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Die Umgegend von Hermosillo ist eine wahre Oede, und namentlich führt der Weg nach der Hacienda del Milagro (Wundermeierei) durch einen der traurigsten und unfruchtbarsten Landstriche. Nur selten sieht man stellenweise den Eisenholzbaum, den Gummibaum, den Perubaum mit seinen rothen, pfefferartigen Früchten, die indische Feige und den Kactus, die einzigen Bäume, welche in einem Boden fortkommen, den die glühenden Strahlen einer senkrecht über den Häuptern stehenden Sonne ausgebrannt haben.
Hin und wieder tauchen, wie in bitterem Spott, lange Cysternenstangen auf mit einem verschrumpften ledernen Schöpfeimer an dem einen und, mit Riemen festgemachten, Steinen an dem andern Ende; allein die Wassergruben sind ausgetrocknet, und auf dem Boden sieht man nur eine Masse schwarzen Schlamms, in welchem Myriaden unreiner Thiere sich erlustigen. Der leichteste Luftzug wirbelt Wolken eines feinen Staubes auf, der den keuchenden Wanderer zu ersticken droht, und unter jedem dürren Grashalm schmachten schrillende Heuschrecken nach dem wohlthätigen Thau der Nacht.
Nachdem man mit unsäglicher Anstrengung in dieser dürren Wüste sechs Wegstunden zurückgelegt hat, bleibt das Auge mit Entzücken an einer herrlichen Oase haften, die plötzlich sich aus dem Sand zu erheben scheint. Dieses Eden ist die Hacienda del Milagro.
Um die Zeit unserer Geschichte war jene Hacienda eine der reichsten und größten in der Provinz; das Hauptgebäude bestand aus zwei Quaderstockwerken und hatte ein Altandach, das aus Schilf gefertigt und mit geschlagener Erde bedeckt war. Zu dem Haus gelangte man über einen weiten Hof, dessen Zugang aus einem gewölbten Portikus mit starken Flügelthüren und einem an der Seite angebrachten Ausfallpförtchen bestand. Die Vorderseite wurde von vier Gelassen eingenommen, deren Fenster mit vergoldeten Gittern und im Innern mit Blenden, ja selbst mit Glasscheiben, einem damals in diesem Lande unerhörten Luxus, versehen waren.
Auf jeder Seite des Hofs oder Patio befanden sich die gemeinschaftlichen Räume für die Peones (Taglöhner), die Kinder und so weiter. Das Erdgeschoß des Hauptgebäudes bestand aus drei Gemächern. Das eine war eine große Vorhalle, in welcher mit gemodeltem Corduan gepolsterte, alterthümliche Lehnsessel und Ruhebänke, ein großer Nopaltisch und etliche Sitze ohne Lehne standen; an den Wänden hingen in vergoldeten Rahmen mehrere alte Porträts, Bilder von Familienmitgliedern in Lebensgröße, und das Holzwerk der Decke zeigte einen Ueberfluß von erhabener Schnitzarbeit.
Eine Flügelthüre führte in den Salon, dessen gegen den Patio hin gekehrte Seite einen Fuß höher lag, als der übrige Boden. Man sah daselbst eine Reihe seltsam geschnitzter, niedriger, mit carmoisinrothem Sammet überzogener Tabourets mit dergleichen Fußpolstern und einem kleinen viereckigen Tisch von achtzehn Zoll Höhe, der als Arbeitstisch dienen konnte. Dieser Theil des Salons war für die Damen bestimmt, welche nach Art der Maurinnen mit gekreuzten Beinen hier Platz zu nehmen pflegten. Auf der andern Seite befanden sich gleichfalls mit rothem Sammet gepolsterte Sessel.
Dem Eingang des Salons gegenüber bemerkte man das Hauptschlafgemach mit einem Alkoven an dem Ende einer Erhöhung, auf welcher ein reich vergoldetes Paradebett mit Brokatvorhängen stand, die mit goldenen und silbernen Borten und Fransen verziert waren. Ueberzüge und Kopfkissen bestanden aus der feinsten Leinwand und zeigten eine Verzierung von breiten Spitzen.
Nach dem Hauptgebäude kam ein zweiter Patio mit den Kirchen und dem Corral; diesem Hof schloß sich ein großer Garten an, der von Mauern und einem mehr als hundert Ruthen großen, englisch angelegten Park umgeben war, in welchem man die seltensten Bäume und Sträucher sehen konnte.
Auf der Hacienda gab es eine Festlichkeit. Es war die Zeit der Matanga del ganado oder des Stierschlachtens. Die Peones hatten einige Schritte von der Hacienda eine Einfriedung errichtet, in welche man die Rinder trieb, um die mageren von den fetten zu trennen; von Letzteren wurde eines um das andere wieder hinausgelassen Ein Vaquero stand hinter der Thüre der Einfriedung auf der Lauer und hatte ein halbmondförmiges, schneidendes Instrument, das auf Fußweite mit Stacheln versehen war, in der Hand. Dieses Werkzeug führte er nun mit größter Gewandtheit gegen die hinteren Kniekehlen der aus der Umzäunung hervorkommenden Thiere. Wenn in seltenen Fällen der Hieb fehlging, so folgte ein berittener Vaquero dem Stier im Galopp, warf ihm den Lasso um die Hörner und hielt ihn fest, bis der erste herankam und den Kniekehlenhieb an dem armen Thier vollendete.
An dem Portikus der Hacienda lehnte nachläßig ein Mann von ungefähr Vierzigen, der in das reiche Kostüm der adeligen Landbesitzer gekleidet war. Ueber seine Schultern hing ein Zarape von heller Farbe, und den Kopf schützte ein feiner Panamastrohhut im Werth von mindestens fünfhundert Piastern gegen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Er hatte eine Maiscigarre im Mund und schien die Schlächterei zu überwachen.
Wir bemerken an dem Cavalier eine stolze Miene, einen schlanken, ebenmäßigen Bau und ein feingeschnittenes Gesicht, dessen feste, gehaltene Linien Loyalität, Muth und vor Allem einen ehernen Willen bekunden. Seine großen, schwarzen, von starken Brauen beschatteten Augen sind von unvergleichlicher Anmuth, aber wenn ein etwas lebhafterer Widerspruch seinen dunklen Teint mit einem Anflug von Roth überzieht, gewinnt sein Blick eine Festigkeit und eine Gewalt, der Niemand zu widerstehen vermag, so daß selbst die Muthigsten vor einem solchen Blicke zittern. Die Feinheit der Glieder, vor Allem aber der Stempel des Adels, der sich in der ganzen Persönlichkeit kundgibt, läßt auf den ersten Blick erkennen, daß dieser Mann der reinen Classe castilischer Edeln angehört. In Wirklichkeit haben wir Don Ramon Garillas de Saavedra, den Besitzer der Hacienda von Milagro, vor uns.
Don Ramon stammt aus einer spanischen Familie, deren Haupt unter die ersten Offiziere des Cortez gehörte und nach der wundervollen Eroberung, welche dieser geniale Abenteurer vollbrachte, sich in Mexico niedergelassen hatte. Im Besitze eines fürstlichen Vermögens, aber von dem spanischen Adel gemieden, weil er eine Frau von aztekischer Abkunft geheirathet, hatte er sich ganz dem Feldbau und der Verbesserung seiner ausgedehnten Besitzungen hingegeben. Nach siebzehnjähriger Ehe stand er an der Spitze einer zahlreichen Familie, aus sechs Söhnen und drei Töchtern, im Ganzen neun Kindern, bestehend, von denen der uns bereits bekannte Raphael das älteste war.
Die Verbindung des Don Ramon und der Donna Jesusita war zwar durch Vermögensrücksichten herbeigeführt, aber dennoch beziehungsweise eine glückliche – wir sagen beziehungsweise, denn das junge Mädchen hatte vom Kloster weg heirathen müssen, ohne daß zwischen dem Paar eine Liebe bestanden hatte; dagegen war an die Stelle der Letzteren eine innige und aufrichtige Anhänglichkeit getreten.
Donna Jesusita lebte, von ihren indianischen Dienerinnen umgeben, nur der Sorge für ihre Kinder. Ihr Gemahl, welchen die Landwirthschaft völlig in Anspruch nahm, hielt sich fast immer unter seinen Vaqueros, Peones und Jägern auf, sah während der Ruhestunden seine Gattin höchstens auf einige Minuten und blieb bisweilen, wenn ihn eine Jagdpartie an die Ufer des Rio Gila lockte, ganze Monate aus. Wir müssen übrigens beifügen, daß Don Ramon, mochte er anwesend sein oder nicht, sorgfältig auf seine Frau Bedacht nahm und es ihr an nichts fehlen ließ; ja er sorgte sogar für die Befriedigung ihrer flüchtigsten Launen und schonte weder Geld noch Mühe, um ihr das zu schaffen, was sie zu wünschen schien.
Donna Jesusita war von entzückender Schönheit und engelgleicher Anmuth. Sie schien, vielleicht nicht mit Freude, doch jedenfalls ohne großen Schmerz, sich in die Lebensweise zu finden, die ihr Gatte führen mußte; aber die Tiefe ihrer großen, schwärmerischen, schwarzen Augen, das bleiche Antlitz und vor Allem die Wolke der Trauer, welche stets die mattweiße Stirne umschleierte, verrieth, daß in dieser üppigen Natur eine glühende Seele eingeschlossen war, und daß die Frau, welche für ihr eigenes Herz so wenig verlangte, ihr ganzes Sinnen und Denken ihren Kindern zuwandte, die sie mit der ganzen, reinen Innigkeit mütterlicher Liebe, dieser schönsten und heiligsten von allen, umfing. Obschon Don Ramon sich nie die Mühe gegeben hatte, seine Frau zu studiren, benahm er sich doch stets so gütig und zuvorkommend gegen sie, daß er sie wohl für das glücklichste Wesen von der Welt halten durfte, und sie war es auch wirklich, seit es dem Himmel gefallen, sie Mutter werden zu lassen.
Die Sonne war eben untergegangen; der Himmel verlor allmälich seine Purpurfarbe und hüllte sich mehr und mehr in Schatten. Einige Sterne begannen sichtbar zu werden, und der Abendwind erhob sich mit einer Gewalt, welche für die Nacht einen der schrecklichen Orkane in Aussicht stellte, die man in jenen Gegenden so häufig zu erleben Gelegenheit hat. Nachdem der Mayoral den Rest des Ganado in der Einfriedung hatte absperren lassen, versammelte er die Vaqueros und Peones um sich und zog mit ihnen nach der Hacienda, von der aus die Nachtessensglocke verkündete, daß die Zeit der Ruhe endlich gekommen war. Der Mayor Domo war der letzte, welcher grüßend an seinem Herrn vorüberkam.
»Wie viel Köpfe haben wir dies Jahr, No Eusebio?« fragte Don Ramon.
»Vierhundert und fünfzig, mi amo (mein Gebieter),« versetzte der Mayoral, ein großer hagerer Graukopf mit einem Gesicht, so braun wie ein Stück Leder, indem er sein Pferd anhielt und den Hut abnahm, »fünfundsechzig mehr als im vorigen Jahr. Unsere Nachbarn, die Jaguare und die Apachen haben uns heuer keinen großen Schaden zugefügt.«
»Das habe ich Euch zu danken, No Eusebio,« entgegnete Don Ramon. »Ihr seid ungemein wachsam gewesen, und ich werde es Euch zu lohnen wissen.«
»Der beste Lohn ist Eurer Herrlichkeit gute Meinung,« erwiederte der Mayoral, über dessen rauhes Gesicht ein zufriedenes Lächeln hinflog. »Ziemt es mir nicht, über Euer Eigenthum eben so sorgfältig zu wachen, als ob es das meinige wäre?«
»Ich danke Euch,« sagte der Edelmann, dem Diener bewegt die Hand drückend; »ich weiß, daß Ihr mir treu ergeben seid.«
»Auf Leben und Tod, mein Gebieter. Meine Mutter hat Euch mit ihrer Milch genährt; ich gehöre Euch und Eurer Familie.«
»Jetzt vorwärts, No Eusebio,« rief der Hacendero heiter; »das Nachtessen ist bereit; die Sennora wird schon am Tisch sitzen, und wir dürfen sie nicht warten lassen.«
Nachdem beide in dem Patio angelangt waren, schickte No Eusebio, wie Don Ramon ihn genannt hatte, sich an, dem, allabendlichen Brauch zufolge, das Thor zu schließen, während der Hacendero sich nach dem Speisesaal begab, wo bereits die Vaqueros und Peones harrten.
In der Mitte des Speisesaals befand sich ein langer Tisch, und um ihn her standen mit Leder gepolsterte Bänke nebst zwei geschnitzten Lehnsesseln, die für Don Ramon und die Sennora bestimmt waren. Hinter letzterer hing ein vier Fuß hohes Elfenbeincrucifix zwischen zwei Bildern, von denen eines Christus am Oelberg und das andere die Bergpredigt darstellte, an der Wand. Die langen Wände waren einfach getüncht und da und dort mit den wilden Köpfen von Jaguaren, Büffeln und Elenthieren verziert, welche der Hacendero auf der Jagd erlegt hatte. Auf dem Tisch standen in reichlicher Menge Schüsseln mit Lahua (eine dicke Suppe aus mit Fleisch gekochtem Maismehl), Puchero oder Ollapodrita, und Pepian, zwischenhinein aber Flaschen mit Mezcal oder Wasser.
Auf ein Zeichen des Hacendero begann das Mahl.
Bald steigerte sich der Wind bis zum wüthenden Sturm. Der Regen schoß in Strömen nieder und alle Augenblicke machte das fahle Wetterleuchten, dieser Vorläufer furchtbarer Blitz- und Donnerschläge, die Lichter erblinden. Gegen das Ende der Mahlzeit hatte der Orkan eine solche Höhe erreicht, daß man im Tumult der Elemente kaum mehr das eigene Wort hörte. Der Donner rollte mit schrecklicher Gewalt, ein Windstoß schlug eines der Fenster ein, die Lichter erloschen, und alle Anwesenden bekreuzten sich ängstlich.
In diesem Augenblick ließ sich von dem Portale her die Glocke wie in krampfhaftem Läuten vernehmen, und eine Stimme, die nichts Menschliches zu haben schien, rief in zweimaliger Wiederholung: »Hilfe! s Hilfe!«
»Beim Blut Christi,« rief Don Ramon, aus dem Saale eilend, »man erwürgt Jemand in der Ebene.«
Zwei Schüsse erschollen fast gleichzeitig; ein Schmerzruf folgte darauf, und dann trat eine unheimliche Stille ein. Plötzlich brach ein Blitzstrahl, dem ein furchtbares Donnergekrach folgte, in die Dunkelheit, und man sah Don Ramon, der einen ohnmächtigen Menschen auf dem Arme trug, wieder im Saal erscheinen. Der Fremde wurde auf einen Sitz niedergelassen, und alles drängte sich um ihn her. Sein Gesicht und seine Kleidung zeigten nichts Außerordentliches; als jedoch Raphael, Don Ramons Aeltester, seiner ansichtig wurde, konnte er eine Geberde des Schreckens nicht unterdrücken, während zugleich sein Antlitz leichenblaß wurde.
»Oh,« murmelte er mit erstickter Stimme, »der Juez de Letras!« Es war in der That der würdige Richter, den wir mit so glänzendem Gefolge von Hermosillo haben ausziehen sehen. Die langen, vom Regen durchnäßten Haare fielen ihm auf die Brust nieder und an seinen zerknitterten und theilweise zerrissenen Kleidern sah man Blutflecken: seine Rechte hielt krampfhaft den Schaft einer abgeschossenen Pistole umschlossen.
Don Ramon hatte gleichfalls den Juez de Letras erkannt und unwillkürlich seinem Sohn einen Blick zugeworfen, den dieser nicht auszuhalten vermochte. Der Richter hatte es der verständigen Sorgfalt der Donna Jesusita und ihrer Frauen zu danken, daß er bald wieder zu sich kam. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, öffnete die hohlen Augen, mit denen er noch umherstierte, ohne etwas zu sehen, und gelangte allmälig zur Besinnung.
Plötzlich überflog ein lebhaftes Roth sein eben noch so blasses Gesicht und sein Auge funkelte. Mit einem Blick auf Raphael, der auf den Knaben die lähmende Gewalt eines unüberwindlichen Schreckens übte, erhob er sich mühsam, wankte auf den jungen Menschen zu, der ihn kommen sah, ohne daß er es wagte, ihm auszuweichen, und legte ihm rauh die Hand an die Schulter, während er sich zugleich gegen die Peones umwandte, welche erschrocken dem seltsamen Auftritt zusahen, ohne etwas davon begreifen zu können.
»Ich, Don Inigo Tormentos d'Albaceyte,« sagte er mit feierlicher Stimme,« »Kriminalrichter der Stadt Hermosillo, verhafte im Namen des Königs diesen Menschen, der des Mordes überwiesen ist.«
»Barmherziger«Gott!« rief Raphael und sank auf die Kniee nieder, während er zugleich verzweifelnd die Hände faltete.
»O Jammer!« murmelte die arme Mutter, gleichfalls zusammenbrechend.