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Zusammenfassende Darstellungen: Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis. Stuttgart. – Moll u. Ellis, Die Funktionsstörungen des Sexuallebens. Leipzig 1912. – Schrenck-Notzing, Die Suggestionstherapie bei krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinnes. Stuttgart 1892. – Marquis de Sade, Justine. – Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, 1923, und Traumdeutung, 1924. Psychoanalyt. Verlag. – Allers, Psychologie des Geschlechtslebens. München, Reinhardt 1922. – Bloch, Beiträge zur Ätiologie der Psychopathia sexualis. Dresden, Dohrn 1902. – Eulenburg, Sadismus und Masochismus, 2. Aufl. Berlin, Julius Springer 1911. – Alfred Adler, a. a. O. zitierte Werke.
Der Name »Sadismus« knüpft an den berüchtigten Marquis de Sade an, dessen Greueltaten während der französischen Revolution zu seiner Verhaftung durch die Jakobiner führten. In seinen Büchern, wie in der »Justine«, finden sich die wohl widerlichsten Schilderungen sexuell-grausamer Untaten. Den Begriff »Masochismus« hat Krafft-Ebing nach dem Namen des Schriftstellers Sacher-Masoch geprägt, dessen Leben und dessen Romane Charakterzüge aufweisen, wie sie der Hörigkeit des Mannes und seiner gewollten Unterwerfung unter die starke Frau entsprechen. Die hierher gehörigen Erscheinungen haben in den letzten Dezennien die Öffentlichkeit häufig beschäftigt und gaben nicht selten den Gerichten und den Gerichtsärzten Anlaß, sich mit ihnen zu befassen. Der Ausdruck »passive und aktive Algolagnie«, den Schrenck-Notzing gewählt hatte, deckt sich vollkommen mit den obigen Begriffen. In den Kulten des Altertums, in geheimen Zirkeln der Gegenwart und auch vereinzelt finden wir die eine oder die andere dieser Perversionen. So wie bei den Anhängern der Homosexualität besteht auch bei den von der Perversion des Sadismus und Masochismus Ergriffenen die Neigung sich heimlich zusammenzufinden, um ihre Neigungen mit gegenseitiger Hilfe zu befriedigen. Die Prostitution spielt dabei eine große Rolle, weil die Prostituierten mit oder gegen ihren Willen sich den Wünschen der Sado-Masochisten anpassen, bald als sadistischer, bald als masochistischer Partner auftreten und meist über ein ganzes Lager von Peitschen, Riemen, Fesseln usw. verfügen. Auch unter dem Deckmantel der »Massage« oder des »strengen Unterrichts« bieten sich nicht selten die Diener am Werk an.
Vielleicht häufiger als alle anderen Formen der Algolagnie findet man sadistische und masochistische Phantasien. Sie entstehen meist schon in der Kindheit, im 6. oder 7. Lebensjahre. Zuweilen sind es Märchen und Geschichten grausamen Inhalts, bei deren Anhören deutliche sexuelle Gefühle bemerkbar werden. Oft sind es Schläge, bei denen sexuelle Gefühle wachgerufen werden und die Phantasie mit Bildern des Schlagens oder des Geschlagenwerdens erfüllen. Zeichen der Sexualität, Lustgefühle, Erektionen, Masturbation sind bei diesen Fällen ziemlich weit in die Kindheit zurückreichend.
Es ist natürlich Sache der Terminologie, ob man Charakterzüge weitgehenden Gehorsams und der Dienstbeflissenheit ohne Beimengung sexueller Gefühle ebenfalls als masochistisch bezeichnen will. Ebenso ist es ein Akt der Willkür, die weibliche Lebensform durchgängig zum Masochismus zu rechnen, die männliche mit ihrer deutlicheren Aktivität in der Werbung und im Liebesverkehr als sadistisch zu bezeichnen. Ebensowenig können wir die Anschauung, die in der Freudschen Lehre wiederkehrt, als ob alle grausamen Akte Einzelner, Cäsarenwahn, Massenmörder, Brandstifter, und ganzer Völker dem Sadismus, Stigmatisierte und Hypnotisierte dem Masochismus zugehörten, als gerechtfertigt ansehen. Wo sich indessen der Sexualtrieb zu aggressiven oder duldenden Attitüden gesellt, dort bildet er freilich eine gewaltige Verstärkung. So leicht es uns fällt, aus Phantasien und aus erotischen Tatbeständen, wie erotisch verknüpften Schlägen, Geschlagenwerden, Fesselungen, Vergewaltigungen, Lustmord, die Zwangsneurose der Algolagnie zu erschließen, so schwer ist es bei Abwesenheit von Lustgefühlen manchmal aus Träumen, aus schlechten Gewohnheiten und Traditionen, aus Neigung zum Raufen und Prügeleien solchen Schluß zu ziehen. Die Neigung von Kindern und Erwachsenen, bei Greuelszenen anwesend zu sein, Tiere zu quälen, gruselige Geschichten anzuhören, stammt oft ausschließlich aus der Tendenz, eine als schwachmütig empfundene Weichheit durch ein Training zu beseitigen. Einen sicheren Schluß läßt dann immer eine psychologisch geführte Untersuchung der Gesamtpersönlichkeit zu.
Die Ausartungen des Sado-Masochismus gehören wohl zu den scheußlichsten Verirrungen. Und nur die ärztliche Pflicht vermag es über den Ekel wegzukommen und gerecht und objektiv zu bleiben bei der Anhörung oft der widerlichsten Situationen, die der Menschengeist ersinnen konnte. Beschmutzung in allen Varianten, Urinentleerung und Defäkation in alle möglichen Körperteile des Masochisten und des Opfers des Sadisten, in der Phantasie und in der Wirklichkeit, sind nicht gar so seltene Vorkommnisse. Es wird einem schwer, angesichts solch ausgesuchter Raffinements dieser Kranken ernst die Auffassung zu diskutieren, als ob angeborene Faktoren oder eine Störung der Drüsenfunktionen unmittelbar derartigen Ausdrucksformen zugrunde liegen könnten. Die psychische Bedingtheit solcher Extravaganzen ist so wenig von der Hand zu weisen, daß die folgenden Beweisstücke nahezu überflüssig werden. An diesen Erscheinungen zerschellt jeder Versuch einer biologischen, jeder sexuell-konstitutionellen, jeder kausal gerichteten und jeder naturwissenschaftlichen Theorie.
Dagegen wird jede Theorie der Perversionen mit jenen Feststellungen zu rechnen haben, die aus den psychologischen Untersuchungen stammen. In erster Linie mit der Tatsache, daß die vorliegenden sexuellen Sonderbarkeiten mit der Eigenart der Gesamtpersönlichkeit übereinstimmen. Einen richtigen Mitmenschen wird man bei diesem Typus wohl niemals finden. Es ist nicht bloß die erotische Frage, die in solchen Fällen mangelhaft gelöst erscheint, sondern auch die beiden anderen großen Lebensfragen, die der Gemeinschaft und die des Berufes, erscheinen in bedenklicher Weise einer Lösung entzogen. Ein gewisser Grad von Entmutigung, eine pessimistische Weltanschauung liegt der Ausbildung der ganzen Persönlichkeit zugrunde und bewirkt, daß alle Leistungen aus einem Schwächegefühl und nicht aus einem Gefühl der Stärke abstammen. Mängel in der Verträglichkeit, in der Kameradschaft, in der Freundschaft, in der Geselligkeit sind immer wahrzunehmen und lassen sich bis in die Kindheit zurückverfolgen. Der verminderte Kontakt mit den Menschen ist eine Tatsache von so weittragender psychologischer Bedeutung, daß alle Erkenntnisse einer »Tiefenpsychologie« oder einer »verstehenden Psychologie« sie nicht erschöpfen können. Auch durch äußere Erfolge eines solchen Patienten, die oft aus anderen als den eigenen Kraftquellen herkommen, darf man sich nicht täuschen lassen. Ebenso findet sich gelegentlich übertriebener Familiensinn oder ausschließliche Hinneigung zu einem der Elternteile als Folge der ängstlichen und vorsichtigen Ausschaltung der übrigen menschlichen Gesellschaft.
Im Einklang mit dieser »Distanz zur Front des Lebens« steht auch die Ausschaltung des normalen geschlechtlichen Partners und des normalen geschlechtlichen Verkehrs. Und die autobiographischen Äußerungen des Patienten, die immer bis in die Kindheit zurückreichen, verraten uns nicht, wie die Autoren meist annahmen, angeborene Triebrichtungen, sondern vielmehr ein altes, fehlerhaftes Training. Auch die normale Stellungnahme geht nur unter einem fortgesetzten Training vor sich, bei dem ununterbrochen Erlebnisse gesucht und die Phantasie beansprucht werden. Die Entwicklung zum Sadismus und Masochismus hat immer eine verständliche Vorgeschichte und geht unter mannigfachen Schwankungen vor sich. Nur das Ziel bleibt bestehen: die vorsichtige Ausschaltung und Entwertung der Norm. Innig damit verbunden ist der andauernde Versuch, sich gegen anfängliche Hemmungen abzuhärten, Anomalien oder auch Scheußlichkeiten liebzugewinnen und sie auszugestalten. So gestaltet sich mit der Zeit eine festgefügte Sicherung, eine Stütze und ein Rettungsbalken gegenüber der Norm, die über alles Maß zu gehen scheint. »In Flucht geschlagen, glaubt er zu jagen.« Zu diesem Zwecke geht die Entwicklung der Perversion den der Gesamtpersönlichkeit einleuchtendsten Weg. Wie wenig Kausalität oder gar angeborene Triebanomalie in diesen Ausdrucksformen steckt, zeigen uns die häufigen fließenden Übergänge aus Sadismus in Masochismus, aus Homosexualität in Masochismus oder Sadismus. In jedem Menschen sind Züge von Trotz und Gehorsam, von Herrschsucht und Unterwerfung zu finden, die dem Streben nach Geltung dienen. So erklärt sich das gemeinsame Vorkommen von Sadismus und Masochismus auf der Fluchtseite des Perversen.
Als weiteren, sichergestellten Befund müssen wir anführen: frühzeitige sexuelle Erregungen bei Erlebnissen und Phantasien, die den Affekt der Angst auslösen. Es scheint mir eine nicht zu leugnende Tatsache zu sein, daß die Angst nicht bloß die Nervenbahnen des Herzens, des Darmes, der Blase, der Schweißdrüsen usw., sondern auch des Geschlechtsapparates erregen kann. Wie mir scheint, betrifft dieser Zusammenhang nur einen bestimmten Typus der Menschheit oder hat nur bei ihm eine deutliche Ausprägung. Vielleicht liegt hier ein Minderwertigkeitszeichen vor, wie ich ähnliche in meiner »Studie über Minderwertigkeit von Organen« beschrieben habe. Die Plausibilität eines Zusammenhanges von Angst und Libido wird freilich den diesem Typus angehörigen Personen leichter einleuchten als anderen. Es ist aber eine starke Verlockung in diesem körperlich-seelischen Zusammenhang gelegen, sich in gefahrdrohende, verbotene Situationen zu begeben, sie in Wirklichkeit oder in der Phantasie heraufzubeschwören oder sich in eine Angstsituation eines anderen hineinzufühlen. Besonders ausgestaltet fand ich hierhergehörige Gedankengänge oft bei Mädchen, die sich gern die sexuelle Frauenrolle als ein Geschlagenwerden ausmalen, bei ihrer Phantasie verharren, der Verwirklichung aber unter allerlei Vorwänden aus dem Wege gehen. Der Sexualtrieb kann durch eifrige Übung an alle möglichen äußeren Situationen und Ziele angeknüpft werden, sobald das normale Ziel aus Furcht vor Niederlagen ausgeschaltet wird. Die hier betonte Schwachmütigkeit bei Perversen wird man uns betreffs der Masochisten gern glauben. Wir müssen für sie auch einstehen bezüglich der Sadisten. Immer sind Kinder oder Wehrlose die Opfer, immer bewegt sich ihr Sexualwunsch in der Richtung des geringsten Widerstandes.
Die Freudsche Schule und ihre Vorläufer haben eine große Neigung, den Sadismus biologisch, als konstitutionelle Triebkomponente, dem männlichen Sexualtrieb verwandt und zugehörig anzusehen, ebenso den Masochismus als mit dem weiblichen Sexualtrieb »gekoppelt«. Seit den Romantikern ( Bader z. B.) und noch länger ist es ein häufig geübter Brauch, auch in der Wissenschaft – im Volke war dies immer der Fall – in ein neutrales Geschehen Machttendenzen oder Sexualbeziehungen hineinzudeuten, ohne das eigene Vorurteil, die eigenen »unbewußten« Voraussetzungen ihrer Erwägungen zu verstehen: daß alle menschlichen Ausdrucksformen in einem sozialen Zusammenhang stehen, und daß im Seelenleben immer das Streben nach Macht, nach Geltung und Sicherheit irgendwie zum Ausdruck zu gelangen trachtet. In ihrem Sexualleben aber antworten die Menschen auf die stets drängende Frage einer Stellung zur menschlichen Gesellschaft, zum anderen Geschlecht und zur Frage ihrer eigenen Geltung, immer liegt im Sexualverhalten die Linie klar zutage, wie einer zur Anpassung, zur Geltung, zur Anerkennung, zur Überlegenheit und Sicherheit zu gelangen trachtet, wie er sein Wertgefühl innerhalb der Gesellschaft und sub specie aeternitatis zu steigern sucht.
Bei einer bewußten Erfassung dieser Tatsachen ergeben sich folgende Einblicke. Sadisten wie Masochisten (wie alle Perversen) bewegen sich auf der Linie der Schwachmütigen. Erstere suchen wenigstens den Schein der Macht, einer heimlichen, oft unbewußten Übermännlichkeit in einer Situation unbestrittener Überlegenheit. Den Masochisten finden wir beim überbetonten Bekenntnis seiner Schwäche.
Letzteres kann im menschlichen Seelenleben niemals Endergebnis, niemals einen Ruhepunkt bedeuten. Der Masochismus weist stets über sich hinaus, drängt zur Ausschaltung der Norm oder setzt sich in den Sadismus fort und ist eine Verquickung der Sexualität mit einem Gefühl der Erniedrigung, das Wert und Bedeutung der Sexualität zu fälschen trachtet, das aber Beruhigung darüber schafft, daß ernstere erotische Bindungen ausgeschlossen bleiben. Die Sehnsucht nach »Konfliktlosigkeit« ( Seif) S. Leonhard Seif, Die Zwangsneurose, im »Handbuch der Individualpsychologie« I. 507 ff. treibt sie auf diesen falschen Weg, das verminderte »Selbstwertgefühl und dessen Störungen« ( Weinmann) S. »Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie« IV. Jahrgang S. 69 ff. erscheint in ihrer Perversion.
Aber selbst in dieser schwächlichsten Manifestation des Seelenlebens, die gelegentlich, wie bei der Flagellation, in Bußgedanken eine lächerliche Rechtfertigung sucht, im Masochismus, fehlt die kompensierende Linie nach aufwärts niemals. In ihr tritt aktiv abweichende Haltung gegen den Partner, dessen Stigmatisierung als Unterdrücker, Peiniger, Besudler offen zutage, immer auch Anklage und Verurteilung der Unterdrückung in der Kindheit, der Natur und der menschlichen Gesellschaft, die solche Mängel und Pein zulassen. Regelmäßig findet man auch kritisches, herabsetzendes Verhalten gegen die anderen und Tendenz zur Isolierung. Die Kompensation geht also in die Richtung einer Gehässigkeit.
Die aus der Individualpsychologie fließende Menschenkenntnis setzt uns bald in die Lage, eine weitere Kompensation ausfindig zu machen, derentwillen der Masochismus unmittelbar als scheinbare Machtposition erfaßt und »fixiert« wird. Der Partner verfällt nämlich dem Diktat des Masochisten und teilt sich mit ihm in der unsozialen, oft widerlichen Rolle.
Nun müssen wir aber auch der Versuche gedenken, die von anderer Seite gemacht wurden, um dem Rätsel Sadismus-Masochismus auf die Spur zu kommen, und damit allen anderen Perversionen. Am bekanntesten ist die aus der französischen Schule stammende Anschauung von der »Fixierung kindlicher sexueller Erlebnisse«. So verlockend sie auch erscheint, sie scheitert an der Frage, warum gerade dieses eine Erlebnis, nicht andere fixiert wurden. Oder, wie Wexberg sagt: ein Kind, das derartige Erlebnisse fixiert und ausgestaltet, ist bereits neurotisch und zeigt im weiteren nur die Ausgestaltung zur Neurose.
Freuds Hypothese, alle nervösen Erscheinungen, die Neurosen inbegriffen, seien Regressionen auf ein früheres biologisches Stadium der Sexuallibido, bezieht seine Kraft aus einem geschichtlichen oder physikalischen Vergleich: Zurückfluten einer Kraft (Libido) bei einem Hindernis (aktuellem Konflikt). Dabei werden, wie der Autor findet, alte Phasen der Libidoentwicklung (oder deren sexuelle, konstitutionelle Komponenten) neu belebt. Derartige Komponenten findet er als Sadismus und Masochismus auch.
Demgegenüber sind folgende Einwände gestattet:
Die Algolagnie ist, wie wir hervorhoben, eine Ausdrucksform des starken Minderwertigkeitsgefühls und seiner irregeleiteten Kompensationen. Der Sadist ist der »triumphierende Besiegte«, der Masochist der geschlagene Sieger. Die äußere Situation der Algolagnie ist stets mit ängstlicher Aufregung, mit Gruseln und Furcht verknüpft. Der Sadist hilft dabei nach, indem er sich mit seinem Opfer identifiziert. Bei meinen Patienten konnte ich immer nachweisen, daß sich bei ihnen Angst und Aufregung anders oder sicher mehr wie bei anderen mit Sexualaufregung verknüpft. Dieser Typus ist es, der im Falle weitgehender Entmutigung der normalen Lösung der erotischen Frage ausweicht und seine Sexualerregung unter mildernden Umständen erzwingt, in gefahrlosen oder gefahrlos scheinenden Situationen, unter Vermeidung realer Gefahren, unter Arrangement der Angst in der Phantasie oder wie im Spiel. Begünstigt wird die Hinneigung zum Sadismus bei Kindern, die unter starkem Druck aufgewachsen sind und ein besseres Los anderer Kinder nicht vertragen können.
So sind auch wir, freilich in anderer Bedeutung, bis zu einem organischen Substrat vorgedrungen.
Die Therapie der Algolagnie ist eine schwierige Aufgabe. Sie wird, kurz gesagt, mit der individuellen Schablone des Minderwertigkeitsgefühls und der Schablone der Kompensationen zu rechnen haben, um sie zu zerstören. Sie wird sich aber auch heftig zu bemühen haben um die Behebung der eigenartigen Hypnose, die dem Patienten den Zusammenhang von Angsterweckung und Sexualerregung immer stärker trainieren läßt und ihm seine Eigenart als eine natürliche und deshalb unzerstörbare erscheinen läßt, während doch unser Kulturleben auf Schritt und Tritt die Ablösung und Umwandlung »natürlicher« Ausdrucksformen zugunsten gesellschaftlicher mit Erfolg erzwingt. Ohne Ermutigung des Patienten ist jeder Erfolg ausgeschlossen.
Auch die Jurisprudenz wird diesen Auffassungen Rechnung tragen und in Fällen von Strafbarkeit auf humane Überwachung und Heilung beantragen müssen.
Zusammenfassende Darstellungen: Krafft-Ebing, Havelock Ellis, Bloch, Allers, Freud, Adler.
Nach allen obigen Feststellungen bezüglich der Perversionen können wir uns nun kurz fassen. Das Charakteristische des Fetischismus wurde stets in der Überwertung eines Gegenstandes oder eines Körperteiles gesucht, der in der Norm der Erotik eine geringere Rolle spielt. Bei dieser Neigung kann alles und jedes zum Liebesobjekt emporgezaubert werden. Am häufigsten findet man als Gegenstände der Verehrung Anteile von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen. Aber auch die Überbetonung von Körperteilen, des Fußes, der Hand, der Augen, der Beine, der Linie des Busens usw. sind ungemein häufig und, wie man sieht, der menschlichen Liebesbeziehung nicht sehr fremd. Vielleicht hat jeder Liebende einen Fetisch (Augen, Haare, Gestalt), der nur deswegen nicht als absonderlich auffällt, weil er bei vielen zu finden ist und meist die Norm der Erotik nicht stört, sie nur begleitet oder steigert. So der Fetischismus derber Worte oder der Spiegelfetischismus, eines Parfüms usw. So wirken auf manche auch Verkrüppelungen, lasterhafte Personen, fremde Rassen und untergeordnete Personen.
Die Erklärungen der Autoren enden meist an dem Punkte, wo die soziale Bedeutung dieser Perversion beginnt. Die meisten betonen das Steckenbleiben in einer die Norm vorbereitenden oder begleitenden Phase. Man stellt ferner Psychopathie, Degeneration oder, wie die Psychoanalyse, eine sexuelle Konstitution samt Konflikten fest. Uns scheint der Gesichtspunkt wichtiger, was bei der Gelegenheit des Fetischismus geschieht. Da ergibt sich nun, daß durch die Verschiebung des sexuellen Akzents auf den Fetisch der Geschlechtspartner eine Herabsetzung erfährt, entwertet wird. Nicht mehr die Person, sondern ein oft ganz nebensächliches Detail erhält sexuellen Rang und Würde. Der Kampf der Geschlechter um ihre Überlegenheit zeigt auch im Fetischismus seine listigen Züge, bringt den Perversen in eine stärkere Abhängigkeit vom Nebensächlichen, in eine geringere von seinem Partner und endet mit einer Milderung seiner Furcht und seines Schwächegefühls gegenüber dem anderen Geschlecht. Der Fetischismus ist wie alle anderen Perversionen Ausdrucksform eines Minderwertigkeitsgefühls, das sich in einer irrigen aber durch persönliche Erfahrungen und Training geleiteten Richtung zu kompensieren versucht.
Eine Verbindung des Fetischismus mit allen anderen Perversionen, mit Neurosen und kriminellen Neigungen, ist von diesem Aussichtspunkte leicht zu verstehen.
Ebenso ist es nicht verwunderlich, daß der Fetischismus vorwiegend bei visuellen Typen zu finden ist.
Die gleichen Wahrnehmungen können wir beim
Zusammenfassende Darstellungen: Moll, in Eulenburgs Enzyklopädie 1908. – Cramer, Die Beziehungen des Exhibitionismus zum Strafgesetz. Ärztl. Sachverst.-Zeitschr. Berlin 1897, S. 233. – Boissier u. Lachause, Perversions sexuelles à forme obsédante. Arch. de neurol. 1893, Okt. – Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis. 17. Aufl. Stuttgart, Enke 1924. – Reimann, Exhibitionismus eines nicht erweislich Geisteskranken. Zeitschr. f. Medizinalbeamte u. Krankenhausärzte, Berlin 1898.
machen, dessen passive Abartung, also eine noch stärkere Ausdrucksform der Entmutigung in der Perversion des Voyeurs zu finden ist.
Den Begriff »Exhibitionismus« führte im Jahre 1877 Laségue in die Wissenschaft von den Perversionen ein. Er umfaßt sexuelle Ausartungen, bei denen in schamverletzenden Entblößungen sexuelle Befriedigung gesucht und gefunden wird. Beide sind visuelle Typen, die über das Zeigen und Schauen in der Erotik nicht hinausgekommen sind oder zumindestens diese Neigung gegenüber der Norm allzustark akzentuieren. Die Schwachmütigkeit und geringere Aktivität dieser Personen wird man auch in ihren übrigen Lebensbeziehungen leicht wahrnehmen können. Doch ist nicht ausgeschlossen, daß sie gegen Schwächere oft die Tyrannen spielen. Im Exhibitionismus steckt immer auch der Kampf gegen die Normen der Gesellschaft und die Neigung, durch Entblößungen der eigenen Person Kinder zu erschrecken und zu verderben, durch Entblößung anderer diese herabzusetzen, weist dieser Perversion einen Platz dicht neben dem Sadismus an.
Bei Kindern, die sich im Aufruhr gegen ihre Erzieher befinden, kann man oft in der Phase des Suchens nach der Geschlechtsrolle und später weitgehende exhibitionistische Bewegungen und Akte beobachten. Mit Unrecht nur könnte man bei derartigen Entwicklungen von Perversionsneigung sprechen. Denn nichts ist dem Kinde so unzugänglich, ist auch unter so schwere Bedrohung und Strafe gestellt, als die Norm der Geschlechtsbeziehung Erwachsener. Was infolgedessen übrig bleibt an erotischer Betätigung, wird immer dem unbefangenen Betrachter analog einer Perversion erscheinen.
In gleichem Sinne erscheinen uns die exhibitionistischen Gelüste Unzurechnungsfähiger, während ein solcher Zug, wohl eingeordnet dem erotischen Erlebnis, als der Norm entsprechend erscheint. Bei Manie, Schizophrenie, progressiver Paralyse, Alkoholismus und Altersdemenz findet man oft infolge Wegfalls der Hemmungen des Schamgefühls, wohl auch infolge der Schwachmütigkeit, die zumeist den Irrwegen der menschlichen Seele zugrunde liegt, den Exhibitionismus als vorwiegende, äußerste Leistung der Erotik. Damit im Einklang finden wir verstärkte Äußerungen der Schau- und Zeigelust bei annähernd Normalen und innerhalb normaler Erotik, z. B. Spiegelung, infolge mangelhaften Selbstvertrauens als Zwang zur Demonstration.
Eine Therapie dieser Perversion hat immer auch neben einem Training in normaler Richtung eine Umwandlung der ganzen Persönlichkeit zu erstreben in der Richtung auf eine mutigere Stellungnahme zum Leben und zur Gesellschaft. Die suggestive Beeinflussung in diesem Sinne durch Kuren anderer Art ist insbesondere in leichteren Fällen im Bereich der Möglichkeit gelegen.
Als eine äußerste Form der Entmutigung und Verzweiflung an erotischen Möglichkeiten finden wir
Zusammenfassende Darstellungen: Haberda, in Casper-Limans Handbuch der gerichtl. Medizin. – Maschka, Handbuch der gerichtl. Medizin.
die Ausübung des Geschlechtsaktes mit Tieren, bei der die Ausschaltung des menschlichen Partners sich bis zum entwerteten Partner in Tiergestalt versteigt. Zwangslagen und Isolation können nach vorhergehendem gedanklichen und Gefühlstraining in perverser Richtung, nach Abhärtung also, diesen Irrweg erleichtern. Ebenso ausschließlicher Umgang mit gewissen Tieren. Imbezillität mit dem ihr anhaftenden Mangel menschlichen Gemeinschaftsgefühls kann solche Neigungen fördern.
Zusammenfassende Darstellungen: A. Moll, Eulenburgs Enzyklopädie. – Epaulard, Vampirisme, Lyon, A. Storck et Co. 1902.
Auch bei dieser Perversion, bei der der Geschlechtsakt von Männern an toten Frauen verübt wird, läßt sich als Motiv der Hang nach völliger Wehrlosigkeit des Partners feststellen. Voraussetzung hierfür ist der Verlust des Glaubens an die eigene erotische Wirkung bei erhaltenem Geschlechtstrieb und der weitgehende Verzicht auf Gemeinschaft im Sexualgenuß. Fördernd wirkt bei diesen lebensfeigen Männern auch noch das beruhigende Gefühl mangelnder Verpflichtungen und Folgen. Die Anziehungskraft dieser Perversion liegt in dem leicht erreichbaren Gefühl der unumschränkten Herrschaft über den toten Partner.
Von hier aus ergibt sich ein Einblick in die Psychologie des Lustmörders, dessen erotische Befriedigung daran geknüpft ist, daß er als Herr über Leben und Tod, als ein Gott in der Karikatur, die Wehrlosigkeit seines Opfers genießt. Die psychologische Nähe zum Sadismus ist auffallend genug.