Hans Christian Andersen
Der Improvisator
Hans Christian Andersen

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Santa. Der Ausbruch. Alte Verhältnisse.

Am nächsten Morgen war ich Federigo gegenüber ein neugeborener Mensch; ich konnte meine Freude aussprechen, was ich den Abend vorher nicht vermochte. Das Leben um mich her kam mir freundlicher vor, ich fühlte mich älter, schien durch den Beifallsthau, der auf meinen Lebensbaum gefallen war, gereifter zu sein. Santa mußte ich einen Besuch abstatten, sie hatte mich ja gestern Abend gehört, ich sehnte mich danach, auch ihr Lob, welches mir nicht fehlen würde, einzusaugen. Maretti empfing mich voller Begeisterung, aber Santa hatte, nachdem sie aus dem Theater gekommen war, die ganze Nacht stark gefiebert. In diesem Augenblicke schliefe sie, aber der Schlaf würde sie gewiß stärken, und ich mußte versprechen gegen Abend wieder zu kommen. Den Mittag verlebte ich mit Federigo und meinen neuen Freunden, Gesundheit wurde auf Gesundheit getrunken, dem weißen Lacrimä Christi folgte der Kalabreserwein, ich wollte nicht mehr trinken, mein Blut brannte, der Champagner sollte kühlen. Munter und heiter trennten wir uns; als wir auf die Straße hinauskamen, glänzte förmlich die Luft infolge des Ausbruchs des Vesuvs und des starken Lavastroms. Mehrere fuhren bereits hinaus, um das furchtbar schöne Schauspiel der Natur anzusehen. Ich ging zu Santa, es war erst kurz nach dem Ave Maria. Sie wäre ganz allein und befände sich weit besser, sagte die Magd, der Schlaf hätte sie gestärkt; ich dürfte gewiß eintreten, aber niemand sonst.

Ein hübsches gemütliches Zimmer mit langen dichten Vorhängen vor den Fenstern, eine schöne Marmorstatue des Amor, welcher seine Pfeile schärfte, eine argantische Lampe, deren Licht dem Ganzen ein magisches Kolorit verlieh, war das erste, was ich sah. Santa lag in einem leichten Nachtgewande auf dem weichen seidenen Sofa. Sie richtete sich, während ich eintrat, halb in die Höhe, hielt mit der einen Hand die Decke um sich und streckte mir die andere entgegen.

»Antonio!« rief sie, »es ging ja herrlich; glücklicher Mensch! Alle haben Sie hingerissen! O, Sie wissen nicht, wie besorgt ich Ihrethalben war, wie mein Herz klopfte, und wie selig ich wieder aufatmete, als Sie in solcher Weise meine höchste Erwartung übertrafen.«

Ich verbeugte mich vor ihr, fragte nach ihrer Gesundheit, sie reichte mir die Hand und versicherte, daß es besser wäre. – »Ja weit besser!« sagte sie und fügte hinzu: »Sie sehen auch wie neugeboren aus. Sie waren schön, sehr, sehr schön! Als die Begeisterung Sie hinriß, sahen Sie idealisch aus. Sie waren es, den ich in jedem Gedichte sah. Unter dem kleinen Knaben mit dem Maler in den Katakomben dachte ich mir Sie und Federigo.«

»So war es auch!« rief ich, »ich selbst habe erlebt, was ich sang.«

»Ja,« erwiderte sie, »alles haben Sie selbst erlebt, der Liebe Glück, der Liebe Schmerz; möchten Sie so glücklich werden, wie Sie es verdienen!«

Ich sagte ihr, welche Veränderung allem Anscheine nach in meinem ganzen Wesen vor sich gegangen wäre, wieviel freundlicher das Leben mir jetzt lächelte, und sie ergriff meine Hand und schaute mir mit ihrem dunklen ausdrucksvollen Auge bis in die Seele. Sie war schön, schöner als gewöhnlich, eine feine Röte glühte auf ihren Wangen, das schwarze glänzende Haar, aus der schön gebildeten Stirne glatt zurückgekämmt, floß in reichen Wellen hinab. Der üppige Wuchs zeigte das Bild einer Juno, schön, wie nur ein Phidias es zu bilden vermochte.

»Ja, für die Welt müssen Sie leben,« sagte sie, »Sie sind ihr Eigentum, Millionen werden Sie erfreuen und entzücken, lassen Sie deshalb den Gedanken an eine Einzelne nicht störend in Ihr Glück greifen; Sie sind der Liebe wert, Sie reißen hin durch Ihren Geist, durch Ihr Talent, durch« – – Sie zog mich auf den Diwan an ihre Seite nieder. – »Wir müssen ernstlich reden, wir haben ja seit jenem Abende, wo der Kummer so schwer auf Ihrer Seele lag, nicht recht zusammen reden können. – Sie schienen damals, ja wie soll ich es nennen – Sie schienen mich mißverstanden zu haben. –«

Das hatte mein Herz auch, und oft hatte ich es mir vorgeworfen. »Ich bin Ihrer Güte nicht wert,« rief ich, einen Kuß auf ihre Hand drückend, und schaute ihr mit Reinheit in Blick und Gedanken in das dunkle Auge. Und doch brannte ihr Blick, während er ernst, fast möchte ich sagen durchbohrend auf mir ruhte. Hätte uns ein Fremder gesehen, würde er da Schatten gefunden haben, wo nur Licht und Reinheit war. Es war, mein Herz wenigstens konnte das laut aussprechen, als ob sich hier Bruder und Schwester, Augen und Gedanken begegneten.

Sie war selbst bewegt, ich sah ihre Brust sich stark heben, sie löste eine Schleife, um freier zu atmen. »Sie sind meiner wert!« sagte sie, »Geist und Schönheit sind jedes Weibes wert,« Sie legte ihren Arm um meine Schulter und schaute mir ins Auge und mit einem unendlich vielsagenden Lächeln fuhr sie fort: »Und ich konnte glauben, daß Sie nur in einer Idealwelt träumten, Feinheit und Klugheit besitzen Sie, und diesen folgt der Sieg, Deshalb brannte das Fieber in meinem Blute, deshalb war ich krank, – Sie können alles mit mir anfangen, Antonio! Ihr Kuß, Ihre Liebe ist mein Traum, mein Gedanke!« Sie drückte mich fest an ihre Brust, ihre Lippen glühten wie Feuer, welches auch in mein Blut, in meine Seele, in mein Herz überströmte – –. Ewige Mutter Gottes! Dein heiliges Bild stürzte da plötzlich von der Wand mir gerade auf den Kopf. Es war nicht Zufall, nein, du berührtest meine Stirne, ergriffest mich, als ich in den Malstrom der Leidenschaft hinabsinken wollte.

»Nein, nein!« schrie ich und sprang auf, mein Blut war wie siedende Lava.

»Antonio!« rief sie, »töte mich, töte mich, aber verlaß mich nicht!« – Ihre Wangen, ihre Augen, Blick und Ausdruck, alles war Leidenschaft, und doch war sie so schön, ein mit Flammen gemaltes Schönheitsbild. Ich fühlte ein Zittern in allen meinen Nerven, und ohne Antwort verließ ich das Zimmer und flog die Treppen hinab, als ob mich ein böser Geist verfolgte.

Auch draußen flammte alles wie in meinem Blute; der Luftstrom wogte mir Wärme entgegen, der Vesuv stand in glühendem Feuer, die Ausbrüche erleuchteten alles weit und breit. Luft, Luft verlangte mein Herz; ich eilte nach dem Molo, der Schiffsbrücke, hinab, eilte nach dem offenen Meerbusen und unmittelbar dort, wo die Brandung sich brach, setzte ich mich nieder. Blutrot unterliefen mir die Augen, ich kühlte meine Stirn mit dem salzigen Seewasser und riß mir den Rock auf, damit jeder Luftzug mir Kühlung bringen könnte; aber alles war Flamme, das Meer selbst leuchtete im Widerscheine der glühenden Lava, die sich den Berg hinabwälzte, wie Feuer. Wohin ich sah, stand sie mit Flammen gemalt vor mir und schaute mir mit dem flehenden brennenden Feuerblicke bis in die Seele. »Töte mich, aber verlaß mich nicht!« klang es mir vor den Ohren. Ich hielt mir die Ohren zu, richtete meine Gedanken auf Gott, aber sie sanken zurück, es war, als ob ihnen die Flamme der Sünde die Flügel versenkt hätte. Ein böses Gewissen muß uns zerschmettern können, wenn schon ein sündiger Gedanke unsern Mut und unsere Stärke zu lähmen vermag.

»Wünschen Eccellenza ein Boot nach Torre del Annunziata?« sagte eine Stimme dicht neben mir, und der Name Annunziata jauchzte wieder Bewegung in meine Seele.

»Der Lavastrom schreitet drei Ellen in der Minute fort,« sagte der Mann, der mit dem Ruder sein Boot dicht am Lande hielt. »In einer halben Stunde könnten wir dort sein.«

»Das Meer wird Kühlung bringen,« dachte ich und sprang in das Boot. Der Schiffer stieß vom Lande ab, hißte das Segel auf, und nun flogen wir, wie vom Winde getragen, über das blutrote glühende Wasser hin. Ein frischer Wind wehte mir um die Wangen, ich atmete freier und fühlte mich ruhiger und besser, als wir auf der andern Seite des Meerbusens ans Land stießen. »Nie will ich Santa mehr sehen!« beschloß ich fest in meinem Herzen; »fliehen will ich die Schlange der Schönheit, die mir die verbotene Frucht der Erkenntnis zeigt. – Tausende werden deshalb meiner spotten, aber lieber will ich das Hohngelächter derselben ertragen als den Jammerschrei meines Herzens vernehmen. Die Madonna ließ ihr heiliges Bild von der Wand fallen, damit ich nicht fallen sollte.« Tief fühlte ich ihre beschirmende Gnade.

Eine wunderbare Freude durchströmte mich, alles Edle und Gute jubelte Siegeshymnen in meinem Herzen, ich war wieder Kind mit Seele und Gedanken. »Vater, lenke alles zu meinem Besten!« und frohen Mutes, als wäre mein Glück für ewig begründet, wanderte ich durch die Straßen des Städtchens auf die Landstraße hinaus.

Alles war in Bewegung, Wagen und Kabriolette voller Menschen jagten vorüber, man schrie, jubelte und sang, alles schien ringsum in hellen Flammen zu stehen. Der Lavastrom hatte eine der kleinen Städte erreicht, welche am Fuße des Berges liegen, die Familien flüchteten sich, ich sah Frauen mit kleinen Kindern an der Brust und einem Bündel unter dem Arme, hörte ihren Jammer und mußte mit den ersten die kleine Summe teilen, welche ich bei mir hatte. Ich folgte dem allgemeinen Strome zwischen den von weißen Mauern eingefaßten Weingärten hindurch den Berg hinauf. Alles drängte sich nach dem von dem Lavastrome bedrohten Orte hin. Eine große Anzahl Weingärten lag zwischen uns und der Lava, die mehrere Klaftern hoch sich gleich einem glühenden Feuermeere über Gebäude und Mauern vorwärts wälzte. Der Jammer der Flüchtenden, der Jubel der Fremden über den imponierenden Anblick, das Geschrei der Kutscher und Händler, die Gruppen betrunkener Bauern, die scharenweise um die Branntweinverkäufer standen, die Fahrenden und Reitenden, alles von dem Feuerschein beleuchtet, boten eine Scene dar, die es unmöglich ist getreu zu schildern. Man konnte an den Lavastrom, der seine bestimmte Richtung verfolgte, ganz nahe herantreten. Manche steckten Stöcke oder Geldmünzen hinein, die sie, in ein Lavastück eingeklemmt, wieder herausnehmen ließen. Furchtbar schön sah es aus, als sich ein Teil der Feuermasse infolge ihrer Höhe losriß, es glich der Brandung des Meeres. Das abgefallene Stück lag wie ein strahlender Stern außerhalb des Stromes. Die Luft kühlte zuerst die hervorstehenden Ecken und Ränder ab, die dadurch schwarz wurden, und das ganze Stück nahm sich nun wie strahlendes Gold in einem kohlschwarzen Netze aus. An einem der Weinstöcke hatte man ein Madonnabild aufgehängt, in der Hoffnung, daß das Feuer vor der Heiligen Halt machen wurde, aber in gleichmäßigem Gange schritt es vorwärts. Die Hitze versengte die Blätter an den hohen Stöcken, sie neigten ihre Kronen dem Feuer entgegen, als wollten sie um Gnade bitten. Erwartungsvoll ruhte mancher Blick auf dem Bilde der Madonna, aber der Stock neigte sich mit derselben tief vor dem glühenden Feuerstrom; nur wenige Ellen war derselbe noch entfernt. Da sah ich einen Kapuzinermönch dicht neben mir den Arm hoch erheben und hörte, wie er laut rief, daß das Bild der Madonna schon anfinge zu brennen, »Rettet sie, die euch von den ewigen Feuerflammen erretten will!« Alle aber bebten zurück und starrten entsetzt nach der Stelle hin. Da stürzte eine Frau hervor, rief den Namen der Madonna und eilte dem glühenden Tode entgegen, doch in demselben Augenblicke gewahrte ich, wie ein junger Offizier zu Pferde sie mit gezogenem Degen zurücktrieb, trotzdem das Feuer sich wie eine Bergwand dicht neben ihm erhob.

»Wahnsinnige!« rief er, »die Madonna bedarf deiner Hilfe nicht. Sie will, daß dies schlecht gemalte und von den Händen eines Sünders entweihte Bild im Feuer verbrennen soll!« Bernardo war es, ich erkannte seine Stimme; sein rascher Entschluß hatte ein Menschenleben gerettet, seine Rede ein Aergernis gehoben. Ich mußte ihn achten und wünschte von Herzen, daß wir nie getrennt worden wären. Noch fühlte ich, wie mein Puls schlug, ich hatte nicht Lust und Mut, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

»Antonio, bist du es!« hörte ich da auf einmal eine Stimme rufen. Zuerst glaubte ich, Bernardo wäre es; eine Hand drückte die meinige. Es war Fabiani, Eccellenzas Schwiegersohn, Francescas Gemahl, der mich als Kind gekannt hatte und mir nun nach dem erhaltenen Briefe ebenso zürnen mußte, wie die andern, mich ebenso, wie diese, verstoßen hatte.

»Prächtig, daß wir uns hier treffen müssen!« sagte er, »Wie wird Francesca sich freuen dich zu sehen. – Aber schön ist es von dir nicht, daß du uns nicht aufgesucht hast; wir sind ja schon seit acht Tagen in Castellamare.«

»Das ist mir völlig unbekannt!« erwiderte ich, »außerdem – –,«

»Richtig, du bist ja mit einem Male ein ganz anderer Mensch geworben, hast Liebeshändel gehabt und,« fügte er ernster hinzu, »sogar ein Duell, weshalb du förmlich desertiertest, etwas, dem ich durchaus nicht meinen Beifall schenken kann. Eccellenza hat es uns in wenigen Worten mitgeteilt, und wir waren sehr erstaunt darüber. Er hat dir doch gewiß geantwortet und wahrscheinlich nicht in den sanftesten Ausdrücken?«

Mein Herz klopfte stark, ich fühlte die Kette, mit der Wohlthaten mich einst gefesselt hielten, von neuem um mich geschlungen. Betrübt äußerte ich meinen Schmerz darüber, so gänzlich von ihnen allen verstoßen zu sein.

»Nein, nein, Antonio!« sagte Fabiani, »das kann nicht der Fall sein. Komm mit in meinen Wagen. Francesca soll heute Abend durch deine Anwesenheit überrascht werden. Wir können Castellamare bald erreichen, und im Gasthofe wird sich wohl ein Plätzchen für dich finden! Du mußt mir erzählen, was vorgefallen ist. Es ist eine Thorheit zu verzweifeln, Eccellenza ist heftig, du kennst ihn ja, aber alles wird wieder gut werden.«

»Nein, das kann es nicht!« entgegnete ich halblaut, wieder in meinen Kummer versinkend.

»Es muß und wird!« sagte Fabiani und führte mich nach seinem Wagen.

Ich mußte ihm alles erzählen. »Du improvisierst doch nicht?« fragte er lächelnd, als ich von meiner Flucht und von Fulvia in der Räuberhöhle erzählte.

»Es klingt so poetisch, als ob hierbei deine Phantasie und nicht deine Erinnerung die Hauptrolle spielte. – Streng, allzu streng!« sagte er, als er den Inhalt von Eccellenzas Brief vernahm, »aber du wirst ja wohl daraus erkennen, daß seine Strenge gerade aus seiner großen Liebe zu dir herrührt. Du bist doch nachher nicht auf einem Theater aufgetreten?«

»Gestern Abend!« erwiderte ich.

»Das ist in der That kühn von dir!« rief er. »Wie ging es denn?«

»Herrlich, glücklich!« versetzte ich mit froher Stimme. »Mir ward großer Beifall zu teil, zweimal wurde ich hervorgerufen.«

»Ist es möglich? Du machtest Glück?«

Es lag ein Zweifel in diesem Ausdruck, der mich tief verletzte. Mein Dankbarkeitsverhältnis band mir die Lippen. Ich fand bei dem Gedanken an das Zusammentreffen mit Francesca eine Art Verlegenheit, denn ich wußte ja, wie streng und ernst sie sein konnte. Fabiani tröstete mich halb scherzend damit, daß es ohne Buß- und Strafpredigt abgehen würde, obgleich mir eine solche nicht schaden könnte.

Wir langten vor dem Hotel an.

»Ach, Fabiani!« rief ein junger geputzter frisierter Herr, der uns entgegen kam, »gut, daß du kommst; deine Signora ist schon ungeduldig! – Ach!« rief er, indem er mich bemerkte, »du bringst den jungen Improvisator mit. Cenci, nicht wahr?«

»Cenci?« wiederholte Fabiani und sah mich verwundert an.

»Der Name, welchen ich auf dem Theaterzettel annahm,« erwiderte ich.

»So, so!« rief er, »nun, das war wenigsten« vernünftig.« »Wie vortrefflich versteht er von Liebe zu singen,« sagte der Fremde. »Du hättest gestern Abend in San Carlo sein sollen; was ist das für ein Talent!« Er reichte mir verbindlich die Hand und bezeugte mir seine Freude darüber, meine angenehme Bekanntschaft zu machen, »Ich speise heute Abend mit euch!« sagte er zu Fabiani, »ich lade mich selbst auf unsern vortrefflichen Sänger ein, und du und deine Frau, ihr werdet mir hoffentlich den Zutritt nicht verwehren.«

»Du bist, wie du weißt, stets willkommen!« versetzte Fabiani.

»Aber so stelle mich dem fremden Herrn doch vor!«

»Der Ceremonien bedarf es hier nicht,« entgegnete Fabiani; »er und ich, wir kennen einander ganz genau; meine Freunde brauchen ihm nicht vorgestellt zu werden. Es wird ihm eine große Ehre sein, deine Bekanntschaft zu machen,«

Ich verneigte mich, fühlte mich aber mit Fabianis Weise sich auszudrücken nicht völlig zufrieden.

»Nun, so muß ich mich selbst vorstellen,« sagte der Fremde. »Sie habe ich schon die Ehre zu kennen, mein Name ist Gennaro, ich bin königlicher Gardeoffizier und,« fügte er lächelnd hinzu, »von guter neapolitanischer Familie. Viele,« fuhr er fort, »geben ihr sogar Nummer eins. Es kann leicht richtig sein; besonders thun sich meine Tanten viel darauf zu gute. Unendlich erfreut bin ich, einen jungen Mann kennen zu lernen, dessen außerordentliches Talent, dessen – –«

»Still doch, still!« unterbrach ihn Fabiani, »er ist an dergleichen nicht gewohnt! Nun kennt ihr ja einander, Francesca wartet; es steht eine Versöhnungsscene zwischen ihr und deinem Improvisator bevor. Vielleicht kannst du Gelegenheit bekommen, deine Beredsamkeit zu zeigen.«

Ich wünschte, er hätte das nicht gesagt, aber es waren ja Freunde, wie konnte Fabiani sich in meine peinliche Lage versetzen. Er führte uns zu Francesca hinein, unwillkürlich hielt ich mich einige Schritte zurück.

»Endlich, mein vortrefflicher Fabiani!« rief sie, »endlich!«

»Endlich!« wiederholte er, »und dazu bringe ich zwei Gäste mit.«

»Antonio!« rief sie laut und ihre Stimme sank wieder, »Signore Antonio.« Sie richtete einen strengen ernsten Blick auf mich und auf Fabiani. Ich verneigte mich und wollte ihr die Hand küssen, aber sie schien es nicht zu bemerken, reichte sie Gennaro und äußerte, wie lieb es ihr wäre, ihn beim Abendessen zu sehen, »Erzähle mir von dem Ausbruche des Vesuv,« begann sie, »hat der Lavastrom seine Richtung verändert?«

Fabiani erzählte, was er gesehen, und schloß damit, daß er mich dort getroffen, daß ich sein Gast wäre, und Gnade für Recht ergehen müßte.

»Ja,« rief Gennaro, »zwar weiß ich nicht, worin er sich versündigt hat, aber dem Genie muß man alles verzeihen.«

»Sie sind in Ihrer gewöhnlichen vortrefflichen Laune,« sagte sie und nickte mir nun recht gnädig zu, während sie Gennaro versicherte, sie hätte durchaus nichts zu vergeben. »Was bringen Sie sonst für Neuigkeiten?« fragte sie ihn, »Was melden die französischen Zeitungen? Wie brachten Sie den gestrigen Abend zu?«

Ueber die erste Frage ging er flüchtig dahin, die andere behandelte er mit desto größerem Interesse.

»Ich war im Theater und hörte den letzten Akt des Barbiers. Josephine sang wie ein Engel, aber wenn man Annunziata gehört hat, so kann einen niemand mehr befriedigen. Ich kam indes auch hauptsächlich, um den Improvisator zu hören.«

»Befriedigte er Sie?« fragte Francesca.

»Er übertraf meine, ja aller höchste Erwartung,« erwiderte er. »Ich sage das durchaus nicht, um ihm zu schmeicheln, und was kümmert er sich auch wohl um meine geringe Kritik; aber was war das für eine Improvisation! Er lebte und webte in seinem Gedichte und riß uns alle mit fort. Welch Gefühl! Welche Phantasie! Er sang von Tasso, von Sappho, von den Katakomben; es waren Gedichte, die aufbewahrt werden sollten!«

»Ein glückliches Talent, welches man nicht genug schätzen und bewundern kann,« sagt« Francesca, »Wäre ich doch dagewesen!«

»Aber wir haben ja den Mann bei uns,« sagte Gennaro und wies auf mich.

»Antonio!« rief sie fragend, »Er hat improvisiert?«

»Ja, wie ein Meister!« versetzte Gennaro; »aber Sie kennen ihn ja und müssen ihn also schon gehört haben,«

»Ja, recht oft,« entgegnete sie lächelnd; »wir bewunderten ihn schon als kleinen Knaben.«

»Ich bekränzte ihn sogar das erste Mal, als ich ihn hörte,« sagte Fabiani ebenfalls im Scherz. »Er besang meine Frau, als wir noch nicht verheiratet waren. Aber nun zu Tische! Du führst meine Francesca, und da wir weiter keine Damen haben, nehme ich den Improvisator, Signore Antonio! ich bitte mir deinen Arm aus.«

Er führte mich darauf hinter den andern her in das Speisezimmer.

»Aber du hast Cenci, oder wie sonst eigentlich unser junger Freund heißt, nie mir gegenüber erwähnt.«

»Wir nennen ihn Antonio,« sagte Fabiani, »wir hatten ja keine Ahnung davon, daß er als Improvisator auftreten wollte. Sieh, das war gerade die Ursache zu der erwähnten Versöhnungsscene. Du mußt wissen, er ist gewissermaßen ein Sohn des Hauses. Nicht wahr, Antonio?« Ich verneigte mich mit einem dankbaren Blicke. »Es ist ein vortrefflicher Mensch, an seinem Charakter ist nichts auszusetzen; aber er will nichts lernen.«

»Wenn er nun aber alles aus dem großen Buche der Natur herauszulesen vermag, weshalb ihm dann Hindernisse in den Weg legen?«

»Sie müssen ihn uns durch Ihre Lobsprüche nicht verderben,« sagte Francesca scherzend, »wir glaubten, er säße bei seinen Klassikern, studierte Physik und Mathematik, und statt dessen seufzt und schwärmt er für eine junge neapolitanische Sängerin.«

»Das beweist, daß er Gefühl hat,« sagte Gennaro. »War sie denn schön? Wie heißt sie?«

»Annunziata,« sagte Francesca: »ein seltenes Talent, eine ganz ausgezeichnete Frau,«

»In sie bin ich selbst verliebt gewesen, er hat einen guten Geschmack. Auf Annunziatas Wohl, Herr Improvisator!«

Er stieß mit mir an. Ich konnte kein Wort sagen; es schmerzte mich, daß Francesca so leicht meine Wunde vor einem Fremden entblößte, aber sie betrachtete ja freilich das Ganze von einer völlig andern Seite als ich.

»Ja,« fuhr sie fort, »er hat sich ihrethalben sogar duelliert, hat den Neffen des Senators, da sie Nebenbuhler waren, in der Seite verwundet, weshalb er die Flucht ergreifen mußte. Der Himmel mag wissen, wie er über die Grenze gekommen ist; und darauf tritt er noch auf San Carlo auf! Es ist im Grunde genommen eine Entschlossenheit und Kühnheit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte.«

»Der Neffe des Senators,« wiederholte Gennaro; »nun, das interessiert mich. Er ist dieser Tage hierher gekommen und in königliche Dienste getreten; ich bin eines Abends mit ihm zusammengetroffen. Ein schöner interessanter Mann – ach, nun begreife ich alles! Annunziata kommt bald her, ihr Liebhaber ist ihr vorangeflogen, hat sich hier festgesetzt, und bald werden wir wohl auf dem Zettel lesen, daß sich die Sängerin zum letzten, zum allerletztenmal hören läßt.«

»Sie glauben, er werde sich mit ihr verheiraten?« fragte Francesca. »Aber das würde doch ein Skandal für seine Familie sein.«

»Man hat Beispiele davon,« sagte ich mit bebender Stimme, »daß sich ein Edelmann durch die Hand einer Künstlerin geehrt und beglückt gefühlt hat.«

»Beglückt vielleicht,« unterbrach sie mich, »allein geehrt niemals.«

»Ja, meine gnädige Signora!« ergriff Gennaro das Wort; »ich würde mich geehrt fühlen, falls sie mich wählte, und dasselbe traue ich auch jedem andern zu.«

Sie redeten viel, recht viel von ihr und Bernardo; sie vergaßen, wie schwer mir jedes Wort auf das Herz fiel.

»Aber Sie müssen uns mit einer Improvisation erfreuen! Signora wird Ihnen ein Thema aufgeben.«

»Ja,« fügte Francesca lächelnd, »besinge uns die Liebe, das ist etwas, was Gennaro interessiert und worauf du dich verstehst.«

»Ja, Liebe und Annunziata!« rief Gennaro.

»Ein anderes Mal will ich alles thun, was Sie von mir verlangen,« sagte ich, »aber heute Abend ist es mir unmöglich. Ich befinde mich nicht ganz wohl; ohne Mantel fuhr ich über die See. Beim Lavastrom war es so warm, und darauf fuhr ich an dem kühlen Abend hierher.«

Gennaro bat mich inständig doch zu improvisieren! aber an dieser Stelle und über dieses Thema konnte ich mich nicht dazu überwinden.

»Er hat schon Künstlermanieren,« sagte Fabiani, »er will sich nötigen lassen. Willst du uns nicht lieber morgen nach Pästum begleiten, dort kannst du Stoff für deine Dichtungen finden! – Du solltest dich etwas kostbar machen. Es hält dich wohl schwerlich etwas in Neapel zurück.«

Ich verneigte mich verlegen, da es mir nicht gut möglich schien, eine abschlägige Antwort zu erteilen.

»Ja, er muß mit!« rief Gennaro, »und sobald er erst in den griechischen Tempeln steht, wird der Geist über ihn kommen, und er wird wie ein Pindar singen.«

»Wir reisen morgen,« fuhr Fabiani fort, »die ganze Fahrt ist in vier Tagen abgemacht. Auf dem Heimwege besuchen wir Amalfi und Capri. Du bist also dabei?«

Ein Nein hätte, wie die Zeit zeigen wird, vielleicht mein ganzes Schicksal verändert. Die vier Tage dieser kurzen Reise raubten mir, wie ich wohl behaupten darf, sechs Jugendjahre, Und der Mensch sollte frei sein? Ja freilich, wir können in die Fäden, die vor uns liegen, frei hineingreifen, aber wo sie befestigt sind, sehen wir nicht. Ich dankte, sagte ja und ergriff den Faden, der den Vorhang meiner Zukunft dichter zusammenziehen sollte.

»Morgen reden wir miteinander,« sagte Francesca, als wir uns nach Tische trennten, und sie reichte mir ihre Hand zum Kusse.

»Noch heute Abend schreibe ich an Eccellenza,« waren Fabianis Worte; »ich will die Versöhnungsscene vorbereiten.«

»Und ich will von Annunziata träumen!« rief Gennaro, »Ich werde doch deshalb keine Herausforderung bekommen?« fügte er lächelnd hinzu, indem er mir die Hand drückte.

Ich selbst schrieb ein Paar Worte an Federigo, erzählte ihm von meinem Zusammentreffen mit Eccellenzas Familie und daß ich sie einige Tage auf einem Ausfluge in die Nachbarstädte begleiten würde. Ich hatte den Brief beendet, tausend Gefühle bewegten meine Brust. Wie viel hatte mir dieser Abend nicht gebracht! Wie viele Begebenheiten durchkreuzten sich hier nicht!

Ich dachte an Santa, an Bernardo neben dem brennenden Madonnabilde; dachte der letzten Stunden in den alten Verhältnissen. Gestern hatte ich mir ein ganzes Publikum, welchem ich fremd war, Beifall zugejubelt, ich war bewundert und geehrt worden, noch diesen Abend hatte mich ein Weib, reich an Schönheit, um einen einzigen zärtlichen Blick angefleht, und wenige Stunden später stand ich unter Bekannten, unter Freunden, denen ich alles zu verdanken hatte, und war nur das arme Kind, dessen erste Pflicht Dankbarkeit war.

Aber Fabiani und Francesca waren ja liebenswürdig gegen mich gewesen; sie hatten den verlorenen Sohn wieder aufgenommen, mir einen Platz an ihrem Tische eingeräumt, mich auf morgen zu einer Lustreise eingeladen, hatten Wohlthat an Wohlthat gereiht, ich war ihnen lieb und weit – aber die Gabe des Reichen, mit leichter Hand gereicht, liegt schwer auf dem Herzen des Armen.


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