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Adlerkopf war ein ebenso kluger als entschlossener Häuptling und wußte wohl, daß er von den Amerikanern alles zu fürchten hatte, wenn es ihm nicht gelang, seine Fährte vollkommen zu verbergen. Auch versäumte er nach dem glücklichen Erfolg des Angriffs auf die Weißen am Kanadian nichts, um seine Leute gegen die drohenden schrecklichen Repressalien zu schützen.
Man kann sich keine Verstellung machen, welches Geschick die Indianer entfalten, wenn es gilt, eine Fährte zu verdecken. Wohl zwanzigmal gehen sie über denselben Platz und bringen die Fußspuren so durch einander, daß eine Unterscheidung zur Unmöglichkeit wird; dabei vernachlässigen sie keine Terrainzufälligkeit, treten in die Fußtapfen des Vordermanns, um ihre Anzahl zu verbergen, marschiren tagelang in Bächen, deren Wasser ihnen oft bis an den Gürtel reicht, und treiben ihre Vorsicht und Geduld selbst so weit, daß sie mit den Händen die Spuren verwischen, welche sie an ihre Feinde verrathen könnten.
Der Stamm der Schlange, zu welchem die von Adlerkopf befehligten Krieger gehörten, war wenigstens fünfhundert Mann stark in die Prairien gekommen, um den Büffel zu jagen und die Pawnies und Sioux zu befehden, mit denen sie in stetem Kriege lebten. Zunächst hatte nun Adlerkopf im Sinne, zu seinen Kameraden zurückzukehren, bei denen er die in dem Dorf gemachte Beute in Sicherheit bringen wollte, und an einem großen Schlag theilzunehmen, der von seinem Stamm gegen die weißen Trapper und die Mestizen der Prairie vorbereitet wurde, da die Indianer in diesen Eindringlingen mit Recht unversöhnliche Feinde sahen.
Bei aller Vorsicht, die der Häuptling anwenden ließ, ging der Marsch doch rasch von Statten. Am sechsten Abend nach der Zerstörung des Forts machten die Comanchen an den Ufern eines kleinen Flusses Halt und schickten sich an, ein Nachtlager aufzuschlagen. Dies ist, wenn sich der Indianer auf dem Kriegspfad befindet, ein sehr einfaches Manöver.
Adlerkopf ließ Feuer anzünden und stellte selbst die Schildwachen aus; dann lehnte er sich an einen Ebenholzbaum, griff nach seinem Kalumet und ließ sich den Greis und die Spanierin vorführen. Er grüßte den ersteren herzlich und reichte ihm sein Kalumet hin; der Alte nahm diesen Beweis von Wohlwollen an und war nun der Fragen gewärtig, welche voraussichtlich der Indianer an ihn zurichten gedachte.
»Mein Bruder befindet sich wohl unter den Rothhäuten?« nahm dieser endlich das Wort.
»Es wäre unrecht, wenn ich mich beklagen wollte, Häuptling,« versetzte der Spanier. »Ich bin auf dem ganzen Wege sehr rücksichtsvoll behandelt worden.«
»Mein Bruder ist ein Freund,« sagte der Comanche mit Nachdruck.
Der Greis verbeugte sich.
»Wir befinden uns endlich auf unserem Jagdgebiet. Mein Bruder Weißhaupt ist müde vom Alter und sitzt besser am Berathungsfeuer, als auf dem Pferd, um das Elenn und den Büffel zu jagen. Was wünscht mein Bruder?«
»Häuptling,« versetzte der Spanier, »Du hast wahr gesprochen. Es gab eine Zeit, in welcher auch ich wie jedes andere Kind der Prairie auf einem wilden Mustang ganze Tage der Jagd oblag; aber meine Kraft ist dahin, meinen Gliedern fehlt die Geschmeidigkeit und mein Auge hat seine Schärfe verloren. Ich tauge für keinen Ausflug mehr, wie kurz er auch sein mag.«
»Gut,« entgegnete der Indianer ruhig, indem er den Tabakrauch durch Mund und Nasenlöcher blies; »mein Bruder darf also seinem Freund nur sagen, was er wünscht, und es soll geschehen.«
»Ich danke Dir, Häuptling, und werde von Deinem wohlwollenden Anerbieten Gebrauch machen. Habe die Güte, mir die Mittel zu liefern, daß ich, ohne Jemand sonst zu beunruhigen, eine Niederlassung von Menschen meiner Farbe erreiche, unter denen ich den kurzen Rest meiner Lebenstage verbringen kann.«
»Warum sollte ich dies nicht thun? Nichts ist leichter, sobald wir zu dem Stamm gestoßen sind. Da mein Bruder nicht unter seinen rothen Freunden bleiben will, so soll sein Wunsch erfüllt werden.«
Es folgte eine Pause. Der Greis, welcher die Unterhaltung für beendigt hielt, wollte sich zurückziehen; aber eine Geberde des Häuptlings hieß ihn bleiben. Dieser schüttelte nun die Asche aus seiner Pfeife, steckte das Rohr in seinen Gürtel und heftete auf den Spanier einen eigenthümlich ausdrucksvollen Blick.
»Mein Bruder ist glücklich,« sagte er mit trauriger Stimme, »obgleich er schon im Winter seiner Tage steht. Er geht nicht allein den Pfad des Lebens.«
»Was will der Häuptling damit sagen?« fragte der Greis.
»Mein Bruder hat Familie,«, versetzte der Comanche.
»Mein Bruder ist im Irrthum. Ich stehe allein in der Welt.«
»Was sagt mein Bruder? Hat er nicht seine Gefährtin bei sich?«
Ein trübes Lächeln spielte über, die bleichen Lippen des Alten.
»Nein,« sagte er. »Ich habe keine Gefährtin.«
»Was ist ihm dann diese Frau?« fragte der Häuptling mit erkünsteltem Staunen, auf die spanische Dame deutend, welche stumm und traurig neben dem Alten stand.
»Diese Frau ist meine Gebieterin.«
»Wie,« sagte der Comanche mit einem boshaftem Lächeln; »sollte mein Bruder ein Sclave sein?«
»Nein,« versetzte der« Greis stolz; »nicht der Sclave, sondern der treue Diener dieser Frau.«
Der Indianer nahm diese Erwiederung nur mit Kopfschütteln auf; die Unterscheidung war für sein Fassungsvermögen zu hoch. Er richtete durch die festgeschlossenen Augenlider spöttische Blicke auf den Greis und fuhr nach einer Weile fort:
»Gut. Die Frau mag mit meinem Bruder fortgehen.«
»So hab' ich's immer verstanden,« entgegnete der Spanier.
Die alte Frau, welche sich bisher stumm verhalten, mochte meinen, daß es jetzt Zeit sei, sich in das Gespräch zu mischen.
»Ich danke dem Häuptling,« sagte sie, »aber da er so gütig ist, uns unseren Willen zu lassen, so erlaubt er mir vielleicht, ihn um eine Gunst zu bitten.«
»Meine Mutter mag sprechen; sie findet ein offenes Ohr.«
»Ich habe einen Sohn, der ein großer weißer Jäger ist und sich eben jetzt in der Prairie befinden muß. Wenn nun mein Bruder es erlaubt, daß wir noch einige Tage bei ihm bleiben; so begegnen wir ihm vielleicht; unter seinem Schutz haben wir weniger zu fürchten.«
Bei diesen unklugen Worten machte der Spanier eine Geberde des Schrecken.
»Sennorita,« rief er hastig in seiner Muttersprache, »nehmt Euch in Acht vor diesem ...«
»Stille!« herrschte ihm der Indianer zu. »Warum braucht mein weißer Bruder vor mir eine unbekannte Sprache? Fürchtet er, ich möchte seine Worte verstehen?«
»Oh, Häuptling,« entgegnete der Spanier mit einer verneinenden Geberde.
»So lasse mein Bruder die Blaßgesichtsmutter reden; sie spricht mit einem Häuptling.«
Der Greis schwieg; aber eine traurige Ahnung preßte ihm das Herz zusammen. Der Comanchenhäuptling seinerseits wußte recht gut, wen er vor sich hatte, und spielte mit den Beiden wie die Katze mit der Maus. Er ließ sich übrigens nichts anmerken und wandte sich mit der instinktartigen Höflichkeit, welche ein charakteristischer Zug des Indianers ist, an die Frau.
»Oh,« sagte er mit gewinnender Stimme und einem theilnehmenden Lächeln, »der Sohn meiner Mutter ist ein großer Jäger? Desto besser.«
Der armen Frau ging vor Freude das Herz auf.
»Ja,« versetzte sie mit Wärme, »er ist einer der bravsten Trapper in den westlichen Prairien.«
»Wirklich?« entgegnete der Häuptling immer liebenswürdiger. »Und dieser berühmte Krieger wird wohl auch einen Namen haben, der in den Prairien geachtet ist.«
Der Alte lag auf der Folter. Von dem Auge des Comanchen in Respekt erhalten, wußte er nicht, wie er seine Gebieterin hindern sollte, den Namen ihres Sohnes zu nennen.
»Sein Name ist wohlbekannt,« sagte die Frau.
»Oh,« rief der Greis lebhaft, »jede Mutter sieht in ihrem Sohn einen Helden. Der ihrige mag wohl ein trefflicher junger Mann sein, ist aber gewiß nicht besser, als andere auch, und sein Name ist nie vor den Ohren meines Bruders genannt worden.«
»Wie weiß mein Bruder dies?« entgegnete der Häuptling mit spöttischem Lächeln.
»Ich vermuthe es,« sagte der Greis; »oder wenn mein Bruder ihn nur zufällig auch einmal gehört hat, so ist er ihm längst wieder aus dem Gedächtnis; gekommen. Erlaubt uns mein Bruder wohl, daß wir uns zurückziehen? Der Marsch ist anstrengend gewesen und die Stunde der Ruhe gekommen.«
»Sogleich,« versetzte ruhig der Comanche und fuhr dann gegen die Frau-fort: »wir heißt der Krieger der Blaßgesichter?«
Die Erinnerung des Dieners, dessen Treue und Klugheit sie kannte, hatte die alte Dame vorsichtig gemacht; sie fühlte, daß sie einen Fehler begangen, den sie nicht wieder gut zu machen wußte, und schwieg deßhalb still.
»Hat mich meine Mutter nicht verstanden?« fragte der Häuptling wieder.
»Wozu einen Namen nennen, den Ihr wahrscheinlich nicht kennt und der Euch nie interessirt hat? Erlaubt mein Bruder, daß ich mich zurückziehe?«
»Nicht eher, bis meine Mutter den Namen ihres Sohnes, des großen Kriegers, genannt hat,« sagte der Comanche, die Brauen runzelnd und mit schlecht verhehltem Zorn auf den Boden stampfend.
Als der Greis sah, daß ein Ende gemacht werden müsse, ergriff er wieder das Wort: »Mein Bruder ist ein großer Häuptling, und wenn auch sein Haar braun ist, besitzt er doch viel Weisheit. Ich bin sein Freund, und er wird den Zufall nicht mißbrauchen, der ihm die Mutter seines Feindes in die Hände geliefert hat. Der Sohn dieser Frau ist Treuherz.«
»Ah!« entgegnete Adlerkopf mit seinem unheimlichen Lächeln, »ich wußte es. Warum haben die Blaßgesichter zwei Zungen und zwei Herzen; und suchen stets die Rothhäute zu betrügen?«
»Wir haben Dich nicht zu betrügen gesucht, Häuptling.«
»Seit Ihr bei uns seid, hat man Euch wie Kinder des Stammes behandelt. Dir habe ich das Lebens gerettet.«
»Das ist wahr.«
»Gut, so will ich Dir beweisen, daß die Indianer nichts vergessen, und daß sie Böses mit Gutem zu vergelten wissen ... Wer hat mir die Wunden geschlagen, die Du hier siehst? Treuherz! Wir sind Feinde. Seine Mutter ist in meiner Gewalt und ich hätte das Recht, sie an den Marterpfahl zu binden.«
Die Beiden senkten das Haupt.
»Das Gesetz der Prärien verlangt Aug' um Auge, Zahn um Zahn. So höre mich an, alte Eiche. Um unserer alten Freundschaft willen gestatte ich einen Verzug. Morgen mit Sonnenaufgang wirst Du Dich auf den Weg machen, um Treuherz aufzusuchen. Ist er nach Ablaufs von vier Tagen nicht-hier, um sich in meine Hände auszuliefern, so stirbt seine Mutter. Meine jungen Leute werden sie lebendig am Blutpfahl verbrennen und meine Brüder sich Kriegspfeifen aus ihren Gebeinen machen. Geht, ich habe gesprochen.«
Der Greis warf sich bittend vor dem Häuptling nieder; aber der rachsüchtige Indianer stieß ihn mit dem Fuß zurück und entfernte sich.
»Oh, Sennora,« murmelte der Alte, »Ihr seid verloren.«
»Eusebio; bringt mir meinen Sohn nicht,« versetzte die Mutter mit von Thränen erstickter Stimme. »Was liegt daran, wenn ich sterbe? Habe ich nicht schon lange genug gelebt?«
Der alte Diener warf einen Blick der Bewunderung auf seine Gebieterin.
»Immer dieselbe,« sagte er mit Innigkeit.
»Gehört nicht das Leben der Mutter ihrem Kinde?« seufzte sie aus tiefster Seele.
Vom Schmerz überwältigt, sanken die Beiden zur Erde und verbrachten die Nacht im Gebet. Adlerkopf schien nichts von ihrer Verzweiflung zu ahnen.