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August 1586 bis Februar 1587
Endlich ist das Ziel erreicht. Maria Stuart ist in die Falle gegangen, sie hat den »consent« gegeben, sie hat sich schuldig gemacht. Jetzt brauchte Elisabeth eigentlich sich um nichts mehr zu bekümmern, für sie entscheidet und handelt die Justiz. Der Kampf eines Vierteljahrhunderts ist zu Ende, Elisabeth hat gesiegt, sie dürfte frohlocken wie das Volk, das lärmend und begeistert in den Straßen Londons die Errettung seiner Herrscherin aus Mordgefahr und den Triumph der protestantischen Sache feiert. Aber aller Erfüllung ist immer Bitternis geheimnisvoll beigemengt. Gerade jetzt, da Elisabeth zuschlagen könnte, bebt ihr die Hand. Tausendmal leichter war es gewesen, die Unvorsichtige in die Falle zu locken, als nun die wehrlos Verstrickte zu töten. Hätte Elisabeth gewaltsam die unbequeme Gefangene aus dem Wege schaffen wollen, so waren ihr längst hundert unauffällige Möglichkeiten geboten. Schon vor fünfzehn Jahren hatte das Parlament verlangt, man solle Maria Stuart mit der Axt die letzte Warnung geben, und von seinem Totenbette hatte John Knox noch Elisabeth beschworen: »Wenn sie nicht die Wurzel treffen, werden die Zweige wieder Knospen treiben, und das schneller, als man sich vorstellen kann.« Aber immer hatte sie geantwortet, »sie könne den Vogel nicht töten, der vor dem Habicht hilfesuchend zu ihr geflohen sei«. Jedoch jetzt gibt es keine Wahl mehr als Gnade oder Tod, jetzt steht sie drängend vor ihr, die immer weggeschobene und doch unaufschiebbare Entscheidung. Elisabeth erschauert vor ihr, sie weiß, welche ungeheuren und kaum übersehbaren Weiterungen ihr Richtspruch enthält. Wir von heute vermögen das Gewichtige, Revolutionäre jener Entscheidung kaum mehr nachzuempfinden, die damals noch die ganze gültige Hierarchie der Welt erschütterte. Denn eine gesalbte Königin unter das Beil zu drücken bedeutet nicht weniger, als den bislang hörigen Völkern Europas darzutun, daß auch der Monarch eine richtbare, eine hinrichtbare Person darstelle und keine unantastbare – darum steht bei Elisabeths Entschließung nicht ein sterblicher Mensch in Frage, sondern eine Idee. Auf Hunderte Jahre muß das Präjudiz sich als Warnung für alle Könige dieser Erde auswirken, daß schon einmal ein gekröntes Haupt auf dem Schafott gefallen ist; keine Hinrichtung Karls I., des Stuartenkels, ohne die Berufung auf dieses Beispiel; kein Ludwig XVI. und keine Marie Antoinette wiederum ohne Karls I. Geschick. Mit ihrem weiten Blick, mit ihrem starken menschlichen Verantwortungsgefühl ahnt Elisabeth etwas von der Unwiderruflichkeit ihres Entschlusses, sie zögert, sie zagt, sie schwankt, sie verschiebt und vertagt. Noch einmal, und noch leidenschaftlicher als jemals zuvor, beginnt in ihr der Widerstreit der Vernunft gegen das Gefühl, der Kampf Elisabeths gegen Elisabeth. Und immer ist es ein erschütterndes Schauspiel, einen Menschen im Kampf mit seinem Gewissen zu sehen.
Bedrängt von diesem Zwiespalt ihres Wollens und Nichtwollens, will Elisabeth zum letztenmal dem Unvermeidlichen ausweichen. Immer hat sie die Entscheidung von sich weggestoßen, immer wieder war sie in ihre Hand zurückgefallen. So versucht sie noch einmal in letzter Stunde, sich zu entlasten und die Verantwortung Maria Stuart zuzuschieben. Sie schreibt an sie einen (nicht erhaltenen) Brief, in dem sie ihr nahelegt, sie möge ihr in einem privaten Schreiben ein klares Geständnis über ihre Teilnahme an der Verschwörung übermitteln, Königin zu Königin, und damit sich lieber ihrem persönlichen Urteil anheimgeben als dem eines öffentlichen Gerichts.
Dieser Vorschlag Elisabeths stellte in der Tat die einzig mögliche Lösung dar, die jetzt noch zu finden wäre. Nur sie könnte Maria Stuart die Erniedrigung des öffentlichen Verhörs ersparen, die Verurteilung und die Hinrichtung. Für Elisabeth wiederum bedeutete es unermeßliche Sicherung, durch ein eigenhändig geschriebenes kompromittierendes Geständnis die unbequeme Prätendentin gleichsam in moralischem Gewahrsam zu halten. Maria Stuart könnte wahrscheinlich dann ruhig irgendwo im Dunkel weiterleben, wehrlos durch ihr Bekenntnis, und Elisabeth ruhig im Licht und auf der Höhe ihrer Herrschaft. Dauernd wären die Rollen verteilt, nicht mehr nebeneinander und gegeneinander würden sie in der Geschichte stehen, Elisabeth und Maria Stuart, sondern die Schuldige läge auf den Knien vor der Verzeihenden, die Begnadigte vor der Retterin ihres Lebens.
Aber Maria Stuart will gar nicht mehr gerettet sein. Immer war ihre stärkste Kraft der Stolz, und eher wird sie das Knie beugen vor dem Schafott als vor einer Protektorin, lieber unsinnig leugnen als klar bekennen, lieber zugrunde gehen als sich demütigen. So schweigt Maria Stuart stolz zu diesem Angebot, das sie zugleich erretten und erniedrigen soll. Sie weiß, als Herrscherin hat sie verspielt; nur eine Macht ist ihr noch auf Erden geblieben: Elisabeth, ihre Gegnerin, ins Unrecht zu setzen. Und da sie als Lebende ihre Feindin nicht mehr zu schädigen vermag, faßt sie entschlossen diese letzte Waffe: Elisabeth als Mitleidslose vor der Welt schuldig zu machen und sie zu beschämen durch einen glorreichen Tod.
Maria Stuart hat die dargereichte Hand zurückgestoßen; nun muß Elisabeth, gedrängt von Cecil und Walsingham, den Weg gehen, der ihr eigentlich verhaßt ist. Um dem beabsichtigten Prozeßverfahren eine rechtliche Grundlage zu verleihen, werden zunächst die Kronjuristen berufen, und Kronjuristen fällen fast immer gehorsam jene Entscheidung, welche der jeweilige Kronträger verlangt. Eifrig durchstöbern sie die Geschichte nach Präzedenzfällen, ob schon vordem Könige einem ordentlichen Gericht unterworfen worden seien, damit die Anklage keinen zu sichtbaren Bruch mit der Tradition, kein Novum darstelle. Aber die Beispiele, die sie herauskratzen, sind recht kümmerlich: Cajetanus, ein kleiner Tetrarch zur Zeit Cäsars, der ebenso unbekannte Licinius, ein Schwager Konstantins, schließlich Konradin von Hohenstaufen und Johanna von Neapel – das sind die einzigen Fürsten, die nachweisbar durch einen Rechtsspruch vom Leben zum Tode gebracht wurden. In ihrer servilen Willensbeflissenheit gehen die Juristen aber sogar so weit, das von Elisabeth vorgeschlagene Adelsgericht für überflüssig zu erklären; nach ihrem Gutachten genügte es, Maria Stuart, da ihr »Verbrechen« in Staffordshire begangen worden sei, vor die gewöhnliche Bürgerjury dieses Distriktes zu stellen. Aber ein so demokratisches Rechtsverfahren paßt Elisabeth ganz und gar nicht. Sie hält auf Formen, sie will, daß eine Tudorsenkelin und Stuartstochter wirklich königlich, daß sie in Würden und Ehren, mit Pomp und Pracht, mit allem Respekt und aller Reverenz, die einer Fürstin gebühren, beiseite geschafft werde und nicht durch das Verdikt von ein paar Bauern und Krämern. Zornig fährt sie auf die Übereifrigen los: »Das wäre fürwahr ein schönes Verfahren gegen eine Prinzessin. Ich halte es für richtig, um solche Absurditäten (wie die Verurteilung durch zwölf Bürger) zu vermeiden, die Überprüfung einer so gewichtigen Sache einer reichlichen Zahl der edelsten Personen und Richter dieses Landes zu übertragen. Denn wir Fürstinnen sind auf die Bühne der Welt in volle Sicht der Welt gestellt.« Einen königlichen Prozeß, eine königliche Hinrichtung, ein königliches Begräbnis will sie für Maria Stuart und beruft darum einen Adelsgerichtshof, ausgewählt aus den besten und vornehmsten Männern der Nation.
Jedoch Maria Stuart zeigt keine Neigung, auch von den blaublütigsten Untertanen ihrer Schwesterkönigin sich verhören oder aburteilen zu lassen. »Wie«, fährt sie die Abgesandten an, die sie in ihrem Zimmer empfängt, ohne ihnen einen Schritt entgegenzugehen, »weiß Ihre Herrin nicht, daß ich als Königin geboren bin? Glaubt sie, daß ich meine Stellung, meinen Staat, das Geschlecht, von dem ich stamme, den Sohn, der mir nachfolgen wird, die Könige und fremden Prinzen, deren Rechte in meiner Person erniedrigt werden, herabwürdigen werde, indem ich einer solchen Ladung Folge leiste? Nein! Niemals! So gebeugt ich auch scheinen mag, mein Herz ist aufrecht und wird sich keiner Erniedrigung unterwerfen.«
Aber ewiges Gesetz: weder Glück noch Unglück können einen Charakter vollkommen verändern. Immer bleiben die Vorzüge, immer die Fehler Maria Stuarts dieselben. Immer wird sie in gefährlichen Augenblicken große Haltung zeigen, aber immer dann zu lässig sein, ihre anfängliche Festigkeit gegen längeren Druck durchzuhalten. Wie in dem Prozeß von York läßt sie sich abermals von ihrem Standpunkt der unantastbaren Souveränität schließlich abdrängen und gibt damit die einzige Waffe aus der Hand, die Elisabeth fürchtet. Nach langem schwerem Kampf erklärt sie sich bereit, den Abgesandten Elisabeths Rede zu stehen.
Am 14. August bietet die Halle des Schlosses von Fotheringhay ein feierliches Bild. An der Endwand des Saales ist ein Thronhimmel aufgerichtet über einem Prunkfauteuil, der alle diese tragischen Stunden leer bleiben wird; nur als Symbol soll durch dieses Armsessels stumme Gegenwart dargetan sein, daß unsichtbar die Königin von England, Elisabeth, diesem Gericht vorsitzt und in ihrem Sinn und Namen der endgültige Spruch gefällt wird. Rechts und links neben der Estrade sind in der Ordnung ihres Ranges die verschiedenen Mitglieder des Gerichts aufgestellt, in der Mitte des Raumes steht ein Tisch für die Generalankläger, Untersuchungsrichter, die Rechtspersonen und Protokollschreiber.
In diesen Raum wird Maria Stuart, wie immer in diesen Jahren in strenges Schwarz gekleidet, am Arme ihres Haushofmeisters geführt. Beim Eintreten wirft sie einen Blick auf die Versammlung und sagt verächtlich: »Wie viele Rechtskundige hier sind, und doch kein einziger für mich.« Dann schreitet sie zu einem Fauteuil, den man ihr wenige Schritte vor dem Thronhimmel, aber einige Stufen unterhalb des leeren Thronsessels angewiesen hat. Die »overlordship«, dies immer wieder umkämpfte Oberrecht Englands über Schottland, nun wird es sinnlich sichtbar durch diese kleine taktische Anordnung, daß Elisabeths Sessel oberhalb des ihren steht. Aber auch eine Spanne vor ihrem Tod wird Maria Stuart diese Überordnung nicht anerkennen. »Ich bin Königin«, sagt sie laut genug, um gehört und verstanden zu werden, »ich war mit einem König von Frankreich vermählt, und mein Platz sollte dort oben sein.«
Nun beginnt die Verhandlung. Ebenso wie in York und Westminster wird der Prozeß unter Mißachtung auch der primitivsten Rechtsbegriffe inszeniert. Abermals hat man die Hauptzeugen – damals die Diener Bothwells, diesmal Babington und seine Gefährten – schon vor dem Prozeß mit verdächtiger Eile hingerichtet: nur ihre schriftlichen, in Todesnot abgepreßten Aussagen liegen auf dem Verhandlungstisch. Und weiterer Rechtsbruch: selbst die Belastungsdokumente, auf die hin Maria Stuart abgeurteilt werden soll, ihre Briefe an Babington und jene Babingtons an sie, werden unerklärlicherweise nicht aus den Originalen vorgelesen, sondern aus Abschriften. Mit Recht kann Maria Stuart Walsingham anfahren: »Wie kann ich sicher sein, daß man nicht meine Chiffrenzeichen gefälscht hat, um mich zum Tode verurteilen zu lassen?« Juridisch könnte eine Verteidigung hier kraftvoll einsetzen, und hätte man Maria Stuart einen Anwalt bewilligt, ihm würde es ein leichtes sein, auf solche offenkundige Rechtswidrigkeiten hinzuweisen. Aber Maria Stuart steht allein vor den Richtern, unkund der englischen Gesetze, ohne Kenntnis des Belastungsmaterials, und verhängnisvollerweise begeht sie den gleichen Fehler wie seinerzeit in York und Westminster. Sie beschränkt sich nicht darauf, einzelne wirklich verdächtige Tatsachen zu bestreiten, sondern sie leugnet alles en bloc, sie bestreitet auch das Unbestreitbare. Sie leugnet zunächst überhaupt, Babington jemals gekannt zu haben, und muß doch am zweiten Tage unter der Last der Beweise zugeben, was sie vorher abgestritten hatte. Damit verschlechtert sie ihre moralische Position, und es ist schon zu spät, wenn sie in letzter Minute wieder auf den alten Standpunkt zurückflüchtet, sie verlange »als Königin das Recht, daß man mir auf mein Königswort hin Glauben schenke«. Nichts hilft es mehr, daß sie ausruft: »Ich bin in dieses Land gekommen im Vertrauen auf die Freundschaft und die Versprechungen der Königin von England, und hier, Mylords« – bei diesen Worten zieht sie einen Ring vom Finger und zeigt ihn den Richtern –, »ist das Zeichen der Neigung und des Schutzes, das ich von Ihrer Königin empfangen habe.« Denn diese Richter wollen gar nicht das Recht verteidigen, das ewige und unbestreitbare, sondern einzig ihre eigene Königin, sie wollen ihrem Lande Ruhe schaffen. Das Urteil ist längst abgekartet, und als sich am 28. Oktober in der Starchamber von Westminster die Richter versammeln, bringt nur ein einziger, Lord Zouche, den Mut auf, zu erklären, er sei nicht völlig überzeugt, daß Maria Stuart der Königin von England nach dem Leben getrachtet habe. Damit beraubt er zwar den Schuldspruch seines schönsten Schmuckes, der Einstimmigkeit, aber die anderen erkennen gehorsam Maria Stuart schuldig. Und so setzt sich ein Schreiber hin und malt mit schönen Lettern den Spruch auf ein Pergament, daß »die genannte Maria Stuart, welche den Anspruch auf die Krone dieses Königreiches von England erhebe, verschiedene Pläne gebilligt und ausgedacht habe zu dem Zwecke, die königliche Person unserer Herrscherin, die Königin von England, zu verletzen, zu vernichten oder zu töten.« Und die Buße für ein solches Vergehen ist, das Parlament hat es im voraus beschlossen, der Tod.
Recht zu sprechen und das Urteil zu fällen war die Pflicht des versammelten Adelsgerichtes. Es hat auf Schuld und Tod erkannt. Aber Elisabeth, der Königin, ihr steht noch ein anderes Recht zu über dem irdischen, das hohe und heilige, das menschliche und großmütige, Gnade zu gewähren für erkannte Schuld. Einzig in ihrem Willen liegt es, den gesprochenen Tod wieder in lebendiges Leben zu verwandeln, abermals ist die verhaßte Entscheidung auf sie, und sie allein, zurückgefallen. Wie sich ihrer erwehren? Abermals steht Elisabeth gegen Elisabeth. Und wie in der antiken Tragödie die Chöre in Strophe und Gegenstrophe sich zur Rechten und Linken des von seinem Gewissen bedrängten Menschen, so erheben sich nun Stimmen von außen und innen, die einen zur Härte mahnend, die andern zur Nachsicht. Über ihnen allen aber steht im Unsichtbaren der Richter unseres irdischen Tuns, die Geschichte, die immer den Lebenden gegenüber schweigt und erst, wenn sie ihr Dasein vollendet, vor der Nachwelt ihre Taten wägt.
Die Stimmen zur Rechten sagen immer wieder unerbittlich und vernehmlich: Tod, Tod, Tod. Der Staatskanzler, der Kronrat, die nächsten Freunde, die Lords und die Bürger, das Volk, alle sehen sie nur die einzige Möglichkeit, Frieden für das Land und Ruhe für ihre Königin zu erlangen: wenn das Haupt Maria Stuarts fällt. Feierlich petitioniert das Parlament: »Wir bitten auf das untertänigste im Hinblick auf die Fortdauer der von uns bekannten Religion und im Hinblick auf die Sicherheit der königlichen Person und das Gemeinwohl des Reichs, daß Ihre Majestät schleunigen Befehl erteile, das Urteil gegen die schottische Königin öffentlich kundzugeben, und verlangen, da wir kein anderes Mittel kennen, die Sicherheit Ihrer Majestät zu gewährleisten, die gerechte und schleunige Hinrichtung der genannten Königin.«
Elisabeth ist dieses Drängen willkommen. Sie wünscht ja nichts sehnlicher, als der Welt zu erweisen, nicht sie verfolge Maria Stuart, sondern das englische Volk bestehe auf der Vollstreckung des richterlichen Spruchs. Und je lauter, je weiterhin hörbar, je sichtbarer dieses Lärmen wird, um so besser. Denn damit wird ihr Gelegenheit zu einer großen Arie der Güte und Menschlichkeit auf der »Bühne der Welt« gegeben, und als gelernte gute Schauspielerin nützt sie den gebotenen Anlaß bis zum Rande aus. Mit Ergriffenheit lauscht sie der beredten Mahnung des Parlaments, demütig dankt sie Gott, daß sein Wille sie aus dieser Lebensgefahr gerettet habe; dann aber erhebt sie die Stimme und spricht gleichsam über den Raum hinweg zur ganzen Welt und zur Geschichte, um sich freizusprechen von jeder Schuld an Maria Stuarts Geschick. »Obwohl mein Leben gefährlich bedroht wurde, bekenne ich hier, daß nichts mich mehr geschmerzt hat, als daß jemand meines Geschlechts, von gleichem Rang und Ursprung und mir so nahe blutsverwandt, eine so große Schuld auf sich geladen hat. So weit bin ich von jeder Böswilligkeit entfernt gewesen, daß ich sofort nach der Entdeckung der gegen mich gerichteten verbrecherischen Handlungen ihr geheim schrieb, daß, wenn sie mir in einem vertraulichen Briefe ein Geständnis mache, alles im stillen erledigt werden sollte. Ich schrieb ihr das keineswegs, um sie in eine Falle zu locken, denn ich wußte damals schon alles, was sie mir überhaupt eingestehen konnte. Aber auch jetzt, da die Sache schon so weit gekommen ist, würde ich, wenn sie offene Reue bezeugen wollte und niemand mehr in ihrem Namen Ansprüche gegen mich geltend machte, ihr noch willig verzeihen, wenn nur mein Leben davon abhängen würde und nicht auch die Sicherheit und das Wohlergehen meines Staates. Denn nur für Euch und mein Volk wünsche ich noch zu leben.« Offen gesteht sie ein, wie sehr ihr Zögern beeinflußt sei von der Furcht vor dem Urteil der Geschichte. »Denn wir Prinzen stehen wie auf einer Bühne vor dem Blick und der Neugierde der ganzen Welt. Der kleinste Schmutzfleck auf unserem Gewande wird beobachtet, jede Schwäche in unseren Taten rasch bemerkt, und wir müssen daher besonders vorsichtig sein, daß unsere Handlungsweise immer gerecht und ehrenvoll sei.« Aus diesem Grunde ersuche sie auch das Parlament, zu entschuldigen, wenn sie sich nicht sofort entscheide, denn »es ist meine Art, auch in Angelegenheiten weit geringeren Ranges, lange das zu überlegen, was schließlich beschlossen werden soll«.
Ist diese Rede aufrichtig, ist sie es nicht? Beides zugleich, denn in Elisabeth lebt ein doppelter Wille: sie möchte befreit sein von ihrer Gegnerin und doch vor der Welt als die Großmütige und Verzeihende erscheinen. Nach zwölf Tagen richtet sie an den Lordkanzler neuerdings die Anfrage, ob nicht doch eine Möglichkeit bestünde, einerseits das Leben Maria Stuarts zu sparen und zugleich das eigene zu sichern. Aber nochmals erneuert der Kronrat, erneuert das Parlament sein Drängen, es gäbe keinen anderen Ausweg. Und abermals nimmt Elisabeth das Wort. Ein starker und fast überzeugter Ton von Wahrhaftigkeit – nie hat sie schöner gesprochen – schwingt diesmal in ihren Worten mit. Ihr innerstes Empfinden spricht sich aus, wenn sie sagt: »Ich bin heute in einem größeren Zwiespalt mit mir selbst als jemals in meinem Leben, ob ich sprechen soll oder schweigen. Würde ich sprechen und klagen, so würde ich heucheln, wäre ich wiederum still, so wäre alle Eure Mühe vergebens. Es mag Euch sonderbar dünken, daß ich Klage führe, aber ich gestehe ein, daß es mein innerster Wunsch war irgendein anderer Ausweg möge gefunden werden, um Eure Sicherheit und meine Wohlfahrt zu schützen, als der vorgeschlagene ... Aber da nun festgestellt ist, daß meine Sicherheit nicht gewährleistet bleiben kann, außer durch ihren Tod, so habe ich ein tiefinnerliches Gefühl von Trauer, daß gerade ich, die ich so viele Aufständische begnadigte und an so vielen Verrätereien mit Schweigen vorübergegangen bin, Grausamkeit gegen eine so hohe Fürstin zeigen soll ...« Schon läßt sie durchfühlen, daß sie geneigt sei, falls man nur gründlich weiterdränge, sich überreden zu lassen. Aber klug und zweideutig wie immer, bindet sie sich an kein klares Ja oder Nein, sondern schließt ihre Rede mit den Worten: »Ich bitte Euch, begnügt Euch für den Augenblick mit einer Antwort ohne Antwort. Ich stehe nicht gegen Eure Meinung, ich begreife Eure Gründe, aber ich bitte Euch, nehmt meine Dankbarkeit entgegen, entschuldigt meine inneren Zweifel und nehmt es freundlich auf, daß ich Euch ohne Antwort antworte.«
Die Stimmen zur Rechten haben gesprochen. Laut und vernehmlich haben sie Tod, Tod, Tod gesagt. Aber auch die Stimmen zur Linken, die Stimmen auf der Seite des Herzens, werden immer beredter. Eine eigene Gesandtschaft sendet der französische König über das Meer und mahnt an das gemeinsame Interesse aller Könige. Er erinnert Elisabeth, daß sie in der Unverletzlichkeit Maria Stuarts auch die eigene verteidige, er mahnt, der oberste Grundsatz, gut und glücklich zu regieren, sei, kein Blut zu vergießen. Er erinnert an das bei allen Völkern geheiligte Gastrecht, Elisabeth möge sich also nicht gegen Gott vergehen, indem sie an das Haupt einer gesalbten Königin rühre. Und da Elisabeth ihrer hinterhältigen Art gemäß nur halbe Zusicherungen macht und sich in undurchsichtigen Redensarten ergeht, wird der Ton der ausländischen Gesandten immer schärfer. Was zuerst eine Bitte war, steigert sich zur gebieterischen Warnung, zur offenen Drohung. Aber Elisabeth, weltkundig und seit einem Vierteljahrhundert mit allen Winkelzügen der Politik vertraut, hat ein feines Ohr. Sie horcht bei allen diesen pathetischen Reden nur auf eines: ob die Gesandten in den Falten ihrer Toga auch den Auftrag haben, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen und den Krieg zu erklären. Und bald hört sie heraus, daß hinter den lauten, polternden Worten kein Eisen klirrt, daß weder Heinrich III. noch Philipp II. ernstlich entschlossen sind, das Schwert zu ziehen, sofern das Henkerbeil in den Nacken Maria Stuarts fährt.
So antwortet sie schließlich nur mehr mit gleichgültigem Achselzucken auf den diplomatischen Theaterdonner Frankreichs und Spaniens. Geschickter freilich muß ein anderer Einspruch zur Seite geschoben werden, derjenige Schottlands. Denn wenn irgend jemand auf Erden, so hätte James VI. die heilige Pflicht, die Hinrichtung einer Königin von Schottland in fremdem Lande zu verhindern, denn das Blut, das vergossen würde, ist sein eigenes Blut, die Frau, der das Leben genommen werden soll, dieselbe, die ihm das seine gegeben: seine Mutter. Kindliche Sohnesliebe allerdings hat bei James VI. nicht viel Raum. Seit er Pensionär und Verbündeter Elisabeths geworden ist, steht ihm seine Mutter, die ihm den Königtitel verweigert, die ihm feierlich abgeschworen und versucht hat, sein Erbrecht fremden Königen zu übertragen, eigentlich nur im Wege. Kaum hört er von der Aufdeckung der Babington-Verschwörung, so beeilt er sich, Elisabeth seine Glückwünsche zu übermitteln, und sagt zum französischen Gesandten, der ihn bei seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, mit dem Verlangen stört, er solle seinen Einfluß zugunsten seiner Mutter geltend machen, recht ärgerlich, »sie solle die Suppe nur auslöffeln, die sie sich eingebrockt habe« (qu'il fallait qu'elle but la boisson qu'elle avait brassé). Ausdrücklich erklärt er, es sei ihm gleichgültig, »wie eng sie gehalten werde und wenn man alle ihre niederträchtigen Diener aufhänge«. Aber das beste wäre, »sie möge sich überhaupt mit nichts anderem mehr befassen, als zu Gott zu beten«. Nein, die ganze Sache gehe ihn nichts an, und anfänglich weigert sich dieser wenig sentimentale Sohn überhaupt, eine Gesandtschaft nach London zu schicken. Erst als schon die Verurteilung Maria Stuarts erfolgt ist und in ganz Schottland nationale Erbitterung sich erhebt, daß eine fremde Königin sich an dem Leben der gesalbten Königin von Schottland vergreifen wolle, muß er schließlich doch merken, welch traurige Figur er spielen würde, wenn er weiterhin stumm bliebe und nicht wenigstens pro forma etwas täte. Zwar geht er nicht so weit, wie das schottische Parlament es verlangt, das im Falle einer Hinrichtung sofortige Aufkündigung des Bündnisses und sogar Krieg fordert. Aber er setzt sich immerhin an das Pult und schreibt energische, erregte und drohende Briefe an Walsingham und sendet eine Gesandtschaft nach London.
Elisabeth hat mit diesem Protest selbstverständlich gerechnet. Aber auch hier horcht sie einzig auf den Unterton. Die Abgeordneten James' VI. teilen sich in zwei Gruppen. Die eine, die offizielle, fordert laut und vernehmlich, das Todesurteil dürfe keinesfalls vollstreckt werden. Sie droht mit der Lösung der Allianz, sie klirrt mit dem Schwert, und die schottischen Adeligen, welche die harten Reden übermitteln, haben das Pathos ehrlicher Überzeugung. Aber sie ahnen gar nicht, daß, während sie im Empfangssaal donnern und drohen, sich unterdes durch die Hintertür ein anderer Agent, ein persönlicher Vertreter James' VI., in die Privatgemächer Elisabeths geschlichen hat und dort leise über eine andere Forderung verhandelt, die dem schottischen König weitaus wichtiger ist als das Leben seiner Mutter, nämlich über seine Anerkennung als Erbe des englischen Thrones. Dieser heimliche Unterhändler James' VI. hat den Auftrag – so berichtet der gutinformierte französische Botschafter –, sie zu verständigen, daß, wenn James ihr so laut und heftig drohte, dies nur um seiner Ehre und des äußern Anscheins willen geschehe (»for his honour and reputation«) und er sie bitte, diese Heftigkeit nicht »in ill parte« zu nehmen, nicht als Unfreundlichkeit zu betrachten. So bekommt Elisabeth gültig bestätigt, was sie wahrscheinlich längst wußte, nämlich, daß James VI. bereit sei, die Hinrichtung seiner Mutter schweigend hinunterzuschlucken (»to digest it«), sofern ihm nur der Köder einer halben oder ganzen Zusicherung für die Thronfolge hingehalten wird. Und bald beginnt hinter den Kulissen ein Schacher niederträchtigster Natur. Die Feindin und der Sohn Maria Stuarts rücken näher zusammen, von gleicher dunkler Absicht zum erstenmal verbunden, denn beide wollen sie im geheimen dasselbe und beide wollen es nicht vor der Welt offenbar haben. Beiden steht Maria Stuart im Wege, beide müssen sie aber so tun, als ob es ihre heiligste, ihre wichtigste, ihre eigenste Sache wäre, sie zu beschirmen und zu beschützen. Doch in Wahrheit kämpft nicht Elisabeth um das Leben ihrer Schicksalsschwester und nicht James VI. um das Leben seiner Mutter, sondern beide nur um eine schöne Geste »auf der Bühne der Welt«. De facto hat James VI. längst durchblicken lassen, daß er auch im äußersten Falle Elisabeth keine Schwierigkeiten machen werde, und damit eigentlich ihr schon den Freibrief zur Hinrichtung seiner Mutter gegeben. Noch ehe die Fremde, die Feindin sie in den Tod schickt, hat der eigene Sohn sie geopfert.
Frankreich und Spanien und Schottland, niemand wird, das weiß Elisabeth nun, ihr wirklich in den Arm fallen, wenn sie ein Ende machen will. Und nur ein Mensch könnte jetzt vielleicht noch Maria Stuart retten: Maria Stuart selbst. Sie brauchte nur um Gnade zu bitten, und wahrscheinlich wäre Elisabeth mit diesem innerlichen Triumph zufrieden. Im tiefsten wartet sie sogar heimlich nur auf diesen Ruf, der sie von ihren Gewissensqualen erlöste. Alles wird in diesen Wochen getan, um den Stolz Maria Stuarts zu brechen. Elisabeth sendet ihr, sobald das Todesurteil ausgesprochen ist, das Dokument der Verurteilung zu, und Amyas Poulet, dieser trockene, nüchterne und in seiner penetranten Anständigkeit nur noch widerlichere Beamte, nützt sofort den Anlaß, um die Verurteilte, die für ihn nur mehr »une femme morte sans nulle dignité« ist, zu beleidigen. Zum erstenmal behält er in ihrer Gegenwart den Hut auf dem Kopf – kleine dumme Frechheit einer subalternen Seele, welche fremdes Unglück hochmütig statt demütig macht –, er befiehlt ihren Dienstleuten, den Thronbaldachin mit dem Wappen Schottlands sofort zu entfernen. Aber die Dienerschaft weigert sich, dem Kerkermeister zu gehorchen, und wie dann Poulet durch seine eigenen Untergebenen den Baldachin abreißen läßt, hängt Maria Stuart an die Stelle, wo bisher das Wappen Schottlands befestigt war, ein Kruzifix, um darzutun, daß eine höhere Macht hinter ihr stünde als Schottland; bei jeder kleinen und vexatorischen Beleidigung seitens ihrer Gegner fließt ihr jetzt eine starke Geste in die Hand. »Man bedroht mich, wenn ich nicht Gnade verlange«, schreibt sie an ihre Freunde, »aber ich sage, wenn sie mich schon bestimmt hat zu sterben, so möge sie in ihrer Ungerechtigkeit diesen Weg gehen.« Möge Elisabeth sie ermorden, um so schlimmer für Elisabeth! Besser ein Tod, der ihre Gegnerin vor der Geschichte demütigt, als eine erheuchelte Milde, die ihre Feindin mit der Aura der Großmut krönt! Statt gegen das überreichte Todesurteil zu protestieren oder um Gnade zu bitten, dankt sie demütig als Christin Gott für die Entscheidung, Elisabeth aber antwortet sie hochmütig als Königin: »Madame, ich danke Gott von ganzem Herzen, daß es ihm gefallen hat, durch Ihre Maßnahmen der langwierigen Pilgerschaft meines Lebens ein Ende zu machen. Ich bitte nicht darum, daß sie verlängert werde, ich habe zu viel Zeit gehabt, um die Bitterkeit des Lebens zu erfahren. Ich erbitte nur, da ich von den Ministern, welche die ersten Stellungen in England bekleiden, keine Gunst zu erwarten habe, von Ihnen (und niemandem andern) die folgenden Vergünstigungen:
Erstens ersuche ich, daß mein Körper, sobald meine Gegner sich an meinem unschuldigen Blute gesättigt haben, von meiner Dienerschaft nach irgendeiner geweihten Erde gebracht werde, um dort begraben zu werden, am besten nach Frankreich, wo die Gebeine der Königin, meiner verehrten Mutter, ruhen, damit dieser arme Leib, der niemals Ruhe kannte, solange er mit seiner Seele verbunden war, diese Ruhe finde, sobald er sich von seiner Seele gelöst hat. Zum zweiten bitte ich Eure Majestät um der Besorgnis willen, die ich vor der Tyrannei derjenigen hege, deren Gewalt Sie mich preisgegeben haben, daß ich nicht an irgendeinem verborgenen Ort hingerichtet werde, sondern angesichts meiner Dienerschaft und anderer Personen, die dann Zeugenschaft leisten können für meine Glaubenstreue gegen die wahre Kirche und die das Ende meines Lebens und meine letzten Seufzer gegen alle falschen Gerüchte zu verteidigen vermögen, welche meine Gegner ausstreuen könnten. Zum dritten ersuche ich, daß meine Diener, die mir inmitten so vieler Widerwärtigkeiten mit so viel Treue gedient haben, sich ungehindert dorthin begeben dürfen, wohin sie wollen, und sich des kleinen Besitzes erfreuen, den meine Armut ihnen in meinem Testament hinterlassen hat.
Ich beschwöre Sie, Madame, bei dem Gedächtnis Heinrichs VII., unseres gemeinsamen Ahnen, und bei dem Titel einer Königin, den ich noch bis zu meinem Tode tragen werde, mir nicht derart gerechte Wünsche unerfüllt zu lassen und mir dies durch ein Wort Ihrer Hand zuzusichern. Dann werde ich sterben, wie ich gelebt habe. Ihre wohlgeneigte Schwester und Gefangene, Maria, Königin.«
Man sieht: wunderbar und wider alles Erwarten sind in den letzten Tagen dieses jahrzehntelangen Kampfes die Rollen getauscht: seit Maria das Todesurteil empfangen, fühlt sie sich sicher und selbstbewußt. Ihr Herz zittert weniger, da sie das tödliche Dokument entgegennimmt, als Elisabeths Hand, da sie es unterzeichnen soll. Maria Stuart hat weniger Angst, zu sterben, als Elisabeth, sie zu töten.
Vielleicht glaubt sie in tiefster Seele nicht daran, daß Elisabeth die Kühnheit haben werde, einen Henker gegen sie, die gesalbte Königin, die Hand erheben zu lassen, vielleicht trägt sie die äußere Sicherheit bloß trügerisch zur Schau; aber jedenfalls, auch ein so argwöhnischer Beobachter wie Amyas Poulet vermag nicht das geringste Anzeichen von Unruhe an ihr wahrzunehmen. Sie fragt nicht, sie klagt nicht, keinen ihrer Wächter bittet sie um eine Vergünstigung. Sie versucht keine heimliche Verständigung mehr mit ihren auswärtigen Freunden, all ihr Widerstreben und Sichweigern und Sichwehren ist zu Ende, bewußt gibt sie ihren Willen an das Schicksal, an Gott zurück: er möge entscheiden.
In ernster Vorbereitung verbringt sie ihre Stunden. Sie macht ihr Testament, sie verteilt ihre irdische Habe im voraus an ihr Gesinde, sie schreibt an die Fürsten und Könige der Welt Briefe, aber nun nicht mehr, um sie anzueifern, Armeen zu senden und Krieg zu rüsten, sondern um ihnen zu versichern, daß sie bereit sei, mit aufrechter Seele im katholischen Glauben und für den katholischen Glauben zu sterben. Eine große Ruhe ist endlich über dieses unruhige Herz gekommen, Furcht und Hoffnung, »die schlimmsten Menschenfeinde«, wie Goethe sie nennt, vermögen nichts mehr über ihre gefestigte Seele. Genau wie ihre Schicksalsschwester Marie Antoinette begreift sie erst im Angesicht des Todes ihre eigentliche Aufgabe. Der Sinn historischer Verantwortung überhöht großartig ihre bisherige Lässigkeit, nicht auf Gnade bereitet sie sich mehr vor, sondern auf ein wirksames, ein demonstratives Sterben, auf einen Triumph durch den letzten Augenblick. Sie weiß, daß nur ein heldenhaft dramatischer Tod den tragischen Irrtum ihres Lebens vor der Welt entsühnen kann und nur ein Sieg mehr in diesem Dasein ihr gegönnt ist: ein würdiger Untergang.
Und großartiges Widerspiel gegen diese gefaßte, hoheitsvolle Ruhe der Verurteilten in Fotheringhay: die Unsicherheit, die rasende Nervosität, die wilde und zornige Ratlosigkeit Elisabeths in London. Maria Stuart ist entschlossen und Elisabeth ringt erst um ihren Entschluß. Nie hat sie so sehr unter ihrer Gegnerin gelitten wie jetzt, da sie völlig sie in ihren Händen hält. Elisabeth verliert in diesen Wochen den Schlaf, tagelang verharrt sie in düsterem Schweigen; unablässig spürt man sie mit diesem einzigen und unerträglichen Gedanken beschäftigt, ob sie das Todesurteil unterzeichnen, ob sie es vollstrecken lassen solle. Sie wälzt den Gedanken wie Sisyphus den Stein, aber immer wieder rollt er mit voller Wucht auf ihre Brust zurück und bedrückt ihr die Seele. Vergebens sprechen die Minister auf sie ein, noch immer spricht stärker ihr Gewissen. Jeden Vorschlag weist sie zurück und fordert immer neue. Cecil findet sie »veränderlich wie das Wetter«, einmal will sie Tod, einmal Gnade, immer wieder fragt sie und drängt sie ihre Freunde, ob es nicht »einen anderen Weg« gäbe, während sie im tiefsten doch weiß, daß es keinen andern gibt. Aber könnte es doch nur geschehen, würde es doch getan werden ohne ihr Wissen, ohne ihren ausdrücklichen Befehl, für sie getan, statt von ihr getan! Immer wilder schüttelt und rüttelt sie die Angst vor der Verantwortung, unablässig mißt sie die Vorteile und Nachteile einer solchen auffälligen Tat gegeneinander ab, und zur Verzweiflung ihrer Minister schiebt sie die Entscheidung mit zweideutigen, verärgerten, nervösen und unklaren Reden von Tag zu Tag von sich weg ins Unbestimmte. »With weariness to talk, her Majesty left off all till a time I know not when«, klagt Cecil, der als kalter und kluger Rechner die Not dieser erschütterten Seele nicht begreift. Denn wenn sie auch einen harten Kerkermeister über Maria Stuart gesetzt hat, ein noch viel härterer, der grausamste, den es auf Erden gibt, hält jetzt Elisabeth selbst Tag und Nacht gefangen: ihr Gewissen.
Drei Monate, vier Monate, fünf Monate, beinahe ein halbes Jahr dauert schon dieser innere Kampf Elisabeths gegen Elisabeth, ob sie der Stimme der Vernunft gehorchen solle oder jener der Menschlichkeit. Und bei einer solch unerträglichen Überspannung der Nerven ist es eigentlich nur natürlich, wenn der Entschluß eines Tages plötzlich wie eine Explosion erfolgt.
Am Mittwoch, dem 1. Februar 1587, wird der Staatsschreiber Davison – Walsingham hat das Glück oder die Klugheit, in diesen Tagen krank zu sein – im Garten von Greenwich plötzlich von Admiral Howard aufgefordert, er möge sofort zur Königin kommen und ihr das Todesurteil Maria Stuarts zur Unterzeichnung bringen. Davison holt das von Cecils eigener Hand ausgefertigte Dokument und überreicht es zugleich mit einer Reihe anderer Papiere der Königin. Aber sonderbar, Elisabeth, die große Schauspielerin, scheint es plötzlich gar nicht eilig zu haben mit der Unterschrift. Sie stellt sich gleichgültig, sie plaudert mit Davison über ganz abliegende Dinge, sie blickt zum Fenster hinaus, um die Helligkeit des winterlichen Morgens zu bewundern. Dann erst fragt sie Davison ganz gelegentlich – hat sie wirklich vergessen, daß sie ihn ausdrücklich mit dem Todesurteil herbefohlen? –, was er eigentlich bringe. Davison antwortet: Dokumente zur Unterschrift, darunter auch jenes, das Lord Howard ihm besonders befohlen hätte, ihr zu unterbreiten. Elisabeth nimmt die Blätter, hütet sich aber, sie zu überlesen. Rasch unterschreibt sie eines nach dem andern, darunter selbstverständlich auch das Todesurteil Maria Stuarts; anscheinend hatte sie ursprünglich beabsichtigt, so zu tun, als ob sie durch Nachlässigkeit ganz ahnungslos mitten unter anderen Papieren auch das tödliche Dokument unterzeichnet hätte. Aber bei dieser wetterwendischen Frau schlägt der Wind immer unerwartet rasch um. Der nächste Augenblick verrät schon, wie sehr sie ihrer Handlung bewußt gewesen, denn ausdrücklich erklärt sie Davison, sie hätte nur darum so lange gezögert, damit es allen offenbar sei, wie ungern sie ihre Zustimmung gegeben habe. Jetzt aber möge er das unterzeichnete Todesurteil dem Kanzler überbringen, es mit dem großen Staatssiegel siegeln lassen, ohne daß jemand anderer davon erfahre, und dann den »warrant« den zu seiner Ausführung bestimmten Personen übermitteln. Dieser Auftrag ist klar, er läßt Davison keine Möglichkeit, an Elisabeths entschlossenem Willen zu zweifeln. Und bis zu welchem Grade sie sich längst mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, bezeugt noch zwingender der Umstand, daß sie jetzt ganz kühl und klar mit Davison alle Einzelheiten bespricht. Die Hinrichtung solle in der großen Halle des Schlosses erfolgen, der offene Hof oder der Innenhof scheine ihr nicht recht geeignet dafür. Außerdem ermahnt sie ihn dringend, die Tatsache der Unterzeichnung des Todesurteils vor allen geheimzuhalten. Nach langer Qual eine Entscheidung gefunden zu haben entlastet immer das Herz. Auch ihr scheint die endlich gewonnene Sicherheit gute Laune zu verleihen; Elisabeth wird geradezu vergnügt, denn sie sagt zu Davison im Spaße, der Schmerz über diese Nachricht werde Walsingham gewiß töten.
Davison glaubt nun – und man kann es verstehen – die Angelegenheit erledigt. Er verbeugt sich und geht zur Tür. Aber in Wirklichkeit ist Elisabeth nie zu etwas eindeutig entschlossen, und niemals ist eine Angelegenheit bei ihr wahrhaft beendet. An der Tür ruft sie Davison noch einmal zurück, die heitere Laune, die echte oder gespielte Entschlossenheit der Wankelmütigen ist schon wieder völlig verschwunden. Unruhig geht Elisabeth auf und ab. Ob es nicht doch noch einen andern Weg gäbe? Schließlich hätten die »Members of the Association« doch geschworen, jede Person, die sich an einem Attentat gegen sie beteiligt hätte, zu töten. Und da Amyas Poulet und sein Gefährte in Fotheringhay beide Mitglieder dieser »Association« seien – wäre es da nicht deren verdammte Pflicht, diese Tat durchzuführen und ihr, der Königin, das Odium einer öffentlichen Hinrichtung abzunehmen? Walsingham möge jedenfalls, so ersucht sie Davison, an die beiden in diesem Sinne schreiben.
Dem guten Davison wird es allmählich unbehaglich. Er spürt genau, daß die Königin die Tat getan und doch nichts damit zu tun haben will; wahrscheinlich bedauert er schon, für dieses wichtige Gespräch keinen Zeugen zu besitzen. Aber was bleibt ihm übrig? Sein Auftrag ist deutlich. So geht er vorerst in die Staatskanzlei und läßt das Siegel auf dem Todesurteil anbringen, dann begibt er sich zu Walsingham, der im Sinne Elisabeths sofort den gewünschten Brief an Amyas Poulet verfaßt. Die Königin habe, so schreibt er, mit Bedauern einen gewissen Mangel an Eifer bei ihm bemerkt, daß er im Hinblick auf die Gefahr, die Maria Stuart für Ihre Majestät bedeute, nicht »von selbst und ohne jeden weiteren Auftrag« ein Mittel gefunden habe, Maria Stuart zu beseitigen. Er könne diese Beiseiteschaffung guten Gewissens übernehmen, da er ja den Eid der Association geschworen habe, und er würde damit die Königin entlasten, deren Abneigung, Blut zu vergießen, doch allbekannt sei.
Noch kann dieser Brief Amyas Poulet kaum erreicht haben und keinesfalls die Antwort aus Fotheringhay zurück sein, und schon ist der Wind in Greenwich wieder umgesprungen. Am nächsten Morgen, Donnerstag, klopft ein Bote an Davisons Tür mit einem Zettel der Königin; wenn er das Todesurteil dem Kanzler noch nicht zur Siegelung übergeben habe, solle er es insolange unterlassen, bis sie wieder mit ihm gesprochen habe. Hastig eilt Davison zur Königin und erklärt ihr, er habe sofort ihren Befehl ausgeführt, das Todesurteil sei bereits gesiegelt. Elisabeth scheint damit unzufrieden. Sie schweigt, aber sie tadelt Davison nicht. Und vor allem gibt die Zweideutige mit keinem Wort den Gegenauftrag, das gesiegelte Dokument ihr wieder zurückzubringen. Sie klagt nur von neuem, immer wieder werde jene Bürde auf ihre Schultern geworfen. Unruhig wandert sie im Zimmer auf und ab. Davison wartet, wartet auf eine Entscheidung, auf einen Auftrag, auf eine klare und deutliche Äußerung. Aber plötzlich verläßt Elisabeth den Raum, ohne ihm etwas befohlen zu haben.
Wieder ist es eine Szene shakespearischen Formats, die Elisabeth vor den Augen dieses einen Zuschauers spielt, wieder denkt man an Richard III., wie er Buckingham klagt, sein Gegner lebe, und doch nicht deutlich den Befehl gibt, ihn zu ermorden. Derselbe beleidigte Blick Richards III., da sein Vasall ihn versteht und doch nicht verstehen will, hat dem unglücklichen Davison entgegengeblitzt. Der arme Schreiber spürt, daß er auf glitschigen Grund geraten ist, und macht verzweifelte Anstrengungen, sich an anderen festzuhalten: nur nicht allein eine so ungeheure welthistorische Verantwortung übernehmen! Er sucht zunächst Hatton, den Freund der Königin, auf und schildert ihm seine entsetzliche Lage: Elisabeth habe ihm Auftrag gegeben, das Todesurteil der Vollstreckung zuzuführen, aber aus ihrem ganzen Benehmen werde er jetzt schon gewahr, daß sie hinterher den zweideutig formulierten Befehl ableugnen werde. Hatton kennt zu genau Elisabeth, um ihr Doppelspiel nicht zu durchschauen, aber er hat gleichfalls keine Lust, Davison ein klares Ja oder Nein zu sagen. Und nun wirft, wie beim Schlagball, einer die Verantwortung dem andern zu. Elisabeth hat sie Davison zugeworfen, Davison sucht sie Hatton weiterzugeben. Hatton seinerseits wieder verständigt schleunigst den Staatskanzler Cecil. Auch der will die Sache nicht zu der seinen machen, aber er beruft für den kommenden Tag eine Art geheimen Staatsrat. Nur die nächsten Freunde und Vertrauten Elisabeths sind geladen, Leicester, Hatton und sieben andere Adelige, die über Elisabeths Unverläßlichkeit aus vertrautem Umgang reichlich Bescheid wissen. Hier wird zum erstenmal deutlich gesprochen; Elisabeth, stellen sie gemeinsam fest, suche wegen ihres moralischen Prestiges den Schein zu vermeiden, als ob die Hinrichtung Maria Stuarts durch sie veranlaßt worden wäre. Sie wolle, um sich ein Alibi zu verschaffen, vor den Augen der Welt von der vollzogenen Tatsache »überrascht« werden. Es sei also die Pflicht ihrer Getreuen, bei dieser Komödie mitzuspielen und scheinbar gegen den Willen der Königin durchzuführen, was sie in Wahrheit verlange. Selbstverständlich sei die Verantwortung für diesen scheinbaren, aber gewollten Übergriff groß, und deshalb dürfe die Wucht ihres echten oder gespielten Zornes nicht auf einen einzelnen fallen. Cecil schlägt also vor, daß sie alle gemeinsam die Hinrichtung anordnen, aber auch gemeinsam dafür die Verantwortung übernehmen sollen. Lord Kent und Lord Shrewsbury werden ausersehen, die Vollstreckung des Todesurteils zu überwachen, und der Sekretär Beale wird mit den entsprechenden Instruktionen nach Fotheringhay vorausgesandt. Gemeinsam lastet die angebliche Schuld jetzt auf den zehn Teilnehmern des Staatsrats, die mit ihrer – von Elisabeth heimlich geforderten – Kompetenzüberschreitung endlich die »Bürde« von den Schultern der Königin genommen haben.
Eine der wesentlichsten Eigenschaften Elisabeths ist ansonsten ihre Neugierde. Immer will sie alles wissen und sofort wissen, was im Umkreis ihres Schlosses und im ganzen Reiche geschieht. Aber wie sonderbar: diesmal erkundigt sie sich weder bei Davison noch bei Cecile, noch sonst bei jemandem, was eigentlich mit dem von ihr unterzeichneten Todesurteil Maria Stuarts unterdessen geschehen sei. Völlig scheint sie in diesen drei Tagen dies eine und einzige vergessen zu haben, das sie sonst stündlich seit Monaten beschäftigt. Als hätte sie Lethe getrunken, so spurlos scheint diese wichtige Angelegenheit ihren Gedanken entschwunden. Und auch als am nächsten Morgen, Sonntag, die Antwort Amyas Poulets auf jenen Vorschlag ihr übermittelt wird, schweigt sie völlig an dem Verbleib des unterschriebenen Todesurteils vorbei.
Die Antwort Amyas Poulets macht der Königin wenig Freude. Er hat auf den ersten Blick verstanden, welche undankbare Rolle ihm da zugeschoben werden soll. Und er begreift sofort, welch übler Lohn ihn erwarte, wenn er tatsächlich Maria Stuart beiseite schaffte: öffentlich wird ihn die Königin dann als Mörder beschimpfen und dem Gericht überstellen. Nein, Amyas Poulet hofft auf keinen Dank vom Hause Tudor, er hat keine Neigung, sich zum Sündenbock auswählen zu lassen. Um aber nicht ungehorsam gegen seine Königin zu scheinen, versteckt sich der kluge Puritaner hinter eine höhere Instanz, hinter seinen Gott. Er hängt seiner Weigerung schleunigst den Mantel der Moralität um. »Mit Bitterkeit erfüllt es mein Herz«, antwortet er pathetisch, »daß ich so unglücklich bin, den Tag gesehen zu haben, an dem ich auf den Wunsch meiner gütigen Herrscherin aufgefordert werde, eine Tat zu tun, die Gott und das Recht verbieten. Mein Hab und Gut, meine Stellung und mein Leben sind zur Verfügung Ihrer Majestät, und ich bin bereit, sie schon morgen hinzugeben, wenn sie es wünscht, da ich sie nur einzig Ihrer gütigen Gunst danke. Aber Gott bewahre mich, einen so kläglichen Schiffbruch meines Gewissens zu erleiden und einen so großen Schandfleck meiner Nachkommenschaft zu hinterlassen, daß ich Blut ohne die Zustimmung des Gesetzes und ohne einen öffentlichen Befehl vergossen hätte. Ich hoffe, daß Ihre Majestät mit Ihrer gewohnten Güte meine ergebene Antwort freundlich aufnehmen wird.«
Aber Elisabeth denkt nicht daran, diesen Brief ihres Poulet, den sie noch vor kurzem wegen seiner »spotless actions, wise orders and safe regards« begeistert gelobt hatte, mit Güte aufzunehmen; zornig geht sie im Zimmer auf und ab und schmäht die »feinfühligen und übergenauen Burschen« (»dainty and precise fellows«), die alles versprechen und nichts durchführen. Poulet sei, tobt sie, ein Eidbrüchiger, er habe jenen »Act of Association« unterschrieben, auch unter Gefahr seines Lebens seiner Königin zu dienen. Es wären genug andere dagewesen, die gerne um ihretwillen die Tat unternommen hätten, ein gewisser Wingfield zum Beispiel. Mit echtem oder gespieltem Zorn fällt sie über den unglücklichen Davison her – Walsingham, der Kluge, hat das bessere Teil gewählt und sich krank gemeldet –, der ihr, bedauernswert naiv, vorschlägt, doch den offenen Weg des Rechtes zu beschreiten. Klügere Leute als er, fährt sie ihn an, seien anderer Meinung. Es sei höchste Zeit, daß die Angelegenheit endlich einmal erledigt werde, und eine Schande für sie alle, daß sie noch nicht ausgeführt sei.
Davison schweigt. Er könnte sich rühmen, die Ausführung sei schon im besten Gange. Aber er fühlt, daß er der Königin nichts Unliebsameres antun könnte, als wenn er sie ehrlich etwas wissen ließe, was sie unehrlicherweise wahrscheinlich längst schon weiß: nämlich, daß der Bote mit dem gesiegelten Todesurteil bereits unterwegs nach Fotheringhay ist und mit ihm ein vierschrötiger, kräftiger Mann, der Wort in Blut, Befehl in Vollstreckung verwandeln soll: der Scharfrichter von London.