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Der General hatte die Gründe, die ihn zu Unternehmung einer Reise in die westlich von den vereinigten Staaten gelegenen Prairien bewogen, so geheim gehalten, daß seinen Begleitern nur Vermuthungen zu Gebot standen. Schon mehrmals mußte auf seinen Befehl die Carawane in ganz öden Gegenden Lager schlagen und acht, zehn, selbst fünfzehn Tage Halt machen, ohne daß man sich die Veranlassung dazu hätte denken können. Bei solchen Gelegenheiten pflegte der General jeden Morgen mit einem der Führer sich zu entfernen und erst Abends wieder zurückzukommen. Niemand wußte, was er in dieser Zeit that.
Während dieser Ausflüge führte Donna Luz inmitten ihrer rohen Umgebung ein sehr einförmiges Dasein, indem sie trübselig vor ihrem Zelte saß oder vielleicht in Begleitung des Capitäns Aquilar oder des Doktors einen kleinen zweck- und interesselosen Spazierritt machte. Von ihrem Onkel und sogar von dem Doctor verlassen, der mit gesteigertem Eifer seinen Pflanzen nachjagte und jeden Morgen zum Botanisiren auszog, blieb das Fräulein auf die Gesellschaft des Capitäns beschränkt, der, zwar jung, elegant und beziehungsweise auch verständig, gleichwohl aber für die Donna ein nicht sehr unterhaltender Gefährte war.
Heute hatte übrigens Donna Luz keine Langeweile. Seit der schrecklichen Brandnacht, in welcher Treuherz gleich einem jener fabelhaften Helden, deren Geschichte und unglaubliche Großthaten sie gelesen, als ihr und ihrer Begleiter Retter aufgetreten war, hatte in dem Herzen des jungen Mädchens ein neues, unerklärliches Gefühl zu keimen begonnen, das ihr ganzes Wesen erfüllte. Das Bild des Jägers stand unablässig vor ihrer Seele und zwar von jener herrlichen Glorie umgeben, welche die Einbildungskraft so gern dem Helden verleiht, welcher im Kampf mit einer furchtbaren Gefahr das Uebergewicht über sie behauptet.
Allerdings mußte sein kalter Abschied, sein Verschmähen aller Anerkennungsbeweise und seine Gleichgültigkeit gegen die von ihm Geretteten erkältend auf das junge Mädchen wirken, und diese wirkliche oder erkünstelte Gleichgültigkeit verdroß sie mehr, als sie sich anmerken lassen mochte. Ja, sie sann sogar darauf, dem Retter ihren Unwillen fühlen zu lassen, wenn je der Zufall ihn wieder mit ihr zusammenführen sollte; aber nach der alten Erfahrung ist von solchen Gefühlen bis zur Liebe nur ein Schritt, und Donna Luz hatte ihr damit, ohne es selbst zu wissen, eine Thüre geöffnet.
Wie wir früher bemerkten, wurde das Fräulein, abgeschieden von dem Geräusch der Welt, in einem Kloster erzogen, und ihre Kindheit entschwand ruhig und harmlos in den religiösen oder vielmehr abergläubischen Uebungen, welche in Mexico die Grundlage der Religion bilden. Als ihr Onkel sie aus dem Kloster holte, um sie auf der beabsichtigten Reise durch die Prairien mit sich zu nehmen, wußte sie selbst von den einfachsten Lebensverhältnissen nichts und hatte so wenig eine Ahnung von dem Thun und Treiben der äußeren Welt, mit der sie so plötzlich in Verkehr kommen sollte, als der Blindgeborene von dem herrlichen Glanz der Sonnenstrahlen.
Wir müssen hier einen Vorfall erwähnen, der dem Anschein nach unbedeutend ist, aber doch in der Seele des Fräuleins einen Eindruck zurückließ, den wir nicht übergehen dürfen.
Der General war eifrig damit beschäftigt, die Leute zusammenzubringen, welche er für seine Reise brauchte, und konnte daher nicht so auf seine Nichte Acht haben, wie er wünschte. Damit jedoch das Mädchen, das mit einer alten Duenna seinen Palast in der Calle de los Plateros bewohnte, sich in ihrer Einsamkeit nicht langweile, schickte er sie häufig Abends zu einer Verwandten, die eine auserlesene Gesellschaft bei sich empfing und bei der seine Nichte die Zeit ziemlich angenehm verbrachte.
Eines Abends war die Versammlung zahlreicher gewesen als gewöhnlich und man hatte sich deßhalb auch viel später getrennt. Die Glocke auf dem Mercedeskloster schlug eben Eilf, als Donna Luz und ihre Duenna, von einem Peon begleitet, der ihnen eine Fackel vortrug, auf ihre Wohnung zugingen. Nur noch einige Schritte davon, schienen plötzlich an der Ecke der Calle San-Agustin vier oder fünf Bursche wie aus dem Boden aufzutauchen, welche die Fackel mit einem Faustschlag auslöschten und die Damen umringten.
Der Schrecken der Sennorita ob dieser unerwarteten Erscheinung läßt sich nicht beschreiben. Sie vermochte nicht zu schreien, sondern sank mit gefalteten Händen vor den Banditen auf die Kniee nieder. Die Duenna dagegen schrie aus Leibeskräften. Die mexikanischen Räuber sind hurtige Leute und hatten die alte Frau vermittelst eines Knebels, den sie ihr zwischen die Zähne steckten, bald zum Schweigen gebracht; dann gingen sie mit jener Ruhe, die aus der Uebung und dem Bewußtsein der Straflosigkeit hervorgeht, an's Werk, ihre Opfer zu plündern. Letztere dachten natürlich an keinen Widerstand, sondern beeilten sich, selbst ihre Schmucksachen auszuliefern, welche die Banditen vergnügt in die Taschen steckten.
Aber wie die Arbeit eben im schönsten Gang war, blitzte plötzlich über den Häuptern der Räuber ein Säbel und zwei derselben stürzten fluchend und heulend zu Boden. Die anderen stellten sich, um ihre Kameraden zu rächen, und stürzten sich wüthend auf den Angreifer los, der sich übrigens durch ihre Zahl nicht einschüchtern ließ, sondern nur einen Schritt rückwärts that, in Parade auslegte und sich zu einem guten Empfang der Strolche anschickte. Zufällig traf ein Mondstrahl sein Gesicht; die Banditen wichen erschrocken zurück und ließen ihre Säbel sinken.
»Ah, so,« sagte der Fremde mit verächtlichem Lachen, indem er immer noch auf sie losging, »kennt Ihr mich, ihr Herren? Bei Gott, ich bin dieses Treibens satt und habe gute Lust, Euch eine derbe Lection zu geben. Führt man so meine Befehle aus?«
Die Räuber blieben stumm und schienen zerknirscht zu sein.
»Leert eure Taschen, ihr Schurken,« fuhr der Unbekannte fort, »und gebt diesen Damen zurück, was ihr ihnen abgenommen habt.«
Die Räuber entledigten sogleich die Duenna ihres Knebels und gaben die reiche Beute zurück, die sie schon für ihr Eigenthum angesehen hatten.
Donna Luz konnte sich von ihrer Erstarrung nicht erholen und betrachtete staunend den Fremden, der über gesetzlose Straßenräuber eine solche Gewalt besaß.
»Jetzt fort mit euch, ihr Hallunken,« rief der Unbekannte. »Ich werde selbst diese Damen begleiten.«
Die Banditen ließen sich nicht zweimal auffordern; sie verschwanden, wie ein Schwarm Raben und nahmen ihre Verwundeten mit sich.
»Erlaubt mir, Sennorita,« sagte der Fremde mit großer Höflichkeit, »Euch bis zu Eurer Wohnung meinen Arm anzubieten. Der Schrecken hat Euren Gang unsicher gemacht.«
Ohne etwas zu erwiedern, legte das Mädchen mechanisch ihre Hand auf den dargebotenen Arm. An dem Palast angekommen, klopfte der Fremde an das Thor und nahm seinen Hut ab.
»Sennorita,« sagte er, »ich schätze mich glücklich, daß der Zufall mir gestattete, Euch einen kleinen Dienst zu leisten. Ich werde die Ehre haben, Euch wieder zu sehen. Erlaubt mir daher, Euch Lebewohl zu sagen aber auf Wiedersehen.«
Fünfzehn Tage nach diesem Abenteuer, welches die Nichte ihrem Onkel zu verschweigen für gut hielt, fand der Aufbruch von Mexiko statt, ohne daß Donna Luz den Unbekannten wieder gesehen hatte. Aber den Tag vor der Abreise bemerkte sie in ihrem Schlafzimmer auf ihrem Betpult ein viereckig zusammengelegtes Papier, welches in zierlicher Schrift folgende Worte enthielt:
»Ihr reist ab, Donna Luz; vergeßt nicht, daß ich gesagt habe – auf Wiedersehen.
Euer Retter von der Calle de los Plateros.«
Die seltsame Begegnung hatte den Geist des Mädchens lange sehr in Anspruch genommen; und einen Augenblick glaubte sie sogar, in Treuherz jenen unbekannten Retter zu erkennen. Diese Vorstellung hielt jedoch nicht lange an; sie war zu unwahrscheinlich und vertrug sich namentlich nicht mit dem Umstand, daß Treuherz nach ihrer Rettung sich so rasch entfernt hatte. Doch in demselben Maß, als sich nachgerade der Gedanke an das Abenteuer in Mexico vermischte, trat Treuherzens Bild lebhafter vor ihre Seele.