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VI.
Der letzte Angriff.

Die hinter den Verschanzungen aufgestellten Lanceros hatten die Räuber scharf empfangen. Erbittert durch den Tod des Capitäns Aquilar war der General, welcher wohl einsah, daß man von solchen Feinden keine Schonung erwarten durfte, zum äußersten Widerstand entschlossen; er wollte lieber sterben, als in ihre Hände fallen.

Die Mexikaner bestanden mit Einschluß der Frauen, des Kerns und der Führer, auf die man übrigens kaum zu zählen wagt, aus siebzehn Köpfen, während die Räuber wenigstens dreißig Mann stark waren; aber dieses nummerische Mißverhältniß zwischen Belagerten und Belagerern wurde wieder durch die Oertlichkeit des Lagers und das Chaos von Felsblöcken auf der Höhe ausgeglichen.

Der Hauptmann Waktehno hatte sich über die Schwierigkeiten des Angriffs keiner Selbsttäuschung hingegeben und dabei namentlich auf die Wirkung eines unvorhergesehenen Ueberfalls und auf den Verrath der Amsel gerechnet. Jetzt aber rissen ihn die Umstände und die Wuth über die Störung, welche Capitän Aquilar in seinen Plan brachte, mit sich fort, so daß er auf jede Gefahr hin den Angriff befahl.

Als indeß die erste Aufwallung sich gelegt hatte und er seine Leute, ohne Rache und ohne einen Fuß breit Boden zu gewinnen,wie reife Früchte um sich her fallen sah, beschloß er die Belagerung in eine Blokade umzuwandeln, indem er hoffte, entweder durch einen kühnen nächtlichen Handstreich seinen Zweck zu erreichen oder schlimmsten Falls die Eingeschlossenen allmälig durch Hunger mürbe zu machen. Er glaubte nämlich, daß es ihnen unmöglich sei, Beistand in der Prairie zu finden, wo man nur gegen die Weißen feindlich gesinnte Indianer oder auch Jäger und Trapper traf, von denen nicht zu erwarten stand, daß sie sich in Dinge mischen würden, die sie nichts angingen.

Nachdem dieser Entschluß einmal gefaßt war, beschloß der Hauptmann, ihn unverzüglich auszuführen. Er schaute umher. Die Lage war noch immer die gleiche; trotz der übermenschlichen Anstrengungen, den steilen Abhang zu erklettern, welcher zu den Verschanzungen führte, hatten die Räuber keinen Schritt Boden gewonnen. So oft sich ein Mann ungedeckt zeigte, jagte ihn eine mexikanische Büchsenkugel köpflings wieder den Berg hinab. Der Hauptmann gab das Zeichen zum Rückzug, indem er das Geschrei eines Prairiehundes nachahmte und alsbald wurde der Kampf eingestellt.

Die Banditen sammelten sich in einer etwa einen Büchsenschuß vom Lager entfernten Schlucht. Ihr Verlust war so bedeutend gewesen, daß man statt der vierzig nur noch neunzehn-Mann zählte, während die Mexikaner mit Ausnahme des Capitäns Aquilar weder Todte noch Verwundete hatten.

Der Abgang von mehr als der Hälfte ihrer Mannschaft machte die Räuber nachdenklich. Die Mehrzahl war für den Rückzug; sie wollte nichts mehr von den Vortheilen eines Unternehmens, das von so vielen ernstlichen Schwierigkeiten und Gefahren begleitet war.

Auch der Hauptmann theilte den Kleinmuth seiner Kameraden, und hätte sich's nur um die Erwerbung von Geld und Diamanten gehandelt, so würde er ohne Säumen von seinem Plan abgestanden sein; aber ein kräftiger Sparn trieb ihn zu weiterem Handeln an und bewog ihn, das Abenteuer bis auf's Aeußerste zu verfolgen, was auch für ihn daraus erwachsen mochte.

Der Schatz, den er anstrebte und der für ihn einen unberechenbaren Werth besaß, war Donna Luz, die er schon einmal aus den Händen seiner Raubgesellen befreit hatte und für die er in heißer Liebe entbrannt war. Seit dem Aufbruch von Mexiko folgte er ihr Schritt für Schritt und erspähte gleich einem Raubthier jede Gelegenheit, sich des Preises zu bemächtigen, für dessen Besitz ihm kein Opfer, keine Schwierigkeit, keine Gefahr zu groß schien. Auch sparte er keine Ueberredung, um seine Spießgesellen bei sich zu behalten, ihren Muth zu beleben und sie zu einem neuen Versuche zu spornen.

Dies hielt freilich schwer; denn die Tapfersten waren gefallen und die Ueberlebenden fühlten wenig Lust, sich einem ähnlichen Schicksal auszusetzen. Doch gelang es endlich seinen Bitten und Drohungen, ihnen das Versprechen zu entringen, daß sie noch bis zum Morgen bleiben und in der Nacht einen entscheidenden Schlag versuchen wollten.

Nach dieser Uebereinkunft befahl Hauptmann Waktehno seinen Leuten, sich möglichst gut zu verbergen und namentlich nicht ohne Weisung von der Stelle zu gehen, was auch die Mexikaner treiben möchten. Er hoffte damit die Belagerten auf den Glauben zu bringen, daß die Räuber durch die ungeheuren Schwierigkeiten entmuthigt worden und abgezogen seien.

Dieser Plan war gut ersonnen und erreichte auch nahezu den an seinem Urheber beabsichtigten Zweck. Die rothe Glut der untergehenden Sonne färbte mit ihren letzten Strahlen die Spitzen der Bäume und Felsen; der Abendwind wehte erfrischend über die Landschaft und das Gestirn des Tages verbarg sich hinter dem purpurrothen Gewölke. Die Stille wurde nur noch durch das heisere Geschrei der Raubvögel unterbrochen, welche sich mit wilder Gier um die zerfetzten Leichname stritten.

Der, General, welchen dieser Anblick schmerzlich bewegte, gedachte des Capitäns Aquilar, dessen Heldentod sie alle ihre Rettung verdankten und der einer gleichen Entweihung ausgesetzt war. Er wollte die Leiche des Tapferen um jeden Preis bergen und in einer ordnungsmäßigen Beerdigung dem unglücklichen jungen Mann, welcher nicht gezögert hatte, sich für ihn zu opfern, die letzte Huldigung zu Theil werden lassen.

Donna Luz, der er sein Vorhaben mittheilte, erkannte wohl die damit verbundenen Gefahren, hatte aber nicht die Kraft, demselben zu widerstreben. Der General wählte deshalb vier entschlossene Männer aus, stieg mit ihnen über die Verschanzungen und suchte die Stelle auf, wo die Leiche des unglücklichen Capitäns lag.

Die Leiche des jungen Mannes war bald aufgefunden. Sie lag halb mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt; die eine Hand hielt eine Pistole, die andere den Säbel. Das Haupt war nicht gesenkt, der Blick starr und selbst im Tode noch schien über den Lippen ein Lächeln zu schweben, das dem Feinde Hohn bot. Der Körper selbst zeigte zahllose Wunden; in Folge eines Zufalls aber, den der General mit Freude bemerkte, war er bisher von den Raubvögeln unangetastet geblieben.

Die Lanceros bedienten sich der gekreuzten Gewehre als einer Tragbahre und schafften den Leichnam nach dem Lager zurück. Der General folgte den Trägern in kurzer Entfernung und hielt dabei ein wachsames Auge auf das Gebüsch. Doch nichts rührte sich. Ringsum herrschte die tiefste Ruhe.

Die Nacht brach mit der gewöhnlichen Raschheit ein. Alle Blicke waren auf die Lanceros gerichtet, welche den todten Offizier brachten und Niemand achtete der zwanzig Schattengestalten, welche lautlos durch die Felsen glitten und allmälig auf das Lager zukamen, in dessen Nähe sie sich versteckten und flammende Blicke auf die Vertheidiger warfen.

Der General ließ die Leiche auf ein in der Ecke hergerichtetes Ruhebett legen, ergriff einen Spaten und half selbst die Grube graben, in welcher der Capitän beigesetzt werden sollte. Die Lanceros standen, auf ihre Gewehre gestützt, um ihn her. Nachdem er das Haupt entblößt hatte, öffnete er ein Gebetbuch und las mit lauter Stimme die Gebete für die Todten, während seine Nichte und die übrigen Anwesenden mit Andacht respondirten.

Es lag etwas Großartiges und Rührendes in dieser einfachen Feierlichkeit mitten in der Wildniß, deren tausend geheimnißvolle Stimmen gleichfalls ein Gebet zu bilden schienen und Angesichts der erhabenen Natur, in welcher Gottes Finger so ersichtlich zu erkennen waren. Denken wir uns den weißhaarigen Greis, den Leichengottesdienst haltend für einen jungen Mann, der noch vor wenigen Stunden voll Leben war, um ihn her in tiefem Schmerze das junge Mädchen und die leidtragenden Soldaten, welche vielleicht bald dem gleichen Schicksal anheim fielen, aber gleichwohl ruhig, ergebungsvoll und mit Innigkeit für den Hingeschiedenen beteten. Dazu das erhebende Gebet im tiefen Schatten der Nacht, begleitet von dem Aechzen des Windes, der durch die Aeste fegte.

Es fiel nichts vor, was die Erfüllung dieser letzten Pflicht gestört hätte. Nachdem jeder der Umstehenden dem Todten noch einmal ein wehmüthiges Fahrwohl zugerufen hatte, wurde er, von seinem Mantel umhüllt, in die Grube versenkt. Man legte ihm seine Waffen an die Seite und füllte das Grab mit Erde. Ein vergänglicher kleiner Hügel bezeichnete die Stelle, wo für die Ewigkeit die Leiche eines Menschen ruhte, dessen ungekannter Heldenmuth durch edle Hingebung Diejenigen rettete, welche seiner Sorge ihr Wohl anvertraut hatten. Die Versammelten gingen mit dem Gelübde, seinen Tod zu rächen oder sein Beispiel nachzuahmen, von der Beerdigungsstätte weg.

Inzwischen war es finstere Nacht geworden. Der General machte seine letzte Runde, um sich zu überzeugen, daß die Schildwachen auf ihren Posten standen, wünschte seiner Nichte gute Nacht und legte sich vor dem Zelteingang zum Schlafen nieder.

Drei Stunden verschwanden in der größten Ruhe; dann aber stiegen dämonengleich neunzehn Mann schweigend über die Verschanzungen. Noch eh' die durch den plötzlichen Angriff überraschten Schildwachen Widerstand zu leisten vermochten, waren sie schon ergriffen und niedergemetzelt. Die Räuber hatten sich des Lagers bemächtigt und mit-ihnen war Mord und Plünderung eingezogen.


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