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Beide Heeresabtheilungen, die des Königs, das Hauptheer, und die des Prinzen, hatten, nachdem sie in Folge des letzten Sieges vereint den Gränzfluß überschritten hatten, sich wieder getrennt, um auf zwei Wegen sich der feindlichen Hauptstadt zu nähern; doch da der Winter mit starken Schritten sich nahte, und die Wege durch anhaltendes Regenwetter ungangbar geworden waren, so bezogen beide Heere vorerst ein festes Lager, um entweder, wenn das Wetter günstiger würde, noch weiter vorzudringen, oder, im entgegengesetzten Falle, in dieser Gegend die Winterquartiere zu beziehen. Der Feind, welcher erst noch einmal das Aeußerste versuchen wollte, ehe er zugäbe, daß die beiden Heere in seinem Lande ihre Winterquartiere nähmen, hatte noch einmal eine ansehnliche Armee zusammengebracht und bedrohte damit die Stellung des Königs. Deshalb vereinigten sich die beiden Heere wieder, weil es wahrscheinlich war, daß jetzt eine Schlacht den Krieg entscheiden würde. Falk sah dies gern, indem er hoffte, daß auch sein Schicksal sich dann entscheiden müsse. Er war wieder ganz der alte muntre, lebenslustige Soldat. Hatte ihm nicht der Brief der Geliebten die Besten Hoffnungen gemacht, war er nicht bei dem Prinzen aufs glänzendste gerechtfertigt; besaß er nicht dessen Gunst im höchsten Grade? Heiter sah er in die Zukunft, und oft malte er mit seinem Schlegel in traulichen Stunden sich dieselbe mit den rosigsten Farben.
»Bruder,« sagte er dann, »was ist das Leben ohne Liebe? Gar nichts! Das geht alles so einförmig, so eintönig dahin, daß man am Ende vor lauter Langeweile sein seliges Ende nicht erwarten kann. Erfüllt uns auch die Liebe wohl zuweilen mit Sorgen und Kummer, mit ängstlichem Bangen um die Geliebte, so ist dies ja grade das Salz, welches uns das Leben würzt. Die schlimme Zeit muß der guten die Folie unterlegen, ohne Unglück gäbe es auch kein Glück!«
»Vor acht Tagen sprachst Du noch anders,« meinte Schlegel.
»Ja, da war es auch etwas Anderes. Glaubte ich da nicht meine Emilie auf ewig verloren, das war ja grade die Zeit des Unglücks, von der ich eben sprach, und ich will Dir rathen, guter Junge, verliebe Dich sobald als möglich,« setzte er schäkernd hinzu, »Du glaubst gar nicht, was für einen Reiz das hat, welches Interesse man da dem Leben abgewinnt.«
»Nun ich habe es ja auch noch nicht abgesagt, aber eine Adelige wird es ganz gewiß nicht.«
»Das kannst Du gar nicht bestimmen, es sollte Dir nur einmal ein Wesen, wie Emilie von der Hardt, in den Wurf kommen, ich wette, Dein Herz ginge in lichterlohe Flammen auf, trotz ihres Adels.«
»Ich bin wirklich neugierig, diesen Ausbund von Schönheit kennen zu lernen.«
»Das kannst Du bald haben. Morgen vernichten wir die Feinde, nehmen Land und Leute für uns; dann schwenken wir beide lustig nach Eschenthal – –«
»Halt, halt, Freund, da hat Deine Phantasie einmal wieder das Gebiß zwischen den Zähnen fest und geht mit Dir durch, daß Dir der Kopf schwindelt, und Du nicht bedenkst, daß wir vor allen Dingen erst siegen müssen; und der Rittmeister Falk dann ganz demüthig zum Herrn Baron gehen muß und fragen, ob der Herr Baron sich nun besonnen hätten, die Mesalliance zuzulassen.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, indem von dem Major, welcher das Regiment jetzt kommandirte, der Befehl kam, die Herrn Rittmeister sollten, da auf morgen wahrscheinlich eine Schlacht bevorstände, bei ihren Schwadrons dafür sorgen, daß alles mit dem Frühesten schlagfertig wäre.
Wirklich donnerte am andern Morgen das Geschütz vom linken Flügel herauf, als kaum der Tag graute. Eine Schlacht begann, wie sie der Aelteste in beiden Heeren nie gesehen hatte. Ein Dorf, welches im Mittelpunkte der feindlichen Stellung lag, wurde dreimal genommen und dreimal ging es verloren. Gleich im Anfang gerieth es in Brand, und mitten zwischen den Flammen wüthete doch immer der heftigste Kampf. Die Feinde fochten wie Verzweifelte, es galt ja den letzten Versuch, das Vaterland zu retten, doch waren sie zu schwach, sie mußten gegen Uebermacht kämpfen, und hatten es mit einem Heere zu thun, welches stets den Ruf der Tapferkeit behauptet hatte. Am Abend waren sie völlig besiegt und suchten in eiliger Flucht Schutz in den nahen Wäldern.
Wilhelm hatte mit wahrem Löwenmuthe gefochten, er suchte seine früheren Thaten noch zu überbieten. Das Glück begünstigte ihn auch hier wieder. Gleich im Anfange der Schlacht war der Major gefallen; die Rittmeister waren alle noch junge Offiziere, da im Laufe des blutigen, wenn gleich nur kurzen Krieges die alten meist alle gefallen waren, und so traf es sich, daß Wilhelm der älteste Rittmeister war, und als solcher sogleich das Kommando übernahm. Jetzt hatte er die herrlichste Gelegenheit, sich auszuzeichnen, und er ließ sie nicht ungenutzt vorüber. Als der Sieg errungen war, erhielt die ganze Kavallerie Befehl, dem Feinde nachzusetzen. Eine große Anzahl Gefangener wurde gemacht, außer dem Gepäck, Wagen und Geschützen; Wilhelm allein nahm mit seinen Husaren eine ganze Batterie, welche wenig ins Feuer gekommen war und jetzt ihr Heil in eiliger Flucht suchte. Die Verwirrung beim Feinde war gränzenlos; jeder suchte für sich den Nachsetzenden zu entkommen; doch gelang dies nur Wenigen, welche im dicksten Gebüsch des Waldes, den sie erreicht hatten, ein Versteck fanden. Wer auf dem Wege blieb, wenn er selbst schon im Walde war, wurde eingeholt und entweder niedergehauen oder gefangen. Der Wald war ungefähr drei Stunden breit; an seinem jenseitigen Rande lag ein Städtchen. Bis dahin ging die Verfolgung, und hier erst gönnten die wackeren Reiter ihren bis zum Tode ermüdeten Pferden Ruhe. Der Rittmeister Falk ließ Apell blasen, damit die etwa noch umherschwärmenden Husaren sich sammelten, und rückte dann, als alle ziemlich zusammen waren, in das Städtchen ein, mit ihm noch zwei Regimenter Uhlanen. Mancher brave Husar wurde bei Falk's Regimente vermißt, unter diesen auch des Rittmeisters Diener, der alte Döppner. Ungern hätte Wilhelm den treuen Diener verloren; er hoffte auch immer noch, daß er sich wieder einfinden würde; denn es kamen nach und nach immer noch einige angeritten; welche bei der Verfolgung von ihren Kameraden abgekommen waren. Von Zeit zu Zeit ließ Falk vor dem Thore Apell blasen, um den einzeln Umherschwärmenden ein Zeichen zu geben, daß hier das Regiment läge. Diese Maßregel war von gutem Erfolg, doch Döppner kam immer noch nicht.
Am andern Tage gegen Mittag kam der König mit dem Heere auch heran. Die Kavallerieregimenter hatten sich vor dem Thore aufgestellt, um sich sogleich, wenn der Befehl käme, der Vorhut anzuschließen, welche wahrscheinlich weiter vorgeschoben werden würde. Der General, zu dessen Brigade Falks Regiment gehörte, ritt zu ihm heran, reichte ihm lächelnd die Hand und sagte: »Ich gratulire, bester Falk, des Königs Majestät hat Sie zum Major ernannt, und als Auszeichnung sollen Sie das Regiment, welches Sie so rühmlich zum Siege führten, behalten. Meine Brigade schließt sich der Avantgarde an, welche Prinz Hugo wieder führt. Lassen Sie nur einschwenken; Ihr Patent werde ich heute noch ausfertigen lassen, mein Adjutant soll es Ihnen bringen.« Der General ritt weiter. Wilhelm traute seinen Ohren kaum. Das hatte er nicht vermuthet, und noch dazu gleich Regimentskommandeur!
Die Offiziere des Regiments kamen herbei und gratulirten, Schlegel hätte ihn in seiner Freude fast vom Pferde gerissen.
»Nun glaube ich doch am Ende,« sagte er, »daß das Verdienst bei uns belohnt wird.«
Manchem der Offiziere mochte die Gratulation recht sauer werden; denn die Mehrzahl gönnte Wilhelm als einem Bürgerlichen sein Glück nicht; doch waren sie klug genug, sich das nicht merken zu lassen.
Die Avantgarde rückte heute, weil die Truppen noch von der Anstrengung des vorigen Tages zu ermüdet waren, nicht sehr weit vor. Wilhelm nahm mit seinem Regimente in einem ziemlich guten Dorfe Quartier, er selbst erhielt das seinige bei dem Amtmann. Der übrige Theil der Avantgarde lag in anderen, naheliegenden Dörfern. Eben hatte er sich in seinem Zimmer etwas häuslich eingerichtet, als der Adjutant des Generals bei ihm eintrat und ihm das Patent überreichte. Es war ein braver junger Mann, welcher sich herzlich über Falks Glück freute. Nachdem er das Patent übergeben und seine Gratulation abgestattet hatte, sagte er noch im Abgehen: »Ich bringe bald mehr, Herr Oberstwachtmeister, verlassen Sie sich darauf, ich habe so etwas munkeln hören.«
Wilhelm dachte hin und her, und konnte sich doch nicht erklären, was der Adjutant könnte gemeint haben. Lange quälte er sich auch nicht mit Vermuthungen darüber; denn bald kam Schlegel, welcher mit einem Orden dekorirt war, und ließ in seiner Fröhlichkeit den Major gar nicht zu Worte kommen. Die übrigen Rittmeister des Regiments wurden noch hinzugebeten, beim Wirth wurde Arrak, Zucker und Zitronen requirirt, und so verfloß der Abend fröhlich bei einer Bowle Punsch.
Döppner hatte in der Schlacht seinen Herrn beständig im Auge gehabt, als sich jedoch beim Nachsetzen das Regiment auflösen mußte, um die einzeln Fliehenden einzuholen, da war er von ihm abgekommen. Er verfolgte mit noch einem Husaren einen Trupp feindlicher Grenadiere, welche einen ziemlichen Vorsprung hatten und alle ihre Kräfte anstrengten, den schon nahen Wald zu erreichen. Es mochten ungefähr acht Mann sein. Sieben davon holten sie ein und machten sie zu Gefangenen. Döppner überließ diese seinem Kameraden, um den Letzten, welcher eine wahre Schnellläufers-Natur zu haben schien, noch zu erwischen; doch dieser erreichte glücklich den Wald, drehte sich am Rande desselben um, feuerte sein Gewehr gegen Döppner ab, warf es dann weg und floh eilig in das Dickicht. Die Kugel traf nicht den Reiter, sondern die Brust seines Rappen, daß er zusammenstürzte. Döppner wurde wild über den Verlust seines geliebten Thieres; welches noch dasselbe war, was er einst mit von Eschenthal gebracht hatte. Rasch riß er seine Pistolen aus den Halftern und stürzte eilig dem Grenadier, welcher jetzt sein Todtfeind war, nach in den Wald. Von weitem sah er dessen lange Gestalt noch wie sie sich durchwand durch den dichten Forst; doch da Döppner nicht so gut zu Fuß sein mochte als jener, ihn auch sein Säbel sehr am raschen Vordringen hinderte, so wurde der Zwischenraum zwischen Beiden immer größer; aber als ob es der Grenadier darauf abgesehen hatte, den Husaren zu necken, so blieb er dann wieder ruhig stehen und verschnaufte sich ganz gemächlich, bis sein Feind ihm wieder nahe kam. Da floh er wieder eilig weiter. So setzte er seine Neckereien unaufhörlich fort, bis ihn Döppner zuletzt gänzlich aus dem Gesichte verlor. Er hatte den Kerl so weit und so hitzig verfolgt, daß er jetzt durchaus nicht mehr wußte, woher er gekommen war, und nach welcher Seite hin er einen Ausweg suchen sollte. Verlegen griff er an seinen Bart und brummte dann vor sich hin:
»Da fange nun 'nmal ein ehrlicher Christenmensch was an! I so soll doch gleich ein Donnerwetter über den infamen Ausreißer kommen! Konnte der Schuft nicht stehen, daß ich ihm erst für meinen braven Rappen den Lohn, als Reisegeld in die Ewigkeit, gab. Ich will nicht selig werden, wenn so'n Gaul nicht meinswegen so viel werth ist, als ein ganzes Bataillon solcher Heiden. Hätte ich aber den Himmelhund gefaßt, ich hätte ihm, hol' mich der Teufel, meinswegen solange an der Kehle 'rum gespielt, bis er sich todtgelacht hätte; denn todtschießen oder niederhauen ist für solche Bestie noch viel zu gut. Krieg' ich aber den fixbeinigen Satan einmal wieder zu packen, ich drehe ihm, und wenns in der Kirche ist, den Hals um. Wenn ich aber nur erst wieder aus dem vertrakten Busch 'raus wäre! Na, fluchen will ich heute nicht mehr, aber morgen da soll doch meinswegen gleich das Donnerwetter hineinschlagen. Und dunkel wirds nun auch schon mit Gewalt. Nun ich sehe wohl, ich werde wohl 'nmal bivouakiren müssen.«
So schüttete Döppner seinen Aerger in vollem Maaße aus, schritt dann, während er immer noch vor sich hin fluchte, wacker vorwärts, doch kam er leider immer weiter hinein in das Dickicht. Endlich wurde er so müde, der Abend wurde so finster, daß er beschloß, hier Quartier zu machen. Er suchte sich ein annehmliches Plätzchen an dem Stamm eines starken Baumes aus, legte seine Pistolen und seinen Säbel auf alle Fälle in Bereitschaft und streckte sich dann gemächlich nieder. Einzelne Sterne funkelten durch die hohen Gipfel der Bäume; er betrachtete sie sich lange und brummte dann: »Wer so'n Sterngucker wäre, wovon unser Schulmeister immer erzählte, daß sie danach wüßten, wohin sie ihre Marschroute nehmen müßten! Oder wenn man über meinem Rittmeister solch großer Stern meinswegen aufginge, als wie weiland über unseres Herrn Christus Kopf, als die Schriftgelehrten aus dem Morgenlande kamen; dann wollte ich ihn wohl finden; aber so muß ich hier liegen, wie so'n Kukuksei, und wenn ich eingeschlafen bin, dann kommen wohl gar so'n Paar Ausreißer, die sich hier verkrochen haben und schicken mich in die ewigen Winterquartiere, daß ich mein Lebtage mein Nettchen nicht wieder zu sehen kriege. Ach Gott, das arme Kind, was würde die wohl denken, und der Herr Rittmeister, was würde der wohl sagen, wenn ich nicht wiederkäme, und sie mich meinswegen auch nicht bei den Todten fänden; er müßte doch am Ende denken, ich wäre ein infamer Deserteur. – Nein, Gott verdamm' mich, das müßte er nicht denken, und das dächte er auch meinswegen nicht.«
Bei diesen Gedanken war er wieder ganz in Extase gerathen; denn nichts schien ihm so schrecklich, als wenn er für einen Deserteur gehalten würde. Er hatte sich dabei aufgerichtet, sank jedoch bald wieder zurück und entschlummerte, von der Müdigkeit überwältigt, bald recht sanft.
Als er am andern Morgen erwachte, war er fast erstarrt vor Kälte, obgleich er sich so gut als möglich in das abgefallene Laub eingenistelt hatte. Zuerst richtete er den Kopf in die Höhe, und sah so erstaunt um sich her, als wäre er aus den Wolken gefallen. Allmälig kam ihm jedoch die Erinnerung an seine gestrige Fata wieder, und mit ihr verwandelte sich der Ausdruck des Erstaunens in seinem Gesichte in einen mürrischen. Unzufrieden schüttelte er sein jetzt in der That bemostes Haupt, denn die Rudera seines Kopfkissens hingen ihm noch wild um den Kopf herum, zupfte sich an seinem Bart und begann dann wie immer, wenn ihn etwas ernsthaft beschäftigte, sein Selbstgespräch: »Meinswegen wollt' ich, daß ich wäre wo der Pfeffer wächst, oder daß die Gundel hier wäre mit 'nem tüchtigen Rachenputzer; denn ohne einen wackern Lungenhieb kriege ich die Knochen nicht wieder geschmeidig. Meiner Seele, ist das doch als wären sie alle ineinander gefroren. Der Teufel hole das Bivouakiren ohne Mantel in so 'nem verflixten Herbstwetter, und was das meinswegen für'n Nebel ist, man kann ja zum Henker nicht drei Schritt vor sich sehen. A–a–h, muß man sich nicht dehnen und biegen, wie sie's mit einem Rekruten machen, ehe ihm die Knochen geschmeidig werden. – – Wer mag nun wohl meinem Herrn seine Pferde heute putzen; doch gewiß der Giseke, denn den hab' ich doch meinswegen schon so'n bischen angelernt. Wenn er man nicht vergißt, dem Braunen nach dem linken Hinterfuß zu sehen; die Köthe war ihm gestern schon angeschwollen. Ja, ich will nur machen, daß ich wieder hinkomme, sonst geht meinswegen doch alles schief.«
Somit setzte er sich wieder in Bewegung, nachdem er seine Toilette nach Husarenmanier bald vollendet und seine Pistolen nachgesehn hatte. Oft stolperte er über Wurzeln und Gestrüpp, denn seine Beine kamen ihm, nach seinem eigenen Ausdruck, vor, wie ein steifer Karrengaul. So schnell als möglich setzte er seinen Marsch fort, denn sein Magen mahnte ihn mächtig zur Eile. Er mochte ungefähr zwei Stunden fortgewandert sein, als er einen freien Platz im Forst erreichte. Der Nebel hatte sich etwas gelegt, doch war er noch immer dicht genug, um ihm die freie Uebersicht über den ganzen Raum zu versperren. Vorsichtig näherte er sich dem Rande des Waldes und schaute bedachtsam umher, ehe er das Holz verließ; als er jedoch nichts Verdächtiges bemerkte, da trat er hinaus auf den freien Platz. Kaum hatte er jedoch einen Schritt vorwärts gethan, als von rechts her ein ängstliches Stöhnen und ein, ihm unbekanntes, kurzausgestoßenes Geheul an seine Ohren schlug. Er wandte sich nach der Richtung um, und erblickte in geringer Entfernung einen Offizier, welcher in die Knie gesunken war, und sich mit der letzten Kraft einen Wolf abwehrte. Augenblicklich war Döppner entschlossen. Mit gewohnter Schnelligkeit schleifte er den Säbel mit dem Faustriemen an das rechte Handgelenk, spannte das eine Pistol und stürzte dann auf Unthier los. Als dies den neuen Feind sah, stürzte es mit weit aufgesperrtem Rachen auf diesen zu. Jetzt stand Döppner still und erwartete mit Ruhe den Gegner, bis dieser ihm bis auf drei Schritt nahe war, da brannte er los und traf gut. Der Wolf taumelte, aber fiel noch nicht, doch Döppner saß ihm wie der Blitz mit der Klinge über dem Halse, und in ein Paar Augenblicken hatte er ihn niedergesäbelt. Jetzt eilte Döppner zu dem Offizier, welchen er an der Uniform sogleich als einen feindlichen erkannte. Dieser war hintenüber gesunken, und konnte vor Erschöpfung kaum sprechen; der Degen war ihm entfallen. Den linken Arm trug er in einem Verbande, das Gesicht war ihm mit geronnenem Blut übersudelt. Aus dem ganzen Zustande sah Döppner sogleich, daß ihm der Wolf noch wenig gethan hatte, daß er aber in der gestrigen Schlacht wahrscheinlich so übel zugerichtet war. »Wenn Ihr ein Christ seid, Kamerad,« sagte er matt, »so schafft mir einen Schluck Wasser, ich dann vor Durst nicht mehr lechzen.«
Döppner hatte, trotz seines rauhen Soldatenherzens, doch Christenthum genug, einem verwundeten Feinde das zu thun, was er seinem Kameraden würde gethan haben. Glücklicherweise fand er in der Nähe eine Quelle; aus dieser schöpfte er seine Feldmütze voll und eilte dann zurück, den sterbenden Feind zu erquicken. Hastig trank dieser und sagte dann: »Habt Dank, Freund, Gott wird es Euch lohnen! Mit mir ist's aus.«
Döppner wusch ihm mit dem Reste des Wassers das Blut aus dem Gesichte und erkannte dann, zu seinem Erstaunen, den Grafen Albrecht. Hastig fragte er:
»Mein Gott, Herr Graf, wie kommen Sie hierher? Ich dachte, Sie säßen meinswegen ruhig auf dem Schlosse zu Eschenthal.«
»Kennt Ihr mich?« fragte der Graf erstaunt, indem er die Augen noch einmal aufschlug.
»I, ich bin ja der Döppner, der Bursche vom Rittmeister Falk.«
Dieser Name regte in dem Grafen alle Erinnerungen wieder auf, er versuchte, sich in die Höhe zu richten, doch wäre es ihm ohne Döppner's Hilfe wohl schwerlich gelungen.
»Ja ja, Du bist es, Freund!« sagte er dann, »grüße Deinen Herrn von mir und sage ihm, er möchte mir vergeben, wenn ich ihn gekränkt hätte, sage ihm auch – doch warte einmal« – er zog aus seinem Busen ein Brieftäschchen hervor, und schrieb damit mit zitternder Hand einige Worte darein – »so, das gieb Deinem Herrn, und nun leg mich wieder nieder, daß ich sterbe.«
»Ist es denn wirklich mit Ihnen schon so weit?« fragte Döppner.
»Ja, ich fühle es. Die Nacht habe ich hier auf kaltem Boden gelegen, die Wunden waren gefährlich – ich danke Euch, Freund, daß Ihr mich aus dem Rachen der Bestie befreit habt. – Grüßt« – er wollte noch etwas sagen, doch seine Brust fing an zu röcheln, er stieß, nur kaum noch verständlich, den Namen »Emilie« hervor und verschied dann.
Nach langem Umherirren gelangte Döppner wieder auf eine gebahnte Straße und kam am späten Abend bei seinem Regimente an. Er hatte unterwegs schon das Avancement seines Herrn erfahren, und seine Freude darüber war so groß, daß er, alle Müdigkeit vergessend, seine Eile verdoppelte. Die Offiziere saßen noch jubelnd beisammen bei dem dampfenden Punsch, als Döppner eintrat, sich bei seinem Herrn zu melden.
»Ha, bist Du endlich da, Junge? Hast lange auf Dich warten lassen.«
»Ja, Herr Oberstwachtmeister, ich habe mich auch meinswegen erst durch einen großen Wald durchgehaspelt, und das noch dazu zu Fuß, denn meinen Rappen hatte mir so ein Schuft, Gott vergeb' ihm diese Sünde nie, todt geschossen.«
»Und in dem Walde hast Du so lange gesteckt? Der ist ja kaum drei Stunden breit.«
»Wenn Sie's nicht sagten, Herr Oberstwachtmeister, dann glaubte ich's nicht; denn ich habe meinswegen die halbe Nacht und heute den halben Tag darin herumgekrebst, ohne Weg und Steg, habe mich mit Wölfen herumgeschlagen, daß es eine Freude war.«
Döppner mußte erzählen. Seine drolligen Einfälle dabei gaben der ohnehin schon zur Fröhlichkeit gestimmten Gesellschaft viel zu lachen. Als er jedoch an die Scene mit dem Grafen kam, wurde Falk ernster, und als er in dessen Brieftasche, welche ihm Döppner überreichte, die Worte las: »Vergeben Sie mir, Herr Rittmeister, und machen Sie Emilien glücklich!« – da sagte er stille vor sich hin: »Ja ich habe Ihnen Ihre Kränkung verziehen, Graf Albrecht, möge nur auch Ihr letzter Wunsch eintreffen.«
Die Gesellschaft ging bald auseinander, und Döppner fand, nachdem er seine Pferde erst begrüßt und nachgesehen hatte, ob bei ihnen alles in Ordnung wäre, daß sein heutiges Lager bei weitem angenehmer sei, als das letzte.
Der Marsch ging am folgenden Tage weiter, immer tiefer hinein in das feindliche Land. Ein Theil der Armee wurde abgesandt zur Verstärkung des Heeres, welches die Festung, in deren Nähe Eschenthal lag, belagerte. Als jedoch diese Unterstützung ankam, war die Festung schon übergegangen, und die Truppen quartierten sich auf den umliegenden Dörfern ein, wo sie, da indessen ein Waffenstillstand zur Unterhandlung des Friedens eingetreten war, eine Zeit lang liegen blieben.
Das Hauptheer hatte seine Quartiere, während des Waffenstillstandes, in einer reichen Gegend bezogen, wo es an keinem Bedürfnisse Mangel hatte. Der Feind, welcher auf allen Punkten zurückgedrängt, dessen Hauptstadt gefährdet war, suchte unter jeder Bedingung den Frieden, und erhielt ihn auch, wiewohl unter harten Bedingungen. Unter diesen war auch die, daß er die eroberte Festung mit dem ganzen Landstrich, welcher in dem Bogen lag, den hier der frühere Gränzfluß machte, abtreten mußte.
Für Falk wurde der Tag, an welchem der Friede unterzeichnet wurde, noch ganz besonders wichtig, indem er von seinem König in den Adelsstand erhoben wurde. An und für sich selbst hätte er hierauf wohl nicht sehr großen Werth gelegt, wenn er nicht dadurch seiner Hoffnung auf Emiliens Hand um ein Bedeutendes näher gekommen wäre. Nicht weniger groß war Schlegels Freude.
»Bruder,« sagte er scherzend, »wenn ich nicht wüßte, wie viel Du dadurch gewinnst, so könnte ich mich ordentlich darüber ärgern, daß sie Dich nun auch zu einem Herrn Von gemacht haben. Aber da siehst Du doch wieder das Bestreben durchschimmern, daß alle ausgezeichneten Männer die drei Buchstaben führen sollen.«
»Da bin ich einmal wieder nicht ganz Deiner Meinung, guter Moritz; denn erstens läßt es meine Bescheidenheit nicht zu, mich für so bedeutend zu halten, daß ich darum geadelt wäre, und dann schmeichle ich mir auch mit dem Gedanken, daß ich diese Auszeichnung der gnädigen Verwendung des Kronprinzen am meisten zu verdanken habe; denn er weiß recht gut, was ich dadurch gewinne.«
»Also kennt er Deine Geschichte? Ja dann kannst Du wohl Recht haben.«
Falk's Aussichten waren jetzt bedeutend heller geworden. Konnte er nicht der frohen Zuversicht leben, daß der Baron von der Hardt seine Tochter, die er dem Rittmeister Falk versagte, dem Major von Falk mit Freuden geben würde, zumal da sie jetzt Beide Unterthanen eines Königs waren, und es dem Baron gewiß lieb sein mußte, wenn er einen Mann, der so viel galt, als der Major, Sohn nennen konnte. So träumte er sich oft hinüber in eine glückliche Zukunft, aber es wäre ihm fast noch ein arger Strich durch die Rechnung gemacht – doch ich will der Geschichte nicht vorgreifen.
Der Baron von Solm hatte in der Zeit, wo er Wilhelm zu stürzen suchte, auch sein Verhältniß zu Emilien erfahren, indem er kein Mittel scheute, es mochte so niedrig sein, wie es wollte, um so viel als möglich von Falk's Angelegenheiten zu erkunden. Da er jetzt bei den Unterstützungstruppen war, welche zum Belagerungsheere gingen, so ruhte er, da die Festung schon über war, nicht eher, als bis er sein Quartier auf dem Schlosses zu Eschenthal erhielt. Da ihm seine erste Intrigue mißlungen war, so war er jetzt nur desto erbitterter auf Wilhelm, und deßhalb beschloß er, hier seinen Feind an der empfindlichsten Stelle anzugreifen. Als er Emilien sah, bestimmte sich sein Plan noch mehr, indem der Anblick dieses reizenden Mädchens in dem Herzen des Wüstlings die Flamme seiner Begierden mächtig entzündete. In der ersten Zeit spielte er den Gefälligen und Artigen. Er wollte sich die Gunst der Eltern erwerben, indem er hoffte, dadurch am ersten zur Tochter zu gelangen. Es war wirklich seine Absicht, wenn es möglich wäre, Emilien zu heirathen, um dann über Falk am sichersten zu triumphiren, und er schmeichelte sich, daß die Lieblichkeit seines Aeußern so viel bei Emilien bewirken würde, daß sie, wenn er die Zustimmung der Eltern hätte, sich nicht widersetzen würde. Der Baron von der Hardt konnte sich wirklich keine bessere Einquartierung wünschen, denn der Kapitain betrug sich stets so, als wäre er nur Gast auf dem Schlosse. Emilien machte er den Hof, daß diese oft vor Verlegenheit nicht wußte, wo sie hin sollte. Stundenlang stand der Hauptmann oft vor dem Spiegel, und putzte und schniegelte sich, um seine Figur unwiderstehlich zu machen; doch je mehr Mühe er sich gab, desto unausstehlicher wurde er Emilien, welche alle seine Huldigungen kalt aufnahm. So trieb er seine Bemühungen in der ersten Zeit immer fort, doch als er sah, daß sie nichts fruchteten, er auch trotz seines gefälligen Betragens bei den Eltern nichts ausrichten konnte, da beschloß er, andere Maßregeln zu ergreifen.
»Ha,« rief er ingrimmig, als er eines Abends aus der Gesellschaft kam, »ha, ich will Euch schon geschmeidig machen, Ihr Thoren, meine Bewerbung um Euer schnippisches Ding von Tochter zu verschmähen! Ihr sollt schon noch nach meiner Pfeife tanzen. Und die kleine Spröde mit den schmachtenden Augen will ich schon kirre machen; es ist mir längst zum Ekel gewesen, um ihre Gunst zu betteln. Jetzt werde ich auf einem kürzeren Wege zu ihrem Besitz gelangen!« Er klingelte seinem Burschen, und als dieser eintrat, befahl er: »Geh zum Herrn Lieutenant von Etzel, ich ließe ihn ersuchen, heute Abend noch zu mir zu kommen.« Der Lieutenant kam sogleich und sagte im Eintreten: »Was ist denn los, Herr Hauptmann, daß ich so spät noch die Ehre habe?«
»Ei was, der Teufel ist los, Freundchen, oder soll vielmehr erst noch los werden. Ich habe die verdammte fromme Wirthschaft hier ungeheuer satt, jetzt soll ein Leben angehen, wie es sich gehört in des Feindes Lands, daß Ihr Eure Freude daran haben werdet, alter Eisenfresser!«
»Ha, ich merke, Ihr habt noch nicht alle Vernunft verloren, Kapitain. Das ist das erste gescheide Wort, was ich aus Eurem Munde höre, seitdem Ihr hier den Verliebten spielt. Ich sehe wohl, die Prinzessin hat Euch ablaufen lassen, weil sie den ehrsamen Major nicht vergessen kann.«
»Zum Teufel mit dem Major, thut mir den Gefallen, Etzel, und nennt ihn nicht so. Rittmeister heißt es, denn den Gefallen will ich der spröden Donna gar nicht thun, daß sie erfährt, ihr Herzliebster sei Major. Verstanden, Alter?«
»Vollkommen! Habt Ihr denn aber schon alle Hoffnung auf den Besitz der Kleinen aufgegeben?«
»Den Teufel auch! Ich denke jetzt gerade am ersten zum Zweck zu gelangen. Geraubte Frucht schmeckt ja am süßesten. Ihr sollt mir dabei rathen, aber wartet einmal, bei einer Flasche läßt sich das am besten überlegen. He, Friedrich!« Er klingelte. Friedrich trat ein und fragte:
»Was befehlen der Herr Hauptmann?«
»Hole einen Korb Tockaier aus dem Keller und bring ihn herauf.«
»Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann, der Keller ist zugeschlossen und die Leute schlafen schon alle.«
»Zum Henker mit Deinem Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann. Ich will nichts entschuldigen, trommele die Bärenhäuter heraus, schlage Lärm, daß das ganze Haus wach wird, ich will doch sehen, wer hier schlafen soll, wenn ich Lust habe zu wachen und zu zechen! Marsch!«
»Ich sehe,« sagte Lieutenant Etzel, sich vergnügt die Hände reibend, »Ihr habt den Comment noch nicht vergessen, Hauptmann. Jetzt bin ich ganz der Eure, und verlaßt Euch darauf, wir wollen schon etwas ergrübeln, was uns schnell zum Ziele bringt.«
»Na, strengt mal Euern Grips an, alter Fuchs, je früher ich zum Ziele komme, desto besser. Und ehe ich's vergesse, morgen Mittag seid Ihr bei mir zur Tafel geladen, und wenn Ihr mir einen Gefallen thun wollt, so bringt Ihr alle Eure alten Konsorten mit, die Ihr eine Meile in der Runde auftreiben könnt. Ich werde eine Wirthschaft machen, daß dem Herrn Baron angst und bange werden soll.«
» Bonus, bonus, Kapitainchen, Ihr sollt Eure Freude an mir haben, und Gäste will ich Euch bringen, wie Ihr sie Euch wünschen könnt. Da ist der Hauptmann von Kirk und der Lieutenant von Radebusch, die liegen beide eine halbe Meile von hier bei einem Herrn von Pisang, mit dem sie um die Wette trinken und essen, nur Schade, daß sie sein ganzes altes Eulennest schon ledig gewirthschaftet haben. Die drei Herren passen göttlich in unsern Kram. Da ist ferner der Fahnenjunker von Frosch, der Rittmeister von Husch, der Lieutenant von Hift, der – –«
»Gut, gut, Etzelchen, das sind alle auf morgen meine Gäste, und hoffentlich in Zukunft noch oft. Doch hier kommt ja endlich der Schlingel mit dem Tockaier, den wollen wir uns schmecken lassen.«
Die beiden Kumpane zechten in dem herrlichen Weine dermaßen, daß sie bald etwas illuminirt waren. Sie entwarfen allerlei Pläne, wie sie das Fräulein in des Kapitains Gewalt bringen wollten, doch war ihnen alles nur noch zu weit aussehend.
»Ich hab's, ich hab's!« rief der Lieutenant plötzlich.
»Na, was denn?«
»Seht einmal, Baron, was wollen wir da lange Intriguen spinnen? Der Herr von Pisang ist ein alter Feind des Barons, den ziehen wir mit in unsern Kram. Morgen bringt der nun gleich einen Wagen mit, wir suchen die kleine Prinzessin ein wenig bei Seite zu locken, packen sie in den Wagen und kutschiren sie mit auf des Pisang's sogenanntes Schloß.«
»Das geht, hol' mich der Henker! und was das beste ist, Ihr Schlaukopf, es geht rasch. Macht Euch nur morgen früh gleich hinüber zu dem Herrn, gewinnt ihn für uns und bringt ihn dann gleich mit.«
»Versteht sich! Das soll eine herrliche Geschichte werden; das versprech' ich Euch.«
Die Beiden freuten sich noch lange des klugen Einfalls, tranken sich so voll, daß sie nur noch lallten und spät nach Mitternacht erst von einander schieden.
Als am andern Morgen ein Bediente des Hauses dem Hauptmann die Chokolade brachte, welche er täglich zu trinken pflegte, befahl er diesem zu warten. Er kostete die Chokolade, nahm dann das ganze Service, warf es dem Bedienten an den Kopf und tobte dann wie ein Besessener über das erbärmliche Gesöff, wie er es nannte. Dreimal mußte ihm frische Chokolade gebracht werden, bis sie ihm recht war. Kein Bediente wagte sich fast mehr auf seine Stube. Er ließ dem Baron von der Hardt sagen, er solle Mittag für ein Dutzend Personen mehr anrichten lassen, er würde Gäste bekommen; dann ließ er sich ein Pferd satteln und ritt fort.
Der Baron wußte gar nicht, was er zu diesem Betragen des Hauptmanns sagen sollte; er wußte wohl, wie es sonst im Feindeslande herzugehen pflegte, indessen kam ihm das doch nach dem früheren Benehmen seiner Einquartierung ganz unerwartet. Doch konnte er nichts weiter thun, als zum bösen Spiel gute Miene machen. Die Baronin und Emilie zogen sich zeitig auf ihre Zimmer zurück, um von dem Spektakel nichts zu hören. Der Baron beschloß gegenwärtig zu bleiben, um die Gesellschaft wo möglich noch etwas im Zaume zu halten.
Der Kapitain kam gegen Mittag zurück und bald nach ihm, als die ersten der Gäste, der Lieutenant Etzel mit dem Herrn von Pisang, dem von Kirk und von Radebusch. Alle diese waren ganz einverstanden mit dem Plan, und freuten sich des herrlichen Witzes. Nach und nach kamen auch die Uebrigen, und das Haus füllte sich mit ihren Burschen und einem Trubel anderer Soldaten, welche alle wußten, daß jetzt auch das lange geschonte Schloß ausgeleert werden sollte. Der Baron wurde gezwungen, bei Tafel die Honneurs zu machen. Die Köpfe wirbelten bald von dem Weine, welcher nicht geschont wurde, und ein ausgelassenes Toben und Durcheinanderschreien zeigten deutlich genug den Zustand der Anwesenden. Der Baron wollte sich entfernen, doch wurde er mit Gewalt zurückgehalten. Der Kapitain schrie ihm in seinem Uebermuthe zu: »Sehen Sie nun, mein Herr, wie es Ihnen bekommt, daß Sie meine Bewerbung um Dero Fräulein Tochter so schnöde abgewiesen haben? Warte, Freundchen, wer nicht hören will, muß fühlen!«
»Ich schätze mich glücklich,« sagte der Baron mit verhaltenem Zorne, »daß ich Ihrem glatten Wesen nicht traute. Sie geben mir jetzt die beste Gelegenheit, Sie nach Ihrem wahren Werthe zu schätzen.«
»Was fällt dem Halunken ein?« tobte der Kapitain dagegen, »Sie wollen mir wohl gar noch Sittenpredigten halten?«
Jetzt hielt sich der Baron nicht länger, sein Zorn übermannte ihn.
»Mir das?« rief er heftig. »Ich ein Halunke? Herr, wer giebt Ihnen das Recht, in meinem Hause zu wirthschaften, wie in einer eroberten Stadt, da doch Waffenstillstand ist?«
»Waffenstillstand hin, Waffenstillstand her,« lärmte der Lieutenant Etzel dazwischen, »bald wird der zu Ende sein, und dann wirthschaften wir in Eurer Hauptstadt eben so, wie jetzt hier!«
»Und wenn Sie selbst kein Halunke sind,« fuhr der Baron immer noch zu dem Hauptmann fort, »so stellen Sie sich mir gegenüber, wie es einem Edelmanne geziemt!«
»Das brauchst Du nicht, Brüderchen,« brüllte der Rittmeister von Husch, »der Kerl hat gar nicht das Recht, Dich zu fordern.«
Die ganze saubere Sippschaft war aufgestanden und tobte in ungeheuerm Wirrwarr durcheinander. Der Baron wurde in eine Ecke gedrängt und der Lieutenant Etzel raunte dem Hauptmann von Solm in das Ohr:
»Denkt an Euren Plan, Kapitain!«
Diesem war schon ganz übel geworden, als er von einem Duell hörte, jetzt aber drängte die Begier nach Emiliens Besitz alle andern Rücksichten in den Hintergrund.
»Das ist auch wahr,« sagte er, »aber die Geschichte mit der Entführung ist mir auch noch viel zu langweilig, jetzt, hier in ihrem eigenen Hause will ich mein Müthchen kühlen.«
Er stolperte hinaus, um Emilien in ihrem Zimmer aufzusuchen. Die Uebrigen ließen sich gänzlich den Zügel schießen und überhäuften den Baron mit den niedrigsten Schmähreden. Am eifrigsten zeigte sich dabei der Herr von Pisang, welcher dies als eine passende Gelegenheit ansah, sich an dem Baron zu rächen. Dieser hatte sich jedoch wieder mit Ruhe gewaffnet. Auf einem Stuhle sitzend, sah und hörte er alles mit kalter Gleichgiltigkeit an.
Da stürzte plötzlich Emilie, von dem Baron von Solm verfolgt, herein, und mit dem Ausruf: »Retten Sie mich, Vater, vor diesem Unhold!« eilte sie auf den Obersten zu. Dieser sprang auf und stellte sich vor seine Tochter, wie ein Löwe, welcher seine Jungen vertheidigt.
»Wer wagt es,« rief er, »sich meiner Tochter so unehrerbietig zu nahen? – Nur über meine Leiche geht der Weg zu ihr!«
»Dann werdet Ihr bald genug kalt werden!« schrie der von Pisang und drang auf ihn ein; doch der Baron hatte in Ermangelung einer andern Waffe, eine volle Weinflasche ergriffen, und warf diese dem Eindringenden dermaßen an den Kopf, daß er zurücktaumelte. Da aber drangen auch die Andern, vom Weine ermuthigt, heran und überwältigten den Baron, welcher sich wie ein Verzweifelter wehrte. Er wurde gebunden und geknebelt. Emilie war in Ohnmacht gesunken und lag wie ein schönes Marmorbild da. Der Kapitain ergriff sie, höhnte den Baron, welcher gegen seine Banden wüthete, und wollte dann mit seiner Beute zur Thür hinaus – da hörte man plötzlich Pferdegetrappel auf dem Hofe, die Gäste eilten ans Fenster und sahen eine Schwadron Husaren aufmarschiren. Der Rittmeister saß ab, eine Minute drauf stand Schlegel in der Thüre des Speisesaales und sah mit Erstaunen in die gränzenlose Verwirrung. Bald erklärte er sich jedoch die Sache sehr leicht, als er die ohnmächtige Dame in den Armen des Kapitains von Solm erblickte.
»Was ist das, meine Herrn, was geht hier vor?« fragte er mit lauter Stimme; doch Niemand antwortete ihm. Alle standen wie versteinert.
»Was bedeutet das, Hauptmann von Solm? frage ich,« fuhr er fort. »Wahrscheinlich wieder eins von Ihren Bubenstücken!«
Der Kapitain zitterte am ganzen Leibe, denn er kannte den Rittmeister, als Einen, der nicht mit sich spaßen läßt, und wußte, daß er Falk's Freund war; doch ermannte er sich in etwas, und der Wein gab ihm den Muth zu antworten.
»Was ich hier thue, kann Sie wenig kümmern, Herr Rittmeister, die Dirne gehört mir; im Kriege geht es einmal nicht anders.«
»Wer ist das Mädchen?« fragte Schlegel.
»Das ist meine Tochter, und ich bin der Baron von der Hardt,« entgegnete dieser, indem er sich bemühte, sich aufzuraffen.
»Tod und Teufel!« donnerte Schlegel und riß dem Kapitain das Fräulein aus den Armen. »Kannst Du, infamer Schurke, nicht leben, ohne Unheil anzurichten?« Mächtig schleuderte er den todtbleichen Solm zurück, ergriff ein Messer vom Tische und zerschnitt die Banden des Barons. Dieser stand auf, und Schlegel fragte ihn ehrerbietig, indem er auf die Anwesenden zeigte:
»Sind das hier Ihre Gäste, Herr Baron?«
»Nein,« rief der Lieutenant von Etzel, »wir sind die Gäste des Herrn Hauptmann von Solm, und ich weiß gar nicht, wie Sie dazu kommen, hier den Herrn spielen zu wollen!«
Die Andern, durch diese Rede ermuthigt, stimmten bei, und wollten dem unberufenen Störer ihres Vergnügens zu Leibe, doch Schlegel sagte:
»Der Hauptmann von Solm hat hier gar keine Gäste zu empfangen, der Friede ist geschlossen, und wäre er es auch nicht, so seid Ihr doch alle infame Schurken, einen ehrenwerthen Mann und ein züchtiges Fräulein so zu behandeln!«
»Was? Infame Schurken?« rief der Eine; »werft den Parvenü hinaus!« ein Anderer, und Alle tobten nun gegen Schlegel an.
»Ja, infame Schurken, wiederhole ich noch einmal! und den Augenblick packt Ihr Euch alle zum Hause hinaus, oder ich ergreife andere Maßregeln.«
Immer noch machten sie keine Anstalt, zu gehen, da rief Schlegel seinem Wachtmeister, welcher an der Thüre des Zimmers stand, zu:
»Lassen Sie die erste Sektion absitzen, Wachtmeister, und schicken Sie die Husaren herein!«
Doch ehe die Husaren erschienen, war schon kein Mensch mehr im Zimmer, außer dem Baron und dem Rittmeister, welcher immer noch Emilien fest in seinem Arme hielt.
»Herr Baron,« sagte Schlegel, »ich schätze mich außerordentlich glücklich, daß ich hier grade so zur rechten Zeit kam, um Sie aus den Händen dieser Unholde zu befreien.«
»Jawohl kamen Sie sehr zur rechten Zeit, braver Mann, Sie haben mir sehr viel durch Ihre Dazwischenkunft gerettet; und mich auf ewig zu Ihrem Schuldner gemacht!«
Die Baronin kam jetzt herein. Sie war von dem Bedienten Solm's auf ihrem Zimmer eingesperrt gewesen, bis dieser sich jetzt auch eilig aus dem Staube machte. Sie eilte auf ihre Tochter zu, welche in diesem Augenblicke die Augen wieder aufschlug, und als sie sich aus den Klauen des Kapitains gerettet sah, ihrer Mutter freudig um den Hals fiel.
Schlegel war von dem Major von Falk voran geschickt, um in seinem Namen förmlich um Emilien bei ihren Eltern zu werben. Er selbst war mit dem übrigen Regimente nur einen Marsch hinter diesem.
Der Baron nahm die Werbung sehr gütig auf, und gab ohne Widerrede seine Einstimmung, eben so die Baronin. Schlegel ritt am andern Tage seinem Freunde verabredeter Weise entgegen und überbrachte ihm die freudige Nachricht; denn nur unter dieser Bedingung wollte Falk wieder nach Eschenthal kommen.
Ich will es nicht versuchen, das Wiedersehen der beiden Liebenden zu schildern, welche sich unter so ungünstigen Aussichten trennten.
Nach einem halben Jahre war Emilie Wilhelms glückliches Weib, und nie hat der Baron von der Hardt es bereut, diesen als Schwiegersohn angenommen zu haben, auch hatte er in seinem hohen Alter noch die Freude, seine Tochter als Frau Generalin zu sehen.
Schlegel suchte, nachdem noch die ganze Sippschaft Solm's vor seiner Klinge gestanden hatte, lange vergebens nach einer Lebensgefährtin, bis er endlich seine Bemühungen ganz aufgab und als Hagestolz starb. Döppner heirathete Nanetten und verließ seinen Herrn nie.
Ende.