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Wenn der Wind über das niedere Gras weht, dann kräuselt es sich wie ein ruhiges Wasser; bläst er aber über das Korn, dann wogt es wie die hohe See; das ist des Windes Tanz. Höre ihm einmal zu; er singt alles laut hinaus. Und zwischen den Bäumen des Waldes klingt es ganz anders als durch die Schallöcher, Risse und Sprünge der Mauern. Siehst du, wie der Wind dort oben die Wolken jagt, als seien sie eine Schafherde? Hörst du, wie der Sturm durch das offene Tor heult, als sei es der Wächter und stieße ins Horn? Wunderbar saust er zum Schornstein herab und in den Kamin hinein, daß die Flamme lustiger lodert und knistert und heller ins Zimmer hereinscheint. Es ist so warm und gemütlich am Kamin, daß man gern dort sitzt und dem Winde zuhört. Laß nun den Wind erzählen! Er weiß Märchen und Geschichten, mehr als wir alle zusammen! Höre, wie er erzählt!
»Hu-u-ud! Fahre hin!« – so lautet der Kehrreim seines Liedes.
*
»Am Großen Belt liegt ein altes Schloß mit dicken, roten Mauern«, erzählt der Wind. »Ich kenne dort alle Steine; ich kannte sie schon früher, als sie noch in Marsk Stigs Burg eingefügt waren. Die Burg wurde zerstört, aber die Steine wurden wieder benutzt. Man baute andere Mauern daraus, ein neues Schloß an einer andern Stelle, nämlich das Schloß Borreby, das noch heute steht.
Ich habe die hochadeligen Männer und Frauen, die wechselnden Geschlechter, die darin wohnten, gekannt und gesehen, und will nun von Waldemar Daae und seinen Töchtern erzählen.
Hoch erhobenen Hauptes ging er einher; denn er war von königlichem Stamme. Er verstand mehr als einen Hirsch zu jagen und einen Krug zu leeren. – Das werde sich bald zeigen, sagte er selbst.
Steif schritt seine Frau in Gewändern von Goldbrokat über den blanken getäfelten Fußboden; prachtvolle Tapeten bekleideten die Wände, und die künstlich geschnitzten Möbel waren teuer und wertvoll. Silberne und goldene Geräte hatte die Frau ins Haus gebracht; deutsches Bier lag im Keller; schwarze, feurige Rosse wieherten im Stalle; großer Reichtum zeigte sich überall im Schlosse Borreby.
Auch Kinder gab es auf dem Schlosse: drei kleine Jungfräulein, Ida, Johanna und Anna Dorothea. Ich erinnere mich noch ganz genau an ihre Namen.
Es waren reiche Leute, es wahren vornehme Leute, in Herrlichkeit geboren und aufgewachsen. – Hu-u-ud! Fahre hin!« sang der Wind, und dann erzählte er wieder.
»Hier sah ich nicht, wie in den andern alten Schlössern, die hochgeborene Frau mit ihren Mägden in der Halle sitzen und den Spinnrocken drehen. Sie spielte auf der klingenden Laute und sang dazu; aber nicht immer die alten vaterländischen Lieder, sondern auch solche in fremder Sprache. Es herrschte fröhliches Leben und Geselligkeit auf dem Schlosse; vornehme Fremde kamen von nah und fern; Musik ertönte, und die Becher klangen, ich konnte sie nicht übertäuben!« sagte der Wind. »Hier war Hochmut und Prunk und Pracht. Herrschaft wohl, aber Gott herrschte hier nicht.
Gerade am ersten Mai war es, als ich am Abend von Westen gezogen kam. Ich hatte die Schiffe an der Westküste von Jütland in Wracke verwandelt, war über die Heide und die waldbewachsene Küste weitergejagt, hinüber nach Fünen und sauste nun atemlos über den Belt.
An der Küste von Seeland legte ich mich zur Ruh, in der Nähe des Schlosses Borreby, wo damals noch der herrliche Eichenwald stand.
Die jungen Burschen aus der Umgegend kamen heraus und sammelten Reiser und Zweige, die größten und trockensten, die sie finden konnten. Sie trugen sie ins Dorf, legten sie auf Haufen, zündeten sie an, und dann tanzten die Burschen und Mädchen unter Gesang um sie herum.
Ich lag beinahe still«, sagte der Wind, »aber ich blies doch leise auf einen Zweig, den der schönste der Burschen hingelegt hatte. Er loderte hell auf, loderte am höchsten von allen. Da wurde der schönste Bursche der Auserwählte; er wurde der König des Festes und durfte sich unter den Mädchen seine Königin wählen. Es war eine Freude und eine Lust, größer als die auf dem Schlosse Borreby.«
*
»Und hin nach dem Schlosse fuhren mit sechs Pferden in goldener Kutsche die hohe Frau und ihre drei Töchter. Die waren so fein, so jung, drei reizende Blumen: eine Rose, eine Lilie und eine bleiche Hyazinthe. Die Mutter selbst war eine prunkende Tulpe. Sie grüßte niemand aus der ganzen versammelten Schar, die im Spiele anhielt, knickte und Kratzfüße machte. Man hätte glauben können, die Frau fürchte, bei einer Verbeugung abzuknicken.
Rose, Lilie und die bleiche Hyazinthe, ja, ich sah sie alle drei! Wessen Königin werden sie wohl einmal werden? dachte ich. Ihr Auserwählter wird ein stolzer Ritter, vielleicht gar ein Prinz sein!
– Hu-u-ud! – Fahre hin, fahre hin!
Die Kutsche fuhr mit ihnen weiter, und die Bauersleute fuhren in ihrem Tanze fort.
Aber des Nachts, als ich mich erhob«, berichtete der Wind weiter, »legte sich die hochadelige Frau nieder, um nie wieder aufzustehen. Es kam über sie, wie es einmal über alle Menschen kommt; das ist der Welt Lauf. Waldemar Daae stand einen Augenblick ernst und gedankenvoll da. Auch ein stolzer Baum kann gebeugt, aber er kann nicht gebrochen werden, sprach eine Stimme in seinem Herzen. Die Töchter weinten, und alle auf dem Herrenhofe wischten sich die Augen. Aber Frau Daae war dahingefahren – und ich fuhr ebenfalls weiter! Hu-u-ud!« sagte der Wind.
*
»Ich kam wieder, ich kam oft wieder über die Insel Fünen und über das Wasser des Belts und legte mich am Ufer in der Nähe von Borreby neben dem prächtigen Eichenwalde zur Ruhe. Hier nisteten die Fischadler, die Waldtauben, die blauschwarzen Raben und selbst der schwarze Storch. Es war noch früh im Jahre; einige hatten Eier, andere schon Junge. Nein, wie sie flogen, wie sie schrien! Axtschläge ließen sich hören, Schlag auf Schlag. Der Wald wurde gefällt. Waldemar Daae wollte ein kostbares Schiff bauen, ein Kriegsschiff, einen Dreidecker, den dann gewiß der König kaufen würde; deshalb mußte der Wald fallen, der schöne Wald, das Wahrzeichen der Seeleute, die Heimat der Vögel. Erschrocken flog der Neuntöter umher; denn sein Nest war zerstört worden. Der Fischadler und alle Waldvögel mußten fortziehen; planlos flogen sie umher und schrien vor Angst und Zorn. Ich konnte sie wohl verstehen und mit ihnen fühlen. Die Krähen und Dohlen aber riefen laut und spöttisch: Aus dem Neste! Aus dem Neste! Hinaus, hinaus!
Aber mitten im Walde bei einer Schar Arbeiter stand Waldemar Daae mit seinen drei Töchtern, und alle lachten über das Angstgeschrei der Vögel. Nur die jüngste Tochter Anna Dorothea fühlte Mitleid in ihrem Herzen, und als nun auch ein halbverdorrter Baum gefällt werden sollte, auf dessen kahlen Zweigen der schwarze Storch gebaut hatte, dessen Junge neugierig aus dem Neste herausguckten, da bat sie mit Tränen in den Augen, und deshalb durfte der Baum mit dem Neste des schwarzen Storchs stehen bleiben. Das war allerdings nur eine geringfügige Sache.
Es wurde gehauen, und es wurde gesägt – und es wurde ein Dreidecker gebaut. Wohl stammte der Baumeister aus einem einfachen Hause; aber er hatte ein feines Benehmen und ein angenehmes Wesen. Seine Augen und Stirne verrieten Klugheit und Scharfsinn, und Waldemar Daae hörte ihn gerne erzählen. Auch klein Ida, die älteste, fünfzehnjährige Tochter, hörte ihm gerne zu. Und während er dem Vater ein Schiff baute, erbaute er sich selbst ein Luftschloß, worin er und Klein-Ida als Mann und Frau wohnten; ja es wäre auch so gekommen, wenn das Schloß aus Stein gemauert und mit Wall und Graben, Gärten und Wäldern umgeben gewesen wäre. Aber trotz all seiner Klugheit war der Meister eben doch nur ein armer Vogel, und was soll der Spatz im Reigen der Kraniche? Hu-u-ud! – Ich flog fort, und er flog auch fort; denn er durfte nicht bleiben. Und Klein-Ida verschmerzte es; denn sie mußte es verschmerzen.«
*
»Im Stalle wieherten die schwarzen Rosse, die der höchsten Bewunderung wert waren, und auch von allen sehr bewundert wurden. Vom Könige selbst war ein Admiral abgesandt worden, um das neue Kriegsschiff zu besichtigen und über den Ankauf zu verhandeln. Er brach in laute Bewunderung über die feurigen Rosse aus; ich hörte es wohl«, sagte der Wind, »denn ich folgte den Herrn durch die offene Tür und wehte die Strohhalme wie Goldfäden vor ihre Füße hin. Gold wollte Waldemar Daae haben, der Admiral aber wollte die Pferde haben, deshalb rühmte er sie so. Es wurde jedoch nicht verstanden, und deshalb wurde auch das Schiff nicht gekauft. Es stand mit Bohlen bedeckt am Ufer, eine Arche Noah, die nie ins Wasser kam. Hu-u-ud! Fahre hin! Fahre hin! Und das war sehr zu bedauern.
Zur Winterszeit, als eine Schneedecke auf dem Felde lag, das Treibeis im Belt schwamm, und gegen die Küste trieb«, erzählte der Wind weiter, »kamen Raben und Krähen, die einen immer schwärzer als die andern, in großen Scharen herbei. Sie setzten sich auf das öde, tote, einsame Schiff am Ufer, schrien mit heiserer Stimme und klagten über den verschwundenen Wald und die vielen herrlichen Vogelnester, die zerstört worden waren, über die obdachlosen Alten und die obdachlosen Jungen, und daß dies alles um des alten Gerümpels willen, das doch niemals fortschwimmen würde, geschehen sei.
Ich blies in den Schnee hinein, daß er lustig umherwirbelte; hoch türmte er sich um das Schiff und lagerte sich auf ihm. Ich ließ es meine Stimme hören, damit es merken konnte, was ein Sturm heißen will. Ich kann wohl sagen, ich trug das meinige dazu bei, daß es Erfahrungen sammelte! – Hu-u-ud! Fahre hin!
Und der Winter fuhr dahin; Winter und Sommer fuhren dahin, wie ich dahinfahre, wie der Schnee dahinfegt, wie die Apfelblüte verweht und das Laub fällt. Fahre hin! Fahre hin! Auch die Menschen fahren dahin!
Aber noch waren die Töchter jung; klein Ida war eine Rose, schön anzusehen wie damals, als der Schiffsbauer sie sah. Oft spielte ich mit ihrem langen, braunen Haar, wenn sie gedankenvoll unter dem Apfelbaum im Garten stand und es nicht merkte, daß ich ihr Blüten ins Haar streute, das sich gelöst hatte, wenn sie die goldene Sonne und den leuchtenden Himmel zwischen den dunklen Gesträuchern und Bäumen des Gartens hindurch betrachtete.
Ihre Schwester Johanna war eine Lilie, glänzend und steif. Erhobenen Hauptes ging sie einher und vermied es, wie einst die Mutter, einen freundlichen Gruß zu erwidern, aus Furcht, bei einer Verbeugung abzuknicken. Sie ging in den großen Saal, wo die Ahnenbilder hingen. Die Frauen auf den Gemälden trugen Samt und Seide und kleine Hütchen mit reicher Perlenstickerei auf den geflochtenen Haaren. Es waren schöne Frauen! Die Männer sah man in Stahl gekleidet oder in kostbaren Mänteln mit Eichhornfellen gefüttert und mit bläulichweißer Halskrause. Das Schwert hatten sie um den Schenkel gegürtet und nicht um die Hüfte. Wo würde wohl Johannas Bild an der Wand hängen? Und wie würde ihr adeliger Gatte aussehen? Ja, daran dachte sie, davon flüsterte sie, ich hörte es wohl, wenn ich durch den langen Gang in den Saal hinauffuhr und dann wieder umdrehte.
Anna Dorothea, die bleiche Hyazinthe, ein vierzehnjähriges Kind, war still und in sich gekehrt. Die großen, wasserblauen Augen blickten gedankenvoll; aber ein kindliches Lächeln spielte um ihren Mund. Ich konnte es nicht fortblasen, und ich wollte es auch nicht.
Ich traf sie im Garten und auf den Feldern, wo sie Kräuter und Blumen sammelte, von denen sie wußte, daß ihr Vater sie zu Getränken und Tropfen, die er zu brauen verstand, gebrauchen konnte. Waldemar Daae war zwar hochmütig und stolz, aber auch kenntnisreich und erfahren. Man merkte es wohl, und man munkelte in der Gegend allerlei über ihn. Das Feuer brannte selbst zur Sommerszeit in seinem Kamin, und seine Kammertür war stets verschlossen. Tag und Nacht arbeitete er unverdrossen in seinem Laboratorium; aber er sprach nicht viel davon, denn die Kräfte der Natur muß man im geheimen beherrschen. Und er hoffte, bald die beste Kunst erlernt zu haben, nämlich die Kunst, Gold zu machen.
Deshalb rauchte sein Kamin unaufhörlich; deshalb knisterte und flammte es stets darin. Ja, ich war auch dabei«, sagte der Wind. »Laß fahren! Laß fahren! sang ich durch den Schornstein. Es wird nur Rauch, Dampf, Qualm und Asche! Du verbrennst dein Hab und Gut dabei! Hu-u-ud! Fahre hin! Fahre hin! Aber er ließ sein Vorhaben nicht fahren.
Die prächtigen Rosse im Stalle – was wurde aus ihnen? Was aus den goldenen und silbernen Geräten in Kisten und Kasten? Was aus den Kühen auf dem Felde, was aus dem Gute und dem Schlosse? Ach, sie schmolzen, schmolzen im Goldtiegel, und es fand sich doch kein Gold darin.
Leer wurde es in der Scheune und Speisekammer, leer im Keller und auf dem Bodenraum. Je weniger Leute, desto mehr Mäuse. Eine Scheibe zersprang, eine andere zerbrach; ich brauchte nicht mehr zur Türe hineinzugehen«, sagte der Wind. »Wo der Schornstein raucht, da kocht das Essen, heißt es; jawohl! hier rauchte der Schornstein, aber er verschlang alle Mittagessen um des roten Goldes willen.
Ich blies durch das Schloßtor wie ein Wächter, der in das Horn stößt. Allein es war kein Wächter da«, sagte der Wind. »Ich drehte den Wetterhahn auf der Turmspitze, daß es knarrte, als ob der Wächter da oben schnarchte; aber kein Wächter war da. Ratten und Mäuse waren da; Armut deckte den Tisch, Armut saß im Kleiderspind und im Eßkorb; die Türe wich aus den Angeln und bekam Risse und Sprünge. Ich ging ungehindert aus und ein, deshalb weiß ich so gut Bescheid.
In Rauch und in Asche, in Sorgen und schlaflosen Nächten ergraute das Haar im Bart und an den Schläfen; Waldemar Daaes Haut wurde runzlig und gelb; seine Augen funkelten gierig nach Gold, dem erwarteten Golde.
Ich blies ihm Rauch und Asche ins Gesicht und in den Bart. Schulden zeigten sich anstatt des Goldes. Ich sang durch die zerbrochenen Scheiben und offenen Risse, blies bis in die Schlafkammer der Töchter hinein, wo deren Kleider verschossen und fadenscheinig dalagen; denn sie mußten immer länger aushalten. Das war den Kindern nicht an der Wiege gesungen worden! Das alte Herrenleben hatte sich in ein kümmerliches Dasein verwandelt. Ich allein sang nun noch laut im Schlosse«, sagte der Wind. »Ich sorgte dafür, daß sie einschneiten; das wärmt. Brennholz hatten sie nicht; der Wald war gefällt; wo sollten sie es also hernehmen? Es war bitterkalt; der Schnee knirschte unter den Füßen, und ich schwang mich durch Schallöcher und Gänge, über Giebel und Mauern, um mich frisch und munter zu erhalten. Drinnen lagen die adeligen Töchter der Kälte wegen im Bett; und der Vater kroch unter die Pelzdecke, mit der er sich zudeckte. Nichts zu nagen und nichts zu beißen – ist das ein Herrenleben! Hu-u-ud! Laß fahren! Aber dazu konnte sich Herr Daae nicht entschließen.
Auf den Winter folgt der Frühling, und auf magere Zeiten folgen auch wieder gute, sagte er, aber sie lassen auf sich warten, warten! – Jetzt ist das Gut verpfändet; jetzt ist die allerhöchste Zeit – jetzt kommt gewiß das Gold! Zu Ostern!
Ich hörte ihn auch einer Spinne in ihrem Gewebe zuflüstern: Du flinker, kleiner Weber, du lehrst mich aushalten! Wird dein Gewebe zerrissen, dann beginnst du wieder von vorne und vollendest es! Wieder entzwei – aber unverdrossen gehst du wieder ans Werk, von vorne, von vorne! Ja, so soll man es machen, und solch eine Ausdauer wird belohnt.
Es war am Ostermorgen; die Glocken läuteten; die Sonne glänzte am Himmel. In Fieberhitze hatte er gewacht, gekocht und gekühlt, gemischt und destilliert. Ich hörte ihn wie eine verzweifelte Seele seufzen; ich hörte ihn beten; ich merkte, daß er den Atem anhielt. Die Lampe ging aus, aber er bemerkte es nicht. Ich blies in die glühenden Kohlen; sie beleuchteten sein kreideweißes Gesicht, das dadurch rötlich angehaucht wurde. Seine Augen waren tief eingesunken – aber jetzt wurden sie größer und größer, daß sie förmlich aus ihren Höhlen heraustraten.
Sieh! das alchimistische Glas! Es glänzt darin! Es ist glühend, rein und schwer! Mit zitternder Hand hob er es auf, und mit zitternder Stimme rief er: ›Gold! Gold!‹ Ihm schwindelte dabei, ich hätte ihn mit Leichtigkeit umblasen können«, sagte der Wind, »aber ich blies nur auf die glühenden Kohlen und folgte ihm durch die Türe und in das Zimmer, wo die Töchter lagen und froren. Sein Wams war mit Asche bedeckt; Asche hing in seinem Barte und in seinem verworrenen Haar. Er richtete sich hoch auf, erhob seinen reichen Schatz in dem zerbrechlichen Glase und rief, strahlend vor Freude: ›Gefunden! Gewonnen – Gold!‹ Er zeigte das Glas, daß es im Sonnenlichte glänzte. Aber seine Hand zitterte; das alchimistische Glas fiel auf den Boden und zersprang in tausend Stücke – und zersprungen war seines Glückes letzte Blase. Hu-u-ud! Fahre hin! – Und ich fuhr aus dem Schlosse des Goldmachers!«
*
»Spät im Jahre, in den kurzen Tagen der nördlichen Gegenden, wenn der Nebel mit seinen Schleiern kommt und nasse Tropfen aus ihnen auf die roten Beeren und kahlen Zweige fallen, kam ich in bester Laune daher, wehte ein wenig, blies den Himmel rein und brach die verdorrten Zweige ab. Das ist zwar keine große Arbeit, aber sie will doch getan sein. Auch auf andere Weise wurde auf Schloß Borreby bei Waldemar Daae reiner Tisch gemacht. Sein Feind, Ove Ramel aus Basnäs, kam mit den aufgekauften Schuldscheinen und erstand Schloß und Hausgerät bei der Versteigerung. Ich trommelte auf die zersprungenen Scheiben, schlug mit den verfallenen Türen, pfiff durch die Risse und Sprünge: Hui-i! – Herrn Ove sollte die Lust vergehen, hierzubleiben! Ida und Anna Dorothea weinten blutige Tränen; Johanna aber stand steif und bleich da und biß sich in den Daumen, daß er blutete. Aber was konnte das helfen? Ove Ramel wollte zwar Herrn Daae gestatten, lebenslänglich auf dem Schloß zu bleiben, erntete aber keinen Dank für sein Anerbieten. Ich hörte wohl, was dieser erwiderte«, sagte der Wind. »Ich sah den besitzlosen Mann sein Haupt stolzer erheben und sich in die Brust werfen; ich aber richtete einen Windstoß gegen das Schloß und die alten Lindenbäume, daß der dickste Ast abbrach. Nun lag er vor der Türe wie ein Kehrbesen, falls jemand ausfegen wollte. Und ausgefegt wurde; ich hatte es mir wohl gedacht.
Es war ein harter, schwerer Tag, ein böser Augenblick, um sich aufrecht darin zu erhalten. Aber der Sinn war hart, der Nacken steif.
Sie besaßen nichts mehr als die Kleider, die sie auf dem Leibe trugen; doch ja, sie hatten ja auch noch das alchimistische Glas, das erst vor kurzem gekauft worden und mit den aufgelesenen Scherben des zertrümmerten Schatzes angefüllt war, des Schatzes, der so viel versprochen, aber so wenig gehalten hatte. Waldemar Daae barg es auf seiner Brust, nahm dann seinen Stock in die Hand, und nun ging der einst so reiche Herr mit seinen drei Töchtern zum Schlosse Borreby hinaus. Ich fühlte seine heißen Wangen; ich streichelte seinen grauen Bart und sein langes, weißes Haar; ich sang, wie ich nur irgend konnte: Hu-u-d! Fahre hin, fahre hin! – Das war das Ende der Herrlichkeit!
Ida und Anna Dorothea gingen zu seiner Rechten und seiner Linken. Johanna aber wandte sich unter dem Tor noch einmal um. Doch wozu sollte das dienen? Das Glück wandte sich darum doch nicht zu ihr um. Sie betrachtete die roten Steine des Mauerwerks, die noch von Marsk Stigs Burg herstammten. Dachte sie wohl an dessen Töchter, von denen es heißt:
»Die älteste ergriff der jüngsten Hand,
So wanderten sie in das fremde Land.«
Gedachte sie etwa dieses Lieds? – Hier waren ihrer drei – der Vater war auch dabei. Sie gingen die Straße entlang, auf der sie so oftmals in der Kutsche gefahren waren. Nun gingen sie mit dem Vater betteln, gingen mit ihm auf das Smidstrup-Feld in die Lehmhütte, die der Vater für zehn Mark jährlich gemietet hatte: das war ihr neuer Herrensitz, mit leeren Wänden und leeren Schüsseln. Krähen und Dohlen flogen über sie hin und schrien wie zum Spott: Aus dem Nest! Aus dem Nest! Hinaus! Hinaus! gerade so wie die Vögel damals geschrien hatten, als der Wald gefällt wurde.
Herr Daae und seine Töchter vernahmen es wohl; aber ich blies ihnen um die Ohren. Es war wirklich nicht der Mühe wert, darauf zu hören.
So zogen sie denn in die Lehmhütte – und ich fuhr dahin über Moor und Feld, durch kahle Hecken und entlaubte Wälder, nach dem offenen Meere, nach fremden Ländern. Hu-u-ud! Fahre hin! Fahre hin! Alle Jahre, alle Jahre!«
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Wie ging es Waldemar Daae weiter, und wie erging es seinen Töchtern? Der Wind erzählt:
»Die letzte von den dreien, die ich sah, ja zu allerletzt sah, das war Anna Dorothea, die bleiche Hyazinthe. – Alt und gebeugt war sie nun; denn es war ein halbes Jahrhundert später. Sie lebte am längsten, sie kannte das Schicksal aller der Ihrigen.
Drüben auf der Heide, in der Nähe der Stadt Biborg, lag das neue stattliche Haus des Dompropstes aus roten Backsteinen aufgeführt und mit zackigem Giebel; ein dicker Rauch stieg aus dem Schornstein empor. Die sanfte Hausfrau und die lieblichen Töchter saßen im Erker und schauten über den Garten hinweg, hinaus auf die braune Heide. – Wonach sahen sie? Sie blickten nach dem Storchennest draußen auf dem baufälligen Hause. Die spärlichen Reste des einstigen Daches waren mit Moos und Hauslauch bedeckt; den hauptsächlichsten Schutz aber verlieh das Nest des Storches, das, während alles übrige dem Verfall preisgegeben war, von dem Storch instand gehalten wurde.
Es war ein Haus, nur zum Ansehen, nicht zum Anrühren. Ich mußte behutsam damit verfahren«, sagte der Wind. »Um des Storchennests willen durfte das Haus stehen bleiben. Eigentlich sah es wie eine Vogelscheuche auf der Heide aus. Aber den Storch wollten Dompropstens nicht verjagen; deshalb blieb die baufällige Hütte stehen, und die arme Bewohnerin durfte das elende Obdach ungestört weiter benutzen. Sie konnte sich dafür bei dem ägyptischen Vogel bedanken. Oder war es vielleicht sein Dank dafür, daß sie einst für das Nest seiner schwarzen wilden Brüder im Borrebyer Walde gebeten hatte? Damals war sie ein junges Kind, eine feine, bleiche Hyazinthe in dem adeligen Garten gewesen. Sie erinnerte sich dessen noch genau, sie, Anna Dorothea.
O! O! – Ja, die Menschen können seufzen, wie der Wind durch Schilf und Rohr seufzt. O! keine Glocken läuteten über dein Grab, Waldemar Daae! Die armen Schulknaben sangen nicht, als der frühere Besitzer von Borreby in das Grab gelegt wurde! O! alles nimmt ein Ende, auch das Elend! – Schwester Ida wurde die Frau eines Bauern, und das war unserem Vater die härteste Prüfung! Sein Tochtermann ein elender Leibeigener, dem der Herr die entehrendsten Strafen auferlegen kann. – Nun ist ihm wohl unter der Erde. Und dir auch, Schwester Ida! Mit mir jedoch ist es noch nicht vorbei, mit mir, der unglücklichen, elenden Greisin. Erlöse mich doch, du mächtiger Heiland!
So lautete Anna Dorotheas Gebet in der jämmerlichen Hütte, die um des Storches willen stehen bleiben durfte.
Der mutigsten und kräftigsten der Schwestern hatte ich mich angenommen«, sagte der Wind. »Wie ihr Sinn, war auch ihr Tun. In der Tracht eines armen Bootsknechts verdingte sie sich bei einem Schiffer. Sie war kurz angebunden und verdrießlich, in ihrem Berufe aber willig und fleißig. Jedoch klettern konnte sie nicht; da wehte ich sie über Bord, ehe jemand erfuhr, daß sie ein Frauenzimmer war; und das war von mir gewiß sehr wohl getan«, sagte der Wind.
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»Es war ein Ostermorgen, gerade wie damals, als Waldemar Daae meinte, er habe die Goldmacherkunst erfunden. Da hörte ich zwischen den baufälligen Wänden unter dem Storchenneste leise ein Kirchenlied anstimmen. Es war Anna Dorotheas letzter Gesang.
Es war zwar kein Fenster, sondern nur ein Loch in der Wand. – Die Sonne kam wie ein feuriger Ball und lugte durch die Öffnung; welch einen Glanz verbreitete sie! Anna Dorotheas Augen brachen – ihr Herz brach! Es wäre doch so gekommen, wenn die Sonne auch an diesem Morgen die Ärmste nicht beschienen hätte.
Der Storch hatte ihr bis zu ihrem Tode Schutz und Schirm gegeben. Ich sang an ihrem Grabe«, sagte der Wind. »Ich sang auch am Grabe ihres Vaters. Ich weiß, wo die Gräber sind; außer mir weiß es niemand.
Neue Zeiten, andere Zeiten! Alte Landstraßen verwandeln sich in Ackerland, eingefriedigte Gräber in öffentliche Fahrstraßen. Und halb kommt der Dampf mit seiner langen Wagenreihe und braust über die Gräber hin, die ebenso vergessen sind, wie die Namen derer, die darin schlafen. Hu-u-ud! Fahre hin!
Das ist die Geschichte von Waldemar Daae und seinen Töchtern. Erzählet sie besser, ihr andern, wenn ihr es könnt!« sagte der Wind und drehte sich um.
Weg war er!