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Der Wagen rollte von dannen. Ich sah die grüne Brenta, die Trauerweiden, die schönen Villen und die fernen Berge; gegen Abend war ich in Padua. Die Kirche des heiligen Antonius mit ihren sieben Kuppeln begrüßte mich in dem hellen Mondenscheine. Es war lustig und lebendig unter den Bogengängen der Straßen, aber ich fühlte mich fremd und einsam. Beim Sonnenscheine wurde mir alles noch unbehaglicher. »Fort, weiter fort! Das Reiseleben ermuntert und verscheucht den Kummer!« So dachte ich und die Räder rollten weiter.
Ich fuhr durch eine große Ebene, aber sie war üppig grün wie die pontinischen Sümpfe. Die hohen Trauerweiden hingen wie riesige Kaskaden über die Gräben hinüber, überall standen Altäre mit dem heiligen Bilde der Madonna; einige derselben hatte die Zeit gebleicht, ja selbst ihre Seitenwände, die bei allen bemalt waren, lagen zum Teil in Ruinen da, aber an einzelnen Stellen standen auch neubemalte Bilder mit der Mutter und dem Kinde. Es fiel mir auf, daß der Vetturino seinen Hut nur vor den neuen Bildern lüftete, die alten und verbleichten schien er nicht zu bemerken. Das machte einen eigentümlichen Eindruck auf mich. Vielleicht legte ich mehr hinein, als in der That darin lag. Selbst das Heilige, das Reine, der Madonna eigenes Bild wurde übersehen und vergessen, weil die irdischen Farben verbleicht waren.
Ueber Vicenza, wo Palladios Kunst seinen Lichtstrahl in mein trauriges Herz warf, kam ich nach Verona, der ersten von allen Städten, die mir gefiel. Das Amphitheater führte meine Gedanken nach Rom zurück, erinnerte mich an das Kolosseum; es war ein schönes Abbild desselben in kleinerem Maßstabe, erkennbarer und von den Barbaren nicht verwüstet. Die geräumigen Bogengänge wurden als Packhaus benutzt und mitten in der Arena stand aus Brettern und Leinwand eine kleine Bretterbude aufgeschlagen, in der, wie man mir erzählte, eine Gesellschaft Vorstellungen gab. Ich ging am Abende hin; die Veronenser saßen auf den Steinbänken des Amphitheaters, wie einst ihre Urväter dort gesessen hatten. Auf diesem kleinen Theater wurde »la Generentola« aufgeführt. Es war dieselbe Truppe, der Annunziata angehört hatte. Aurelia führte die Hauptpartie der Oper aus. Alles gewährte einen elenden und jämmerlichen Anblick. Das alte antike Theater stand der zerbrechlichen unbedeutenden Bretterbude wie ein Riese gegenüber. Ein Kontrabaß übertäubte die wenigen Instrumente; das Publikum applaudierte und rief Aurelia heraus. Ich eilte hinaus. Draußen herrschte tiefe Stille. Das große Riesengebäude warf bei dem hellen Mondschein einen breiten dunklen Schatten.
Man erzählte mir von den Familien Capuletti und Montecchi, deren Streit zwei liebende Herzen schied, welche der Tod wieder vereinte, die Geschichte von Romeo und Julie. Man führte mich nach dem Palazza Capuletti, wo Romeo zum erstenmal seine Julie sah und mit ihr tanzte. Jetzt war das Haus eine Fremdenherberge. Ich stieg die Treppe hinauf, die Romeo zu Liebe und zu Tod hinaufgeschlichen war. Der große Tanzsaal war noch erhalten, aber die Farben der Wandgemälde waren verschossen; die großen Fenster reichten bis zum Fußboden hinab, allein längs den Wänden standen Kalktonnen, überall lag Heu und Stroh und in die Ecken hatte man Pferdegeschirre und Ackergerätschaften geworfen. Hier waren einmal Veronas stolzesten Geschlechter unter wogenden Tönen dahingeschwebt, hier hatten Romeo und Julie ihren kurzen Liebestraum geträumt. Tief fühlte ich, wie leer doch aller irdischer Glanz ist, fühlte, daß Flaminia das beste Teil erwählt und Annunziata erreicht hatte und ich pries meine Tote glücklich.
Mein Herz klopfte wie in Fieberhitze, ich hatte keine Ruhe. »Nach Milano!« dachte ich, »dort ist jetzt meine Heimat.« Und unaufhaltsam trieb es mich meinem Ziele entgegen. Noch vor Ende des Monats war ich da. Nein, in Venedig war es doch weit besser, weit heimischer. Ich fühlte mich allein und schloß doch keine Bekanntschaften, überreichte keinen der zahlreichen Empfehlungsbriefe, mit denen man mich versehen hatte.
Das riesengroße Theater mit seinen verhüllten Logen, die sich in sechs Reihen übereinander erheben, der ganze große Raum, welcher selten genug gefüllt ist, hatte für mich etwas Oedes und doch zugleich Bedrückendes. Ich war einmal darin und hörte Donizettis Torquato Tasso. Der hervorragendsten Sängerin, deren glückliches Lächeln ihre Freude über ihren Triumph zu erkennen gab und die wieder und wieder hervorgerufen wurde, glaubte ich als ein Unglück weissagender Magier eine Zukunft voller Elend prophezeien zu können. Ich wünschte ihr in diesem Momente ihrer Schönheit und ihres Glückes zu sterben, die Welt würde dann über sie, sie nicht über die Welt, weinen. Niedliche Kinder tanzten im Ballette mit, mein Herz blutete bei dem Anblicke ihrer Schönheit. Ich besuchte nie mehr das Theater La Scala.
Einsam streifte ich in der großen Stadt umher, durchwanderte die schattigen Straßen, allein saß ich auf meinem Zimmer und begann ein Trauerspiel »Leonardo da Vinci« zu dichten; hier hatte er gelebt, hier hatte ich sein unsterbliches Gemälde »Das Abendmahl« gesehen. Die Sage von seiner unglücklichen Liebe, von seiner Geliebten, von der ihn das Kloster geschieden hatte, wiederholte sich ja in meinem eigenen Leben. Ich gedachte Flaminias, Annunziatas und schrieb, was mein Herz mir eingab. Aber mir fehlte Poggio, mir fehlte Maria und Rosa. Ihre treue Sorge und Freundschaft fehlten gerade meinem Herzen. Ich schrieb, erhielt aber keine Antwort, auch Poggio hielt sein schönes Versprechen von Briefen, von Freundschaft keineswegs, er war wie alle andere, die wir Freunde nennen und an die wir uns beim Abschiede um so fester anschließen. Täglich ging ich nach Milanos Domkirche, diesem seltsamen Marmorberge, welcher den carrarischen Felsen abgewonnen ist. In dem hellen Mondscheine sah ich die Kirche zum erstenmal; blendend weiß erhob sich die obere Hälfte in die unendlich blaue Luft. Ringsumher, wohin ich nur schaute, ragten Marmorfiguren hervor, aus jedem Winkel, auf jedem Türmchen, womit das Gebäude wie übersäet ist. Das Innere des Doms blendete nicht mehr als das der Peterskirche; das geheimnisvolle Dunkel, der Lichtschimmer durch die bunten Scheiben, die eigentümlich mystische Welt, die sich hier offenbarte, ja, das war eine Kirche Gottes! Ich war schon einen Monat in Milano gewesen, als ich zum erstenmal das Dach der Kirche bestieg. Die Sonne brannte auf die leuchtende weiße Fläche, die Türme standen auf derselben, wie Kirchen und Kapellen auf einem mächtigen marmornen Marktplatze. Tief unter mir lag Milano; rundum enthüllten sich neue Statuen, Heilige und Märtyrer, welche mein Auge von der Straße aus nicht hatte erblicken können. Ich stand auf der obersten Spitze neben der mächtigen Christusbildsäule, die das ganze Riesengebäude krönt. Gegen Norden erhoben sich die hohen dunklen Alpen, gegen Süden die niedrigen bläulichen Appenninen und zwischen diesen dehnte sich eine ungeheure grüne Ebene aus, als wäre es Roms flache, in einen blühenden Garten verwandelte Campagna, Ich blickte nach Osten, wo Venedig liegen mußte. Ein Schwarm Zugvögel zog in einer langen Reihe, gleich einem flatternden Bande, dorthin: ich gedachte meiner dortigen Lieben, dachte an Poggio, Rosa und Maria und ein schmerzliches Gefühl erwachte in meiner Brust. Ich mußte mich der alten Erzählung erinnern, die ich als Kind gehört hatte, als ich mit meiner Mutter und Mariuccia vom Nemisee zurückkehrte, wo wir den Raubvogel gesehen hatten und Fulvia erschienen war. Damals erzählte Angelina von der armen Theresa in Olevano, die vor Kummer und Sehnsucht nach dem flinken Giuseppe, welcher auf seiner Wanderung nach Norden über das Gebirge gezogen war, dahinschwand; wie dann die alte Fulvia Kräuter in einer kupfernen Concha gekocht und sie mehrere Tage über glühenden Kohlen in kochendem Zustande erhalten hätte, bis Giuseppe von Sehnsucht ergriffen wurde und heim mußte, Tag und Nacht, ohne Ruhe und Rast, dahin zurück mußte, wo ihre Concha mit heiligen Kräutern und seiner und Theresas Haarlocke kochte. Ich fühlte jene magische Kraft in meiner Brust, die mich vorwärts zog; ein Gebirgsbewohner würde es Heimweh genannt haben, aber das konnte es bei mir nicht sein, denn Venedig war ja nicht meine Heimat. Ich war sehr angegriffen, fühlte mich krank und stieg vom Dache der Kirche hinab. Auf meinem Zimmer lag ein Brief an mich, er war von Poggio – endlich doch einmal ein Brief! Es schien, als ob er schon früher einen geschrieben hatte, den ich aber nicht erhalten. Alles stand in Venezia gut und glücklich, aber Maria war krank, sehr krank gewesen, sie hatten sich alle in großer Angst und Betrübnis befunden, jetzt aber wäre jede Besorgnis verschwunden, sie wäre wieder auf, wagte sich aber noch nicht hinaus. Darauf scherzte Poggio mit mir, fragte, ob mich noch keine junge Milaneserin gefesselt hätte und bat mich, den Champagnerwein und die Wette nicht zu vergessen. Er war so lebensfroh, so ausgelassen, der ganze Brief, völlig von meiner Gemütsstimmung verschieden und doch freute ich mich über ihn. Es war, als sähe ich den glücklichen ausgelassenen Poggio vor mir.
»Wie die Welt doch urteilen kann! Sie sagt, er trage sich mit einem tiefen geheimen Kummer, seine Lustigkeit sei nur ein Karnevalskleid – nein, es ist Natur! Sie sagt, Maria sei meine Braut und mein Herz ist doch weit davon entfernt, diesen Gedanken zu fassen. Ich sehne mich nicht mehr nach ihr als nach Rosa und von der alten Rosa sagte man doch nicht, daß ich sie liebte. O, wäre ich doch in Venedig, hier kann ich es nicht aushalten!« und abermals spottete ich über diese wunderbare Stimme in meiner Brust. Um mich zu zerstreuen, ging ich zum Thore hinaus über die Piazza d'Armi nach dem Triumphbogen Napoleons: Porta Sempione, wie er gewöhnlich genannt wurde. Hier waren die Arbeiter in voller Thätigkeit; ich ging durch die Gitterthür in dem niedrigen Bretterzaune, welcher den ganzen noch unvollendeten Prachtbau umschließt; zwei neue große Marmorpferde standen auf der Erde, das Gras wuchs hoch über das Fußgestell hinfort, ringsumher lagen Marmorblöcke und ausgehauene Kapitäler.
Ein Fremder stand mit seinem Führer unweit von mir und schrieb sich die Einzelheiten auf, die man ihm erzählte. Seinem Aussehen nach war es ein Mann von ungefähr dreißig Jahren. Er trug zwei neapolitanische Orden; als ich an ihm vorüberging, blickte er nach dem Bogen in die Höhe – ich erkannte ihn, es war Bernardo. Er hatte mich ebenfalls bemerkt, lief auf mich zu, drückte mich in seine Arme und lachte laut. »Antonio, Dank für unser letztes Zusammentreffen! Das nenne ich mir einen lustigen Abend, dem es auch an dem Knalleffekt nicht fehle! Wir sind doch hoffentlich noch immer Freunde?«
Es ging mir eiskalt durch das Blut. »Bernardo!« rief ich, »im Norden Italiens, am Fuße der Alpen müssen wir einander wiedersehen!«
»Ja, und ich komme von den Alpen selbst, von Gletschern und Lawinen! Dort oben auf den kalten Bergen habe ich der Welt Ende gesehen!« Und er erzählte mir, daß er im heißen Sommer in der Schweiz gewesen wäre. Die deutschen Offiziere in Neapel hätten ihm so viel von der Größe und Erhabenheit des Schweizerlandes erzählt, daß er dem Wunsche, es zu sehen, nicht hätte wiederstehen können, zumal Genua, von wo es nicht mehr weit wäre, sich vermittelst des Dampfschiffes leicht und bequem erreichen ließe. Er wäre im Chamounythale gewesen und hätte den Montblanc und die Jungfrau bestiegen, la bella ragazza, wie er sie nannte. »Sie ist die kälteste, welche ich kenne!« fügte er hinzu.
Wir gingen miteinander nach dem neuen Amphitheater und sodann nach der Stadt, Er erzählte mir, daß er sich jetzt nach Genua begäbe, um dort seine Braut und ihre Eltern zu besuchen, daß er auf dem Sprunge stände ein ruhiger und gesetzter Ehemann zu werden, lud mich ein ihn zu begleiten und flüsterte mir dabei lachend in das Ohr: »Du erzählst von meinem zahmen Vögelchen, von unserer kleinen Sängerin und allen diesen Geschichten natürlich nichts! Nun hast du selbst gelernt, daß sie mit zu der Geschichte eines jungen Herzens gehören; meine Braut könnte sonst leicht Kopfschmerzen bekommen, und dazu habe ich sie doch zu lieb.« Es war mir unmöglich, in seiner Gegenwart Annunziatas zu erwähnen; ich fühlte, er hatte sie nie so wie ich geliebt.
»Begleite mich!« rief er. »Genua hat schöne Mädchen und nun bist du ja alt und vernünftig geworden und hast gewiß Sinn dafür. Neapel hat dich gebildet, nicht wahr? In drei Tagen gedenke ich zu reisen! Begleite mich, Antonio!«
»Leider reise ich morgen,« erwiderte ich unwillkürlich. Es war durchaus nicht meine Absicht gewesen, aber nun war es ausgesprochen.
»Wohin?« fragte er.
»Nach Venedig!« antwortete ich.
»Du mußt deinen Plan ändern!« bat er von neuem und bestürmte mich mit Bitten. Ich setzte ihm so lange die Notwendigkeit meiner Abreise auseinander, bis sich mir schließlich selbst die Ueberzeugung aufdrängte, daß ich fort müßte. Ich hatte keine Ruh' noch Rast und ordnete alles zu meiner Abreise, als ob es längst mein Entschluß gewesen wäre.
Es war der unsichtbare Lenker, Gottes wunderbare Vorsehung, welche mich von Milano führte. Unmöglich war es mir in der Nacht zu schlafen; in kurzen wilden Fieberträumen und in einem krankhaft wachen Zustande lag ich einige Stunden auf dem Bette. Nach Venedig! rief die Stimme in meiner Brust.
Ich sah Bernardo noch zum letztenmal, bat ihn, seine Braut zu grüßen und flog dann rastlos dorthin zurück, von wo aus ich vor zwei Monaten abgereist war.
Mitunter kam es mir vor, als hätte man mir Gift beigebracht, welches in meinem Blute gärte. Eine unerklärliche Angst trieb mich vorwärts – was mochte mir nur bevorstehen?
Ich erreichte Fusina, sah Venedig mit seinen grauen Mauern, dem Markusturme und den Lagunen wieder, und nun schwand auf einmal meine seltsame Unruhe, meine Sehnsucht und Angst. Ein andres Gefühl begann sich in mir zu regen, wie soll ich es gleich nennen: Scham über mich selbst, Mißvergnügen, Unzufriedenheit. Ich begriff nicht, was ich hier wollte, fühlte, wie thöricht ich gehandelt hatte, und bildete mir ein, daß alle es mir sagen müßten, alle mich fragen müßten: »Was willst du wieder in Venedig?«
Ich ging in meine alte Wohnung und kleidete mich schnell um. Rosa und Maria mußte ich sofort besuchen, so entkräftet und angegriffen ich mich auch fühlte. Was sie wohl zu meiner Ankunft sagen würden?
Die Gondel näherte sich dem Palaste. Was für seltsame Gedanken können nicht in einer Menschenbrust entstehen! Wenn du nun zu einer Lustbarkeit und einem Festmahle kämest? Wenn Maria Braut wäre? Wenn die Hochzeit gefeiert würde? Aber ich liebte sie ja nicht, hatte ich tausendmal zu mir selbst gesagt, tausendmal Poggio und jedem versichert, welcher diesen Gedanken aussprach.
Ich sah wieder die graugrünen Mauern, die hohen Fenster und mein Herz klopfte vor Sehnsucht. Ich trat ein, ernst und schweigend öffnete mir der Diener die Thür, äußerte bei meinem Kommen keine Verwunderung, es war, als beschäftigten ihn ganz andere Dinge. »Der Podesta ist immer für Sie zu Hause, Signore!« sagte er.
In dem großen Saale war es totenstill, die Gardinen waren vorgezogen. Hier hat Desdemona gelebt, dachte ich, hier litt sie vielleicht, und doch litt Othello schrecklicher. Wie kam ich dazu, an diese alte Geschichte zu denken? Ich ging nach Rosas Zimmer, auch hier waren die Gardinen herabgelassen; es war hier halb dunkel, und ich fühlte wieder jene sonderbare Angst, die mich auf der ganzen Reise bedrückt und nach Venedig zurückgeführt hatte. Ein Zittern ging durch alle meine Glieder, ich mußte mich festhalten. Da kam der Podesta, er drückte mich in seine Arme und war froh, mich wieder zu sehen. Ich fragte nach Rosa und Maria – da kam es mir vor, als ob er sehr ernst würde.
»Sie sind fort!« sagte er; »sie haben mit einer anderen Familie eine kleine Reise nach Padua gemacht. Morgen oder übermorgen kehren sie wieder zurück.«
Ich weiß nicht, woher es kam, aber ein Zweifel an seinen Worten stieg in mir empor; vielleicht war es das Fieber in meinem Blute, das wilde Fieber, welches mein Schmerz hervorgerufen und genährt hatte und welches sich jetzt seiner Reise näherte, um zum Ausbruch zu kommen. Das war es ja doch allein, das auf mein ganzes Seelenleben eingewirkt, die ganze Reise hierher zurück bewirkt hatte.
Beim Abendessen vermißte ich Rosa und Maria; der Podesta war gar nicht, wie er zu sein pflegte. Eine Rechtssache, meinte er, verstimmte ihn, allein sonst nichts von Bedeutung. »Poggios kann man auch nicht mehr habhaft werden. Alles Unglück kommt auf einmal zusammen und Sie sind zum Ueberfluß auch noch krank! Das ist mir eine lustige Soiree! Mag der Wein versuchen, uns in eine bessere Laune zu versetzen! – Aber Sie werden ja leichenblaß!« rief er plötzlich, und ich fühlte, daß alles mit mir im Ringe ging. Ich schwamm den Strom der Vernichtung hinab.
Es war ein Fieber, ein heftiges Nervenfieber.
Ich erinnere mich nur, daß ich die Empfindung hatte, mich in einem freundlichen halbdunklen Zimmer zu befinden; der Podesta saß bei mir, sagte, ich sollte bei ihm bleiben, ich würde dann bald wieder gesund werden, Rosa würde mich Pflegen, Marias erwähnte er nicht.
Mein Dasein war ein halb schlummernder, halb wacher Zustand. Später hörte ich sagen, die Damen wären angelangt. Ich sollte sie bald zu sehen bekommen, und Rosa sah ich auch wirklich, aber sie war traurig, es kam mir sogar vor, als ob sie weinte; meinetwegen konnte es schwerlich sein, denn ich fühlte mich bereits stärker. Es wurde Abend, eine ängstliche Stille herrschte überall und doch machte sich eine Art Bewegung und Aufregung bemerkbar. Man antwortete mir auf meine Fragen nicht deutlich, mein Ohr war jedoch scharf, ich hörte, daß viele Menschen in dem Saale unter uns hin und her gingen, hörte die Ruderschläge mehrerer Gondeln. Als ich halb schlummerte, erhielt ich Gewißheit; man glaubte, ich schliefe. Maria war tot. Poggio hatte mir ihre Erkrankung, aber auch zugleich ihre Wiederherstellung gemeldet, allein ein Rückfall hatte ihr den Tod gegeben. Heute Abend wurde sie begraben, was man mir jedoch verheimlichte. Maria tot, sie, die unsichtbare Mächte mit meinem Leben verflochten hatten! Ihretwegen hatte mich also diese seltsame Angst überschlichen, und nun kam ich doch zu spät, bekam sie nicht mehr zu sehen! Jetzt war sie in die Geisteswelt hinübergeschwebt, in die Welt, der sie stets angehört hatte. Rosa hatte gewiß ihren Sarg mit Veilchen geschmückt! Diese blauen duftenden Blumen liebte sie so sehr, jetzt schlummerte sie unter den Blumen. Ich lag wie im Todesschlummer unbeweglich still und hörte Rosa Gott dafür danken. Sie verließ mich sogar, kein einziger blieb bei mir im Zimmer; es war dunkler Abend, ich fühlte meine Kräfte wunderbar zurückkehren. In der Kirche Dei Frari befand sich, wie ich wußte, die Familiengruft des Podesta; dort stand während der Nacht die Verstorbene vor dem Altare. Ich mußte sie sehen – ich stand auf – mein Fieber war vorbei – ich war stark. Den Mantel warf ich um – niemand bemerkte mich; – ich stieg in die Gondel. Alle meine Gedanken weilten bei der Toten. – Die Kirchenthüre war verschlossen, denn das Ave Maria war längst vorüber. – Ich klopfte an die Thür des Küsters; er kannte mich, hatte mich früher mit dem Podesta in der Kirche gesehen und mir in derselben Titians und Canovas Gräber gezeigt. »Sie wollen die Verstorbene sehen?« fragte er und erriet meinen Gedanken. »Sie steht vor dem Altare in dem offenen Sarge, morgen soll sie in der Kapelle beigesetzt werden!« Er zündete die Laterne an, holte das Schlüsselbund und öffnete eine kleine Seitenthür; unsere Fußtritte hallten unter dem hohen schweigenden Gewölbe wieder. Er blieb zurück, und langsam schritt ich durch den langen stillen Gang; vor dem Madonnenbilde auf den Altären brannte eine Lampe, aber matt und dunkel. Die weißen Marmorstatuen um Canovas Grab standen wie Tote in ihren Leichentüchern, stumm, mit unsicheren Umrissen, da. Vor dem Hauptaltare brannten drei große Lampen. Ich fühlte keine Angst, keine Trauer, es war als gehörte ich selbst dem Totenreiche an und träte jetzt in meine eigentliche Heimat ein. Ich näherte mich dem Altare, hier duftete es nach Veilchen, der Lichtschimmer fiel von der Lampe auf den offenen Sarg der Verstorbenen hinab. Es war Maria, sie schien zu schlafen! Wie ein Marmorbild der Schönheitsgöttin lag sie mit Veilchen bedeckt. Das schwarze Haar war in einem Knoten über der Stirn zusammengebunden, und hielt ein Veilchenbouquet. Die geschlossenen Augen, das ganze Bild des Friedens und der Schönheit ergriff meine Seele; Lara war es, die ich sah, wie sie bei den Tempelruinen saß, als ich ihr den Kuß auf die Stirn drückte, aber eine tote Marmorstatue ohne Leben und Wärme. »Lara!« seufzte ich und sank vor dem Sarge nieder; »Lara! Im Tode redet dein geschlossenes Auge, deine stumme Lippe zu mir! Ich kenne dich, habe dich in Maria erkannt! Mein letzter Lebensgedanke ist mit dir erstorben!« Mein Herz machte sich in Thränen Luft, ich weinte, eine Thräne fiel auf das Angesicht der Leiche, und ich küßte die Thräne fort. »Alle verließen mich,« seufzte ich, »auch du, die letzte, von der mein Herz noch träumte! Nicht wie für Annunziata, nicht wie für Flaminia brannte meine Seele für dich! In heiliger Ehrfurcht neigte sich mein Herz vor dir! Geläuterte reine Liebe, wie die Engel sie fühlen, trug dir mein Herz entgegen, und ich hielt sie nicht für Liebe, denn sie war geistiger als mein sinnlicher Gedanke! – Nie bin ich mir selbst klar geworden, nie habe ich sie dir auszusprechen gewagt! – Lebe wohl, du, die letzte, die Braut meines Herzens. Selig sei dein Schlummer!« Ich drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Meine Seelenbraut, keinem Weibe reiche ich meine Hand! Lebe wohl, lebe wohl!« Ich zog meinen Ring ab, steckte ihn Lara an den Finger und hob mein Auge zu dem unsichtbaren Gotte über uns empor. Da durchrieselte ein plötzliches Grausen mein Blut, es kam mir so vor, als ob sich die Hand der Toten um die meinige klammerte – nein, es war eine Sinnestäuschung. Und doch! Ich starrte sie an, ihre Lippen bewegten sich, alles um mich her drehte sich, ich fühlte, daß sich mir die Haare auf dem Kopfe sträubten. Schrecken, Todesschrecken lähmten mir Arme und Füße; ich konnte mich nicht emporrichten. »Ich friere!« flüsterte eine Stimme hinter mir. »Lara! Lara!« rief ich, und alles war Nacht vor meinen Augen, aber es war, als ob die Orgel in weichen schmelzenden Tönen spielte. Eine Hand strich leise über meinen Kopf, Lichtstrahlen drangen mir in das Auge, alles wurde so klar, so hell.
»Antonio!« flüsterte Rosa, und ich sah sie. Die Lampe brannte auf dem Tische, vor meinem Bette lag eine knieende Gestalt und weinte. Ich erkannte sie, ich schaute die Wirklichkeit vor mir, all mein Schrecken war nur eine Folge des wilden Fiebers.
»Lara, Lara!« rief ich. Sie drückte die Hände vor die Augen. Was mochte ich wohl in meiner Fieberphantasie gesagt haben? Jenes Gesicht stand lebendig vor meiner Erinnerung, und in Marias Augen las ich, daß sie Zeuge meines Herzensbekenntnisses gewesen war.
»Das Fieber ist vorüber!« flüsterte Rosa.
»Ja, ich fühle mich so wohl, so wohl!« rief ich und sah Maria an. Sie erhob sich und wollte das Zimmer verlassen. »Gehen Sie nicht fort von mir!« bat ich und streckte die Hände nach ihr aus. Sie blieb und stand schweigend und errötend vor mir. »Ich träumte, Sie wären gestorben!« sagte ich.
»Es war ein Fiebertraum!« unterbrach mich Rosa und reichte mir die Medizin, welche mir der Arzt verschrieben hatte.
»Lara! Maria! Hören Sie mich!« rief ich. »Es ist kein Fiebertraum! Ich fühle, daß das Leben in mein Blut zurückgekehrt ist, mein ganzes Leben müßte sonst ein seltsamer Traum sein. Wir haben einander schon früher gesehen! Sie haben meine Stimme schon einmal bei Pästum, bei Capri gehört, Sie erkennen sie wieder! Lara, ich fühle es, das Leben ist so kurz, weshalb also in diesem kurzen Beisammensein einander nicht die Hand reichen!« Ich streckte ihr meine Hand entgegen, und sie drückte sie an ihre Lippen; »ich liebe dich, habe dich immer geliebt!« sagte ich, und sie lag schweigend und knieend vor mir.
»Liebe,« sagt die Mythe, »ordnet das Chaos, erschuf die Welt.« Vor den Augen jedes liebenden Herzens erneuert sich diese Schöpfung. Aus Marias Blicken sog ich Leben und Gesundheit. Sie liebte mich. Nach wenigen Tagen standen wir allein in der kleinen Stube, die von dem süßen Dufte des Orangenbaumes auf dem Balkon ganz erfüllt war. Hier hatte sie mir früher ihre schönsten Lieder vorgesungen; aber in weicheren Tönen, geistiger und tiefer klang hier das Geständnis des edelsten Herzens. Ich hatte mich nicht geirrt: Lara und Maria war ein und dieselbe.
»Ich habe dich immer geliebt,« sagte sie; »du sangst Sehnsucht und Trauer in mein Herz, als ich, blind und allein mit meinen Träumen, nur den Duft der Veilchen einatmete und die warme Sonne fühlte. Wie die Strahlen derselben, so brannte dein Kuß auf meiner Stirn, brannte in mein Herz hinein. Der Blinde besitzt nur eine Geisteswelt und in dieser schaute ich dich. In der Nacht nach deiner Improvisation im Neptuntempel bei Pästum hatte ich einen merkwürdigen Traum, der mit der Wirklichkeit eigentümlich verwebt war. Eine Zigeunerin hatte mir geweissagt, daß ich mein Augenlicht wieder erhalten würde. Im Traume hörte ich dieselbe sagen, ich sollte mit Angelo, meinem alten Pflegevater, über die See nach Capri fahren; in dem Hexenloche würde ich das Licht meiner Augen gewinnen, der Engel des Lebens würde mir die Kräuter reichen, wie Tobias sollten meine Augen Gottes Welt wiedersehen. In derselben Nacht träumte ich es zum zweitenmal, so daß ich mich entschloß Angelo alles zu erzählen, der jedoch ungläubig den Kopf dazu schüttelte. Am folgenden Morgen träumte er es selbst und sagte nun: »Die Macht der Madonna sei gepriesen, selbst die bösen Geister müssen ihr gehorchen!« Wir standen auf, er spannte das Segel aus und wir flogen über die See. Der Tag verstrich und es wurde Abend und Nacht, aber ich befand mich mitten in der wunderbaren Welt, hörte, wie der Engel des Lebens meinen Namen nannte und seine Stimme klang wie die deinige. Er gab mir die Kräuter und den Reichtum, große, in verschiedenen Ländern der Welt gesammelte Schätze. Wir kochten die Kräuter, aber kein Lichtstrahl drang in meine toten Augen. Da kam eines Tages Rosas Bruder nach Pästum, er kam auch in unsere Hütte, in der ich lag und durch meine Sehnsucht Gottes schöne Welt zu sehen auf das Tiefste erregt war. Er versprach, mir das Augenlicht wieder zu geben, nahm mich mit nach Neapel und ich sah des Lebens große Herrlichkeit. Er und Rosa gewannen mich lieb, sie öffneten mir eine andre schönere Welt, die des Geistes. Ich blieb bei ihnen und sie nannten mich nach einer lieben Schwester, welche in Griechenland gestorben war, Maria. Eines Tages brachte Angelo mir die reichen Schätze, sagte, sie gehören mir, der Tod schliche schon durch seinen Körper und er hätte seine letzte Kraft aufgeboten, um mir mein Eigentum zu bringen. In der That ging seine Ahnung in Erfüllung, ich sah ihn sterben, ihn, meiner Armut einzigen Beschützer. Eines Abends fragte mich Rosas Bruder in einem eigentümlich ernsten Tone nach meinem alten Pflegevater und seinen Reichtümern. Ich wußte nur, was er mir gesagt hatte, daß sie ein Geschenk des Geistes in der strahlenden Grotte wären. Ich wußte, daß wir stets in Armut gelebt hatten, ein Freibeuter konnte Angelo nicht gewesen sein, er war überaus fromm, jedes kleine Geschenk teilte er mit mir.«
Ich erzählte ihr darauf, wie seltsam die Abenteuer ihres Lebens in mein eigenes hineingriffen, wie ich sie mit dem Alten in der merkwürdigen Grotte gesehen hätte. Daß der Alte selbst die schwere Concha nahm, wollte ich nicht sagen, aber ich erzählte, daß ich ihr die Kräuter reichte.
»Allein,« rief sie, »der Geist sank in die Erde, als er mir die Kräuter reichte, so hat mir Angelo wenigstens erzählt!«
»Das ist ihm nur so vorgekommen! Ich war entkräftet, meine Füße vermochten mich nicht zu tragen, ich sank in die Kniee und endlich fiel ich leblos in das hohe Gebüsch hinein.«
Jene wunderbare strahlende Welt, in der wir uns trafen, war das Unauflösliche, der feste Knoten zwischen dem Uebernatürlichen und der Wirklichkeit.
»Unsere Liebe ist doch eine Geisteswelt!« rief ich, »zur Geisteswelt gingen alle unsere Lieben, ihr schweben wir in unserem Erdenleben mehr und mehr entgegen. Weshalb sollen wir also nicht an sie glauben, die gerade die große Wirklichkeit selbst ist!« und ich drückte Lara an mein Herz; sie war so schön wie damals, als ich sie zum erstenmal sah.
»Ich erkannte dich an der Stimme, als ich dich in Venedig wieder hörte,« sagte sie; »mein Herz trieb mich zu dir; ich glaube, selbst in der Kirche, vor der Mutter Gottes, wäre ich dir zu Füßen gesunken! Ich sah dich hier, lernte dich mehr und mehr schätzen und wurde zum zweitenmal in deinen Lebensgang hineingeführt, als mich Annunziata als deine Braut segnete. Aber du stießest mich zurück, sagtest, du könntest kein Weib mehr lieben, würdest keinem deine Hand reichen. Nie nanntest du Lara, Pästum oder Capri, wenn du von den sonderbaren Schicksalen deines Lebens sprachest. Da glaubte ich, du liebtest mich nicht, hättest vergessen, was deinem Herzen nichts galt.«
Ich drückte ihr den Kuß der Versöhnung auf die Hand und erzählte, wie eigentümlich ihr Blick meine Lippe gefesselt hätte. Erst als mein Körper schon in Todesbanden lag, als mein Geist in der Welt der Geister schwebte, an welche unsere Liebe so wunderbar geknüpft war, hätte ich gewagt, meine Herzensgedanken auszusprechen.
Kein Fremder, nur Rosa und der Podesta, kannten unser Liebesglück. Wie gern hätte ich es nicht Poggio mitgetheilt! Täglich hatte er mich während meiner Krankheit mehrmals besucht. Es kam mir vor, als ob er bleich aussähe, als ich endlich wieder aufkam und ihn in dem hellen Sonnenschein an mein Heiz drückte.
»Poggio, kommen Sie heute Abend zu uns!« sagte der Podesta; »aber kommen Sie auch bestimmt! Sie sehen nur die Familie, Antonio und noch drei Freunde.« Alles war festlich geschmückt.
»Das sieht ja aus, als sollte hier ein Namensfest gefeiert werden!« sagte Poggio, und der Podesta führte ihn und die Freunde nach der kleinen Kapelle, wo Lara mir die Hand reichte. Einen blauen Veilchenstrauß hatte sie in das dunkle Haar gesteckt. Das blinde Mädchen von Pästum stand sehend, doppelt schön vor mir. Lara war die Meinige.
Alle wünschten uns Glück, die Freude war groß, Poggio sang lustig und trank eine Gesundheit nach der anderen.
»Ich verlor die Wette,« sagte ich, »aber ich verlor sie gern, denn mein Verlust war mein Glücksgewinn!« und drückte einen Kuß auf Laras Lippen.
Wie brausende Töne erklang die Freude der Anderen; meine und Laras war stumm, schweigend wie die Nacht, die uns umarmte, als alle fort waren.
»Das Leben ist kein Traum,« fühlte ich. »Liebesglück ist Wirklichkeit!« rief ich, und Brust an Brust verloren sich die Gedanken in eine Seligkeit, welche nur ein Gott in die menschliche Brust hat hauchen können.
Zwei Tage darauf verließen wir mit Rosa Venedig. Wir gingen nach dem Gute, welches für Laras Vermögen gekauft war. Seit dem Hochzeitsabend hatte ich Poggio nicht gesehen. Jetzt kam ein Brief von ihm an; ich las ihn:
»Die Wette habe ich gewonnen und doch verloren!«
In Venedig war er nicht zu finden. Allmählich wurde meine Vermutung Gewißheit: er hatte Lara geliebt. Armer Poggio! Deine Lippe sang Freude, aber Todesgedanken erfüllten dein Herz.
Francesca fand Lara liebenswürdig, ich selbst hätte, darin waren alle einig, unendlich auf der Reise gewonnen. Sie, Eccellenza und Fabiani, alle billigten meine Wahl. Selbst Habbas Dahdah lächelte mit dem ganzen Gesichte, als er mir Glück wünschte.
Von alten Bekannten lebt noch Onkel Peppo; er sitzt nach wie vor auf der spanischen Treppe, wo er gewiß noch viele Jahre sein »bon giorno!« sagen wird.
Den sechsten März 1834 waren viele Fremde in Paganis Wirtshause auf der Insel Capri versammelt. Aller Aufmerksamkeit war auf eine junge Kalabreserin gelenkt, deren Schönheit sie fesselte. Ihr schönes dunkles Auge ruhte auf ihrem Manne, der ihr den Arm reichte. Lara war es in meiner Begleitung. Drei glückliche Jahre waren wir schon verheiratet gewesen und besuchten nun auf einer Reise nach Venedig die Insel Capri, wo unseres Lebens wunderbarstes Abenteuer sich ereignet hatte und sich auch auflösen sollte. In der Ecke des Zimmers stand eine alte Dame und hielt ihre Arme um ein kleines Kind. Ein fremder Herr, ziemlich groß und etwas blaß, mit kräftigen Zügen und in einen blauen Frack gekleidet, näherte sich dem Kinde, spielte mit ihm und war über dessen Schönheit entzückt. Er sprach französisch, aber zum Kinde einzelne italienische Worte, machte ihm lustige Sprünge vor, brachte es zum Lachen und es reichte ihm den Mund zum Kusse. Er fragte, wie es hieße, und die alte Dame, meine liebe Rosa war es, sagte: »Annunziata!« »Ein schöner Name!« erwiderte er und küßte die Kleine, mein und Laras Kind. – Ich näherte mich ihm; er war ein Däne. Es war noch ein Landsmann von ihm in der Stube, ein ernster kleiner Mann mit einem klugen Blicke; er trug einen weißen Frack. Ich grüßte sie, waren es doch Federigos und des großen Thorwaldsens Landsleute. Von jenem hörte ich, daß er sich in Dänemark befände, dieser jedoch noch in Rom weilte. Er gehört ja auch mehr Italien als dem kalten finsteren Norden an.
Wir gingen nach dem Ufer hinab und stiegen in die kleinen Boote, welche dazu bestimmt waren, die Fremden nach der anderen Seite der Insel herumzufahren. Jedes Boot faßte nur zwei Personen, an jedem Ende saß eine und der Ruderer in der Mitte.
Ich sah das klare Wasser unter uns; es brachte meiner Erinnerung mit seiner luftigen Klarheit einen freundlichen Gruß. Der Bootsmann legte sich in das Ruder und das Boot, in welchem ich mit Lara saß, flog pfeilgeschwind vorwärts. Wir kamen lange vor allen anderen an. Bald sahen wir die amphitheatralische Seite Capris, auf welcher grüne Weingärten und Orangenbäume die Felsen schmücken, nicht mehr; senkrecht stiegen jetzt die hohen Felsenwände zu den Wolken empor. Das Wasser war blau wie brennender Schwefel; die blaue Brandung schlug gegen die Felsen und über die blutroten Seeblumen fort, die am Fuße derselben wuchsen. Wir waren bereits auf der entgegengesetzten Seite der Insel und sahen nichts als den senkrechten Felsen und in demselben, dicht über dem Meeresspiegel, eine kleine Oeffnung, die für unser Boot nicht groß genug schien.
»Das Hexenloch!« rief ich und alle sich daran knüpfenden Erinnerungen erwachten in meiner Seele.
»Ja, das Hexenloch!« sagte der Ruderer; »so hieß es früher; aber jetzt weiß man, was es ist!« Er erzählte uns darauf von den beiden deutschen Malern, Fries und Kopisch, die vor drei Jahren gewagt hätten hineinzuschwimmen und so die überaus prächtige Grotte, welche jetzt alle Fremde sehen müßten, entdeckt hätten. Wir näherten uns der Oeffnung, die kaum mehr als eine Elle über das blaue leuchtende Meer emporragte. Der Ruderer zog das Ruder ein, wir mußten uns in das Boot legen, welches er von nun an mit der Hand lenkte und wir glitten in eine finstere Tiefe unter dem ungeheuren Felsen hinein, welchen das große Mittelmeer bespülte. – Ich hörte Lara schwer atmen; es hatte auch in der That etwas eigentümlich Beklemmendes; aber nur einen Augenblick und wir befanden uns in einem mächtigen großen Gewölbe, wo alles wie der Aether schimmerte. Das Wasser unter uns glich einem blauen brennenden Feuer, welches das Ganze beleuchtete. Nach allen Seiten war die Grotte fest begrenzt und geschlossen, aber unter dem Wasser verlängerte sich die kleine Oeffnung, durch welche wir segelten, vierzig Klafter tief bis auf den Meeresgrund und erweiterte sich dort zu derselben Breite. Das helle Sonnenlicht draußen konnte deshalb bis auf den Grund der Grotte hineinleuchten und der dadurch bewirkte eigentümliche Lichtglanz strömte nun wie ein Feuer durch das blaue Wasser, welches in brennenden Spiritus verwandelt schien. Wohin man nun blickte, sah man den Wiederschein; selbst das Felsengewölbe schien von Aether durchströmt und in denselben überzugehen. Die Tropfen, welche beim Ruderschlage in die Höhe spritzten, glänzten rot wie frische Rosenblätter. Es war eine Feenwelt, des Geistes eigentümliches Reich. Lara faltete die Hände, ihre Gedanken begegneten den meinen. Hier waren wir einmal gewesen, hier hatte der Seeräuber seinen Schatz verborgen, als niemand sich der Stelle zu nähern wagte. Nun hatte sich jedes übernatürliche Licht in Wirklichkeit aufgelöst oder die Wirklichkeit war in die Geisteswelt übergegangen, wie immer hier im Erdenleben,, wo alles, vom Samenkorn der Blume bis zu unserer unsterblichen Seele, ein Wunder ist und doch will der Mensch nicht daran glauben.
Die kleine Oeffnung der Grotte glänzte wie ein heller Stern; plötzlich wurde er verdunkelt und nun stiegen die anderen Boote wie aus der Tiefe hervor. Sie kamen zu uns herein. Alles war Andacht und Betrachtung. Der Protestant wie der Katholik lernten hier an Wunder und Wunderwerke glauben.
»Das Wasser steigt!« sagte einer der Seeleute. »Wir müssen hinaus, sonst wird die Oeffnung verschlossen und dann müssen wir hier bleiben, bis das Wasser wieder fällt.«
Wir verließen die wunderbar strahlende Grotte, in unermeßlicher Ausdehnung lag das große offene Meer vor uns und hinter uns die Oeffnung der Grotta azzurra.
Ende.