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Der Korporal.

Die Rekrutenzeit war vorüber, und da Wilhelm jetzt mehr müßige Stunden hatte, so wandte er diese an, theils die früheren Studien wieder aufzufrischen, theils aber auch, sich mit der neuern Kriegskunst bekannt zu machen. Früher hatte er schon recht hübsch gezeichnet, auch das setzte er jetzt fort. Seinen Dienst that er mit Lust und Liebe, war äußerst pünktlich und proper, so daß er sich die Gunst aller seiner Vorgesetzten errang. Man hätte auch wohl keinen schmuckern Mann aus dem ganzen Regimente hervorgesucht. Seine schlanke, kräftige Gestalt hatte durch die mancherlei Leibesübungen, das Reiten, Voltigiren u. s. w. mehr Gewandtheit und seine Glieder mehr Geschmeidigkeit erhalten. Der Dolman und die engen Beinkleider saßen ihm wie angegossen, seine Haltung war edel und grade. Fast in der ganzen Stadt kannte man ihn unter dem Namen des hübschen Husaren, und manches Mädchen schielte ihm nach durchs Fenster, wenn er vorüber ging.

Er that seine erste Wache, und bekam den Posten vor dem Oberst des Regiments. Mit blankem Säbel im Arm schritt er an dem sternhellen Abende hastigen Schritt's vor dem Schilderhause auf und ab. Schneidend schnitt ihm der kalte Februar-Wind um die Ohren, und hell knirschte der Schnee unter seinen Füßen. Die Köchin des Obersten war eine mitleidige Person, und schon längst unserm Falk geneigt gewesen. »Hm,« dachte sie in ihrem Sinn, als sie die Punschterrine für die gnädige Herrschaft hinaufschicken wollte, »dem armen Husaren da draußen mag wohl ein gutes Glas Punsch auch nicht ungesund sein; es ist ja eine Kälte, daß einem das Herz im Leibe friert.« Rasch schöpfte sie einen tüchtigen Römer voll, und als nun der Bediente mit der Terrine fort war, trippelte sie leise zur Thüre hinaus, und stand vor unserm Falk. Sie war gar kein übeles Mädchen, und ihre schwarzen Augen mochten schon manches Herzensfeuer entzündet haben.

»Hier, Schildwach,« sagte sie zutraulich, »nehmt rasch und trinkt! Der feurige Punsch wird Euch erwärmen in der eiskalten Nacht.«

»Danke schön, liebes Kind, für Deinen guten Willen,« entgegnete Wilhelm lächelnd, »aber ich muß bedauern, daß ich es nicht annehmen darf. Du weißt ja, ich bin hier Schildwach und auf meinem Posten!«

»Ach, laßt Euch das nicht kümmern, hier sieht es kein Mensch, und wenn Ihr nicht trinkt, so macht Ihr mich böse.«

»Das sollte mir zwar herzlich leid thun, doch ich darf es nicht, geh nur wieder hinein und trinke es selbst, auf meine Gesundheit, wenn Du willst.«

»Bravo!« – rief die Stimme des Obersten aus dem Fenster herab. Rasch huschte die Dirne wieder zur Thür hinein, das Fenster wurde zugeschlagen und Wilhelm ging wieder festen Tritts auf und nieder. –

Solche Ereignisse, an und für sich selbst nur unbedeutend, dienten doch dazu, Wilhelm's Vorgesetzte auf ihn aufmerksam zu machen. Größeren Einfluß hatte folgender Vorfall. – Bei den kleinen Manövern und Uebungsmärschen, welche im Frühjahr von dem Regimente gemacht wurden, hatte der Rittmeister von Horn, Wilhelm's Chef, seinen Wachtmeister einst zu anderem Dienste fortgeschickt. In dem Augenblicke kam ein neuer Befehl für die ferneren Positionen und Schwenkungen der Schwadron. Der Rittmeister, welcher in solchen Fällen gewöhnlich seinem etwas kurzen Gedächtnisse durch des Wachtmeisters Brieftasche zu Hilfe zu kommen pflegte, sah sich jetzt verlegen um nach diesem, doch da er noch nicht zurückkam, wandte er sich an die Unteroffiziere, welche die kurze Frist, die ihnen jetzt gegeben war, zu einem derben Soldatenfrühstücke benutzten, und fragte, ob keiner eine Brieftasche bei sich habe. Alle verneinten, die meisten konnten auch nicht einmal ihren Namen schreiben; wozu also das unnütze Möbel? Falk, der die Verlegenheit bemerkt hatte, trat aus dem Haufen der abgesessenen Husaren hervor, zog aus dem Busen sein sauberes, mit rothem Korduan überzogenes Portefeuille und reichte es zum beliebigen Gebrauche seinem Rittmeister dar. Der sah ihn erst groß an, nickte dann freundlich und sagte: »Hole sie Dir nur heute Nachmittag von mir wieder, ich werde Deine Geheimnisse, wenn etwa welche darin sind, nicht ausplaudern.« Wilhelm machte kehrt und ging zu seinen Kameraden zurück. Wie staunte der Rittmeister, als er das saubere Täschchen entfaltete, und gleich auf der ersten Seite das Stück einer Betrachtung über die alte römische Reiterei fand. Rasch schrieb er sich seine Notizen hinein und steckte dann das Täschchen in seinen Busen.

Nach beendigtem Manöver ging Falk, des erhaltenen Befehls eingedenk, zum Rittmeister, um sich sein Portefeuille wieder zu holen. Dieser ließ ihn durch den Burschen, welcher ihn gemeldet hatte, zu sich hinein rufen.

»Hören Sie einmal, liebster Falk,« hub der Rittmeister an, »ich habe Sie seit Ihrem Eintritt in meine Schwadron genau beobachtet, und stets gefunden, daß Sie sich nicht nur pünktlich und proper im Dienst bewiesen, sondern auch stets als einen gebildeten und gesitteten jungen Mann gezeigt haben. Haben Sie selbst den Aufsatz in Ihrem Portefeuille über die römische Reiterei gemacht? Sehen Sie, diesen hier!«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister.«

»Daraus sehe ich, daß Sie noch unterrichteter sind, als ich bisher geglaubt habe, und sich auch tüchtig in der neuern Kriegskunst umgesehen haben. Fahren Sie nur so fort, es wird nicht zu Ihrem Schaden sein. Ich hätte Sie schon früher hervorgezogen aus dem niedrigsten Dienst, allein einmal hat man schon durch lange Erfahrung kein rechtes Vertrauen zu Leuten, die so angeworben werden, und dann schadet es auch einem jungen Manne durchaus nichts, wenn er jeden Dienst durch eigene Erfahrung kennen lernt. Das giebt die tüchtigsten Soldaten, und die sind uns jetzt sehr nöthig. Sie haben meine vorgefaßte gute Meinung von Ihnen seither nur befestigt, und daher glaube ich, daß außerordentliche Zufälle Sie dahin gebracht haben, sich anwerben zu lassen. Wie kamen sie denn dazu?«

Wilhelm, welcher zuerst ziemlich verwirrt geworden war durch das ungewohnte Sie, mit dem ihn sein Vorgesetzter anredete, hatte sich jedoch während der letzten Rede gefaßt und sah es gern, daß er Gelegenheit bekam, seinem Rittmeister nähere Auskunft über seine früheren Verhältnisse zu geben. Mit kurzen Worten erzählte er also wie folgt:

»Meine beiden Eltern waren schon todt, als ich die Universität zu W. bezog. Die Zinsen des mir hinterlassenen Vermögens reichten nicht hin, mich dort zu unterhalten; deßhalb lebte ich sehr eingezogen und sucht einen Stolz darin, mir durch Privatunterricht so viel noch zu verdienen, daß ich das Vermögen selbst, welches mein Vormund für mich verwaltete, nicht anzugreifen brauchte. Umgang hatte ich in der Stadt nur mit der Familie eines weitläuftigen Verwandten, bei welchem ich zugleich wohnte. An einem heiteren Sommertage des vorigen Jahres begleitete ich, wie es wohl öfter geschah, die Tochter meines Wirthes, meine Base, auf einem Spaziergange. Nicht weit vor dem Thore begegnete uns ein Haufen halbtrunkener Studenten, welche allerhand Sauflieder sangen und die Vorübergehenden foppten. Einer von ihnen, ein gewisser Baron von Solm, kam zu uns heran und wollte meiner Base einen Kuß rauben. Ich trat natürlich dazwischen, und als er mich mit hochmüthiger Miene und trotzigen Worten bei Seite schieben wollte, faßte ich ihn beim Schopfe und warf ihn kopfüber in den neben dem Wege befindlichen Graben. Die Uebrigen, welche ihm auch nicht recht grün sein mochten, fingen laut an zu lachen, ich aber führte meine Base wieder nach Hause. Der Baron war von angesehener Familie und hatte viel Anhang in der Stadt, dabei war er aber ein so feiger ausgemergelter Wüstling, daß ich mich schier verwunderte, als ich am andern Morgen von seinem Sekundanten gefordert wurde. Ich war zwar kein ausgelernter Fechter, doch wußte ich, daß ich es recht gut mit dem Baron aufnehmen konnte. Wir trafen uns also an dem für solche Sachen gewöhnlichen Orte, und gleich im ersten Gange gab ich ihm eine Quart über die Brust, daß er für todt nach Hause getragen wurde.«

»Die Sache wurde ruchbar, und seine Familie brachte es dahin, daß ich relegirt wurde und auf keiner Universität wieder aufgenommen werden durfte. Kaum entging ich noch durch schleunige Flucht dem Gefängniß. Was sollte ich jetzt thun? Sollte ich, ein relegirter Student und Flüchtling, vor meinen Vormund treten, der über Ehrensachen durchaus nicht meine Ansichten theilte? Kurz und gut, ich entschloß mich, Soldat zu werden, da ich ohnehin schon lange Lust dazu gehabt hatte. Weil ich nun aber durchaus nicht wußte, wie ich dazu am schicklichsten gelangte, so ließ ich mich, da ich auf meiner Reise oder vielmehr Flucht den Lieutenant Strauchmann traf, von diesem anwerben, zumal da er für ein Husarenregiment warb, welche Waffe mir stets am meisten gefallen hatte.«

»Es ist mir lieb,« sagte darauf der Rittmeister, » so befriedigende Auskunft von Ihnen zu erhalten. Es soll jetzt meine Sorge sein, daß Sie nicht mehr wie jeder gemeine Soldat behandelt werden, und, wie gesagt, wir werden in Kurzem so viel wackere Leute brauchen, daß wir am Ende gar nicht wissen werden, wo sie herkommen sollen. Es wäre nicht das Erstemal, daß ein Bürgerlicher Offizier würde. Sie haben also einiges Vermögen?«

»Ja wohl, mein Vormund hat es mit angelegt, und seitdem hat es sich fast verdoppelt.«

»Gut denn, so will ich Ihnen vorläufig erlauben, daß Sie von einem Husaren aus der Schwadron Ihr Pferd putzen und besorgen lassen, auch werde ich darauf antragen, daß Sie die jetzt offene Unteroffiziersstelle in meiner Schwadron bekommen. Halten Sie sich aber auch nur ferner brav, so wird sich alles machen; für jetzt können Sie gehen.«

Wilhelm wollte sich entfernen, als dem Rittmeister noch etwas einfiel.

»Halt,« sagte er, »da kommt mir noch etwas in den Sinn. Merken Sie sich doch beim nächsten Manövriren alles recht genau, jede Stellung, jede Evolution, und bringen Sie mir es dann ausgearbeitet, damit ich doch etwas zum Beleg für Ihre Empfehlung höhern Orts in Händen habe.«

Wilhelm versprach sein Möglichstes zu thun, und eilte dann, vergnügt wie ein Gott, seinem Quartiere zu. Sogleich machte er es mit einem Husaren ab, daß er die Bedienung seines Pferdes für eine monatliche Geldvergütigung mit übernähme. Von da an sahen ihn seine Kameraden schon als etwas Vornehmeres an und begegneten ihm höflicher als sonst, und als die Unteroffiziere hörten, daß ihn der Rittmeister mit Sie anrede, wagten sie auch nicht mehr, das sonst übliche Du oder Er zu gebrauchen.

Bald darauf rückte das Regiment wieder aus zu den jetzt sehr gewöhnlichen Feldübungen. Der erhaltenen Weisung zufolge prägte sich Wilhelm, so viel es ihm von seinem Standpunkte aus möglich war, alles genau ein, und begleitete seinen Aufsatz darüber mit einer sehr sauber gefertigten Zeichnung. Der Rittmeister war überrascht, denn Wilhelm hatte seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Er selbst, obgleich er für den gebildetsten Offizier im Regimente galt, hätte sich nicht getraut, solche Arbeit zu liefern, geschweige denn die Mehrzahl der übrigen, von denen mancher nicht viel mehr gelernt hatte, als wie man ein Pferd zureiten müsse. Der Rittmeister legte, seinem Versprechen getreu, die Arbeit dem Chef des Regiments vor, welcher dadurch auch gänzlich für den »gelehrten Husaren,« wie Wilhelm bald darauf allgemein genannt ward, eingenommen wurde.

Einige Zeit später wurde Wilhelm, trotz seiner kurzen Dienstzeit, zum Korporal ernannt, und sein anspruchsloses, zuvorkommendes Betragen machte, daß ihm nur Wenige sein Glück mißgönnten.



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