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X.
Liebe.

Donna Luz und Treuherz standen einander in eigenthümlicher Lage gegenüber. Beide waren jung, schön und liebten sich, ohne daß sie es sich zu gestehen wagten; ja, vielleicht ahneten sie es kaum. Sie hatten ihr Leben in ganz entgegengesetzten Verhältnissen zugebracht, besaßen aber gleichwohl dieselbe Frische des Gefühls, die gleiche Einfachheit des Herzens.

Dem Mädchen war ihre Kindheit farblos unter übertriebenen religiösen Uebungen und in einem Lande entschwunden, in welchem die Religion Christi sich mehr dem Heidenthum als dem reinen, edlen und einfachen Glauben der alten Lande nähert. Sie hatte nie den Schlag ihres Herzens gefühlt und wußte eben so wenig von Liebe als von Schmerz. Gleich den Vögeln des Himmels vergaß sie das Gestern und dachte nicht an das Morgen. Erst die Reise hatte einen wichtigen Wechsel in ihr Bewußtsein gebracht. Das Gewölbe des Himmels, wie es in der Prairie sich vor ihr aufthat, die majestätischen Flüsse, über welche sie setzte, die stolzen Berge, an denen sie so oft vorbei mußte und deren Spitzen den Himmel zu berühren schienen – alles dies hatte erhebend auf ihre Gedankenwelt gewirkt; die Binde war ihr sozusagen von den Augen gefallen, und sie begriff nachgerade, daß Gott sie zu etwas Anderem geschaffen hatte, als um ihr Leben unnütz in einem Kloster zu verträumen.

Die Erscheinung Treuherzens unter so eigenthümlichen Umständen wirkte besonders verführerisch auf ihren für alle Empfindungen offenen Geist, in welchem sich die kräftigen Eindrücke, die er aufnahm,-nicht so leicht verwischten. Der hervorragende Charakter des Jägers, dieses Mannes in der Tracht eines Wilden, mit seinem männlichen Gesicht, seinen stolzen Zügen und der edlen Haltung, konnte nicht ohne Einfluß bleiben. Ohne daß sie es selbst wußte, und nur von den Sympathieen geleitet, welche jedes Wesen in der großen Menschenfamilie beherrschen, war ihr Herz dem Herzen begegnet, das sie suchte. Ihr zartes Wesen bedurfte des thatkräftigen Mannes mit dem bezaubernden Blick, dem Löwenmuth und dem ehernen Willen, der sie aufrecht halten konnte im Leben und sie zu bewahren wußte mit seinem gewaltigen Schutz.

Auch ließ sie vom, ersten Augenblick an mit einem Gefühl unaussprechlichen Glückes die Neigung gewähren, welche sie zu Treuherz hinzog, und die Liebe war schon übermächtig in ihrem Innern, noch ehe sie es gewahr wurde oder an einen Widerstand dachte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten mit besonderer Gewalt die Leidenschaft geweckt, die in ihrem Herzen schlummerte. Nun sie in seiner Nähe war und jeden Augenblick aus dem Munde seiner Mutter und seiner Gefährten sein Lob vernahm, lernte sie allmälig ihre Liebe als einen wesentlichen Theil ihres Daseins betrachten; sie begriff nicht, wie sie so lange hatte leben können, ohne diesen Mann zu lieben, und es war ihr, als ob sie ihn von Geburt an gekannt hätte. Sie lebte nur für ihn und in ihm, war glücklich in einem Blick, in einem Lächeln von ihm, freute sich, wenn sie ihn sah, und trauerte, wenn er lange fern blieb.

Treuherz war, freilich auf einem andern Wege, eben dahin gekommen. Die Prairie hatte ihn sozusagen Angesichts der Gottheit, die er anbeten gelernt hatte in den großartigen Werken, welche ihm stets vor Augen lagen, erzogen, und in den erhabenen Schauspielen der Natur, in den stetigen Kämpfen mit den Indianern oder den wilden Thieren war seine moralische und physische Natur in außerordentlichem Grad entwickelt worden. Durch seine Muskelkraft und Waffenfertigkeit allein schlug er alle Hindernisse nieder, die man ihm in den Weg legen wollte, während seine hohe Denkweise und die Zartheit seiner Gefühle ihn befähigte, Alles in sich aufzunehmen. Nichts Edles oder Großes war ihm unbekannt.

Wie es auserlesenen Naturen, die ohne andere Vertheidigung als die eigene den schrecklichen Gefahren des Lebens preisgegeben sind, im Kampf des Glücks mit dem Unglück stets zu ergehen pflegt, hatte sich sein Geist in, riesigen Verhältnissen entwickelt, in Beziehung auf gewisse Gefühle aber, die ihm um seiner Lebenslage willen unbekannt waren und es ohne irgend einen providentiellen Zufall stets bleiben mußten, eine eigenthümliche Einfalt bewahrt. Durch die täglichen Bedürfnisse seines aufgeregten und unsichern Lebens war in ihm der Keim der Leidenschaft erstickt, und durch die stete Einsamkeit unwillkürlich seinem Dasein der Charakter der Beschaulichkeit ausgeprägt worden. Bis in sein sechsunddreißigstes Lebensjahr kannte er außer seiner Mutter keine Frau, da die indianischen Weiber ihm durch ihre Sitten nur Widerwillen einflößten; er war so alt geworden, ohne an Liebe zu denken, ohne sie zu kennen, ja ohne je das Wort aussprechen zu hören, das mit fünf Buchstaben so viel umfaßt, und in der Welt ebenso gut die edelsten Aufopferungen als die schrecklichsten Verbrechen veranlaßt.

Belhumeur war in solchen Dingen nicht minder unerfahren, und wenn nach einem ermüdenden Jagdtag oder nach einem sechszehnstündigen Lauern auf die Biber die beiden Freunde sich in der Prairie bei ihrem Bivouakfeuer zusammenfanden, so drehte sich ihre Unterhaltung stets nur um die Ereignisse des Tages.

So waren Wochen, Monate und Jahre verschwunden, ohne einen Wechsel in sein Dasein zu bringen, eine unbestimmte, in ihrer Ursache nicht erkannte Unruhe etwa ausgenommen, die heimlich an ihm nagte und von der er sich keine Rechenschaft geben konnte. Die Natur hat ihre unveräußerlichen Rechte, denen sich jeder Mensch unterwerfen muß, in welcher Lage er sich auch befinde.

Und als endlich der Zufall ihn mit Donna Luz zusammenführte, flog ihr eben in Folge des instinctartigen und unwiderstehlichen Gefühls, welches auch auf das Mädchen wirkte, sein Herz entgegen. Betroffen über die Theilnahme für eine Fremde, die er wahrscheinlich nie wieder sah, wurde er fast böse auf sie wegen des in ihm auftauchenden Gefühls, und er legte deßhalb in seine an sie gerichteten Worte eine Härte, die seinem Charakter fremd war. Wie alle stolzen Gemüther, die an widerstandslose Unterordnung Anderer gewohnt sind, verdroß es ihn, einem jungen Mädchen einen ihn beherrschenden Einfluß zu gestatten, dem er sich gleichwohl nicht mehr zu entziehen vermochte.

Als er nach dem Prairiebrande das Lager der Mexikaner verließ, hatte er ungeachtet seines schnellen Entweichens die Erinnerung an die Fremde mit fortgenommen, und sie steigerte sich während der Trennung. Stets glaubte er die sanfte, melodische Stimme des Mädchens zu hören, wie sehr er sich auch mühte, sie sich aus dem Sinne zu schlagen. Sie stand immer vor ihm, mochte er wachen oder schlafen, lächelte ihm zu oder richtete ihren Zauberblick auf ihn.

Der Kampf wurde lebhaft. Ungeachtet der ihn verzehrenden Leidenschaft wußte Treuherz wohl, welcher unübersteigliche Abstand ihn von Donna Luz trennte und wie unklug, wie zwecklos diese Liebe war. Auch, machte er sich alle die Vorstellungen,«welche in ähnlichen Fällen am Platz sind, um sich zu beweisen, daß er ein Thor sei. Mit einer Hartnäckigkeit, welche das Mädchen beleidigen mußte, vermied er jedes Zusammentreffen mit ihr; und wenn der Zufall eine Begegnung herbeiführte, wurde er schweigsam und widerwärtig, antwortete kaum oder mit der linkischen Ungeschicklichkeit eines Neulings auf ihre Fragen und benützte den nächstenbesten Vorwand, sich aus dem Weg zu machen. Das Mädchen sah ihm dann mit traurigen Blicken nach, seufzte tief, und es stahl sich wohl auch eine Thräne über ihre rosige Wange, da sie in seinem Benehmen nicht Liebe, sondern Gleichgültigkeit sah.

Doch waren während der paar Tage seit der Eroberung des Lagers die jungen Leute, ohne es zu ahnen, ziemlich vorwärtsgekommen, um so mehr, da Treuherzens Mutter nach ächter Mutterart die Leidenschaft und den Kampf ihres Sohnes geahnt hatte. Sie war eingeweiht in das Geheimniß, welchem sie ohne Wissen der Betheiligten Vorschub leistete und Schutz verlieh, während von diesen jedes der Meinung lebte, es im Innersten seines Herzens verschlossen zu haben.

So standen die Sachen zwei Tage nach dem Ansinnen, das der Hauptmann Donna Luz gestellt hatte. Treuherz schien schwermüthiger und gedankenvoller als sonst zu sein; er wandelte in großen Schritten durch die Höhle, gab Merkmale einer lebhaften Ungeduld von sich und schaute bisweilen mit unruhigen Blicken umher. Endlich stützte er sich gegen einen Felsvorsprung, ließ den Kopf auf die Brust sinken und vertiefte sich in ernstes Nachdenken.

Nach einer Weile flüsterte ihm eine sanfte Stimme zu:

»Was ist Dir doch, mein Sohn? Warum dieser Trübsinn? Hast Du schlimme Nachrichten erhalten?«

Treuherz richtete den Kopf auf, als erwache er aus einem Traume. Seine Mutter und Donner Luz standen Arm in Arm vor ihm. Er warf einen wehmüthigen Blick auf Beide und entgegnete mit einem erstickten Seufzer.

»Ach, Mutter, morgen ist der letzte Tag, und ich habe noch nichts ersinnen können, um Donna Luz zu retten und ihr den Onkel zurückzugeben.«

»Ja, morgen will dieser Mensch wieder kommen,« flüsterte Donna Luz schaudernd.

»Und was wirst Du thun, mein Sohn?«

»Weiß ich's, Mutter?« erwiederte er mit fieberischer Ungeduld. »Oh, dieser Mensch ist gewaltiger als ich, und hat alle meine Plane vereitelt. Bis jetzt ist es mir noch nicht möglich geworden, seinen Schlupfwinkel zu erforschen; alle unsere Nachforschungen sind vergeblich gewesen.«

»Treuherz,« versetzte die Sennorita mit sanfter Stimme, »wollt Ihr mich der Gnade dieses Räubers preisgeben? Warum habt Ihr mich gerettet?«

»Oh!« rief der Jäger, »dieser Vorwurf tödtet mich.«

»Ich mache Euch keinen Vorwurf, Treuherz,« entgegnete sie lebhaft; »aber ich bin sehr unglücklich. Bleibe ich, so bin ich Schuld an dem Tod des Mannes, der mir ein Vater war, und gehe ich, so ist Schande mein Loos.«

»Und da nichts thun können!« rief Treuherz mit Ungestüm. »Euch weinen sehen – Euch unglücklich wissen und nichts thun können! Oh!« fügte er bei, »wie gerne würde ich mein Leben hingeben, um Euch eine Unruhe zu ersparen. Gott allein weiß, zu welcher Qual mir meine Unmacht wird.«

»Hoffe, mein Sohn,« sagte die alte Dame mit Zuversicht; »Gott ist gütig und wird Dich nicht verlassen.«

»Hoffen! Was sagt Ihr mir da, Mutter? Seit zwei Tagen ist von mir und meinen Freunden selbst das Unmögliche versucht worden – umsonst. Hoffen! Und in einigen Stunden kömmt jener Elende wieder, um die ersehnte Beute für sich anzusprechen! Lieber sterben, als Zeuge eines solchen Greuels sein.«

Donna Luz ließ einen eigenhümlich ausdrucksvollen Blick um sich gleiten, und mit einem wehmüthigen Lächeln, das um ihre Lippen spielte, legte sie ihm sanft ihre zarte Hand auf die Schulter.

»Treuherz,« fragte sie mit klarer melodischer Stimme, »liebt Ihr mich?«

Der Gefragte bebte und ein Schauder lief über seinen Körper.

»Wozu diese Frage?« entgegnete er in unsicherem Tone.

»Antwortet mir so unverholen, wie ich Euch frage. Die Stunde ist ernst – ich habe nur eine Gunst von Euch zu erbitten.«

»Oh, sprecht, Sennorita, Ihr wißt, daß ich Euch nichts abschlagen kann.«

»So antwortet mir,« entgegnete sie, selbst auch bebend; »liebt Ihr mich?«

»Heißt der Wunsch, für Euch das eigene Leben hinzugeben, Liebe? Ist die Qual, die ich empfinde, wenn ich in Eurem Auge eine Thräne sehe, und der Wunsch, sie mit meinem Herzblut zu sühnen, Liebe? Heißt es Euch lieben, wenn ich den Muth habe, Euch das Opfer vollbringen zu lassen, das man morgen zur Rettung Eures Onkels von Euch fordern wird? Ja, Sennorita; dann liebe ich Euch aus ganzer Seele. Sprecht nun ohne Furcht; was Ihr von mir verlangt, werde ich mit Freude erfüllen.«

»Gut, mein Freund, ich nehme Euch beim Wort,« erwiederte das Mädchen, »und werde Euch morgen, wenn dieser Mensch da ist, daran erinnern. Doch vorher muß mein Onkel gerettet sein, und müßte ich dafür mein Leben zum Opfer bringen. Ach, er ist mir ein Vater gewesen, hat mich wie eine Tochter geliebt und fiel nur um meinetwillen in die Hände der Banditen. Schwört mir, Treuherz, daß Ihr ihn befreien wollt,« fügte sie mit unaussprechlicher Angst bei.

Treuherz wollte eben antworten, als Belhumeur und der schwarze Elch in die Höhle traten.

»Endlich!« rief er, ihnen entgegen eilend.

Die drei Männer besprachen sich eine kleine Weile mit leiser Stimme; dann kehrte der Jäger hastig und mit strahlendem Gesicht zu den beiden Frauen zurück.

»Ihr habt Recht, Mutter,« rief er mit bewegter Stimme; »Gott ist gut und verläßt diejenigen nicht, die ihm vertrauen. Jetzt ist's an mir, zu sagen: Hoffet, Donna Luz; bald werde ich Euch Euren Onkel wiedergeben.«

»Oh!« rief das Mädchen hocherfreut; »wär's möglich?«

»Hoffet, wiederhole ich. Lebt wohl, Mutter, und betet zu Gott, daß er mir beistehe; denn nie war mir seine Hülfe mehr von Nöthen.«

Ohne ein weiteres Wort eilte Treuherz aus der Höhle, und ein Trapperhaufen folgte ihm.

»Was hat er damit sagen wollen?« flüsterte Donna Luz beklommen.

»Kommt, meine Tochter,« versetzte die alte Dame wehmüthig; »wir wollen für ihn beten.«

Sie zog sie sanft nach dem für die Frauen bestimmten Wohngelaß. In der Höhle waren nur etwa ein Dutzend Mann zurückgeblieben, welchen der Schutz der Damen oblag.


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