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Zusammenfassende Darstellungen: Charlotte Bühler, Seelenleben der Jugendlichen. II. Aufl. Jena, Gustav Fischer 1923. – Stanley Hall, Adolescence. New York, Editor D. Appleton 1918. – Eduard Spranger, Psychologie des Jugendalters. IV. Aufl. Leipzig, Quelle & Meyer 1925. – Otto Tumlirz, Die Reifejahre. Leipzig, Klinkhardt 1924. – Alfred Adler, Praxis und Theorie der Individualpsychologie. IV. Aufl. München, J. F. Bergmann 1930.
Die Tatsachen der Pubertät verdanken ihre Auffälligkeit sowohl den körperlichen als den seelischen Reifungsvorgängen. Sie beginnen und enden bei Mädchen etwas früher als bei Knaben. Die organische Reifung betrifft sämtliche Organe und geht auch bei Schädigungen oder bei Verlust der Keimdrüsen vor sich, nur daß in letzteren Fällen die sekundären Geschlechtscharaktere eine mangelhafte Ausprägung erfahren. Die seelische Reifung kann durch unzweckmäßige oder mangelhafte Erziehung vorübergehend oder dauernd unterbunden werden.
Dichtern, Forschern und dem common sense sind vorwiegend zweierlei Ausdrucksformen aufgefallen, die einen zweifachen Standpunkt ermöglichen. Von der einen Seite werden wir auf Erscheinungen aufmerksam gemacht, die eine erhöhte Leistungsfähigkeit, qualitativ und quantitativ gesteigerte Kräfte verraten. So die soziale und berufliche Einordnung, die Fähigkeit des abstrakten Denkens, die Tendenz nach Ergänzung, der Antrieb zu sozialer und geschlechtlicher Vereinigung, Entdeckung oder Festigung des Ichs, Entstehung eines Lebensplans, Hineinwachsen in Betätigungsgebiete. Auch der Hang zum Idealismus, Eroberung einer Weltanschauung, Eroberung der Innenwelt, Idealisierung und Vergeistigung der Erotik und Stellungnahme zu den Werten des Lebens wird vielfach hervorgehoben.
Alle diese Erscheinungen treten plastisch hervor, sobald man als Aussichtspunkt die vorangegangene Kinderzeit wählt und die Maßstäbe der Kindheit an die reifende Jugend von 13-21 Jahren heranbringt.
Legt man dagegen Maßstäbe der Erwachsenen an diese Zeit, so müssen die Mängel stärker in die Augen fallen. Ungeschicklichkeiten und Ungelenkigkeit, durch die mangelnde Vertrautheit mit den größer und stärker gewordenen Bewegungsorganen verursacht, fallen auf, ebenso gelegentlich Schüchternheit und Scheu in ungewohnten Situationen, Trotz, kritisches und skeptisches Verhalten, oft auch übertriebenes Geltungsstreben, Ekstase und Fascination, Überschwang, ein Berauschtsein von Phrasen und Schlagwörtern, als ob damit die Lösung der Lebensrätsel gelingen müßte, eine absprechende Stellungnahme gegenüber früher angenommenen Werten, prinzipielle Opposition und Widersetzlichkeit gegen Zwang, die sich auch gegen kulturelle Werte richtet, kennzeichnet diese Phase, in der sich auch Ausartungen und Ausschweifungen aller Art einstellen als durchbrechender Protest und offene oder heimliche Revolte gegen das Minderwertigkeitsgefühl aus der Kindheit.
So scheint sich das Leben in der Pubertät mehr oder weniger scharf gegen die übrige Gesellschaft abzugrenzen, oft so scharf, daß manchen ein eigenes Recht und eine eigene Lebensform der Jugend in dieser Zeit als natürlich vorkommen. In den letzten Jahrzehnten treten Jugendorganisationen besonders auf deutschem Boden hervor, deren positiver Wert wohl im Zusammenschluß sichtbar ist, deren Kulturfeindlichkeit aber gelegentlich in ihrer Isolierung, in ihrer kämpferischen Stellungnahme gegen die »Elternschaft« und in ihrer Flucht vor dem weiblichen Geschlecht hervortritt.
Eine unbefangene Betrachtung wird in der Zeit der Pubertät keine wesentlich neuen Kraftlinien entdecken. Alle hierher gehörigen Erscheinungen lassen sich zwanglos als fortgeschrittene Entwicklungsstadien erkennen, die ihre Vorbereitung in der Kindheit erfahren haben. Die Pubertätszeit mit ihrer Annäherung an die Front des Lebens, mit ihrer Reifung der Organe und mit ihrem Komplex gesteigerter körperlicher und seelischer erotischer Forderungen steht wie in einem Experiment den Zukunftserwartungen gegenüber. Die reifenden Kinder beziehen nun jene Stellung zum Leben und seinen gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen, die durch ihre bisherige Schulung zu erwarten ist. In der gesellschaftlichen und mitmenschlichen Frage, in der Beziehung des Ich zum Du, gelangen kameradschaftliche, freundschaftliche, weltanschauliche Züge zum Vorschein oder deren Widerspiel, je nach der Entfaltung des Gemeinschaftsgefühls, das in der Kindheit gewonnen wurde. In der Richtung der Berufsergreifung merkt man Bewegungen der Annäherung oder der Ausreißerei, beides in dem Ausmaße, wie stark oder wie schwach der Glaube an die eigene Kraft gediehen ist. Die in früheren Jahren vorgenommene Wertung und Anschauung der Erotik, das erotische Ziel von früher, wird in der größeren Ungebundenheit und Freiheit, bei größerer Toleranz der Erwachsenen in den Bewegungen des Jünglings und des Mädchens um vieles deutlicher, und auf alle diese und andere Fragen der Pubertät erfolgen Antworten, die einer von langer Hand her angesponnenen Lösung näher kommen und niemals die Einschläge des bisher entwickelten Gemeinschaftsgefühls, des Geltungsstrebens und von Minderwertigkeitsgefühlen vermissen lassen.
Die mangelhaften Vorbereitungen aus der Kindheit bestehen zum größten Teil in unvollkommener Schulung fürs Leben, sei es in sozialer, beruflicher oder erotischer Richtung, und in einer Vernachlässigung eines selbständigen und selbstbewußten, mutigen Charakters. Das Leben in unserer Kultur erfordert Schulung und eine optimistische, entschlossene Haltung. Andernfalls sind Konflikte und Widersprüche unausweichlich. Sie zeigen sich bereits im Kindesalter, in der Schule, in der Familie, gegenüber den Kameraden und wirken gerade auf die Unselbständigen wegen deren größerer Empfindlichkeit und Unentschlossenheit verderblich, indem sie sie beharrlich in die Richtung eines vermeintlich geringeren Widerstandes drängen. Man findet dann häufig in der Pubertät, nahe der Front des Lebens, wo die Entscheidungen zu treffen sind, heimliche oder offene Abbiegungen von kulturellen Wegen, deren Sinn unzweideutig dahin gerichtet ist, einer Erprobung auszuweichen.
Hat man diesen Aussichtspunkt einmal gewonnen, unangenehm auffallende Gärungen der Pubertät als Kompensationsversuche, aus einem Schwächegefühl entsprungen, verstanden, dann löst sich vieles von dem, was man als Pubertätserscheinung, als Auswirkung der Pubertät, angesehen hat, in den Effekt einer fortschreitenden aber mangelhaften Entwicklung gegen das reife Alter hin, auf. Bei der fast allseits mangelhaften Vorbereitung im Kindesalter ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Probe der Pubertätszeit zu Konflikten Anlaß gibt. Bei der fast allgemeinen Entmutigung der Jugend, an der die Mutlosigkeit großer Volksschichten, die Erziehung zur Feigheit, Verzärtelung oder Lieblosigkeit und die Belastung durch allzu große Erwartungen für die Zukunft die Hauptschuld tragen, ergibt sich im weitesten Ausmaße eine große Neigung zu Vorwänden, Ausreden und Ausflüchten gegenüber drängenden Forderungen.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die häufigen Bestrebungen, durch aufgepeitschte Konfliktssteigerungen Vorwände für die Flucht vor sozialen, beruflichen und Liebesfragen zu arrangieren. Nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche kommt es da oft zu Lebensformen, die eine Mimicry bedeuten und Stärke vortäuschen sollen. Es entbrennt ein oft sinnloser Kampf innerhalb der Familie, wertlose Kämpfe gegen wirkliche oder eingebildete Autoritäten ziehen alle verfügbaren Kräfte auf sich, Haß, Ekel und Interessenlosigkeit gegenüber beruflicher Tätigkeit entspringen meist der Furcht vor Niederlagen, und die normale Liebesfähigkeit wird künstlich unterbunden durch ein andauerndes Training in der Richtung auf Perversionen, weil dort die eigene Überlegenheit sicherer gewahrt zu sein scheint. Ein tendenziös angefachter Ich-Kultus deutet auf die störende Drosselung des Gemeinschaftsgefühls, führt zu schädlicher Isolierung und ist stets in Verbindung mit Überempfindlichkeit und maßlosem Ehrgeiz, die immer wieder Anlaß zu Konflikten und zu stärkerer Isolierung geben.
In dieser kritischen Lage stellen sich als Zeichen der Rückwärtsbewegung zahlreiche nervöse Symptome ein, wie Zwangsneurosen, Hysterie, Neurasthenie, Angstneurosen und als Bild des völligen Zusammenbruchs das jugendliche Irresein. Auch der Weg in die Verwahrlosung und zum Verbrechen ist bei aktiveren Elementen, ebenso wie die Prostitution Ausdruck der Entmutigung gegenüber der normalen Rolle. Die Selbstmordziffern beginnen in der Zeit der Pubertät zu steigen, da der Hang zu mutlosen, aber rachsüchtigen Lösungen von Konflikten innerhalb dieses Typus leicht die Oberhand gewinnt.
Neben diesen unangenehm bemerkbaren Erscheinungen der Pubertät findet man immer auch gesteigerte Werte. Es zeigen sich Fortsetzungen und Fortschritte in allen möglichen Leistungen und Leistungsfähigkeiten. Die Selbständigkeit, die Verläßlichkeit, das Zusammengehörigkeitsgefühl treten stärker hervor. Lange geübte Vorbereitungen und Geschicklichkeiten äußern sich auch als erhöhtes Interesse, und der dauernde Erwerb von Fertigkeiten und deren Steigerung geben dem Leben des reiferen Menschen eine bestimmtere Richtung in bezug auf Tätigkeit und Beruf. Während scheinbare Begabungen für die Kunst und Wissenschaft in dieser Zeit oft verschwinden, steigert sich in anderen Fällen das schöpferische Können zu verblüffender Originalität. Die bisher gewonnenen Lebensformen treten mit wachsenden Kräften und im Kampfe um die Selbständigkeit in deutlicheren Umrissen zutage, und leitende Ideale, meist noch in Anlehnung an Gesehenes, Gehörtes und Gelesenes, weisen auf den Sinn des zukünftigen Lebens, das sich hier entfaltet.