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September 1585 bis August 1586
»Es muß einmal Schluß gemacht werden« – »The matter must come to an end« –, in diese stahlharte Formel faßt ein Minister Elisabeths das Gefühl des ganzen Landes ungeduldig zusammen. Nichts erträgt ein Volk, ein Mensch schwerer als dauernde Unsicherheit. Die Ermordung des andern Vorkämpfers der Reformation, des Prinzen von Oranien (Juni 1584), durch einen katholischen Fanatiker hat England deutlich gezeigt, wem der nächste Dolchstoß zugedacht ist, und immer schneller folgt jetzt eine Verschwörung der andern – also endlich heran an die Gefangene, von der all diese gefährliche Unruhe ausgeht! Endlich »das Übel an der Wurzel fassen«! Beinahe vollzählig treten im September 1584 die protestantischen Lords und Beamten zu einer »association« zusammen und verpflichten sich nicht nur »in der Gegenwart des ewigen Gottes mit Ehre und Eid, jede Person dem Tode zuzuführen«, die sich an einer Verschwörung gegen Elisabeth beteiligte, sondern auch »jeden Prätendenten, zu dessen Gunsten diese Leute konspirierten«, persönlich dafür haftbar zu machen. Das Parlament faßt dann in einem »act for the security of the Queen's Royal Person« diese Beschlüsse in gesetzliche Form. Jeder, der an einem Attentat gegen die Königin teilgenommen oder – dieser Passus ist wichtig – ihm bloß im Prinzip zugestimmt hat, steht von nun ab unter dem Beil. Außerdem wird festgesetzt, daß »jedwede Person, die einer Verschwörung gegen die Königin beschuldigt sei, durch ein aus vierundzwanzig von der Krone ernannten Beisitzern bestehendes Gericht verurteilt werden solle«.
Damit ist Maria Stuart zweierlei deutlich kundgetan. Erstens, daß in Hinkunft ihr königlicher Rang sie nicht länger vor einer öffentlichen Anklage schützt, zweitens, daß ein gelungenes Attentat auf Elisabeth ihr keineswegs Vorteil, sondern sie nur unbarmherzig auf das Schafott bringt. Es ist wie der letzte Fanfarenstoß, der eine widerspenstige Festung zur Ergebung auffordert. Ein weiteres Zögern noch, und der Pardon ist versäumt. Das Zwielicht und die Zweideutigkeiten zwischen Elisabeth und Maria Stuart sind vorüber, jetzt weht scharfe, schneidende Luft. Jetzt herrscht endlich Klarheit.
Daß die Zeit der höfischen Briefe und des höfischen Heuchelns vorbei ist und in dem jahrzehntelangen Kampf die letzte Runde gekommen, die keine Schonung mehr duldet – hasta al cuchillo –, kann Maria Stuart bald auch an anderen Maßnahmen erkennen. Denn der englische Hof hat beschlossen, nach all den Attentaten Maria Stuart schärfer anzufassen und ihr jedwede Möglichkeit weiteren Konspirierens und Intrigierens endgültig zu nehmen. Shrewsbury, der als Gentleman und Grandseigneur ein zu nachsichtiger Kerkermeister gewesen, wird von seinem Amt »released« – das Wort »befreit« trifft hier den wahren Sinn –, und tatsächlich dankt er auf den Knien Elisabeth, daß sie ihn endlich nach fünfzehn Jahren Ärgernis wieder zum freien Menschen macht. Statt seiner wird ein fanatischer Protestant Amyas Poulet bestellt. Und jetzt kann zum erstenmal mit Recht Maria Stuart von einer »servitude«, von einer Knechtschaft sprechen, in die sie gefallen ist, denn statt eines freundlichen Hüters ist ihr nun ein unerbittlicher Kerkermeister ins Haus gesetzt.
Amyas Poulet, ein Puritaner aus härtestem Holz, einer jener Gerechten und Übergerechten, wie sie die Bibel fordert, Gott aber nicht liebt, macht kein Hehl aus seiner Absicht, Maria Stuart das Leben schwer und unerfreulich zu gestalten. Mit vollem Bewußtsein, ja sogar freudig stolz, nimmt er die Pflicht auf sich, sie rücksichtslos jeder Vergünstigung zu berauben. »Ich werde niemals um Nachsicht bitten«, schreibt er an Elisabeth, »wenn sie durch irgendeine verräterische oder schlaue Maßnahme meinen Händen entkommen sollte, denn dies könnte nur dank einer groben Nachlässigkeit meinerseits gelingen.« Mit der kalten und klaren Systematik eines Pflichtmenschen übernimmt er die Bewachung und Unschädlichmachung Maria Stuarts als seine ihm von Gott zugewiesene Lebensaufgabe. Kein anderer Ehrgeiz, als seine Kerkermeisterpflicht musterhaft zu erfüllen, lebt von nun ab mehr in diesem strengen Manne, keine Verführung kann diesen Cato zu Fall bringen, aber auch keine Regung der Güte, keine Welle von Wärme je seine starre kalte Haltung einen Augenblick auflockern. Für ihn ist diese kranke müde Frau nicht eine Fürstin, deren Unglück Ehrfurcht fordert, sondern einzig eine Feindin seiner Königin, die unschädlich gemacht werden muß als der Antichrist des wahren Glaubens. Daß sie hinfällig ist und infolge ihrer rheumatischen Beine sich nur schwer bewegen kann, bezeichnet er zynisch als einen »Vorteil für ihren Wärter, der keine besondere Sorge haben muß, sie könnte ihm davonlaufen.« Punkt um Punkt, mit einer hämischen Freude an seiner eigenen Tüchtigkeit, erledigt er seine Kerkermeisterpflicht, wie ein Beamter trägt er sauber jeden Abend in ein Buch alle seine Beobachtungen ein. Und wenn die Weltgeschichte auch grausamere, gewalttätigere, bösartigere, ungerechtere Gefängniswärter gekannt hat als diesen Erzgerechten, so kaum je einen, der so sehr seine Pflicht in beamtische Lust zu verwandeln wußte. Zunächst werden die unterirdischen Kanäle, die Maria Stuart bisher noch immer ab und zu mit der Außenwelt verbunden hatten, unbarmherzig abgegraben. Fünfzig Soldaten bewachen jetzt Tag und Nacht alle Zugänge zum Schloß; der Dienerschaft, die bisher ungehemmt in den Nachbardörfern Spazierengehen und mündliche und schriftliche Botschaften weitergeben konnte, wird gleichfalls jede Bewegungsfreiheit entzogen. Nur nach eingeholter Erlaubnis, begleitet von Soldaten, darf eine Person ihrer Hofhaltung das Schloß verlassen, die Almosenverteilung an die Armen der Umgebung, die Maria Stuart regelmäßig persönlich vornahm, wird eingestellt; mit Recht hat der scharfsichtige Poulet darin ein Mittel erkannt, die armen Leute durch diese frommen Spenden dem Schmuggel willfährig zu machen. Und nun folgt eine scharfe Maßnahme der andern. Die Wäsche, die Bücher, jede Art von Sendungen werden wie auf einem Zollamt von heute durchwühlt, durch immer genauere Kontrolle wird jedwede Korrespondenz abgedrosselt. Untätig sitzen jetzt Nau und Curle, die beiden Sekretäre Maria Stuarts, in ihren Zimmern. Sie haben keine Briefe mehr zu dechiffrieren und keine zu schreiben; nicht aus London, nicht aus Schottland, nicht aus Rom und Madrid sickert mehr irgendeine Nachricht, irgendein Tropfen Hoffnung in Maria Stuarts Verlassenheit. Und bald nimmt Poulet ihr auch die letzte persönliche Freude: ihre sechzehn Pferde müssen in Sheffield bleiben, es ist vorbei mit der geliebten Jagd und den Spazierritten. Ganz eng ist der Lebensraum geworden in diesem einen letzten Jahr, immer ähnlicher wird unter Amyas Poulet – dunkles Vorgefühl – die Gefangenschaft Maria Stuarts einem Kerker, einem Sarg.
Um ihrer Ehre willen hätte man Elisabeth einen milderen Kerkermeister für ihre Schwesterkönigin gewünscht. Aber für ihre Sicherheit konnte sie, man muß es ärgerlich anerkennen, keinen verläßlicheren finden als diesen kalten Calviner. Musterhaft erledigt Poulet die ihm auferlegte Pflicht, Maria Stuart von der Welt zu isolieren. Nach einigen Monaten ist sie hermetisch wie unter einer Glasglocke von der Welt abgesperrt, kein Brief, kein Wort dringt mehr in ihr Kerkergelaß. Elisabeth hat allen Grund, beruhigt und mit ihrem Untergebenen zufrieden zu sein, und tatsächlich, in begeisterten Worten wird sie Amyas Poulet für seine trefflichen Dienste danken. »Wenn Sie wüßten, mein lieber Amyas, wie dankbar ich Ihre tadellosen Bemühungen und fehlerlosen Handlungen begrüße und anerkenne, Ihre klugen Befehle und sicheren Maßnahmen bei einer so gefährlichen und schwierigen Aufgabe, es würde Ihre Sorgen erleichtern und Ihr Herz erfreuen.«
Aber merkwürdigerweise wissen Elisabeths Minister Cecil und Walsingham dem »precise fellow«, dem allzu peinlichen Amyas Poulet, zunächst für seine große Mühe wenig Dank. Denn diese völlige Abschließung der Gefangenen widerspricht paradoxerweise doch ihren heimlichsten Wünschen. Ihnen ist gar nicht daran gelegen, daß Maria Stuart jede Gelegenheit zum Konspirieren genommen werde, daß sie Poulet durch seine strenge Klausur von ihrer eigenen Unvorsichtigkeit bewahre, im Gegenteil, Cecil und Walsingham wollen gar keine unschuldige Maria Stuart, sondern eine schuldige. Sie wollen im Gegenteil, daß sie, in der sie die ewige Ursache aller Unruhen und Verschwörungen in England erblicken, weiterkonspiriere und sich endlich in das tödliche Netz verstricke. Sie wollen, daß »the matter to an end« kommt, sie wollen Maria Stuarts Prozeß, ihre Verurteilung, ihre Hinrichtung. Eine bloße Einkerkerung genügt ihnen nicht mehr. Für sie gibt es keine andere Sicherung als die endgültige Erledigung der Schottenkönigin, und um diese zu erzwingen, müssen sie ihrerseits ebensoviel tun, um sie künstlich in ein Komplott hineinzulocken, wie Amyas Poulet durch seine scharfen Maßnahmen getan hat, um sie von jeder Teilnahme abzuschließen. Was sie für diesen Zweck benötigen, ist eine Verschwörung gegen Elisabeth und die klare, bewiesene Mitwirkung Maria Stuarts an diesem Komplott.
Diese Verschwörung gegen das Leben Elisabeths ist nun an und für sich schon vorhanden. Denn sie arbeitet, möchte man sagen, in Permanenz. Philipp II. hat auf dem Festland eine regelrechte antienglische Verschwörerzentrale eingerichtet, in Paris sitzt Morgan, der Vertrauensmann und Geheimagent Maria Stuarts, und organisiert, mit spanischem Gelde bezahlt, ununterbrochen gefährliche Zettelungen gegen England und Elisabeth. Ständig werden dort junge Menschen geworben, über den spanischen und französischen Gesandten knüpfen sich geheime Verständigungen zwischen den unzufriedenen katholischen Edelleuten in England und den Staatskanzleien der Gegenreformation. Nur eines weiß Morgan nicht, nämlich daß Walsingham, einer der fähigsten und skrupellosesten Polizeiminister aller Zeiten, ihm unter der Maske leidenschaftlicher Katholiken einige seiner Spione in die Kanzlei geschickt hat und daß er gerade jene Botengänger, die Morgan für seine verläßlichsten hält, in Wahrheit von Walsingham gekauft und besoldet sind. Was für Maria Stuart geschieht, ist immer schon an England verraten, noch ehe der Plan zur Ausführung gelangt, und auch zu Ende des Jahres 1585 weiß das englische Staatskabinett – noch ist das Blut der letzten Verschwörer auf dem Schafott nicht getrocknet –, daß schon wieder eine neue Aktion gegen das Leben Elisabeths im Gange ist. Walsingham kennt Namen um Namen, alle die katholischen Edelleute in England, die von Morgan für eine Throneinsetzung Maria Stuarts geworben und gewonnen sind. Er brauchte nur zuzufassen, und mit dem Streckseil, mit dem Folterband könnte er die Verschwörung rechtzeitig aufdecken.
Doch die Technik dieses raffinierten Polizeiministers ist bedeutend weitblickender und perfider. Gewiß, er könnte jetzt schon mit einem Griff die Verschwörer abwürgen. Aber ein paar Edelleute oder Abenteurer vierteilen zu lassen, hat für ihn politisch keinen Wert. Wozu der Hydra dieser ewigen Verschwörungen fünf oder sechs Köpfe abschlagen, wenn über Nacht ihr immer neue wachsen? Carthaginem esse delendam, ist Cecils und Walsinghams Devise, es muß mit Maria Stuart selbst Schluß gemacht werden, und dazu brauchen sie als Vorwand nicht eine harmlose, sondern eine weitverzweigte, eine nachweisbar verbrecherische Aktion zugunsten der Gefangenen. Statt also die sogenannte Babington-Verschwörung voreilig im Keime zu ersticken, tut Walsingham alles, sie künstlich sich ausbreiten zu lassen: er düngt sie mit Wohlwollen, er füttert sie mit Geld, er fördert sie durch scheinbare Nachlässigkeit. Einzig dank seiner provokatorischen Kunst wird allmählich aus einer dilettantischen Verschwörung einiger Provinzedelleute gegen Elisabeth das berühmte Walsingham-Komplott zur Erledigung Maria Stuarts.
Drei Etappen sind für diese legale Ermordung Maria Stuarts mittels des Parlamentsparagraphen notwendig. Zuerst müssen die Verschwörer dazu gebracht werden, nachweisbar ein Attentat gegen Elisabeth zu planen. Zweitens müssen sie bewogen werden, Maria Stuart ausdrücklich von ihrer Absicht zu verständigen. Drittens aber – dies das Schwierigste – muß Maria Stuart dazu verlockt werden, ausdrücklich und schriftlich den Mordplan zu billigen. Wozu eine Unschuldige ohne klaren Anlaß töten? Das wäre um der Ehre Elisabeths willen vor der Welt zu peinlich. Lieber sie künstlich schuldig machen, lieber ihr hinterlistig den Dolch in die Hand drücken, mit dem sie sich selber ermordet.
Dieses Komplott der englischen Staatspolizei gegen Maria Stuart beginnt mit der Infamie, daß man mit einmal der Gefangenen Erleichterungen gewährt. Es hat Walsingham anscheinend nicht viel Mühe gekostet, den frommen Puritaner Amyas Poulet zu überzeugen, daß es besser sei, Maria Stuart in eine Verschwörung hineinzulocken, statt sie von allen Versuchungen abzuschließen. Denn Poulet ändert plötzlich seine Taktik im Sinne des Generalstabsplanes der englischen Staatspolizei: eines Tages erscheint der bisher Unerbittliche bei Maria Stuart und verständigt sie liebenswürdigst, man habe eine Übersiedlung aus Tutbury nach Chartley für sie in Aussicht genommen. Maria Stuart, völlig unfähig, die Machenschaften ihrer Gegner zu durchschauen, kann ihre redliche Freude nicht verhehlen. Tutbury ist eine finstere Burg, einem Gefängnisse ähnlicher als einem Schloß, Chartley dagegen liegt nicht nur schöner und freier, sondern in der Nähe – heller schlägt Maria Stuart bei dem Gedanken das Herz – wohnen katholische Familien, die ihr befreundet sind und von denen sie Hilfe erhoffen kann. Dort kann sie endlich wieder reiten und jagen, dort vielleicht sogar Nachricht empfangen von ihren Verwandten und Freunden jenseits des Meeres und durch Mut und List das eine erobern, das ihr nun alles gilt: die Freiheit.
Und siehe: eines Morgens staunt Maria Stuart auf. Sie wagt ihren Augen kaum zu trauen. Wie durch Magie ist der schreckliche Bann Amyas Poulets gebrochen. Ein Brief, ein geheimer chiffrierter Brief ist an sie gelangt, seit Wochen, seit Monaten der Absperrung wieder der erste. Oh, wie geschickt von den Freunden, den Umsichtigen und Klugen, daß sie endlich wieder einen Weg gefunden haben, um den unerbittlichen Wächter Amyas Poulet zu betrügen. Welche unverhoffte Gnade: sie ist nicht mehr abgeschlossen von der Welt, sie kann Freundschaft fühlen, Interesse, Teilnahme, sie darf wieder von all den Plänen und Vorbereitungen erfahren, die zu ihrer Befreiung im Gange sind! Ein geheimnisvoller Instinkt allerdings läßt Maria Stuart noch vorsichtig sein, sie beantwortet den Brief ihres Agenten Morgan mit der dringlichen Warnung: »Hüten Sie sich wohl, sich in Sachen einzumengen, die Sie belasten könnten und den Verdacht vermehren, den man hier gegen Sie schöpft.« Aber bald zerstreut sich ihr Mißtrauen, sobald sie erfährt, welches geniale Auskunftsmittel ihre Freunde – in Wahrheit ihre Mörder – gefunden haben, um Briefe ungehindert zu übermitteln. Jede Woche wird von der nahe gelegenen Brauerei ein Faß Bier für die Diener der Königin geliefert, und anscheinend ist es ihren Freunden gelungen, den Fuhrmann zu bewegen, daß er immer in dem vollen Fasse eine verkorkte Holzflasche mitschwimmen läßt; in diesem ausgehöhlten Holz sind die geheimen Briefschaften für die Königin verborgen. Regelmäßig wie ein regulärer Postdienst wickelt sich nun der Verkehr klaglos ab. Jede Woche schafft dieser wackere Mann – »the honest man« heißt er in den Berichten – sein Bier mit dem kostbaren Inhalt hinüber in das Schloß, der Kellermeister Maria Stuarts fischt im Keller den Behälter heraus und gibt ihn, mit neuer Post gefüllt, wieder ins leere Faß. Der brave Fuhrwerker hat nicht zu klagen, denn ihm bringt der Schmuggel doppelten Verdienst. Einerseits wird er von den ausländischen Freunden Maria Stuarts hoch bezahlt, anderseits rechnet er dem Haushälter das Bier zum doppelten Preise.
Aber eines ahnt Maria Stuart nicht, nämlich daß jener biedere Fuhrwerker noch ein drittes Mal an seinem dunklen Geschäft verdient. Denn er ist außerdem noch von der englischen Staatspolizei bezahlt, und selbstverständlich weiß Amyas Poulet von dem ganzen Handel. Nicht die Freunde Maria Stuarts haben diese Bierpost ausgeklügelt, sondern Gifford, ein Spion Walsinghams, der vor Morgan und dem französischen Gesandten sich als Vertrauensmann der Gefangenen ausgegeben hat; dadurch steht – ein unermeßlicher Vorteil für den Polizeiminister – die ständige Geheimkorrespondenz Maria Stuarts unter der Kontrolle ihrer politischen Feinde. Jeder Brief an Maria Stuart und von Maria Stuart wird durch den Spion Gifford, den Morgan für seinen verläßlichsten Mann hält, ehe er in das Bierfaß und aus dem Bierfaß kommt, abgefangen, von Thomas Phelippes, dem Sekretär Walsinghams, sofort dechiffriert, kopiert, und diese Kopien wandern noch tintenfeucht nach London. Dann erst werden sie tadellos prompt Maria Stuart oder der französischen Gesandtschaft zugestellt, daß die Betrogenen nicht einen Augenblick Verdacht schöpfen können und sorglos die Korrespondenz fortsetzen.
Gespenstische Situation. Beide Parteien freuen sich, einander zu betrügen. Maria Stuart atmet auf. Endlich ist dieser kalte unzugängliche Puritaner Poulet überspielt, der jedes Wäschestück untersucht, jede Schuhsohle aufschneidet, der sie bevormundet und wie eine Verbrecherin gefangenhält. Wenn er ahnen könnte, lächelt sie still vor sich hin, daß sie trotz allen Soldaten und Absperrungen und Klügeleien allwöchentlich von Paris und Madrid und Rom wichtige Botschaft empfängt, daß ihre Agenten wacker arbeiten und schon Heere und Flotten und Dolche für sie gerüstet sind! Manchmal spricht die Freude vielleicht zu unvorsichtig, zu hell aus ihren Blicken, denn höhnisch verzeichnet Amyas Poulet ihr steigendes Wohlbehagen und Wohlbefinden, seit sie die Seele mit diesem Gift der Hoffnung nährt. Aber um wieviel berechtigter ist das scharfe Lächeln um seine kalten Lippen, wenn er allwöchentlich die frische Provision Bier mit dem wackern Fuhrwerker anrollen sieht, wenn er boshaft beobachtet, wie eilig jedesmal der geschäftige Haushälter Maria Stuarts das Fäßchen in den dunklen Keller hinabrollt, um dort unbeachtet den kostbaren Briefinhalt herauszufischen. Denn was Maria Stuart jetzt lesen wird, ist längst vorausgelesen von der englischen Polizei, in London sitzen Walsingham und Cecil in ihren Staatsfauteuils und haben die Geheimkorrespondenz Maria Stuarts wortgetreu vor sich liegen. Sie ersehen daraus, daß Maria Stuart die Krone Schottlands und ihr Kronrecht auf England Philipp II. von Spanien anbietet, falls er ihr zur Freiheit helfen wolle – ein solcher Brief, schmunzeln sie, kann einmal nützlich werden, um James VI. zu kalmieren, wenn man seine Mutter zu hart anfaßt. Sie lesen, daß Maria Stuart in ihren eigenhändigen, ungeduldigen Schreiben nach Paris unablässig eine Invasion spanischer Truppen zu ihren Gunsten fordert. Auch das kann allenfalls einem Prozeß dienlich sein. Aber das Wichtigste, das Wesentliche, das sie erhoffen und für eine Anklage benötigen, ist bislang leider in diesen Briefen noch nicht zu entdecken, nämlich, daß Maria Stuart irgendeinen Mordplan gegen Elisabeth gebilligt habe. Noch hat sie sich im Sinne des Gesetzes nicht schuldig gemacht, noch immer fehlt, um die Mordmaschine eines Prozesses in Bewegung setzen zu können, eine einzige winzige Schraube, der »consent«, die ausdrückliche Zustimmung Maria Stuarts zur Ermordung Elisabeths. Diese letzte notwendige Schraube einzufügen, geht nun Walsingham, dieser gefährliche Meister seines Handwerks, entschlossen an die Arbeit. Und damit beginnt eine der unglaubwürdigsten und doch dokumentarisch bezeugten Perfidien der Weltgeschichte: der Lockspitzeltrick Walsinghams, um Maria Stuart zur Mitwisserin an einem von ihm selbst fabrizierten Verbrechen zu machen, die sogenannte Babington-Verschwörung, die in Wahrheit eine Walsingham-Verschwörung gewesen ist.
Der Plan Walsinghams muß – denn der Erfolg hat ihn bezeugt – ein meisterlicher genannt werden. Aber was ihn so widerwärtig macht, daß noch heute nach Hunderten Jahren Abscheu die Seele überschauert, ist, daß Walsingham sich für seine Schurkerei gerade der reinsten Kraft der Menschheit bedient: der Gläubigkeit junger romantischer Naturen. Antony Babington, den man in London zum Werkzeug ausersehen hat, um Maria Stuart zu Fall zu bringen, hat Anspruch, mit Mitleid und Bewunderung betrachtet zu werden, denn aus edelstem Drange opfert er sein Leben und seine Ehre. Ein Kleinedelmann aus guter Familie, vermögend und verheiratet, wohnt dieser junge schwärmerische Mann glücklich mit seiner Frau und einem Kinde auf seinem Gut von Litchfield ganz nahe bei Chartley – und nun begreift man plötzlich auch, warum Walsingham gerade Chartley zum Aufenthaltsort Maria Stuarts ausersehen hat. Seit langem haben Spione ihm gemeldet, daß Babington ein überzeugter Katholik, ein opferbereiter Anhänger Maria Stuarts ist und ihr schon mehrmals bei der heimlichen Übermittlung ihrer Briefe behilflich war: immer bleibt es ja das Vorrecht der edlen Jugend, vom tragischen Schicksal rein erschüttert zu sein. Ein solcher argloser Idealist mit seiner reinen Torheit kann einem Walsingham tausendmal besser dienlich sein als irgendein gemieteter Spion, denn ihm wird sich die Königin leichter anvertrauen. Sie weiß: keine Gewinnsucht lockt diesen ehrlichen, vielleicht etwas verworrenen Edelmann zu seinem ritterlichen Dienst und noch weniger eine persönliche Neigung. Daß er schon früher als Page im Hause Shrewsburys Maria Stuart persönlich kennen und lieben gelernt habe, dürfte eine romantisch aufgezäumte Erfindung sein; wahrscheinlich ist er ihr niemals begegnet und dient nur aus Lust am Dienen, aus Gläubigkeit an die katholische Kirche, aus einer schwärmerischen Freude an gefährlichem Abenteuer der Frau, in der er die rechtmäßige Königin Englands erblickt. Unbefangen, unvorsichtig und gesprächig wie alle jungen leidenschaftlichen Menschen, wirbt er unter seinen Freunden für die Gefangene, ein paar junge katholische Edelleute schließen sich ihm an. Sonderbare Figuren vereinen sich in seinem Kreise zu eifrigen Gesprächen, ein fanatischer Priester namens Ballard, ein gewisser Savage, ein tollkühner Desperado, und dann wieder ganz arglose und törichte junge Edelleute, die zuviel im Plutarch gelesen haben und von Heldentaten verworren träumen. Bald aber tauchen in dem Bunde der Ehrlichen einige Männer auf, die viel entschlossener sind oder sich gebärden als Babington und seine Freunde, vor allem jener Gifford, den Elisabeth später mit einer Jahrespension von hundert Pfund für seine Dienste belohnen wird. Ihnen scheint es nicht genug, die eingeschlossene Königin zu retten. Mit einem merkwürdigen Ungestüm drängen sie auf eine ungleich gefährlichere Tat, auf die Ermordung Elisabeths, auf die Beseitigung der »Usurpatorin«.
Diese mutigen und überentschlossenen Freunde sind selbstverständlich nichts anderes als gemietete Polizeispione Walsinghams, die der skrupellose Minister in den Geheimbund der jungen idealistischen Menschen hineingeschoben hat, nicht nur, um in alle ihre Pläne rechtzeitig eingeweiht zu werden, sondern vor allem, um den Phantasten Babington weiter zu treiben, als er eigentlich will. Denn dieser Babington (die Dokumente lassen daran keinen Zweifel) hat ursprünglich nichts anderes mit seinen Freunden geplant, als von Litchfield aus mit einem entschlossenen Handstreich bei einer Jagd oder sonstigen Gelegenheit Maria Stuart aus der Gefangenschaft zu befreien; ein so unmoralischer Akt wie ein Mord lag keinesfalls im Sinne dieser politisch exaltierten, aber durchaus humanen Natur.
Jedoch eine bloße Entführung Maria Stuarts ist nicht das, was Walsingham für seine Zwecke braucht, denn sie bietet ihm ja noch nicht die erwünschte Handhabe für eine Anklage im Sinne des Gesetzes. Er braucht mehr, er braucht für seine dunklen Ziele ein regelrechtes Mordkomplott. Er läßt seine schuftigen agents provocateurs drängen und drängen, bis endlich Babington und seine Freunde wirklich auch das von Walsingham benötigte Attentat gegen Elisabeth ins Auge fassen. Am 12. Mai meldet der spanische Gesandte, der in ständiger Verbindung mit den Verschworenen steht, König Philipp II. die erfreuliche Tatsache, daß vier katholische Edelleute von Rang, die Zutritt zum Palast Elisabeths haben, vor dem Altar einen Eid geleistet hätten, sie mit Gift oder Dolch aus dem Wege zu räumen. Man sieht: die agents provocateurs haben gut gearbeitet. Endlich ist das von Walsingham inszenierte Mordkomplott in Gang.
Damit ist aber bloß der erste Teil der Aufgabe, die sich Walsingham gestellt hat, erledigt. Nur an einem Ende ist der Fallstrick befestigt, nun gilt es, auch das andere Ende zu verankern. Das Komplott zur Ermordung Elisabeths ist glücklich konstruiert, nun beginnt die schwierigere Arbeit, Maria Stuart darin einzubauen und der ahnungslosen Gefangenen den »consent« abzunötigen. Abermals also pfeift Walsingham seine Lockspitzel heran. Er schickt seine Leute in die Zentrale der katholischen Konspiration, nach Paris zu Morgan, dem Generalagenten Philipps II. und Maria Stuarts, damit sie dort Klage führten, Babington und die Seinen faßten die Sache zu lau an. Sie wollten nicht recht heran an den Mord, sie seien Zögerer und Zauderer. Es täte dringend not, diese Lauen und Flauen im Interesse der heiligen Sache zu ermutigen; dies aber könne wirksam nur durch ein anspornendes Wort Maria Stuarts geschehen. Würde Babington einmal gewiß sein, daß seine verehrte Königin die Ermordung billige, so werde er zweifellos sofort zur Tat schreiten. Es sei also unumgänglich für das Gelingen des großen Werkes, reden die Spitzel auf Morgan ein, daß er Maria Stuart veranlasse, an Babington einige anfeuernde Worte zu schreiben.
Morgan zögert. Es ist, als ob er in einem lichten Augenblicke das Spiel Walsinghams durchschaut hätte. Jedoch die Lockspitzel drängen und drängen, es handle sich doch nur um einige formelle Zeilen. Schließlich gibt Morgan nach; aber um sie vor irgendeiner Unvorsichtigkeit zu bewahren, schreibt er Maria Stuart den Textentwurf jenes Briefes an Babington vor. Und die Königin, die ihrem Agenten unbedingt vertraut, kopiert wortgetreu dieses Schreiben an Babington.
Jetzt ist glücklich die von Walsingham erstrebte Verbindung zwischen Maria Stuart und der Verschwörung hergestellt. Zunächst bewährt sich noch Morgans Vorsicht, denn jener erste Brief Maria Stuarts an ihren Helfer ist trotz aller Wärme unverbindlich und unverfänglich gehalten. Walsingham aber braucht Unvorsichtigkeiten, klare Geständnisse und den unverhohlenen »consent« zu dem geplanten Attentat. In seinem Auftrag schwenken jetzt seine Agenten wieder auf den andern Flügel um. Gifford drängt den unseligen Babington, jetzt, da die Königin ihm so großherzig ihr Vertrauen offenbart habe, sei es eine unbedingte Pflicht, sie ebenso vertrauensvoll in seine Absichten einzuweihen. Ein derart gefährliches Unterfangen wie ein Attentat auf Elisabeth dürfe nicht unternommen werden ohne das Einverständnis Maria Stuarts; wozu habe man durch den braven Fuhrwerker einen sicheren Weg, wenn nicht, um mit ihr ungehindert alle Einzelheiten zu vereinbaren und ihre Weisungen entgegenzunehmen? Babington, ein reiner Tor, mehr verwegen als besonnen, geht plump in die Falle. Er sendet ein langes Schreiben an seine très chère souveraine, in dem er ihr bis in jede Einzelheit die vorbereiteten Pläne enthüllt. Warum soll die Unglückselige sich nicht freuen? Warum soll sie nicht schon im voraus wissen, daß die Stunde ihrer Befreiung nahe ist. So arglos, als ob Engelsboten auf unsichtbaren Wegen Maria Stuart seine Worte zutragen würden, und völlig ahnungslos, daß Spione und Agenten auf jedes seiner Worte mörderisch lauern, erläutert der arme Narr in einem langen Brief den Kriegsplan der Verschwörung. Er berichtet, daß er selbst mit zehn Edelleuten und hundert Helfern sie durch einen kühnen Überfall aus Chartley herausholen wolle, während gleichzeitig sechs Edelleute in London, alle seine guten und verläßlichen Freunde und ergeben der katholischen Sache, die »Usurpatorin« beiseite schaffen würden. Eine feurige Entschlossenheit, ein volles Bewußtsein der eigenen Gefahr lodert aus diesem unsinnig freimütigen Briefe, den man wirklich nur mit Ergriffenheit lesen kann. Und es würde ein kaltes Herz, eine arme nüchterne Seele erfordern, ein solches Bekenntnis ritterlicher Bereitschaft aus feiger Vorsicht ohne Antwort und Ermutigung zu lassen.
Auf diese Feurigkeit des Herzens, auf diese oft erprobte Unvorsichtigkeit Maria Stuarts rechnet Walsingham. Wenn sie diese Mordankündigung Babingtons zustimmend zur Kenntnis nimmt, dann ist er am Ziele. Dann hat Maria Stuart die Mühe überflüssig gemacht, sie heimlich ermorden zu lassen. Dann hat sie sich selbst die Schlinge um den Hals gelegt.
Der verhängnisvolle Brief ist abgegangen. Gifford, der Spion, hat ihn sofort der Staatskanzlei übergeben, dort hat man ihn sorgfältig dechiffriert und kopiert. Äußerlich unversehrt wird er an die Ahnungslose auf dem Wege über das Bierfaß gesandt. Am 10. Juli hält ihn Maria Stuart in Händen, und ebenso erregt warten zwei Menschen in London, ob und wie sie ihn beantworten wird, Cecil und Walsingham, die Erfinder, die Leiter dieses meuchelmörderischen Komplotts. Der Augenblick der höchsten Spannung ist gekommen, die zitternde Sekunde, da der Fisch schon an dem Köder knabbert: Wird er ihn fassen? Wird er ihn lassen? Es ist ein grauenhafter Moment, aber trotz allem: man kann Cecils und Walsinghams politische Methode je nach Belieben bewundern oder verwerfen. Denn so widrig die Mittel sind, die er zur Vernichtung Maria Stuarts anwenden läßt, Cecil, der Staatsmann, dient immerhin einer Idee; für ihn ist die Beiseiteschaffung der Erbfeindin des Protestantismus eine unaufschiebbare staatspolitische Notwendigkeit. Und von Walsingham, von einem Polizeiminister, kann man schwer verlangen, er solle auf Spionage verzichten und sich ausschließlich moralischer Methoden bedienen.
Aber Elisabeth? Weiß sie, die sonst bei jeder Handlung ihres Lebens ängstlich auf die Nachwelt blickt, daß hier hinter den Kulissen eine Mordmaschine aufgebaut wird, die heimtückischer ist und gefährlicher als jedes Schafott? Geschehen diese widrigen Praktiken ihrer Staatsräte mit ihrem Wissen und Willen? Welche Rolle – die Frage muß gestellt werden – hat die Königin von England bei diesem erbärmlichen Komplott gegen ihre Rivalin gespielt?
Die Antwort fällt nicht schwer: eine Doppelrolle. Zwar haben wir klares Zeugnis, daß Elisabeth von den ganzen Machenschaften Walsinghams gewußt, daß sie vom Anfang bis zum Ende Zug um Zug und Einzelheit um Einzelheit die Lockspitzelpraktiken Cecils und Walsinghams geduldet, gebilligt und vielleicht sogar freudig gefördert hat; nie wird sie die Geschichte von der Schuld freisprechen können, daß sie zugesehen oder sogar mitgeholfen hat, wie die ihr anvertraute Gefangene tückisch in das Verderben gelockt wurde. Aber doch – man muß es immer wiederholen –, Elisabeth wäre nicht Elisabeth, wenn sie eindeutig handelte. Fähig jeder Lüge, jeder Verstellung, jedes Betruges, war diese merkwürdigste aller Frauen keineswegs gewissenlos und niemals eindeutig unmoralisch und ungroßmütig. Immer gewinnt in entscheidenden Augenblicken eine gewisse Generosität des Herzens über sie Gewalt. Auch diesmal spürt man ein Unbehagen, von so niedriger Praktik Vorteil zu ziehen. Denn plötzlich macht sie, während ihre eigenen Diener das Opfer umgarnen, eine überraschende Wendung zugunsten der Gefährdeten. Sie läßt den französischen Gesandten rufen, der die ganze Korrespondenz Maria Stuarts von und nach Chartley vermittelt, ohne zu ahnen, daß er sich dabei Walsinghams gekaufter Kreaturen als Boten bedient. »Herr Gesandter«, sagt sie ihm klipp und klar, »Sie verständigen sich sehr häufig mit der Königin von Schottland. Aber glauben Sie mir, ich weiß alles, was in meinem Königreiche vorgeht. Ich war selbst eine Gefangene zur Zeit, da meine Schwester als Königin regierte, und ich weiß genau, welche künstlichen Wege Gefangene finden, um Diener zu gewinnen und geheime Verständigungen zu erlangen.« Mit diesen Worten hat Elisabeth ihr Gewissen beschwichtigt. Sie hat den französischen Gesandten und damit Maria Stuart klar und deutlich gewarnt. Sie hat soviel gesagt, wie sie sagen durfte, ohne ihre eigenen Leute zu verraten. Wenn Maria Stuart nun nicht abläßt, so kann sie immerhin ihre Hände in Unschuld waschen und stolz sagen: Ich habe sie noch im letzten Augenblicke gewarnt.
Aber auch Maria Stuart wäre nicht Maria Stuart, wenn sie sich warnen und abmahnen ließe, wenn sie jemals vorsichtig handelte und besonnen. Zwar bestätigt sie Babingtons Brief zunächst nur mit einer Zeile, die, wie Cecils Abgesandter schwer enttäuscht meldet, noch nicht »her very heart«, ihre innere Einstellung zu dem Mordplan ausspricht. Sie zögert, sie schwankt, ob sie sich anvertrauen solle, und auch ihr Sekretär Nau rät ihr dringend ab, in so kompromittierender Sache ein Wort schriftlich zu geben. Aber der Plan ist zu verlockend, der Ruf zu verheißungsvoll, als daß Maria Stuart ihrer verhängnisvollen Lust am Diplomatisieren und Intrigieren widerstehen könnte. »Elle s'est laissée aller à l'accepter«, vermerkt Nau mit sichtlichem Unbehagen. Drei Tage schließt sie sich mit ihren Geheimsekretären Nau und Curle in ihrem Zimmer ein und beantwortet ausführlich und Punkt für Punkt die einzelnen Vorschläge. Am 17. Juli, wenige Tage nachdem sie Babingtons Brief erhalten, wird ihre Antwort auf dem gewohnten Wege über das Bierfaß abgesandt.
Aber diesmal muß der Unglücksbrief nicht weit reisen. Er wandert gar nicht bis London, wo sonst immer die Geheimkorrespondenz Maria Stuarts in der Staatskanzlei entziffert wird. Denn in ihrer Ungeduld, die Entscheidung schon früher zu erfahren, haben Cecil und Walsingham den mit der Dechiffrierung beauftragten Sekretär Phelippes gleich nach Chartley gesandt, damit er die Antwort gewissermaßen noch vom feuchten Briefblatt übertrage. Ein merkwürdiger Zufall will, daß bei einer Wagenausfahrt Maria Stuart dieses Todesboten ansichtig wird. Der fremde Besucher fällt ihr auf. Aber da der pockennarbige, häßliche Bursche (sie beschreibt sein Gesicht in einem Brief) sie mit einem leisen Lächeln begrüßt – er kann seine Schadenfreude nicht verhalten –, glaubt Maria Stuart, von Hoffnung umnebelt, er sei ein Abgesandter ihrer Freunde, der sich hergeschlichen habe, um das Terrain auszukundschaften für die beabsichtigte Befreiung. Doch dieser Phelippes hat viel Gefährlicheres auszukundschaften. Kaum ist ihr Brief aus dem Bierfaß geholt, so macht er sich gierig an die Arbeit des Dechiffrierens. Die Beute ist gefaßt, nun gilt es, sie schleunigst auszuweiden. Satz um Satz ist rasch entziffert. Erst kommen nur allgemeine Worte. Maria Stuart dankt Babington und macht drei verschiedene Vorschläge für den Handstreich, der sie aus Chartley gewaltsam herausholen soll. Das ist interessant für den Spion, aber noch nicht das Wichtigste, das Entscheidende. Dann aber stockt Phelippes Herz vor böser Freude: endlich ist er auf die Stelle gestoßen, die schwarz auf weiß den seit Monaten von Walsingham gewünschten und herausgelockten »consent« Maria Stuarts zur Ermordung Elisabeths enthält. Denn kühl und sachlich beantwortet Maria Stuart Babingtons Mitteilung, daß die sechs Edelleute Elisabeth in ihrem Palaste niederstoßen würden, mit der Anweisung: »Dann muß man also die sechs Edelleute ans Werk schicken und Auftrag geben, daß nach Erledigung ihres Unternehmens ich sofort von hier weggeschafft werde ... ehe mein Wächter davon verständigt ist.« Mehr war nicht vonnöten. Damit hat Maria Stuart »her very heart« verraten, sie hat den Mordplan gebilligt, jetzt ist endlich die Polizeiverschwörung Walsinghams gelungen. Beglückwünschend schütteln sich Auftraggeber und Helfershelfer, Herren und Diener, die schmutzigen und bald mit Blut befleckten Hände. »Jetzt besitzen Sie genug von ihren Papieren«, schreibt triumphierend Phelippes, die Kreatur Walsinghams, an seinen Herrn. Auch Amyas Poulet, der ahnt, daß er bald durch die Hinrichtung des Opfers seines Kerkermeisteramtes ledig sein wird, gerät in geradezu fromme Erregung. »Gott hat meine Anstrengungen gesegnet«, schreibt er, »und ich freue mich, daß er meine treuen Dienste so belohnt.«
Jetzt, da der Paradiesvogel ins Netz gegangen ist, brauchte eigentlich Walsingham nicht länger zu zögern. Sein Plan ist gelungen, sein schäbiges Geschäft verrichtet; aber so sicher ist er jetzt seiner Sache, daß er sich die finstere Lust leisten kann, noch einige Tage mit seinen Opfern zu spielen. Er läßt noch Babington ungehindert den (längst kopierten) Brief Maria Stuarts zustellen; es kann nicht schaden, denkt Walsingham, wenn er ihn abermals beantwortet und damit den Anklagedossier um ein Stück vermehrt. Doch an irgendeinem Zeichen muß inzwischen Babington erkannt haben, daß ein böses Auge in sein Geheimnis blicke. Eine sinnlose Angst überfällt plötzlich den verwegenen Menschen, denn auch der Tapferste fühlt die Nerven beben, wenn er von einer unsichtbaren, einer unfaßbaren Gewalt gepackt wird. Wie eine gehetzte Ratte jagt er hin und her. Er nimmt ein Pferd und reitet ins Land hinein, um zu flüchten. Dann kehrt er plötzlich nach London zurück und erscheint – ein Dostojewskij-Augenblick – gerade bei dem Menschen, der mit seinem Schicksal spielt, bei Walsingham, unbegreifliche und doch begreifliche Flucht eines Verstörten zu seinem gefährlichsten Feind. Offenbar will er aus Walsingham herausbekommen, ob man schon irgendeinen Verdacht gegen ihn hege. Der Polizeimeister aber, kühl und gelassen, verrät sich nicht, er läßt ihn ruhig gehen: besser, dieser Narr schafft durch Unvorsichtigkeit noch neuen Beweis. Jedoch Babington spürt schon die Hand im Dunkeln. Hastig schreibt er ein Billett an einen Freund, in dem er, um sich selber Mut zu machen, wirklich heroische, wirklich römische Worte findet. »Der feurige Ofen ist vorbereitet, in dem unser Glaube seine Probe ablegen muß.« Gleichzeitig beruhigt er mit einem letzten Wort Maria Stuart, sie möge vertrauen. Aber Walsingham hat jetzt genug an Beweismaterial, mit einem Hiebe schlägt er zu. Einer der Verschwörer wird festgesetzt, und kaum erhält Babington davon Nachricht, so weiß er, daß alles verloren ist. Noch eine letzte verzweifelte Tat schlägt er seinem Kameraden Savage vor, geradeaus in den Palast zu eilen und Elisabeth niederzustoßen. Aber schon ist es zu spät, schon sind die Schergen Walsinghams hinter ihnen her, und nur durch eine verwegene Entschlossenheit gelingt es beiden, im Augenblick, da man sie festnehmen will, zu flüchten. Aber wohin? Alle Straßen sind gesperrt, alle Häfen gewarnt, und sie haben nicht Zehrung noch Geld. Zehn Tage verstecken sie sich in St. John's Wood, das damals nahe bei London und heute mitten im Herzen Londons liegt, zehn Tage des Grauens, der ausweglosen Angst. Jedoch der Hunger würgt sie unbarmherzig; schließlich treibt sie die Not in ein Freundeshaus, wo sie Brot und letzte Kommunion empfangen; dort werden sie verhaftet und in Ketten durch die Stadt geführt. In einem Gefängnis des Tower haben diese kühnen, jungen, gläubigen Menschen Folter und Richtspruch zu erwarten, über ihren Häuptern aber donnern die Glocken von London Triumph. Mit Freudenfeuern und festlichen Umzügen feiert die Bevölkerung die Rettung Elisabeths, die Vernichtung der Verschwörung und Maria Stuarts Untergang.
Inzwischen erlebt die ahnungslose Gefangene in ihrem Schloß von Chartley seit Jahren und Jahren wieder Stunden freudiger Erregung. Alle ihre Nerven sind gespannt. Jede Stunde muß ja der Reiter heransprengen mit der Mitteilung, daß jenes »desseing effectué« sei, heute, morgen, übermorgen kann sie, die Gefangene, eingeholt werden nach London in das Herrscherschloß, schon träumt sie, wie Adel und Bürgerschaft festlich geschmückt sie an den Stadttoren erwarten, wie jubelnd die Glocken dröhnen. (Sie weiß ja nicht, die Unselige, daß in Wahrheit schon die Glocken schwingen und von den Türmen klingen, um Elisabeths Errettung zu feiern.) Ein Tag noch, zwei Tage, und alles ist vollendet, England und Schottland werden vereint sein unter ihrer Königskrone, der katholische Glaube der ganzen Welt wiedergegeben.
Kein Arzt kennt ein so heilkräftiges Mittel für einen ermüdeten Leib, für eine ermattete Seele wie Hoffnung. Seit Maria Stuart, immer wieder leichtgläubig und vertrauensvoll, sich ihrem Triumphe so nahe wähnt, geht eine völlige Wandlung in ihr vor. Eine neue Frische, eine andere Art Jugend hat sie plötzlich überkommen, und die in den letzten Jahren ständig unter Erschöpfungen litt, die kaum eine halbe Stunde gehen konnte, ohne über Schmerzen in der Seite, über Müdigkeit und Rheumatismus zu klagen, jetzt schwingt sie sich wieder auf das Pferd. Selbst erstaunt über die überraschende Erneuerung, schreibt sie (während schon die Sense über die Verschwörung geschwungen ist), an ihren »good Morgan«: »Ich danke Gott, daß er mich noch nicht so tief heruntergebracht hat und daß ich noch meine Armbrust handhaben kann, um einen Hirsch zu töten und zu Roß hinter den Hunden herzujagen.«
Deshalb nimmt sie auch als willkommene Überraschung die Einladung des sonst so unfreundlichen Amyas Poulet an – ach, der dumme Puritaner ahnt nicht, denkt sie, wie bald seine Kerkermeistern zu Ende sein wird –, am 8. August eine Jagdpartie in das benachbarte Schloß von Tixall zu unternehmen. Eine stattliche Kavalkade wird gerüstet, der Hofmarschall, ihre beiden Sekretäre, ihr Arzt schwingen sich aufs Pferd, sogar Amyas Poulet, an diesem Tage besonders zugänglich und freundlich, begleitet mit einigen seiner Offiziere den munteren Zug. Herrlich ist der Morgen, strahlend und warm, die Felder saftig und grün. Scharf gibt Maria Stuart ihrem Pferde die Sporen, um das Gefühl des Lebens, des Freiseins in diesem Schwunge und Sausen stärker, beglückter zu spüren. Seit Wochen, seit Monaten war sie nicht so jung, nie in all diesen düsteren Jahren so heiter und frisch wie an diesem prachtvollen Morgen. Alles scheint ihr schön, alles leicht; wem Hoffnung das Herz beschwingt, der fühlt sich gesegnet.
Vor den Toren von Tixall Park lockert sich der scharfe Ritt, die Pferde gehen über in sanften Trab. Plötzlich schlägt Maria Stuart das Herz. Vor der Pforte des Schlosses wartet eine ganze Anzahl berittener Männer. Sind das – o glückseliger Morgen! – nicht schon am Ende die Freunde, Babington und seine Gefährten? Wird so vorzeitig die heimliche Verheißung des Briefes erfüllt? Aber sonderbar: nur einer von den wartenden Reitern löst sich von der Gruppe, langsam und merkwürdig feierlich trabt er heran, dann lüftet er den Hut und verbeugt sich, Sir Thomas George. Und im nächsten Augenblick fühlt Maria Stuart den Herzschlag aussetzen, der soeben noch so heiterheftig pochte. Denn Sir Thomas George teilt ihr in knappen Worten mit, daß Babingtons Komplott aufgedeckt sei und er Auftrag habe, ihre beiden Sekretäre festzunehmen.
Maria Stuart versagt das Wort. Jedes Ja, jedes Nein, jede Frage, jede Klage könnte sie verraten. Noch ahnt sie vielleicht nicht den ganzen Umfang der Gefahr, aber bald muß grausamer Verdacht sie überkommen, da sie bemerkt, daß Amyas Poulet keinerlei Anstalten trifft, mit ihr nach Chartley zurückzureiten. Nun erst erfaßt sie den Sinn dieser Jagdeinladung: man wollte sie vom Hause weglocken, um ungehindert ihre Gemächer zu durchsuchen. Gewiß werden jetzt alle ihre Papiere durchwühlt und geprüft, die ganze diplomatische Kanzlei ausgehoben, die sie mit ihrem souveränen Sicherheitsgefühl so offen geführt, als wäre sie noch Herrscherin und nicht Gefangene in fremdem Land. Aber es wird ihr reichlich und überreichlich Zeit gegeben, über alle diese Fehler und Versäumnisse nachzudenken, denn siebzehn Tage hält man sie in Tixall zurück, ohne ihr die Möglichkeit zu lassen, eine Zeile zu schreiben oder eine Zeile zu empfangen. Alle ihre Geheimnisse, sie weiß es, sind jetzt verraten, jede Hoffnung zernichtet. Wieder ist sie eine Stufe tiefer gesunken, sie ist nicht Gefangene mehr, sondern schon Angeklagte.
Maria Stuart ist eine andere, wie sie, siebzehn Tage später, nach Chartley zurückkehrt. Nicht mehr in frohem Galopp, den Wurfspieß in der Hand, umschart von ihren verläßlichen Freunden, reitet sie durch den Torweg, sondern langsam, wortlos, zwischen strengen Wächtern und Feinden, eine müde, enttäuschte, gealterte Frau, die weiß, daß sie nichts mehr zu erhoffen hat. Ist sie wirklich erstaunt, alle Koffer und Schränke aufgebrochen, alle Schriftstücke und Briefe, die sie zurückgelassen, weggeräumt zu finden? Ist sie verwundert, daß mit Tränen und verzweifelten Blicken die wenigen Getreuen ihrer Hofhaltung sie begrüßen? Nein, sie weiß, jetzt ist alles vorüber, alles zu Ende. Aber ein unvermutetes kleines Begebnis hilft ihr über die erste dumpfe Verzweiflung. Unten in der Gesindestube stöhnt eine Frau in den Wehen, die Gattin Curles, ihres getreuen Sekretärs, den man nach London geschleppt, damit er Zeugnis gegen sie leiste und sie verderben helfe. Allein liegt die Frau, kein hilfreicher Arzt ist zu finden und kein Priester. So geht die Königin in der ewigen Schwesternschaft der Frauen und des Unglücks hinab, um der Kreißenden zu helfen, und da kein Priester zur Stelle ist, gibt sie selber dem Kinde mit der Taufe den christlichen Willkomm in diese Welt.
Noch ein paar Tage bleibt Maria Stuart in diesem verhaßten Schlosse, dann kommt Befehl, sie in ein anderes zu überführen, wo sie noch sicherer, noch abgeschlossener von der Welt sein soll. Fotheringhay hat man für sie gewählt, von den vielen Schlössern, durch die Maria Stuart als Gast und als Gefangene, als Königin und als Gedemütigte gegangen, das letzte. Die Wanderung ist zu Ende, bald wird der Unruhigen Ruhe gegönnt sein.
Aber all dies, was schon letzte Tragik scheint, ist doch nur lindes Leiden, verglichen mit den grauenhaften Qualen, welche man in diesen Tagen den unseligen jungen Menschen bereitet, die opfervoll für Maria Stuart ihr Leben gewagt. Immer wird die Weltgeschichte ungerecht und unsozial geschrieben, denn fast immer schildert sie nur die Not der Mächtigen, Triumph und Tragik der Fürsten dieser Erde. Gleichgültig aber schweigt sie vorbei an den andern, den Kleinen im Dunkel, als ob nicht Qual und Marter in dem einen irdischen Leibe die gleiche wäre wie in dem andern. Babington und neun seiner Gefährten – wer kennt, wer nennt noch heute ihre Namen, indes das Schicksal der Königin an unzähligen Bühnen, in Büchern und Bildern sich verewigt! – erleiden in drei Stunden entsetzlicher Tortur mehr körperliche Qual als Maria Stuart in all den zwanzig Jahren ihres Unglücks. Dem Gesetz nach wäre ihnen zwar nur Tod durch den Galgen zubestimmt, aber das scheint den Anstiftern des Komplotts zuwenig für diejenigen, die sich von ihnen anstiften ließen. Gemeinsam mit Cecil und Walsingham bestimmt Elisabeth selbst – neuerdings ein dunkler Fleck auf ihrer Ehre –, daß die Hinrichtung Babingtons und seiner Gefährten durch besonders raffinierte Torturen zu tausendmaligem Tod verlängert werden solle. Sechs dieser jungen gläubigen Menschen, darunter zwei halbe Knaben, die nichts anderes begingen, als ihrem Freunde Babington, als er auf der Flucht vor ihrem Haus bettelte, ein paar Stücke Brot zu gewähren, werden, um dem Gesetz Genüge zu tun, zuerst für einen Augenblick gehenkt, dann aber noch lebend abgeschnitten, damit die ganze Teuflischkeit eines barbarischen Jahrhunderts sich an ihren fühlenden, an ihren unsagbar leidenden Körpern austoben könne. Mit gräßlicher Beharrlichkeit setzt die scheußliche Metzgerarbeit des Henkers ein. So langsam und so schmerzhaft werden die Opfer bei lebendigem Leibe zerstückelt, daß selbst der Abhub des Londoner Pöbels von Grauen erfaßt wird und man genötigt ist, den andern am nächsten Tage die Martern zu verkürzen. Noch einmal ist eine Richtstatt mit Blut und Grauen überschwemmt worden für diese Frau, der magische Schicksalsmacht gegeben war, immer wieder eine neue Jugend in ihren Untergang zu ziehen. Noch einmal, aber zum letzten Male! Denn nun ist der große Totentanz zu Ende, der mit Chastelard begonnen. Nun wird niemand mehr kommen, sich für ihren Traum von Macht und Größe aufzuopfern. Nun wird sie selber das Opfer sein.