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Achtzehntes Kapitel

Das Netz zieht sich zusammen

Juli 1568 bis Januar 1569

Kaum hat Maria Stuart sich leichtfertigerweise die Zustimmung zu dem »unparteiischen Schiedsgericht« abringen lassen, so setzt die englische Regierung schon alle Machtmittel ein, um das Verfahren zu einem parteiischen zu machen. Während die Lords in Person erscheinen dürfen, mit allen Beweisen bewaffnet, wird es Maria Stuart nur erlaubt, sich durch zwei Vertrauensleute vertreten zu lassen; bloß aus der Ferne und durch Mittelspersonen kann sie ihre Anschuldigungen gegen die rebellischen Lords erheben, die ihrerseits laut und frei sprechen und heimlich paktieren dürfen – durch diese Perfidie ist sie von Anfang an aus der Angriffsstellung in die Verteidigungsstellung gedrängt. Lautlos fallen alle schönen Versprechungen eine nach der andern unter den Verhandlungstisch. Dieselbe Elisabeth, die es eben noch nicht vereinbar mit ihrer Ehre erklärt hatte, vor Beendigung des Verfahrens Maria Stuart in ihrer Gegenwart zuzulassen, empfängt unbedenklich den Rebellen Moray. Und von der Rücksicht auf ihre »Ehre« ist plötzlich keine Rede mehr. Zwar wird die Absicht, Maria Stuart auf die Anklagebank zu drücken, noch in tückischer Weise bemäntelt – man hat Rücksicht nötig vor dem Ausland –, und die Formel lautet, die Lords hätten sich wegen ihrer Rebellion zu »rechtfertigen«. Aber dies Rechtfertigen, das Elisabeth scheinheilig von den Lords verlangt, bedeutet natürlich, sie sollten die Gründe darlegen, weshalb sie sich in Waffen gegen ihre Königin erhoben. Implicite sind sie damit aufgefordert, die ganze Angelegenheit des Königsmordes aufzurollen, und von selbst dreht sich damit die Spitze gegen Maria Stuart. Bringen die Lords nur genug Anschuldigungen gegen sie vor, so kann in London der Grund juristisch unterkellert werden, Maria Stuart weiterhin festzuhalten, und das Unentschuldbare ihrer Gefangensetzung ist glücklich vor der Welt entschuldigt.

Aber als Trugspiel gedacht, artet diese Konferenz – die man nicht Rechtsverfahren nennen darf, ohne die Justiz zu beleidigen – unerwartet zur Komödie in ganz anderem Sinne aus, als sie Cecil und Elisabeth gewünscht. Denn kaum daß man die Parteien vor den runden Tisch gebracht, damit sie einander anklagen sollten, zeigen beide wenig Lust, mit ihren Akten und Fakten herauszurücken, und beide wissen genau, warum. Denn – einmaliges Kuriosum dieses Prozesses – Ankläger und Angeklagte sind hier im Grunde Komplicen desselben Verbrechens, beide möchten lieber an der heiklen Angelegenheit des Darnley-Mordes vorbeischweigen, an dem sie beide »art and part« gewesen sind. Würden Morton, Maitland und Moray jene Briefkassette öffnen und behaupten, Maria Stuart sei Mithelferin oder wenigstens Mitwisserin gewesen, so wären damit die ehrenwerten Lords vollkommen im Recht. Aber ebenso wäre Maria Stuart im Recht, wenn sie die Lords beschuldigte, genau so die Tat vorausgewußt und zumindest durch ihr Schweigen gebilligt zu haben. Legen die Lords jene peinlichen Briefe auf den Tisch, so kann Maria Stuart, die durch Bothwell die Unterzeichner des Mörderbonds kennt und das Blatt vielleicht sogar in Händen hat, diesen nachträglichen Königspatrioten die Maske vom Antlitz reißen. Nichts natürlicher darum als die beiderseitige Unlust, gegeneinander scharf vorzugehen, nichts begreiflicher als ihr gemeinsames Interesse, die peinliche Angelegenheit à l'amiable zu behandeln und den armen Henry Darnley still im Grabe ruhen zu lassen. »Requiescat in pace!« ist beider Teile frommes Gebet.

So ergibt sich das Sonderbare und für Elisabeth höchst Unerwartete: bei der Eröffnung des Verfahrens klagt Moray nur Bothwell an – er weiß, der gefährliche Mann ist tausend Meilen weit und wird seine Spießgesellen nicht nennen –, mit merkwürdiger Diskretion aber vermeidet er, seine Schwester irgendwie zu beschuldigen. Völlig vergessen scheint, daß man sie vor einem Jahre im offenen Parlament der Mordhilfe schuldig gesprochen. Keineswegs so stürmisch, wie Cecil erhofft hatte, reiten diese sonderbaren Ritter in die Schranken, sie schleudern nicht die anklägerischen Briefe auf den Tisch, und – zweite Merkwürdigkeit und nicht die letzte dieser erfindungsreichen Komödie – auch die englischen Kommissare bleiben rücksichtsvoll stumm und fragen nicht viel. Lord Northumberland steht als Katholik Maria Stuart vielleicht näher als Elisabeth, seiner Königin, Lord Norfolk wieder arbeitet aus privaten Gründen, die sich erst allmählich enthüllen werden, an einem stillen Ausgleich mit; schon sind die Grundlinien der Verständigung gezogen: Maria Stuart soll der Titel und die Freiheit wiedergegeben werden, Moray dafür behalten, was ihm einzig wichtig ist: die faktische Herrschaft. Wo Elisabeth Blitz und Donner gewünscht, der ihre Gegnerin moralisch zermalmen sollte, säuselt ein sanftes Lüftchen. Man plaudert herzlich hinter verschlossenen Türen, statt die Akten und Fakten laut zu erörtern, die Stimmung wird immer wärmer und freundschaftlicher. Und nach einigen Tagen arbeiten schon – merkwürdiger Prozeß! –, statt strengen Gerichtstag zu halten, Ankläger und Angeklagte, Kommissare und Richter einig zusammen, um der Konferenz, die Elisabeth als politische Haupt- und Staatsaktion gegen Maria Stuart aufgezogen wissen wollte, ein ehrenvolles Begräbnis erster Klasse zu bereiten.

 

Der gegebene Mittelsmann, der berufene Zwischenträger für dies Hin und Her zwischen beiden Parteien ist der schottische Staatssekretär Maitland of Lethington. Denn er hat in dieser dunklen Angelegenheit des Darnley-Mords die allerdunkelste Rolle gespielt und als geborener Diplomat selbstverständlich eine Doppelrolle. Als in Craigmillar die Lords zu Maria Stuart kamen und ihr vorschlugen, sich durch Scheidung oder auf sonst eine Weise Darnleys zu entledigen, war Maitland der Wortführer gewesen und hatte das dunkle Versprechen abgegeben, Moray werde »durch die Finger sehen«. Andererseits hatte er die Heirat mit Bothwell gefördert, war »zufällig« bei der Entführung Zeuge gewesen und erst vierundzwanzig Stunden vor dem Ende wieder zu den Lords übergegangen. Bei einem scharfen Kugelwechsel zwischen der Königin und den Lords winkt ihm die trübe Aussicht, mitten ins Schußfeld zu kommen; darum wendet er eiligst alle erlaubten und unerlaubten Mittel an, um einen Ausgleich zu erzielen.

Zunächst schüchtert er Maria Stuart ein, die Lords seien entschlossen, im Falle ihrer Unnachgiebigkeit skrupellos alles, was ihnen zur Verteidigung diene, anzuwenden, auch wenn es ihr Schande brächte. Und um ihr zu zeigen, welche rufmörderischen Waffen die Lords bereit hielten, läßt er heimlich das Hauptbelastungsstück der Anklage, die Liebesbriefe und Sonette aus der Schatulle, von seiner Frau, Mary Fleming, abschreiben und die Kopien Maria Stuart zukommen.

Diese heimliche Auslieferung des ihr noch unbekannten Belastungsmaterials an Maria Stuart ist selbstverständlich ein Schachzug Maitlands gegen seine Kameraden und außerdem eine grobe Verletzung jeder normalen Prozeßordnung. Aber sie wird schleunigst aufgewogen durch die gleiche Ungehörigkeit von Seiten der Lords, die ihrerseits gleichfalls die »Kassettenbriefe« Norfolk und den anderen englischen Kommissaren gewissermaßen unter dem Verhandlungstisch zustecken. Damit ist ein schwerer Schlag gegen Maria Stuarts Sache geführt, denn im vorhinein sind die Richter, die eben noch vermitteln wollten, persönlich gegen sie beeinflußt. Besonders Norfolk ist ganz bestürzt über den üblen Dunst, der aus dieser geöffneten Pandorabüchse aufsteigt. Sofort meldet er – was er gleichfalls nicht dürfte, aber in diesem sonderbaren Prozeß gilt alles, nur nicht das Recht – nach London, die »zügellose und schmutzige Liebe zwischen Bothwell und der Königin, ihr Abscheu vor dem ermordeten Mann und die Verschwörung gegen sein Leben seien derart offenbar, daß jeder gute und wohlgesinnte Mann erschauern und zurückschrecken müsse.«

Schlimme Botschaft für Maria Stuart, hochwillkommene für Elisabeth. Denn nun, da sie weiß, welch ehrenrühriges Belastungsmaterial auf den Tisch gelegt werden kann, wird sie nicht eher ruhen und rasten, bis es bekanntgegeben ist. Je mehr jetzt Maria Stuart auf stillen Ausgleich drängt, um so mehr wird sie auf der öffentlichen Anprangerung bestehen. Durch die feindselige Einstellung Norfolks, durch seine ehrliche Erbitterung, seit er die Briefe aus der berüchtigten Kassette gesehen, scheint das Spiel für Maria Stuart verloren.

 

Aber am Spieltisch und in der Politik soll man eine Partie nie verloren geben, solange man noch eine Karte in Händen hält. Gerade in diesem Augenblick schlägt Maitland eine verblüffende Volte. Er besucht Norfolk, er hat mit ihm ein längeres, vertrauliches Gespräch. Und siehe, man staunt, man glaubt erst den Berichten nicht, über Nacht ist ein Wunder geschehen, aus Saulus ein Paulus geworden, aus dem entrüsteten, empörten, scharf gegen sie voreingenommenen Richter Norfolk nun Maria Stuarts eifrigster Helfer und Partisan. Statt in den Intentionen seiner eigenen Königin, die öffentliche Verhandlung will, müht er sich mit einmal mehr im Interesse der schottischen; er redet Maria Stuart plötzlich zu, ja nicht auf die schottische Krone und den englischen Thronanspruch zu verzichten, er steift ihr den Nacken, er stählt ihr die Hand. Dringend mahnt er gleichzeitig Moray ab, die Briefe vorzulegen, und siehe, auch Moray schaltet scharf um, nachdem er mit Norfolk eine geheime Unterredung gehabt. Er wird mild und versöhnlich, er stimmt völlig Norfolk bei, nur Bothwell solle für die Tat verantwortlich gemacht werden und nicht auch Maria Stuart; ein süßer Tauwind scheint nachts über die Dächer gefahren zu sein, das Eis ist gebrochen; ein paar Tage noch, und Frühling und Freundschaft strahlen über diesem sonderbaren Haus.

Was kann, muß man sich fragen, Norfolk bewogen haben, über Nacht um hundertachtzig Grad umzuschwenken, aus dem Richter Elisabeths ein Verräter an ihrem Willen, aus einem Gegner Maria Stuarts ihr eifrigster Freund zu werden? Erster Gedanke: Maitland muß Norfolk bestochen haben. Dies scheint unwahrscheinlich auf den zweiten Blick. Denn Norfolk ist der reichste Edelmann Englands, seine Familie steht nur knapp hinter den Tudors zurück; soviel Geld kann ein Maitland, kann das ganze arme Schottland nicht herbeischaffen. Aber doch, wie meist, war das erste Gefühl das richtige – Maitland ist es tatsächlich gelungen, Norfolk zu bestechen. Er hat dem jungen Witwer das einzige geboten, was auch einen so Mächtigen verlocken kann, nämlich noch mehr Macht. Er hat dem Herzog die Hand der Königin und damit zugleich das Erbrecht auf die englische Königskrone angeboten. Und noch immer geht von einer Königskrone Magie aus, die selbst die Feigsten mutig, die Gleichgültigsten ehrgeizig und die Besonnensten töricht macht. Und nun versteht man, warum Norfolk, der gestern noch Maria Stuart so dringend nahegelegt, auf ihre Königsrechte freiwillig zu verzichten, mit einmal ihr so auffällig zuredet, sie zu verteidigen. Denn er will Maria Stuart doch nur heiraten um dieses Anspruchs willen, der ihn mit einem Ruck an die Stelle der Tudors erhebt, derselben, die seinen Vater und Großvater als Verräter hinrichten ließen. Und man kann es dem Sohn, dem Enkel nicht verdenken, wenn er an einer Königsfamilie Verrat begeht, die seine eigene mit dem Henkerbeil vernichtete.

Gewiß, unser Gefühl von heute zögert im ersten Augenblick, die Ungeheuerlichkeit zu begreifen, daß ebenderselbe Mann, der sich noch gestern über die Mörderin, über die Ehebrecherin, über Maria Stuart entsetzte, der sich über ihre »schmutzigen« Liebesaffären entrüstete, sich so rasch entschließt, diese Frau zur Gattin zu nehmen. Und selbstverständlich haben die Verteidiger Maria Stuarts hier die Hypothese eingeschoben, Maitland müsse in jenem geheimen Gespräch Norfolk von der Unschuld Maria Stuarts überzeugt haben und ihm nachgewiesen, jene »Kassettenbriefe« seien Fälschungen gewesen. Darüber enthalten die überlieferten Dokumente aber kein Wort, und in Wirklichkeit hat Norfolk noch Wochen später Maria Stuart vor Elisabeth weiterhin als Mörderin bezeichnet. Aber nichts wäre verfehlter, als moralische Anschauungen um vier Jahrhunderte zurücktransformieren zu wollen, denn der Wert eines Menschenlebens ist innerhalb verschiedener Zeiten und Zonen durchaus kein absoluter, jede Zeit bemißt es anders, Moral bleibt immer nur relativ. Unser Heute ist gegen politischen Mord viel nachsichtiger, als es das neunzehnte Jahrhundert gewesen, und ebenso war das sechzehnte keines der großen Bedenken. Gewissensskrupel waren einer Zeit vollkommen fremd, die ihre Moral nicht aus der Heiligen Schrift, sondern aus Macchiavelli bezog: wer damals einen Thron besteigen wollte, pflegte sich nicht viel mit sentimentalen Erwägungen zu belasten und dringlich darauf zu sehen, ob die Stufen nicht noch naß seien von vergossenem Blut. Schließlich stammt die Szene in Richard III., wo die Königin dem Manne die Hand reicht, den sie als Mörder kennt, von einem Zeitgenossen, und sie ist den Zuschauern keineswegs unglaubhaft erschienen. Um König zu werden, ermordete, vergiftete man seinen Vater, seinen Bruder, man warf Tausende unschuldiger Menschen in den Krieg, man räumte fort, man beseitigte, ohne nach Recht zu fragen, und kaum ein einziges Herrscherhaus kann man im damaligen Europa entdecken, in dem nicht solche Verbrechen offen begangen worden wären. Wenn es eine Krone galt, heirateten vierzehnjährige Knaben fünfzigjährige Matronen und unreife Mädchen großväterliche Greise, man fragte nicht viel nach Tugend und Schönheit und Würde und Moral, man heiratete Schwachsinnige, Krumme und Lahme, Syphilitiker, Krüppel und Verbrecher; warum gerade von diesem eitlen Ehrgeizling Norfolk besondere Bedenklichkeit erwarten, wenn diese junge, schöne, heißblütige Fürstin sich bereit erklärt, ihn zu ihrem Gemahl zu erheben? Norfolk blickt, von seinem Ehrgeiz verblendet, nicht lange darauf zurück, was Maria Stuart getan hat, sondern einzig auf das, was sie für ihn tun kann; in seinen Gedanken sieht sich dieser schwächliche und nicht sehr kluge Mann schon in Westminster an Elisabeths Statt. Über Nacht hat sich das Blatt gewendet. Maitlands geschickte Hand hat das Netz, das für Maria Stuart gewoben war, gelockert, und wo sie einen strengen Richter erwarten mußte, hatte sie plötzlich einen Freier und einen Helfer gefunden.

 

Aber Elisabeth hat gute Zubringer und einen wachen, höchst mißtrauischen Verstand. »Les princes ont des oreilles grandes qui oyent loin et près«, sagt sie einmal triumphierend zu dem französischen Gesandten. An hundert kleinen Zeichen wittert sie, daß in York allerhand dunkle Tränke gebraut werden, die ihr nicht wohl bekommen dürften. Zunächst läßt sie sich Norfolk rufen und sagt ihm spöttisch auf den Kopf zu, sie habe gehört, daß er auf Freiersfüßen ginge. Nun ist Norfolk kein Charakterheld. Laut und vernehmlich kräht Petri Hahn; sofort verleugnet er Maria Stuart, um die er gestern noch geworben hat, in der erbärmlichsten Weise. Lüge sei all das und Verleumdung, niemals würde er eine solche Ehebrecherin und Mörderin heiraten, und mit einer großartigen Verlogenheit erklärt er: »Mein Kopfkissen muß, wenn ich einschlafen soll, sicher sein.«

Aber Elisabeth weiß, was sie weiß, und stolz kann sie später sagen: »Ils m'ont cru si sotte, que je n'en sentirais rien.« Wenn diese Frau in ihrer unbändigen Kraft einen der Leisetreter bei Hofe grimmig anfaßt, fallen ihm sofort alle seine Geheimnisse aus dem Ärmel. Sofort packt sie energisch zu. Auf ihren Befehl werden am 25. November die Verhandlungen von York nach Westminster in die Camera Depicta verlegt. Hier, ein paar Schritte von ihrer Tür und unmittelbar unter ihren mißtrauischen Augen, hat Maitland nicht mehr so leichtes Spiel wie in Yorkshire, zwei Tagesreisen weit und abseits von Wächtern und Spionen. Außerdem gesellt Elisabeth ihren Kommissaren, seit sie deren Unverläßlichkeit erkannt hat, noch einige dazu, auf die sie unbedingt zählen kann, vor allem ihren Liebling Leicester. Und jetzt, da ihre harte Hand den Zügel gefaßt hat, läuft der Prozeß in scharfem Tempo den befohlenen Gang. Moray, ihr alter Kostgänger, bekommt klipp und klar den Befehl, »sich zu verteidigen«, und dazu die gefährliche Ermunterung, auch die »extremity of odious accusations« nicht zu scheuen, also die Beweise des Ehebruchs mit Bothwell, die Kassettenbriefe, vorzulegen. Das feierliche Versprechen an Maria Stuart, daß nichts »against her honour« vorgebracht werden sollte, ist völlig in der Versenkung verschwunden. Aber noch immer fühlen sich die Lords nicht recht behaglich. Noch immer zögern und zögern sie, mit den Briefen herauszurücken, und beschränken sich auf allgemeine Verdächtigungen. Und da Elisabeth ihnen nicht offen befehlen kann, die Briefe vorzulegen, weil sonst ihre Parteilichkeit zu sehr erwiesen wäre, ersinnt sie eine noch größere Heuchelei. Sie tut so, als ob sie selbst von Maria Stuarts Unschuld überzeugt wäre und nur einen Weg wüßte, um ihre Ehre zu retten, indem sie mit einer schwesterlichen Ungeduld auf volle Klarstellung und auf das Beweismaterial für alle die »Verleumdungen« dringt. Sie will die Briefe, sie will die Liebessonette an Bothwell auf dem Verhandlungstisch. Maria Stuart muß endgültig erledigt werden.

Unter diesem Druck geben die Lords schließlich nach. Eine kleine Komödie von Widerstand wird noch in letzter Minute gespielt, indem Moray die Briefe nicht selbst auf den Tisch legt, sondern sie nur vorzeigt und sich dann von einem Sekretär »gewaltsam« entreißen läßt. Aber jetzt, Triumph für Elisabeth, liegen sie auf dem Tisch, jetzt werden sie vorgelesen, einmal und am nächsten Tag vor einer verstärkten Kommission zum zweitenmal. Die Lords haben zwar längst ihre Echtheit beschworen mit einem »eik«, aber noch nicht genug und noch nicht genug. Als hätte sie um Jahrhunderte alle Einwände der Ehrenretter Maria Stuarts vorausgeahnt, welche diese Briefe als gefälscht erklären werden, befiehlt Elisabeth, genaue Vergleichung der Handschrift dieser Briefe mit der Handschrift jener, die sie selbst von Maria Stuart empfangen, im Angesicht der ganzen Kommission vorzunehmen. Während dieser Untersuchung verlassen (abermals ein gewichtiges Argument für die Echtheit der Briefe) die Vertreter Maria Stuarts die Verhandlung und erklären – sehr mit Recht –, Elisabeth habe ihr Wort nicht gehalten, daß nichts »against the honour« Maria Stuarts vorgebracht werden dürfe.

Aber wo gilt noch Recht in diesem rechtswidrigsten aller Prozesse, in dem die Hauptangeklagte nicht erscheinen darf, während ihre Feinde, wie Lennox, frei ihre Anschuldigung äußern können? Kaum haben sich die Vertreter Maria Stuarts entfernt, so fassen die versammelten Kommissare schon einstimmig den »vorläufigen Beschluß«, Elisabeth könne Maria Stuart nicht empfangen, ehe sie sich von all diesen Anklagen gereinigt habe. Elisabeth ist am Ziel. Endlich hat man den Vorwand fabriziert, den sie so notwendig brauchte, die Geflüchtete von sich wegzustoßen; nun wird es nicht schwer sein, auch die Ausflucht zu finden, sie weiterhin »in honourable custody« – eine schöne Umschreibung für »Gefangenschaft« – festzuhalten. Und triumphierend kann einer ihrer Getreuen, der Erzbischof Parker, ausrufen: »Jetzt hält unsere gute Königin den Wolf bei den Ohren!«

 

Mit dieser »vorläufigen Feststellung« ist in dem öffentlichen Rufmord Maria Stuarts Haupt gebeugt, ihr Nacken entblößt. Jetzt kann wie eine Axt das Urteil niederfahren. Sie kann zur Mörderin erklärt und nach Schottland ausgeliefert werden, und dort kennt John Knox keine Gnade. Aber in diesem Augenblick hebt Elisabeth die Hand, und der mörderische Schlag saust nicht nieder. Immer wenn es eine letzte Entschlossenheit im Guten wie im Bösen gilt, findet diese rätselhafte Frau nicht den rechten Mut. Ist es großmütige Regung der Menschlichkeit, wie sie oft warm in ihr aufflutet, ist es Scham über das gebrochene Königswort, Maria Stuarts Ehre zu wahren? Ist es diplomatische Berechnung oder – wie meist bei dieser unergründlichen Natur – ein Durcheinander widerstreitender Gefühle: jedenfalls, Elisabeth scheut wiederum vor der Gelegenheit zurück, ihre Gegnerin völlig zu erledigen. Statt schnell ein hartes Urteil aussprechen zu lassen, vertagt sie den endgültigen Spruch, um mit Maria Stuart zu verhandeln. Im Grunde möchte Elisabeth nur Ruhe von dieser trotzigen, unnachgiebigen und nicht einzuschüchternden Frau haben, sie will sie nur still bekommen und klein; so legt sie ihr nahe, ehe der letzte Spruch gefaßt wird, Einspruch zu erheben gegen die Dokumente, und unterderhand wird Maria Stuart mitgeteilt, wenn sie gutwillig resigniere, werde man sie freisprechen, und sie könne frei und mit einer Pension in England bleiben. Gleichzeitig schreckt man sie – Zuckerbrot und Peitsche – mit der Nachricht einer öffentlichen Verurteilung, und Knollys, der Vertrauensmann des englischen Hofes, berichtet, er habe sie so sehr mit Drohungen verschreckt, wie es in seinen Kräften stand. Mit ihren beiden Lieblingsmitteln arbeitet Elisabeth wieder zugleich: mit Einschüchterung und mit Verlockung.

Aber Maria Stuart läßt sich nicht einschüchtern und läßt sich nicht mehr locken. Immer muß ihr Gefahr wirklich auf die Haut brennen, damit sie sich zusammenrafft, dann aber wächst mit ihrem Mut ihre Haltung. Sie weigert sich, die Dokumente zu überprüfen. Zu spät erkennt sie die Falle, in die sie geraten, und zieht sich auf ihren alten Standpunkt zurück, daß sie sich nicht gleich zu gleich ihren Untertanen gegenüberstellen lasse. Ihr bloßes Königswort, daß alle diese Anschuldigungen und Dokumente falsch seien, müsse mehr gelten als alle Beweise und Behauptungen. Schroff weist sie den angebotenen Schacher zurück, sich einen Freispruch von einem Gericht, das sie nicht anerkennt, mit ihrer Abdankung zu erkaufen. Und entschlossen wirft sie den Unterhändlern die Worte entgegen, die sie durch ihr Leben und Sterben wahr gemacht: »Kein Wort mehr über die Möglichkeit eines Verzichts auf meine Krone! Ehe ich dem zustimme, bin ich lieber bereit, zu sterben, und die letzten Worte meines Lebens sollen die einer Königin von Schottland sein.«

 

Die Einschüchterung ist mißglückt, dem halben Mut Elisabeths hat Maria Stuart ihren geschlossenen entgegengesetzt. Wieder beginnt Elisabeth zu zaudern, und trotz Maria Stuarts Unbeugsamkeit wagt man keine offene Verurteilung. Vor den letzten Konsequenzen ihres eigenen Willens schreckt Elisabeth (man wird es immer und immer sehen) jedesmal zurück. Nicht so vernichtend, wie sie es geplant, aber perfid wie der ganze Prozeß fällt das Urteil aus. Am 10. Januar wird feierlich der krumme und lahme Richtspruch verkündet, gegen Moray und seine Anhänger sei nichts vorgebracht worden, was gegen Ehre und Pflicht verstoße. Damit ist die Rebellion der Lords eindeutig gebilligt. Unermeßlich zweideutiger lautet die Ehrenerklärung für Maria Stuart: die Lords hätten ihrerseits die Beschuldigungen gegen die Königin nicht hinreichend belegen können, um der Königin von England irgendeine schlechte Meinung von ihrer Schwester beizubringen. Oberflächlich gelesen, könnte man dies für eine Ehrenrettung halten und den Beweis als nicht geliefert, als nicht gelungen erklärt. Aber der vergiftete Widerhaken steckt in den Worten »been sufficiently«. Damit ist unterlegt, es sei wohl allerhand vorgebracht worden, was höchst verdächtig und belastend sei, nur nichts so »vollständig« Hinreichendes, um eine so gute Königin wie Elisabeth zu überzeugen. Und mehr braucht Cecil nicht für seine Zwecke: jetzt schwebt die Verdächtigung weiter über Maria Stuart, und ein zureichender Grund ist gefunden, die wehrlose Frau weiterhin gefangenzuhalten. Für den Augenblick hat Elisabeth gesiegt.

Aber dieser Sieg ist ein Pyrrhussieg. Denn solange sie Maria Stuart gefangenhält, leben zwei Königinnen innerhalb von England, und solange die eine lebt und die andere, wird das Land keine Ruhe finden. Immer wächst aus Unrecht Unruhe, immer ist, was listig ersonnen war, schlecht getan. Mit dem Tage, da sie Maria Stuart ihrer Freiheit beraubt, nimmt sich Elisabeth ihre eigene Freiheit. Indem sie Maria Stuart wie eine Feindin behandelt, gibt sie ihr das Recht zu jeder Feindseligkeit, ihr Wortbruch berechtigt sie zu jedem Wortbruch, ihre Lüge zu jeder Lüge. Jahre und Jahre wird Elisabeth den Irrtum büßen müssen, nicht ihrem ersten und natürlichsten Instinkt nachgegeben zu haben. Zu spät wird sie erkennen, daß Großmut in diesem Falle auch Klugheit gewesen wäre. Denn wie armselig klein wäre das Leben Maria Stuarts versandet, hätte Elisabeth nach der billigen Zeremonie eines kühlen Empfangs die Bittstellerin aus ihrem Lande entlassen! Denn wohin hätte die verächtlich Entlassene sich noch wenden können? Kein Richter und kein Dichter hätte sich ihrer je mehr angenommen; verfemt durch jene Skandale, gedemütigt durch die Großmut Elisabeths, wäre sie ziellos herumgeirrt von Hof zu Hof; in Schottland hätte ihr Moray den Weg gesperrt, weder Frankreich noch Spanien hätten mit besonderem Respekt die unangenehme Querulantin empfangen. Vielleicht hätte sie sich ihrem Temperament gemäß in neue Liebesaffären verstrickt, vielleicht wäre sie ihrem Bothwell hinüber nach Dänemark gefolgt. Aber ihr Name wäre entweder verschollen geblieben in der Geschichte oder bestenfalls wenig ehrenvoll genannt als der einer Königin, die den Mörder ihres Mannes geheiratet. Von all diesem dunklen und niederen Los hat einzig die Ungerechtigkeit Elisabeths welthistorisch Maria Stuart erlöst. Nur sie hat ihrer Feindin das Schicksal wieder groß gestaltet und, indem sie Maria Stuart zu erniedrigen suchte, in Wahrheit sie erhöht und der schon Gestürzten das Haupt mit dem Nimbus des Märtyrertums umgeben. Keine ihrer eigenen Taten hat Maria Stuart zu solcher legendarischen Figur erhoben wie das unnötig erlittene Unrecht, und keine so sehr Elisabeths moralisches Maß gemindert, als daß sie verabsäumte, in großem Augenblicke wahrhaft großmütig zu sein.


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