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Zusammenfassende Darstellungen: Fliess, Der Ablauf des Lebens. Wien, Deuticke, 1906. – Tandler, Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. Berlin, Julius Springer 1913. – Weininger, Geschlecht und Charakter. 17. Aufl. Wien, Braumüller. – M. Hirschfeld, Jahrb. f. sexuelle Zwischenstufen. Stuttgart, Püttmann. – Robert Müller, Sexualbiologie. Berlin, L. Marcus, 1907. – Havelock Ellis, Die Psychologie des normalen Geschlechtstriebes. Handb. d. Sexualwiss. herausgeg. von R. Moll. Leipzig 1912. – H. Rohleder, Die Funktionsstörungen der Zeugung. 2. Aufl. – Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 5. Aufl. Psychonalytischer Verlag, Wien; Freud, Gesammelte Werke, im gleichen Verlag. – Adler, a. a. O. zitierte Werke.
Die wesentlichen Gesichtspunkte decken sich mit denen, die wir bei der Erörterung des Liebeslebens der Frau heranziehen mußten. Wir messen immer an einem uns vorschwebenden Idealtypus des Mannes und empfinden in letzter Linie die Differenzen entsprechend ihrer Tauglichkeit für das Zusammenleben der Menschen und für das Zusammenleben von Mann und Frau. Auch unsere Wertung der Eigenart eines Mannes ist unbedingt abhängig von diesen Voraussetzungen. Nur daß unsere Kultur seit alters her dem Manne stillschweigend oder offen Privilegien im Liebesleben einräumt, die sie der Frau zu versagen trachtet. Der größere Aktionsraum im Liebesleben des Mannes ist vor allem bedingt durch den ihm zufallenden größeren Aktionsraum im Leben überhaupt. Er wird ihm aber namhaft erleichtert durch das Freibleiben von den Schwangerschaftsfolgen der Erotik, durch die Rolle der aktiven Werbung, die ihm zufällt, und durch die Tradition, die eine ungeheure Macht darstellt.
Dazu kommt in gewissem Einklang mit obigen Bedingungen die laxere Herrenmoral des Mannes, dem die landläufige Sexualmoral keine so engen Grenzen zieht wie der Frau.
Der sexuelle Impuls des Mannes zeigt sich in variabler Stärke meist lange vor der Pubertät, kann aber im Knabenalter, in der Pubertät und später in mancherlei Fehlrichtung geraten. So wird das Verhalten eines Mannes zu den Fragen des Lebens immer auch seine Sexualentwicklung beeinflussen. Dies ist um so begreiflicher, als es ein feststehendes Maß des Sexualtriebes nicht gibt, und da seine Äußerungen durch mannigfache Einflüsse gesteigert oder vermindert werden können.
Schon in der Knabenzeit machen sich diese Einflüsse und die seelische Richtung in der deutlichsten Weise geltend. Die sexuelle Vorbereitung besteht zunächst in der Festigung einer zulänglichen Knabenrolle, in einem wachsenden Verständnis des Sexualproblems, in einer mutigen Zielsetzung in der Richtung auf Liebe und Ehe. Unsere Kultur und ihre Einrichtungen nehmen den Erziehern einen Teil ihrer Arbeit ab. Andere Kleidung, andere Spiele, andere Erziehungsmaßnahmen versuchen den Entwicklungsgang richtig zu lenken. Das umgebende Leben, Analogien aus dem Tierreich, erzieherische Eingriffe, zumeist kameradschaftliche Aufklärung fördern die Einsicht in das sexuelle Geheimnis, Lektüre, Theater und Kino, häufig auch Verführung vollenden sie. Da ferner der Knabe überall in seinem Leben auf die Tatsachen der Liebe und Ehe stößt, da allen Erziehungsmaßnahmen auch eine gesellschaftliche Lösung der Liebes- und Ehefrage in der Zukunft als Voraussetzung vorschwebt, und da der wachsende Sexualtrieb nach einer solchen Lösung sucht, so gestaltet sich des Knaben Weltbild der Zukunft in diesem Sinne.
Die Stellung des Knaben zum anderen Geschlecht trägt in den ersten Jahren zumeist deutliche Zeichen einer feindlichen, überlegenen Haltung. Wütende Abneigung gegen weibliche Kleidung oder gar gegen die Zumutung, ein Mädchen zu sein, findet man oft als übertriebene Zeichen der Geschlechtsfindung. Auch in den späteren Knabenjahren tritt meist, selbst bei Koedukation, das Gefühl der Überlegenheit zutage, und wie gemäß einer Verpflichtung wird den Mädchen die Gleichberechtigung abgesprochen. »Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe!« Mitten in diese kritische Geste fallen oft Züge von Zärtlichkeit und Verliebtheit, oft schon im 4., 5. und 6. Jahre treten freundliche oder Neigungen kritischer, hämischer Art hervor. Ein Hang zur Neckerei, auch zu tätlichen Angriffen, ist nicht selten.
Der Sexualtrieb kann schon in den ersten Jahren zur Onanie Veranlassung geben. Durch Verführung kommt es nicht selten schon in der frühen Kindheit zu gegenseitiger Masturbation oder, besonders in den Elendsvierteln, zu normalem Geschlechtsverkehr. Beachtenswert ist auch bei der Entwicklung von Knaben, um wieviel leichter es für sie ist, in mutueller Onanie den Weg zur Homosexualität zu beschreiten als den Weg zur Norm zu gehen. Das 14. Jahr bringt zumeist die entscheidende Wendung zur Onanie, der fast alle Knaben verfallen, um sich früher oder später daraus zu befreien. Um diese Zeit der Pubertät macht sich der gedrosselte Sexualtrieb in mehr oder weniger häufigen Pollutionen Luft. Ermüdungserscheinungen und schlechtes Aussehen in dieser Zeit sind fast immer Folgen der Angst vor Erkrankung oder irgendwelcher Entwicklungsstörungen. Onanie und Pollutionen der Pubertäts- und Jünglingszeit können restlos überstanden werden. Halten sie lange Jahre an, so sind sie als Versuche zu werten, die Frau auszuschalten.
In der Pubertät und kurz nachher findet man zumeist die Gestaltung eines Mädchenideals, das meist deutlich Züge einer nahestehenden Person aufweist. Dieses Idealbild ist späterhin oft einem Wechsel unterworfen, ebenso wie auch andere Ideale oft zerfließen. Auch die Furcht, dieses Bild oder ein dieses Bild verkörperndes Mädchen durch sinnliche Gedanken zu beschmutzen, ist nicht selten wahrzunehmen. Daneben können in Phantasien die ausschweifendsten Bilder Platz nehmen. Häufig stellt die Onanie die Verführerin dar, sinnliches Verlangen in die Wirklichkeit zu übertragen. Neben dieser Reinheit der Gesinnung findet man oft unvermittelt nahe den Hang zu derber Sinnlichkeit oder auch die Aufnahme sexueller Beziehungen, zu denen sich in der Linie des geringsten Widerstands meist Prostituierte oder dienende Mädchen einfinden. Beides sind allzeit bereite Ventile, die den Weg zur Liebe und zur Ehe manchmal dauernd verfehlen lassen. Zu beiden Irrwegen aber leiten die Jugend oft aufmunternde Stimmen von gelehrten und ungelehrten Erziehern. Sie zu schließen wird nur denjenigen gelingen, die nicht der unbedingten Notwendigkeit des frühzeitigen Geschlechtsverkehrs das Wort reden, die aber auch nicht davor zurückschrecken, einer wirklichen Liebe, wo beide füreinander einstehen wollen, ihr volles Recht zu geben.
Sitten und Gebräuche der Gesellschaft, Zusammenkünfte, Tanz, beiden Geschlechtern gemeinsame Unternehmungen fördern und begünstigen die nunmehr eingetretene Hinneigung zu den Mädchen. Das Training zum Zusammenschluß bleibt ununterbrochen im Gang. In Gedanken, auf der Straße, im Theater, bei bildlichen Darstellungen erfolgen unausgesetzt Anregungen, die der Neigung zur Liebe und Ehe zum Durchbruch verhelfen. Die Eheschließung ist freilich in hohem Maße mit materiellen Fragen und mit der Berufsfrage verknüpft. Bis dahin gibt es eine verhältnismäßig lange Zeitspanne, in der allzu viele in sexuelle Verwahrlosung oder in Geschlechtskrankheiten verfallen.
Tritt der Mann dann an die Ehe heran, so hat er es nicht bloß mit den kategorischen Forderungen der Ehe Adler, Die Ehe als Aufgabe, in »Buch der Ehe«, herausgegeben von H. Keyserling. Niels Kampmann Verlag, Celle, 1925. zu tun, sondern er trägt in die Ehe auch fast immer seine individuellen Forderungen hinein, die oft darin keinen Platz haben und das Verhältnis stören. Die neue Situation wird ein Prüfstein auf seine Vorbereitung zur Ehe. In seiner Vorbereitung wird sich unter allen Umständen seine Weltanschauung und auch seine Stellung zur Frau spiegeln. Schon seine Wahl wird durch seine ideale Forderung an die Frau und an die Ehe gelenkt.
Je nachdem, ob er mit seiner Mutter, mit seiner Schwester zufrieden gewesen ist, ob er sich ihnen gegenüber Geltung verschaffen konnte, wird das Mädchen seiner Wahl diesen geistig und auch körperlich ähneln oder von ihnen abweichen. Ist er ein Mann, der sich nach Wärme sehnt, so wird er sich an Mädchen halten, von denen er sich Verzärtelung verspricht. Liebt er es, sich im Kampf durchzusetzen, so wird er solche suchen, die ihm stark erscheinen, andernfalls wird er in Wesen, Wuchs und Kraft jenen den Vorzug geben, die ihm leicht zu lenken scheinen. Daß dabei reichlich Irrtümer unterlaufen, ist weiter nicht verwunderlich. Vor allem weil kein Mädchen eine dauernde Unterwerfung verträgt.
Ist einer richtig auf die Ehe geschult, so hängt der weitere Verlauf der Ehe und seiner sexuellen Haltung ganz von seiner Mitspielerin ab. Versteht auch sie den Einklang herzustellen, so werden beide bis an ihr Lebensende das Bild einträchtiger Erotik geben. Dieser Fall dürfte selten sein, ein Beweis für die mangelhafte Erziehung des Nachwuchses für die Ehe. Innig verbunden mit der Erotik wird sich in solchen Fällen das Gefühl unbedingter Kameradschaft entwickeln, so daß unangenehme Weiterungen ausgeschlossen sind oder leicht überwunden werden. Auch für den Nachwuchs wird in solchen Ehen Platz genug übrig sein, die in die gleiche Kameradschaft aufgenommen werden. Die erotische Frage wird eine gemeinsame Lösung erfahren, wird nicht als Diktat des anderen empfunden werden, keiner wird sich als Objekt fühlen. Die erotische Zugehörigkeit wird durch nichts eine Trübung erfahren, bis sie in späten Jahren, oft über das 60. Jahr hinaus, langsam erlischt. Der Sexualverkehr wird keine Mängel zeigen, wird auch nicht zu Verstimmungen noch zu Abgeschlagenheit oder Traurigkeit Anlaß geben.
Anders die schlecht Vorbereiteten. Man kann zwei Haupttypen unter ihnen unterscheiden. Ihre mangelhafte Vorbereitung wird sich unter allen Bedingungen, ohne daß sie selbst darüber Aufschluß geben können, in der neuen Situation nach der Pubertät, in der Zeit der möglichen und sogar gewünschten Erotik schmerzlich fühlbar machen. Ein Gefühl der Unsicherheit, des mangelnden Vertrauens zu sich selbst läßt in der Erotik, demnach in der Frau und in der Hingabe an sie mehr oder minder große Gefahren für ihren eigenen Geltungsbereich erblicken. Sie werden jene Geradlinigkeit vermissen lassen, die ein Haupterfordernis gesunder Erotik darstellt. In ihrem Gebaren werden sich Umwege und Abbiegungen zeigen, deren stärkste wir in der Homosexualität und in der Autoerotik erblicken. Aber auch alle anderen Verschiebungen des Sexualzieles wie Fetischismus, Sadismus, Masochismus und perverser Manieren decken uns die alte Unsicherheit auf und die Versuche, private Lustbefriedigungen an Stelle von gesellschaftlich gebotenen zu setzen, um so einer Entscheidung über eigenen Wert und Unwert aus dem Wege zu gehen. Auch die Wahl von Prostituierten und die Neigung für leicht lösliche konsequenzenlose Bindungen verraten den gleichen Schwachmut. Wer diese Dynamik richtig verstanden hat, wird auch im Don Juan und in der Unterstreichung polygamer Neigungen leicht den Grad von Mutlosigkeit abzuschätzen wissen, der denjenigen Männern eignet, die nichts zu Ende führen wollen und lieber nach billigen Erfolgen angeln. Die Erotik ist »Zweisamkeit« ( Nietzsche), Leistung zweier gleichwertiger Partner. Das Streben des einen auf Kosten des anderen hervortreten zu wollen, in der Liebe, die dafür keinen Platz hat, Eitelkeiten zu befriedigen, ist Mißbrauch, Unart und sprengt das Gefüge der Erotik, weil es mit den Gesetzmäßigkeiten der Liebe nicht rechnet.
Der Elan des Sexualtriebes ist wandelbar und sicherlich nicht ein für allemal als Konstitutionsformel gegeben. Man beobachtet oft Aufflammen desselben bei früher gemäßigtem Verhalten und umgekehrt. Sicherlich kann die Beschäftigung mit sexuellen Eindrücken, Bildern, Lektüre, Gesprächen eine Erhöhung der sexuellen Spannung hervorrufen, weil berechtigte oder unberechtigte Hemmungen dadurch zum Wegfall kommen können. Auch in gewissen Grenzen geübte Enthaltsamkeit führt meist Steigerungen herbei. Beiderlei Erfahrungen haben oft in oberflächlicher Weise therapeutische Maßnahmen gezeitigt. Daß Entbehrung von Sexualbefriedigung und Verweigerung zu erhöhtem Begehren Anlaß gibt, allzu willfähriges Gewähren Abstumpfung erzeugt, sind bekannte Tatsachen.
Das erotische Verhalten des Mannes ist, wie wir sehen, von verschiedenen Faktoren abhängig. Einen etwaigen primären, unbeeinflußten sexuellen Impuls können wir weder feststellen noch besitzen wir ein Maß für seine Stärke, weil wir immer die starken Beeinflussungen im Bilde haben. Nicht einmal bei Männern, die sich ganz von der Liebe und von der Ehe abgekehrt haben, sind wir, einen einzigen Fall ausgenommen, imstande, über die Stärke des Sexualtriebes etwas auszusagen, weil in diesen Fällen zumeist ein Training der Abkehr vorliegt, Hemmungen, die durch die meist neurotische Eigenart des Betreffenden verschuldet sind. Nur bei eunuchoidem Habitus und stark verkümmerten, zum Sexualverkehr untauglichen Genitalien, bei ganz infantilen Sexualorganen, wie sie z. B. bei Hypophysenerkrankungen vorkommen, nach frühzeitiger Kastration und bei gewissen Erkrankungen wie Diabetes und schweren Nierenaffektionen sowie bei Tabes dorsalis usw. können wir uns gestatten, aus den offensichtlichen Tatsachen auf eine organisch bedingte Impotentia coeundi und auf Mangel des Sexualtriebes Schlüsse zu ziehen. Ebenso finden wir begreiflich, daß im Alter der Sexualtrieb schwächer wird, um etwa um das 70. Lebensjahr herum zu erlöschen.
Die weitaus meisten Formen von Impotentia coeundi sind aber, ebenso wie die Ejaculatio praecox und Fehlen der Ejaculation durch psychische, immer irrtümlich entstandene Hemmungen hervorgerufen und können durch zweckentsprechenden Wegfall dieser Hemmungen beseitigt werden. Das souveräne Mittel ist eine Umwandlung der Persönlichkeit in einen mutigen, selbstbewußten Mitmenschen. Eine solche Umwandlung sollte in klar überlegter Weise, am besten nach Grundsätzen der Individualpsychologie, durchgeführt werden. Es ist aber nicht zu leugnen, daß sie sich manchmal vollzieht auf irgendein Wort oder Eingreifen des Arztes, ohne daß einer von beiden merkt, daß sich der Mut des Patienten hebt. Daß die gleiche Wirkung auch gelegentlich Medikamenten, den sogenannten Aphrodisiaca, zukommt, ist, wenn man ihre Unzuverlässigkeit beobachtet hat, kein Zweifel. Recht häufig bedeutet schon der Gang zum Arzt in solchen Fällen sich aufbäumende Kraft, die nur noch den stärkenden Zuspruch des Arztes sucht. In solchen Fällen kann jede Therapie Erfolg haben.
Seit urdenklichen Zeiten bemühten sich Gelehrte und Ungelehrte Mittel ausfindig zu machen, um den erotischen Impuls zu stärken. Gebete, Amulette, Zaubergetränke, erotische Abbildungen und Tierhoden, später Extrakte der letzteren nach des berühmten Brown-Séquards Rat, sollten der sinkenden Manneskraft nachhelfen. In der letzten Zeit bemühen sich Steinach und seine Anhänger, Woronoff u. a. teils durch einseitige Hodenausschaltung oder durch Implantation von Hoden dieses Ziel zu erreichen. Nach den obigen Ausführungen fallen die Mißerfolge entscheidender in die Waagschale als etwaige Erfolge. Steinachs Anschauung über die »Pubertätsdrüse« steht wohl noch in Diskussion, findet aber immer mehr entschiedene Gegner.
Mehr als Voraussetzung und weniger als Feststellung findet man, wie oben Vgl. Das Problem der Homosexualität, III. Zusammenfassende und Schlußbetrachtungen. auseinandergesetzt wurde, die Anschauung vertreten, daß die sexuelle Stellung des Mannes zur Frau in erster Linie oder einzig von der Wertigkeit der männlichen Keimdrüsen abhängig sei oder ( Schopenhauer, Möbius, Fliess, Weininger, Hirschfeld) von einem weiblichen Einschlag in der körperlichen Organisation des Mannes. Die experimentellen Arbeiten Steinachs, die vielen als Beweis gelten – Vermännlichung weiblicher Ratten, Verweiblichung männlicher, durch entsprechende Keimdrüsenänderungen –, zeigen nur krasse Gegensätzlichkeiten, nicht aber die feinen Nuancen, denen wir bei Männern begegnen. Jedenfalls ist es fraglich, ob selbst bei der extremsten künstlichen Effemination des Mannes, z. B. infolge von Kastration oder von Implantation von Ovarien und allen denkbaren körperlichen Folgeerscheinungen, eine seelische Umwandlung erfolgen müßte, wie sie bei Ratten beschrieben wird. Die zahlreichen Fälle von Pseudohermaphroditen, die ihrer Erziehung und Vorbereitung gemäß weibliche Artung angenommen haben, ohne feststellbare Keimdrüsenveränderungen aufzuweisen, die Eunuchen und Eunuchoiden, deren männliches Gebaren nicht bezweifelt werden kann, sprechen dafür, daß die seelische Vorbereitung bei Menschen eine ungleich größere Rolle spielt als beim Tier.
Wie bedeutsam aber beim Manne die Hemmungen oder ihr Wegfall für die geschlechtliche Haltung zur Frau sind, geht aus zahlreichen Erscheinungen des Liebeslebens hervor. Seelische Verstimmung kann den Elan ebenso zum Verschwinden bringen als auch zum Aufflammen anderen Frauen gegenüber. Insbesondere sind Rachegedanken gegen die eine Frau leicht imstande, die Liebe zu einer anderen zu entzünden. Ebenso bricht die Sexualität häufig zusammen, wenn einem der Ehe abgeneigten Junggesellen eine Ehe in drohende Nähe rückt. Satyriasis, eine andauernde Erregtheit der Genitalien, beobachtet man (außer bei Leukämie!) gelegentlich bei dauernden Verhinderungen des Geschlechtsverkehrs. Bei Manischen ist es der Wegfall von Hemmungen, der an der sexuellen Erregtheit die Schuld trägt. Bei Paralytikern, Altersdementen und Alkoholisierten findet man ebenso stärkeres als schwächeres sinnliches Begehren.
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Wir kommen demnach zu dem Schlusse, daß die Art und der Grad des sexuellen Verhaltens beim Manne (wie bei der Frau) sich aus seiner Persönlichkeit herleitet, im allgemeinen seine Aktivität widerspiegelt und bei annähernd intakten Sexualorganen ein Erfolg seiner Vorbereitung und seines Trainings ist.
Es ist kein Zweifel, daß der ungefähr normal entwickelte Mensch auf das erotische Ideal hin, das ihm vorschwebt, unausgesetzt trainiert, und die Summe dieses Trainings kann gar nicht zu groß genommen werden: es ist der Gang auf die Straße, der Umgang mit dem anderen Geschlecht, es ist die Vergleichung mit anderen Geschlechtsgenossen usw., kurz: es besteht ein unausgesetztes Training für die Geschlechtsrolle und für das sexuelle Ideal, das einem Menschen vorschwebt. Infolgedessen darf es uns nicht wundernehmen, daß, wenn wir schon die Irrtümer in der Fehlentwicklung eines Menschen aufgedeckt haben, wir noch immer vor einer Schwierigkeit stehen: es ist ungefähr so, wie wenn wir einen Linkshänder, der nichts davon gewußt hat, daß er von der Natur stiefmütterlich mit einer ungelenken rechten Hand begabt sei, diesen Mangel zu fühlen geben; damit allein erreicht er die Gleichwertigkeit seiner Leistung nicht. Die schwierige Aufgabe ist nun: Menschen, die in der sexuellen Entwicklung außerhalb der Normalen geraten sind, das Training, das bei den Normalen eine so ungeheure wichtige Rolle spielt, nachholen zu lassen.
Die Schwierigkeit dieser Aufgabe ist zu ermessen, wenn wir uns daran erinnern, daß wir den Geschlechtsverkehr ohne Liebe als eine Unart bezeichnet haben, zu der zu erziehen, nicht die Aufgabe des Arztes sein kann, auch wenn er sie derzeit nicht aus der Welt zu schaffen vermag. Ich möchte niemand mit Prostituierten in Verbindung bringen oder ihm irgendwelche Liebesabenteuer nahelegen. Es wiederholt sich hier genau dieselbe Schwierigkeit, die wir an allen Erziehungsfragen finden, wo andere von einem »Mangel an Begabung« sprechen: es handelt sich darum, wie man schlecht vorbereitete und schlecht trainierte Menschen zu einem besseren Training bringen kann, ohne ihnen und der Allgemeinheit Schaden zuzufügen. Daß die Methode hier die ausschlaggebende Rolle spielt, ist zweifellos. Der wichtigste Bestandteil der individualpsychologischen Methode zum Nachholen, zum Ersatz des mangelhaften sozialen Trainings, dieses Gefühlstrainings und Trainings des Verhaltens, das zur Entfaltung eines normalen Liebeslebens gehört, besteht in der Ermutigung – im Sinne des verantwortungsbewußten, kooperationsfähigen Gemeinschaftsgefühls Vgl. Adler, Erotisches Training und erotischer Rückzug. In »Verhandlungen des I. internationalen Kongresses für Sexualforschung« (zu Berlin, 1926), redigiert von Dr. Max Marcuse. III. Bd. A. Marcus & E. Webers Verlag, Berlin und Köln, 1928., in einer besseren Einfügung in die Logik des menschlichen Zusammenlebens, von dem das Liebesleben ein Teil ist, in einem besseren Verstehen des Sinns des Lebens.
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