir, weil die Zeichnung für eine Reproduktion mir doch für zu intim scheinen will. Aber vielleicht gibst Du einmal eine eigene Portraitgruppe heraus, das wäre das schönste. Von unseren Freunden höre ich garnichts, außer einer Karte von Arcos und auf Umwegen, daß der kleine Sohn Jouves so krank war. Ich hielte für das beste, wenn er jetzt nach Frankreich zurückginge, wo eine so reine und leidenschaftliche Natur in der Literatur von äußerstem Werte wäre. Bei uns ist jetzt alles so wie bei Euch: der ideelle Zug in der Politik vollkommen niedergeschlagen, einzig Finanz- und Wirtschaftspolitik und diese von einer Torheit und Kleinlichkeit, daß man ihr am besten den Rücken dreht. Man gewöhnt es sich ordentlich ab, Zeitungen zu lesen und kehrt reuig zu seinen Büchern zurück.
Ich schreibe Dir bald wieder einmal ausführlich, für heute nur meinen innigsten Dank und viele Grüße für Deine Frau, Deine Tochter und Dich von meiner Frau und Deinem getreuen
Stefan Zweig
Salzburg, am 2. Juli 1921.
Lieber Freund!
Ich soll von der Salzburger künstlerischen Vereinigung, die hier eine große internationale Graphik-Ausstellung veranstaltet, Dir beifolgende Einladung übermitteln und das ist mir ein willkommener Anlaß Dir endlich zu schreiben, denn ich stehe schwer in Deiner Schuld.
Was die Einladung des »Wassermann« betrifft, so finde ich es natürlich lächerlich, daß sie jemandem im Ausland für eine Originalgraphik 1 000 Kronen – etwa 9 Schweizer Franken anbieten und ich kann das auch gar nicht ernsthaft Dir empfehlen. Du kannst ihnen allenfalls ein noch nicht veröffentlichtes Blatt dieser Größe im Abzug (aber nicht im Original) schicken und ruhig das doppelte und dreifache verlangen. Die Ausstellung selbst wird sehr schön und sehr besucht sein, es wäre eventuell zu erwägen, ob Du sie nicht beschicken sollst. Im Notfalle kann ich jedenfalls meine eigenen Privatexemplare Deiner Bücher dort zur Ausstellung bringen, damit du jedenfalls vertreten bist.
Aber nun von diesen ärgerlichen Dingen weg zu den Wesentlicheren! Ich schulde Dir einen Dank für Deine letzten beiden Bücher, bin aber momentan so ganz in vielfacher Arbeit verhackt und eingefangen, daß ich Dir mit bestem Willen nicht einen langen französischen Brief schreiben kann, sondern an Deine deutschen Sprachkenntnisse appelliere.
Deine »Souvenirs« haben mich sehr ergriffen. Wer so wie ich, Belgien einmal innerlich erlebt hat in allen seinen Formen, weiß wie prachtvoll Du das wesentlichste herausgeschnitten hast. Ich sehe ganz deutlich die Entwicklung, die Deine Kunst nimmt und muß Dir gestehen, daß ich eine zeitlang gegen das Simultane der Darstellung, gegen die Fülle von Gleichzeitigkeit auf jedem einzelnen Blatt, ein gewisses Bedenken hatte. Bei Deinen früheren Büchern, besonders in »Idee« faßte matt noch mit dem ersten Blick das Wesentliche und seinen Rhythmus zusammen.
In den spätem Büchern trägt sich das Auge erst allmählich einen – allerdings unermeßlichen Reichtum gleichzeitiger Details zusammen, meinem Gefühl widersprach das letztere schon der rein künstlerischen Wirkung und ich hatte das Gefühl, als hättest Du Dich trotz Deiner persönlichen Stärke ein wenig in die Pariser oder eigentlich internationalen theoretischen Experimente des sterbenden Expressionismus hineinreißen lassen. In diesen »Souvenirs« wiederum bist Du zu einer glücklichen Lösung gekommen, indem Du immer in das Zentrum klare Einzelerscheinungen setzt und das episodische gleichsam als Arabesken in den Hintergrund verteilst, womit Du Dich ja an die ältesten und besten flämischen Traditionen anschließt. Hier hast Du eine neue Lösung gefunden und bist wieder ein Stück weiter gekommen. – Ich verstehe, wie sehr Dir das gerade zur Gefahr wird, was die andern nicht kennen, nämlich unter einer Fülle der Formen, der Visionen, geradezu zu leiden. Für Dich ist es heute beinahe notwendiger fortzulassen als hinzuzuerfinden und ich bin überzeugt, daß Du da noch lange nicht am Ziele bist.
Ich habe schon lange Colin einen zusammenhängenden Aufsatz über Dein Werk versprochen, es drängt sich aber immer wieder viel eigenes dazwischen. Das wichtigste aber ist, den richtigen Schwung zu haben, und daß ich Dich wieder einmal sehe und ich erinnere Dich dringend und dringlich an Deinen versprochenen Besuch. Im Sommer kommt Jouve her – das ist gerade eine unglückliche Zeit, weil da viel Tumult und Unruhe herrscht, aber September und Oktober ist es herrlich und schön hier und Du würdest es nicht bereuen.
Ich hoffe, Du hast Rolland besucht. Ich fürchte, er ist jetzt sehr allein und ich weiß, daß ihm die Anwesenheit von Freunden jetzt sehr sehr wohltun kann.
Herzlichst Dein Stefan
[undatiert, vermutlich 1925]
Mein lieber Frans,
Ich danke Dir für Deinen lieben Brief – auch ich hatte große Lust Dir zu schreiben. Aber leider nimmt die Korrespondenz in einem erschreckenden Ausmaß zu und die Freude andrerseits nimmt ab. Ich bin oft der Literatur ein wenig müde; noch ein Buch und noch und noch eines und das Leben geht vorbei, die Jugend vergeht und man schreibt mehr und mehr Bücher! Wenn man einmal bewiesen hat, daß man gute Bücher schreiben kann, dann fehlt die beglückende Erregung und das Ganze wird zum Handwerk. Mein Lieber, es ist fast 25 Jahre – ein Vierteljahrhundert – her, seit ich meine ersten Verse veröffentlicht habe – und im Grunde meiner Seele hätte ich Lust, die Schriftstellerei beiseite zu lassen und zu reisen. Aber der Erfolg, die ›Pflicht‹ wird zur Kette, zur goldenen Kette, wenn Du willst – eine Freude für andere, aber ich (Du kennst mich), der ich nicht für einen Groschen Ehrgeiz und Stolz besitze, habe Sehnsucht nach meinem einstigen Leben, anonym, abenteuerlich, unstet und sorglos. Von allen Autoren, die ich kenne, bin ich vielleicht der, der seinen sogenannten Erfolg am meisten verabscheut. Ich glaube, daß Erfolg das Leben und den Charakter verdirbt und daß anonymes Leben das wirkliche ist. Ich hätte Lust, einen anderen Namen für mein Privatleben anzunehmen und eine neue Haut wachsen zu lassen.
Du bist einer der Wenigen, die mich verstehen. Die Anderen sagen mir, daß ich Erfolg habe und daß sie mich beneiden ohne zu wissen, wie sehr alles öffentliche Leben mich anekelt. Mein Lieber, wie wäre es, wenn wir wie zwei Jungens zusammen für vier oder sechs Wochen nach Spanien reisten, was hältst Du davon? Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und ich komme im Frühling.
Ich bin sehr neugierig, Deine Holzschnitte für das ›Liber Amicorum‹ zu sehen. Es wird sehr schön werden, dieses Buch, und ich bin stolz, diese Idee gehabt zu haben, die unseren Freund ehren wird (dessen Freundschaft eines der seltenen Dinge ist, an denen ich mit ganzer Seele hänge).
Da ich mit den verschiedensten Pflichten überhäuft war, habe ich vergessen, ›Ville‹ voraus zu bestellen. Wenn noch ein verfügbares Exemplar existiert, bitte den Herausgeber, mir eines von der gewöhnlichen Ausgabe zu schicken mit der Rechnung. Ich werde sie sofort begleichen. Ich arbeite augenblicklich an einem neuen Band Erzählungen, und ich bin dabei, eine Komödie vorzubereiten basierend auf einem alten und sehr schlechten englischen Lustspiel aus der Zeit Shakespeares. Es wird eine Posse sein, die das Geld verspottet, die, die es besitzen und die, die es verachten. Wenn dies gelingt, wird es sehr amüsant sein – auf alle Fälle amüsiere ich mich während der Vorbereitung. Sie enthält nicht ein Wort über Liebe, alles dreht sich um das Gold.
Ich bin ungeduldig den zweiten Band Jean-Christophe zu sehen und den Eulenspiegel. Ich werde mich in drei Wochen nach Italien zurückziehen, um die Komödie in Angriff zu nehmen. Aber vielleicht werde ich noch dieses Jahr nach Paris kommen.
Dein alter Stefan
Grüße an Deine Frau.
Salzburg, Kapuzinerberg 5
am 8. November 1926.
Lieber Frans!
Ich sehe heute mit Freude einen Aufsatz von Holitscher über Dich in der »Literarischen Welt« und freue mich über jedes Zeichen der Liebe, das Dir gilt. Du hast jetzt in Deutschland eine ganze Welt für Dich und solltest einmal herüber kommen, um Deine Wirksamkeit zu spüren. Mache es doch möglich!
Heute komme ich mit zweierlei: erstens schicke ich Dir meine Bearbeitung des » Volpone«, wobei ich Dir im Vertrauen mitteile, daß in dieser bösen Farce von Ben Jonson keine zehn Worte übrig geblieben sind, sondern alles von mir ist. Das Stück hatte vorgestern einen großen Erfolg im Burgtheater und wird jetzt viel gespielt werden. Ich habe ein sicheres Vorgefühl, daß es Dir gefallen wird, weil es vehement unter einer scheinbaren Sorglosigkeit ist. Bei der Aufführung haben sich die Leute mehr an das Heitere gehalten, was natürlich dem Erfolge sehr gut war, mir ist daran wichtig die Satire, die unbarmherzig gegen die Zeit geht. Lies es und habe möglichst Deine Freude daran. Meine Novellen hast Du hoffentlich erhalten.
Und nun mein lieber Freund, – erschrick nicht! – eine geschäftliche Angelegenheit. Du wolltest seinerzeit einen Holzschnitt von meinem holden Antlitz machen und dieser Wunsch ist jetzt von drei Seiten rege geworden, erstens möchte mein Verlag einen haben, zweitens soll jetzt in Rußland eine Gesamtausgabe meiner Werke erscheinen (die Novellen sind in vielen Tausenden verbreitet, manche bei drei Verlegern zugleich erschienen) und da möchte ich statt einer Fotografie einen Holzschnitt von Dir. Nun ist es zu umständlich da eigens nach Paris zu kommen, aber erstens hast Du mein Gesicht, wie ich Dich kenne, gut in Erinnerung, dann wurden vor zwei Tagen in Wien zwei ausgezeichnete Fotografien von mir gemacht, die ich Dir schicke. Könntest Du sie, mein Lieber, baldigst anfertigen? Ich kann Dir dank der Vereinbarung mit dem Verlag dafür 200 Mark (zweihundert) zusprechen, im Notfall sogar mehr.
Ich weiß, Du bist ein geplagter Mann und ich wende mich eigentlich schweren Herzens an Dich, aber ich kenne andererseits Deine gute Freundschaft und weiß, daß so wie ich Deinem Werk, auch Du dem meinen gern verbunden bist und wir uns einer des andern nicht schämen.
Herzlichst Dein alter getreuer
Stefan
Gruß Deiner Frau und Charlotten
Salzburg, Kapuzinerberg 5
29. Juni 1928
Mein lieber Frans!
Ein Buch von Dir ist immer ein Festtag, und es gibt eine kleine Boxszene zwischen mir und meiner Frau, wer es zuerst besehen darf. Aber welches Vergnügen auch, Deiner Fantasie bis in den Weltraum hinein zu folgen und mit freundschaftlichem Stolz zu spüren, daß das Erfinderische Dich nicht verläßt, sondern sich immer fantastischer und verwegener ausformt. Auf seine Freunde stolz sein zu dürfen, außerdem daß man sie liebt, gehört zu den paar exquisiten Dingen des Daseins: schade, daß so selten einem die Freunde den Gefallen tun!
Nun noch dies: Ich beabsichtige, im Sommer nach Belgien zu fahren und zwar möchte ich gerne in die Nähe von Ostende oder nach Ostende selbst. Die kleinen Plätze sind mir widerlich durch Kleinbürgerlichkeit und Kinderanhäufung. Ich brauche – erinnere Dich an Boulogne! – einen Hafen mit Schiffen und wirklichen Menschen und eine Stadt. Da hängen nun zwei Fragen daran: 1. soll ich in Gand Deinen Vater aufsuchen und wie ist seine Adresse? 2. soll ich versuchen, in Brüssel oder sonstwo etwas für Deine Sache zu tun? Ich erhalte gerade heute eine Aufforderung, in Brüssel im Palais des Beaux-Arts einen Vortrag zu halten, und ich werde darum wahrscheinlich mit den Herren zu konferieren haben. Du magst Dir den Schrecken denken, wenn ich ihnen nicht mehr und nicht minder als einen Vortrag über Dich unter anderem vorschlage. Ich bin neugierig, wie sie darüber denken werden.
Leb wohl und sei vielmals gegrüßt! Wenn ich im Herbst nach Paris komme, so freue ich mich schon sehr, diesmal auch Deine Bilder zu sehen.
Innigst
Dein Stefan
am 13. Juni 1931 Salzburg, Kapuzinerberg 5
Lieber Freund!
Ich bin sehr glücklich, wieder von Dir zu hören, wir haben oft und immer liebevoll an Dich gedacht, und ich sprach jüngst erst mit dem Bruder Reinharts davon, wann die feierliche Enthüllung Deiner Arbeiten stattfindet. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß ich komme, entscheidend für mich wäre nur, ob ich bei diesem Anlaß Rolland sehen kann oder nicht, der jetzt noch in Zürich ist, aber sehr müde und bedrückt wegen der Gesundheit seines Vaters und seiner Schwester. Ich weiß nicht recht, ob wir ihm jetzt willkommen wären, obwohl wir beinahe die letzten sind, die ganz und unverbrüchlich zu seinem engeren Kreise gehören. Du hörst noch davon.
Ich bin furchtbar neugierig, was Du jetzt machst und möchte gern von der momentanen Masereel-Baisse profitieren und die Honorare für »Fouché« in Öl anlegen, freilich in solchem, das gerade Du zu Deinen Farben verwendet hast. Hier in Österreich und Deutschland herrscht eine beispiellose Pleite und zwar in Dimensionen, von der Ihr Euch im goldunterkellerten Frankreich keine richtige Vorstellung machen könnt. Natürlich sind wir alle davon gestreift, auch die Bücher verkaufen sich nicht mehr so wie dereinst in der seligen Zeit, aber immerhin hat sich der Radius meiner Wirkung soweit gespannt – Spanien, Italien, Rußland, Amerika – daß ich ungerecht wäre, wollte ich klagen! Natürlich arbeite ich – was soll man anders tun? – und zwar an einem Roman, von dem ich noch nicht weiß, ob er etwas wird oder nicht. Im Sommer verkrieche ich mich an einen kleinen Ort, um diese Beschäftigung fortzusetzen. Mir graut immer mehr vor aller Öffentlichkeit, und mein pessimistisches Gefühl in allen politischen Dingen behält in einer erschreckenden Weise recht. Wir Rollandisten, die nie an die Europäer Briand und Stresemann, an die Berufspolitiker und Völkerbundsbüros geglaubt haben, sehen unser Mißtrauen in gräßlicher Weise bestätigt. Ex oriente lux, nur von Rußland her kann eine Auffrischung in dieses morsche Gebäude Europas kommen (in dem wir doch so gern und früher so heiter gewohnt haben). Aber laß Dich nicht entmutigen, wenn jetzt der Kunsthandel schlechter geht. Viele Maler, die nie Maler waren, hören jetzt auf, es zu sein, ebenso viele Schriftsteller. Und die es wirklich sind, werden es bleiben und in dieser Reinigung der Atmosphären erst sichtbar werden.
Lieber Frans, zu den guten Dingen, die ich mir manchmal ausdenke, gehörte einmal ein Tag, zwei Tage mit Dir allein am Meer oder in einer Stadt oder auf einer Reise zu sein. Es ist zu wenig, so wie wir uns sehen, bei einem Abendessen in der Familie auf zwei Stunden, auf drei Stunden, vielleicht kriegen wir das einmal wirklich zusammen. Was ich am liebsten täte, wäre, daß wir in diesem Herbst zusammen auf zwei Monate nach Rußland fahren und dorten zusammen ein Buch machen, Darstellung und Zeichnung. Ich garantiere Dir, daß das Buch über die Welt ginge. Bitte, betrachte dies nicht als eine vage Träumerei, sondern denke Dirs gut und genau durch. Am liebsten wäre mir Oktober, November, ich habe allerhand Gründe, um diese Zeit nicht zuhause zu sein.
Lebe wohl und grüße die Deinen!
Dein Stefan
Salzburg, Kapuzinerberg 5 am 18. Januar 1933
Lieber Freund!
Du bist ja ein furchtbar gut funktionierender Empfangsapparat für Grippen, Dir diesen Luxusscherz alle zwei Jahre zu leisten. Hoffentlich ist nun schon alles vorbei. Mit Kippenberg habe ich gesprochen, er möchte leidenschaftlich gern (und will sich deshalb mit dem Transmare-Verlag ins Einvernehmen setzen) zur Einführung eine Deiner früheren Sachen, etwa »Idee« in der Inselbücherei zu 80 Pfennig bringen, und ferner Deine neuen Bücher. Er erwartet da konkrete Vorschläge, da er nicht weiß, wieweit Du noch an den Transmare gebunden ist. An Buch- Illustrationen glaubt er zur Zeit nicht mehr, wohl aber an ganze Novellen und Romane ohne Worte, wie Du sie geschaffen hast. Ich bin überzeugt, daß Du mit ihm ins Reine kommen wirst und wenn es soweit ist, nehme ich die Verhandlungen selbst in die Hand.
Es wäre wirklich schade, wenn Du Dein Atelier aufgeben würdest, denn die schwerste Zeit ist wohl schon vorbei. Wäre es nicht eigentlich klüger, Du würdest Dich an eine der zahlreichen englisch-amerikanischen Agenturen wenden und es lieber für ein Jahr oder ein halbes Jahr vermieten und mit dem Geld freizügig in die Welt fahren, nach Spanien oder Rußland? Man muß sich auffrischen und erneuern und selbst Du, der Du jünger bist als ich, hast nicht mehr viel Zeit dazu. Lasse Dich aber nur nicht innerlich davon berühren, daß die äußern Verhältnisse keine ganz glücklichen sind, ich habe das Gefühl, daß die Welt langsam wieder in Schwung kommt und besonders im Kunsthandel die Depression hauptsächlich darauf beruht, daß man heute kaum international etwas kaufen kann, weil die Überweisungen nicht gestattet sind. Die Werte aber sind innerlich unberührbar – im Gegenteil, je mehr sich die Fabriksware verbilligt und alles was mechanisch erzeugt wird, umsomehr muß das was nur individuell gemacht werden kann, in der Wertung stehen.
Ich ruhe mich jetzt auf den Lorbeeren meiner »Marie Antoinette« noch immer aus und habe nur eine kleine Oper für Richard Strauss gemacht, an der der alte Meister wacker komponiert. Tausend Grüße Deiner lieben Frau und Dir, von Deinem
Stefan
Salzburg, Kapuzinerberg 5
am 15. April 1933
Lieber Freund!
Ich müßte Dir sechs Briefblätter schreiben, denn seit dem Tage, wo wir [uns] sahen, hat sich die Welt reichlich verändert. Nach Schweden bin ich natürlich nicht gegangen und das war sehr klug, denn man hätte das natürlich als Flucht deklariert oder als Anmaßung, daß wir es überhaupt noch wagen, ein Wort in deutscher Sprache zu sprechen. Vielleicht hast Du das gestrige Dekret der deutschen Studentenschaft gelesen, die auffordert, aus allen Privatbibliotheken alle »undeutschen« Bücher verbrennen zu lassen (auch die Studie über Dich gehört dazu) und daß in Hinkunft wir unsere Bücher zuerst hebräisch erscheinen lassen und allenfalls davon Übersetzungen erlaubt werden. Du lachst wahrscheinlich wenn Du dies liest, aber die Haßpsychose in Deutschland ist so, daß dies buchstäblich wahr ist und in der deutschen Studentenschaft als Befehl verkündet wird. Was sonst geschieht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal. Was man dann tun wird, ist unklar, ich habe die stärkste Abneigung, Emigrant zu werden und würde das nur im äußersten Notfall tun, denn ich weiß, daß alles Emigrantentum gefährlich ist, man macht dadurch die Zurückgebliebenen zu Geiseln und erschwert ihnen das Leben. Jetzt wären die Verhältnisse für uns noch viel fürchterlicher als im Kriege, dort war wenigstens die Entschuldigung einer Psychose aus wirklicher Gefahr, während hier eine rein provokatorische Haltung vorliegt, die auch über kurz oder lang zu den schwersten internationalen Konflikten führen muß. Alle diese national-antisemitischen Exzesse sind ja vorläufig nur da, um das Volk zu beschäftigen und auf billige Weise zu begeistern. Nach und nach wird aber die Regierung außenpolitische Erfolge unbedingt brauchen und dann sehe ich wirklich verhängnisvolle Entwicklungen voraus. Seit zwanzig Jahren, seit 1914 ist alles was geschehen ist, der Krieg, der Frieden von Versailles, gegen die Vernunft geschlossen und für uns, die mit einem unerklärlichen Optimismus immer wieder an Aufstieg, Einigung geglaubt haben, der Beweis erbracht, daß wir falsch gedacht haben und daß vielleicht die Hälfte, oder vielleicht die ganze Mühe vergeblich gewesen sind. Am ärgerlichsten bei allem aber ist, daß man unter dieser täglichen Gehässigkeit, den Bedrohungen und Spannungen nicht recht arbeiten kann. Aber vielleicht gewöhnt man sich auch daran. Man muß nur lernen, innerlich zu resignieren, härter, strenger, abgeschiedener und vielleicht auch gleichgültiger zu leben.
Sei vielmals gegrüßt von Deinem getreuen
Stefan Zweig
Lyncombe Hill, Bath
20. 11. 1940
Mein lieber Alter,
Ich habe Dir lange nicht geschrieben, aber ich schreibe nicht gern über Grenzen hinweg, und überdies hoffe ich im April für eine Vorlesung in Frankreich zu sein. Natürlich wird es eine Menge von Schwierigkeiten zu überwinden geben – eine Reise nach Frankreich heute ist viel komplizierter als eine zum Nordpol früher, und dazu kommt noch eine Charakterschwierigkeit – es liegt mir nicht zu bitten, Behörden zu bestürmen und Freunde zu mobilisieren; aber ich tue was ich kann. Ich brauche eine freundschaftliche Atmosphäre so nötig wie ein Anregungsmittel. Ich habe hier wenige wirkliche Freunde, eben Freunde von früher wie Fleischer und Friedenthal, aber wenig intimen Kontakt mit Schriftstellern – die Künstler haben weder die Gabe noch den Willen für freundschaftliche Mitteilsamkeit. Ich habe große Sehnsucht nach Frankreich.
Mein Freund, nach diesem Krieg werden wir eine andere Welt sehen. Ich weiß nicht, ob es eine bessere Welt sein wird, und ob wir, die wir immer Vergleiche mit der alten anstellen, in ihr glücklich sein werden; aber es geht jetzt nicht mehr um Glück und sich Wohlfühlen; man muß dieses kleine innere Gebiet verteidigen, unsere persönliche Freiheit, wie schwer es immer sein mag, auch nur einen Zoll davon zu bewahren. Ich arbeite, ich habe (aus Verzweiflung) ein großes Gemälde angefangen – einen »Balzac« in zwei dicken Bänden, einen über sein Leben, den anderen über sein Werk. Es wird das erste vollständige Buch über Balzac sein, vorausgesetzt daß ich am Leben bleibe und daß ich die nötige Kraft und Ausdauer habe. Ich werde noch anderthalb oder zwei Jahre dazu brauchen und wir wollen hoffen, daß es seiner würdig sein wird und Deines Freundes
Stefan Zweig
Freundliche Grüße an Deine Frau!
Editora Guanabara Rua do Ouvidor 132
Rio de Janeiro,
23. November 1940
Mein lieber Freund,
Endlich habe ich Deine Adresse auf dem Umweg über New York erfahren. Du kannst Dir vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, Nachricht von Dir zu erhalten. Ich selbst habe England Ende Juni nach den üblichen Schwierigkeiten verlassen und ich weiß jetzt nicht, was aus meinem Haus, meinen Büchern und meinen angefangenen Arbeiten geworden ist. Im Unterschied zu Anderen bin ich für einige Zeit hierher nach Brasilien gegangen, dann habe ich Literaturvorträge in Argentinien gehalten, was sogar sehr vorteilhaft war, da ich dort ein großes Publikum habe, und nun bin ich nach Brasilien zurückgekehrt, das ich leidenschaftlich liebe. Es hat die schönste und abwechslungsreichste Landschaft mit den herrlichsten lokalen Farben, die man sich vorstellen kann, und ich fühle mich so wohl hier wie es in diesen schrecklichen Zeiten möglich ist. Ich habe vor, im Februar, wenn es hier zu heiß wird, für einige Zeit in die Vereinigten Staaten zu gehen und dann, wenn der Krieg noch nicht beendet ist, hierher zurückzukehren. Ich mag New York nicht sehr, wo jetzt die ganze Emigration sich trifft und wo das Leben teuer und kommerziell ist. Für Dich als Maler ist das anders. Hier würdest Du Dich wundervoll inspiriert fühlen, Du würdest das Land lieben und die Leute, die charmant sind. Nur fürchte ich, daß die Möglichkeiten, Geld zu verdienen, hier sehr beschränkt sind, ausgenommen in Argentinien, wo ich immer eine Ausstellung für Dich arrangieren könnte. Auf alle Fälle wüßte ich einen Buchhändler in Buenos Aires und eine Galerie für Deine Holzschnittbücher, wenn Du sie noch zu Deiner Verfügung hast. Ich glaube, man bemüht sich um Dich in New York und ich bezweifle nicht, daß man Erfolg haben wird. Wenn Du dennoch vorziehst, hierher nach Brasilien zu kommen, schreib mir und gib mir alle notwendigen persönlichen Angaben über Dich selbst und Deine Frau. Obwohl es im allgemeinen sehr schwierig ist ein Visum zu erhalten, glaube ich sicher, es arrangieren zu können für eine Person von Deiner Bedeutung. Von unserem Freund Villeneuve-Vézelay habe ich nicht ein Wort gehört. Ich habe ihm geschrieben, aber ich weiß nicht ob mein Brief ihn erreicht hat. Verzeih die anscheinende Kühle dieses Briefs. Du kennst meine Gefühle für Dich, aber es war nötig klar zu sein, und alle anderen Dinge lassen wir bis zu unserem Wiedersehen.
Von ganzem Herzen
Dein alter Stefan
c/o Editora Guanabara 132 Rua Ouvidor
Rio de Janeiro
1. August 1941
Mein lieber Frans,
Ich erhielt Deinen Brief vom 14. VI. hier in New York gerade zwei Tage ehe ich nach Rio zurückkehren muß. Ich hatte eine lange Korrespondenz mit dem kolumbischen Botschafter in Buenos Aires, der ein persönlicher Freund von mir ist. Er hat vom Präsidenten von Kolumbien sofort die Antwort erhalten, daß Dein Visum für Kolumbien genehmigt ist und daß der Konsul in Marseille es Dir und Deiner Frau geben wird. Herr Engel hatte als erster diese Möglichkeit vorgeschlagen und er hat Dir telegraphiert. Mein Lieber, ich weiß, daß Kolumbien weit weg ist und recht klein, aber es war notwendig, ein Visum für Dich in Eile zu beschaffen und mit ihm kannst Du Durchgangsvisen für Brasilien und Argentinien erhalten. Ich werde in einem Monat in Brasilien sein und ich kann Dir fast versprechen, daß Du auch für dort ein Visum haben wirst – versuche für den Augenblick ein Durchgangsvisum Portugal-Brasilien zu bekommen. Wenn Du erst da bist, habe ich genug Einfluß Dir ein Dauervisum zu beschaffen. Und was für ein wunderbares Land! Was für Möglichkeiten! Ich hoffe dorthin zurückkehren zu können – man weiß nie bis zum letzten Augenblick ob nichts dazwischen kommt. Ich bin sehr deprimiert, sehr müde! Ich habe eine Selbstbiographie geschrieben, auch mit Erinnerungen an Dich. Aber wann wird man wieder leben und arbeiten können? Mein Lieber, Du kannst sicher sein, daß ich für Dich alles nur irgend Mögliche tun werde. Meine Frau und Friderike, die wir gestern sahen, senden Euch beiden die besten Grüße.
Dein Stefan
Viele Grüße an Vézelay.