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Der Sohn des Pförtners.

Die Generalsfamilie wohnte im ersten Stockwerk, die Pförtnerfamilie wohnte im Keller. Es war ein großer Abstand zwischen beiden Familien, das ganze Erdgeschoß und die Rangordnung. Aber unter demselben Dach wohnten sie doch mit der Aussicht auf dieselbe Straße und denselben Hof. Auf diesem befand sich ein Rasenplatz mit einem blühenden Akazienbaume, d.h. wenn er blühte, und unter demselben saß zuweilen die geputzte Amme mit dem noch mehr geputzten Generalskinde, der kleinen Emilie. Vor ihr tanzte mit bloßen Füßen der kleine Sohn des Pförtners mit den großen, braunen Augen und dem dunklen Haar, und das Kind lachte ihm zu und streckte seine kleinen Hände nach ihm aus. Sah es der General aus seinem Fenster, so nickte er zu ihnen hinunter und sagte: »Scharmant.« Die Generalin aber, die noch so jung war, daß sie fast die Tochter ihres Mannes erster Ehe sein konnte, sah niemals aus dem Fenster auf den Hof hinaus. Sie hatte den Befehl gegeben, daß der kleine Knabe der Kellerleute wohl mit ihrem Kinde spielen, es aber niemals anfassen dürfte. Und die Amme befolgte genau den Befehl der gnädigen Frau.

Und die Sonne schien zu ihnen ins erste Stockwerk und zu den Leuten in den Keller hinein. Der Akazienbaum trieb Blüten; sie fielen ab, und neue kamen im nächsten Jahre. Der Baum blühte, und der kleine Sohn des Pförtners blühte; er sah aus wie eine frische Tulpe.

Die kleine Tochter des Generals wurde fein und bleich, wie das hellrote Blatt der Akazienblüte. Nun kam sie selten zu dem Baume hinunter; sie schöpfte frische Luft im Wagen. Sie fuhr mit ihrer Mama aus und nickte jedesmal Pförtners Georg zu, ja warf ihm Kußhände zu, bis die Mutter ihr sagte, daß sie zu groß dafür wäre.

Eines Vormittags sollte er dem General die Briefe und Zeitungen bringen, die am Morgen in die Pförtnerstube gelegt worden waren. Während er die Treppe hinauf an der Sandkammer vorüberging, hörte er dort etwas klagen. Er glaubte, daß es ein Küchlein wäre, das winselte; aber es war die kleine Tochter des Generals in Tüll und Spitzen.

»Sage es Mama und Papa nicht; sonst werden sie böse.«

»Was gibt es denn, kleines Fräulein?« fragte Georg.

»Es brennt alles,« sagte sie, »alles steht in hellen Flammen.«

Georg öffnete die Tür zu dem kleinen Kinderzimmer; die Gardinen waren beinahe verbrannt; das Gardinenbrett stand in Glut und Flammen. Georg sprang auf, riß es herab und rief Leute herbei. Ohne ihn wäre ein Hausbrand entstanden.

Der General und die Generalin examinierten die kleine Emilie.

»Ich nahm nur ein einziges Streichholz,« sagte sie; »da brannte es gleich und die Gardinen brannten auch gleich. Ich spuckte, um es zu löschen; ich spuckte, was ich konnte; aber ich hatte nicht Spucke genug, und da lief ich weg und versteckte mich; denn Papa und Mama würden böse werden.«

»Du spucktest!« sagte der General; »was ist das für ein Wort? Wann hast du gehört, daß Papa und Mama »spucken« sagen? Das hast du aus dem Keller herausgebracht.«

Aber der kleine Georg erhielt ein Vierschillingstück. Es wanderte nicht zum Bäcker, sondern in den Spartopf, und bald waren so viele Schillinge darin, daß er sich einen Tuschkasten kaufen und seine Zeichnungen anmalen konnte, und er hatte viele; es war, als ob sie nur so aus Bleistift und Fingern hervorkamen. Die ersten angemalten Bilder schenkte er der kleinen Emilie.

»Scharmant!« sagte der General. Selbst die Generalin räumte ein, daß man deutlich sähe, was der Kleine sich gedacht hätte. »Genie hat er.« Diese Worte brachte die Pförtnersfrau mit in den Keller hinunter.

Der General und seine Frau waren vornehme Leute; sie hatten zwei Wappen auf ihrem Wagen, für jeden eins. Die Generalin hatte es auf jeglichem Stück Zeug, draußen und drinnen, auf ihrer Nachthaube und ihrem Nachtgewand. Es war ein kostbares Wappen, das ihr Vater für blanke Taler gekauft hatte; denn er war nicht mit demselben geboren und sie auch nicht; sie war zu früh gekommen, sieben Jahre vor dem Wappen. Daran konnten sich die meisten Leute erinnern, die Familie freilich nicht mehr. Das Wappen des Generals war alt und groß. Unter einer solchen Bürde konnte es wohl in einem Menschen knacken, der steif vor Stolz war. Und nun gar zwei Wappen! Und es knackte in der Generalin, wenn sie stolz und steif zum Hofball fuhr.

Der General war alt und grau; aber er saß gut zu Pferde. Das wußte er, und er ritt jeden Tag aus, mit einem Reitknecht in geziemendem Abstand hinter sich. Kam er in eine Gesellschaft, so war es, als ob er hoch zu Roß angeritten käme.

Und Orden hatte er so viele, daß es schier unbegreiflich war; aber es war nicht seine Schuld. Noch sehr jung war er Offizier geworden und hatte die großen Herbstmanöver mitgemacht, welche in friedlichen Zeiten über die Truppen abgehalten werden. Aus dieser Zeit stammte eine Anekdote, die einzige, die er zu erzählen hatte: Sein Unteroffizier hatte einen der Prinzen abgeschnitten und gefangen genommen, und er mußte nun mit einem kleinen Trupp gefangener Soldaten, selbst ein Gefangener, hinter dem General in die Stadt reiten. Das war ein unvergeßliches Ereignis, das stets, Jahre hindurch, von dem General wiedererzählt wurde, genau mit denselben denkwürdigen Worten, die er gesagt hatte, als er dem Prinzen den Degen wieder überreichte: »Nur mein Unteroffizier konnte Eure Hoheit gefangen nehmen, ich niemals.« Und der Prinz antwortete: »Sie sind unvergleichlich.« In einem wirklichen Kriege war der General nie gewesen. Als dieser durch die Lande ging, ging er die diplomatische Laufbahn durch drei ausländische Höfe. Er sprach französisch, so daß er fast seine Muttersprache vergaß; er tanzte gut und ritt gut. Da wuchsen Orden auf seinem Rocke ins unbegreifliche, und die Schildwachen präsentierten vor ihm. Eins der schönsten Mädchen präsentierte auch vor ihm und wurde Generalin. Sie bekamen ein kleines reizendes Kind, das wie vom Himmel heruntergefallen kam, so reizend war es. Der Sohn des Pförtners tanzte vor ihm im Hofe, sobald es unterscheiden konnte, und verehrte ihm alle seine gezeichneten und angemalten Bilder, und sie besah sie, freute sich an ihnen und riß sie in Stücke. Sie war so fein und niedlich.

»Mein Rosenblatt,« sagte die Generalin, »du bist für einen Prinzen geboren.«

Der Prinz stand schon vor der Tür; aber sie wußte es nicht. Die Menschen sehen nicht weit über die Türschwelle hinaus.

»Vor einigen Tagen hat unser Junge wahrhaftig ein Butterbrot mit ihr geteilt,« fügte die Pförtnersfrau; »es war weder Käse noch Fleisch darauf; aber es schmeckte ihr, als ob es Rindsbraten wäre. Das Haus würde in allen Grundfesten gebebt haben, wenn die Generalin diese Mahlzeit gesehen hätte; aber sie sah nichts.«

Georg hatte sein Butterbrot mit der kleinen Emilie geteilt; gern hätte er sein Herz mit ihr geteilt, wenn es ihr nur Freude gemacht hatte. Er war ein guter Junge; er war aufgeweckt und klug; er ging nun in die Abendschule der Akademie, um dort richtig zeichnen zu lernen. Die kleine Emilie ging auch in der Wissenschaft vorwärts; sie sprach mit ihrer Bonne französisch und hatte einen Tanzmeister.

 

*

»Ostern soll Georg konfirmiert werden,« sagte die Pförtnersfrau; so weit war Georg.

»Am vernünftigsten wäre es, wenn er in die Lehre käme,« sagte der Vater, »Ein ordentliches Handwerk sollte er lernen, und wir wären eine Sorge los.«

»Er müßte doch nachts bei uns schlafen,« sagte die Mutter, »denn es ist nicht leicht, einen Meister zu finden, der ihn ganz zu sich nimmt. Kleider müssen wir ihm so wie so geben! Das bißchen Essen, das er kostet, wird wohl auch noch zu erschwingen sein! Er ist ja mit gekochten Kartoffeln zufrieden! Freies Lernen hat er! Laß ihn nur seinen Weg gehen; du sollst sehen, daß wir noch Freude an ihm erleben; der Professor sagt es auch.«

Der Konfirmationsanzug war fertig; die Mutter hatte ihn selbst genäht; aber ein Flickschneider hatte ihn zugeschnitten, und er schnitt gut zu. Wäre er besser gestellt gewesen und hätte er eine Werkstätte und Gesellen halten können, so wäre er sicherlich Hofschneider geworden.

Die Kleider waren fertig, und der Konfirmand war fertig. Georg erhielt zur Konfirmation eine große tombackene Uhr von einem Paten, dem alten Faktotum eines Flachshändlers, dem Reichsten seiner Gevatter. Die Uhr war alt und erprobt; sie ging stets vor; aber das ist besser, als wenn sie nachgeht. Es war ein kostbares Geschenk, und von der Generalsfamilie kam ein Gesangbuch in Saffian. Das schickte das kleine Fräulein, dem Georg seine Bilder verehrt hatte. Vorn im Buche standen ihre beiden Namen und »Wohlgeneigte Gönnerin.« Es war nach dem Diktat der Generalin geschrieben, und der General hatte es durchgelesen und »Scharmant« gesagt.

»Das ist wirklich eine große Aufmerksamkeit von einer so vornehmen Herrschaft,« sagte die Pförtnersfrau, und Georg mußte sich in seinem Konfirmationsanzuge und mit dem Gesangbuch vorstellen und sich bedanken.

Die Generalin saß in Schals eingehüllt; sie hatte ihre großen Kopfschmerzen, die sie immer hatte, wenn sie sich langweilte. Sie sah sehr freundlich auf Georg und wünschte ihm alles Gute und niemals ihre Kopfschmerzen. Der General war im Schlafrock, trug eine Mütze mit Troddel und rotschäftige russische Stiefel. Er ging dreimal in Gedanken und Erinnerungen versunken im Zimmer auf und nieder, stand dann still und sagte:

»Der kleine Georg ist nun also ein christlicher Mann geworden. Werde auch ein braver Mann und ehre deine Obrigkeit! Du kannst dann einst als alter Mann sagen, daß diesen Spruch dich der General gelehrt hätte.«

Das war die längste Rede, die der General jemals gehalten hatte, und er kehrte wieder in seine Reserve zurück und sah vornehm aus. Doch von allem, was Georg hier oben sah und hörte, behielt er das kleine Fräulein Emilie am klarsten im Gedächtnis. Wie reizend war sie, wie sanft, wie fein, wie schwebte sie dahin. Sollte sie gezeichnet werden, so müßte es in einer Seifenblase sein! Es war ein Duft in ihren Kleidern, in ihrem krausen, gelben Haar, als wäre sie ein jüngst aufgeblühter Rosenstrauch. Und mit ihr hatte er einst sein Butterbrot geteilt! Sie hatte es mit Appetit verzehrt und ihm bei jedem Mundvoll zugenickt. Ob sie sich daran noch erinnerte? Ja, sicherlich, zur Erinnerung daran hatte sie ihm ja das schöne Gesangbuch gegeben. Und nach Neujahrsvollmond war es sein erstes, daß er mit einem Stück Brot und einem Schilling ins Freie ging. Hier schlug er das Buch auf, um zu sehen, welchen Gesang er träfe. Es war ein Lob- und Danklied, und er schlug es nochmals auf, um zu sehen, was der kleinen Emilie beschieden sein würde. Er nahm sich in acht, das Buch nicht bei den Sterbeliedern aufzuschlagen, und deshalb griff er gerade zwischen Tod und Begräbnis hinein. Es hatte ja sicherlich keine Bedeutung; aber er war doch ärgerlich, als das reizende kleine Mädchen sich bald darauf zu Bett legte. Jeden Mittag hielt der Wagen des Arztes vor der Tür.

»Sie behalten ihr Kind nicht,« sagte die Pförtnersfrau. »Gott weiß es, wen er haben will.«

Aber sie behielten es doch, und Georg zeichnete Bilder und schickte sie ihr. Er zeichnete das Schloß des Zaren, den alten Kreml in Moskau; genau so stand es da mit Türmen und Kuppeln, die wie riesige grüne und vergoldete Gurken aussahen, wenigstens auf Georgs Zeichnung. Das machte der kleinen Emilie große Freude, und im Laufe der Woche schickte Georg noch ein paar Bilder hinauf, allesamt Gebäude; denn dabei konnte er sich so mancherlei innerhalb der Türen und Fenster denken.

Er zeichnete ein chinesisches Haus mit einem Glockenspiel durch alle sechs Etagen; er zeichnete zwei griechische Tempel mit schlanken Marmorsäulen und einer Treppe ringsherum; er zeichnete eine Kirche aus Norwegen; man konnte sehen, daß sie ganz aus Balken bestand, die behauen und seltsam gestellt waren. Jede Etage sah aus, als ob sie auf Wiegehölzern stände. Am schönsten aber war das Blatt mit dem Schlosse der kleinen Emilie, wie er es nannte. So sollte sie wohnen. Georg hatte es ganz allein ausgedacht und zu dem Schlosse alles genommen, was er an allen andern Gebäuden am schönsten gefunden hatte. Es hatte behauene Balken wie die norwegische Kirche; Marmorsäulen wie der griechische Tempel, ein Glockenspiel in jeder Etage, und die allerhöchste Kuppel war grün und vergoldet wie auf dem Kreml des Zaren. Es war ein richtiges Kinderschloß! Und unter jedem Fenster stand geschrieben, wozu der Saal oder das Zimmer dienen sollte: »Hier schläft Emilie.« »Hier tanzt Emilie« und »Hier spielt sie Besuch.« Es war lustig anzusehen, und es wurde angesehen.

»Scharmant,« sagte der General.

Aber der alte Graf, – denn er war ein alter Graf – welcher noch vornehmer als der General war und selbst ein Schloß und ein Herrenhaus hatte, sagte nichts. Er hörte, daß es von dem kleinen Sohn des Pförtners erdacht und gezeichnet wäre. Nun, so klein war er ja nicht; er war konfirmiert. Der alte Graf sah auch die andern Bilder, und hatte so seine Gedanken dabei.

Eines Tages war das Wetter wirklich grau, naß, entsetzlich; aber der Tag ward zu einem der hellsten und schönsten für den kleinen Georg. Der Professor der Akademie rief ihn zu sich hinein.

»Höre, lieber Freund,« sagte er; »laß uns ein wenig zusammen plaudern. Gott hat dir recht gute Fähigkeiten gegeben; aber er hat dich auch gute Menschen finden lassen. Der alte Graf, der hier an der Ecke wohnt, hat mit mir über dich gesprochen. Ich habe deine Bilder gesehen; wir wollen einen Strich darüber machen; an ihnen ist viel zu bessern. Aber du kannst zweimal die Woche in meine Zeichenstunde kommen; dann wirst du sie einst besser machen können. Ich glaube, daß in dir mehr von einem Baumeister als von einem Maler steckt. Doch hast du Zeit genug, dir das zu überlegen. Für heute gehe aber zu dem alten Grafen an der Ecke und danke Gott für diesen Mann.«

An der Ecke stand ein großes Haus, über den Fenstern standen in alter Zeit aus Stein gehauene Elefanten und Dromedare. Aber der Graf liebte am meisten, was die neue Zeit Gutes gebracht hatte, gleichviel ob es aus dem ersten Stockwerk, aus dem Keller oder der Dachkammer kam.

»Ich glaube,« sagte die Pförtnersfrau, »daß die Menschen, je vornehmer sie sind, desto weniger sie haben. Wie reizend, wie einfach ist der alte Graf, und er spricht wahrhaftig nicht anders als du und ich; das können Generals nicht. War nicht auch Georg gestern rein weg vor Entzücken über das reizende Benehmen des Grafen, und heute bin ich es, nachdem ich mit dem mächtigen Mann gesprochen habe. War es nun nicht gut, daß wir Georg nicht zu einem Handwerker in die Lehre getan haben. Fähigkeiten hat er.«

»Aber er muß auch von außen Hilfe haben,« sagte der Vater.

»Die hat er nun erhalten,« sagte die Mutter; »der Graf sagte es mit klaren, deutlichen Worten.«

»Aber es geht doch von der Generalsfamilie aus,« sagte der Vater. »Ihnen müssen wir auch danken.«

»Das können wir tun,« sagte die Mutter; »aber ich glaube nicht, daß wir ihnen viel zu danken haben. Gott will ich danken, und ihm will ich auch danken, wenn er die kleine Emilie wieder gesund macht.«

Es ging vorwärts mit ihr, und es ging vorwärts mit Georg. Im Laufe der Jahre erhielt er die kleine silberne Medaille und später auch die große.

 

*

»Es wäre doch besser, wenn er zu einem Handwerker in die Lehre gekommen wäre,« sagte die Pförtnersfrau und weinte; »dann hätten wir ihn doch behalten. Was soll er in Rom? Ich sehe ihn niemals wieder, selbst wenn er wiederkommt. Aber er kommt nicht wieder, das liebe Kind.«

»Aber es geschieht doch zu seinem Glück und seinem Ruhm,« sagte der Vater.

»Ja, großen Dank lieber Freund,« sagte die Mutter, »du sprichst anders als du denkst, du bist ebenso betrübt wie ich.«

Und es hatte seine Richtigkeit sowohl mit der Betrübnis als mit der Abreise. Es wäre ein großes Glück für den jungen Menschen, sagten alle Leute.

Und es wurde Abschied genommen, auch von der Generalsfamilie. Aber die gnädige Frau zeigte sich nicht; sie hatte ihre großen Kopfschmerzen. Der General erzählte ihm zum Abschied seine einzige Anekdote, was er dem Prinzen gesagt hatte, und daß der Prinz zu ihm gesagt hatte: »Sie sind unvergleichlich,« und er reichte Georg seine Hand, seine welke Hand.

Emilie reichte Georg auch ihre Hand; sie sah fast traurig aus; aber Georg war doch am traurigsten

 

*

Die Zeit vergeht, wenn man zu tun hat, sie vergeht auch, wenn man nichts zu tun hat. Die Zeit ist gleich lang, aber nicht gleich nutzbringend. Für Georg war sie nutzbringend und gar nicht lang, außer wenn er an die daheim dachte. Wie ging es wohl oben und unten? Ja, deswegen wurde geschrieben, und man kann gar viel in einen Brief legen, den hellen Sonnenschein und die finsteren schweren Tage. Die lagen in dem Briefe, der meldete, daß der Vater gestorben und die Mutter allein zurückgeblieben wäre. Emilie wäre ihr ein Engel des Trostes gewesen; sie wäre zu ihr hinuntergekommen. Ja, das schrieb die Mutter, und sie fügte über sich hinzu, daß es ihr gestattet war, den Pförtnerposten zu behalten.

 

*

Die Generalin führte ein Tagebuch; darin stand jede Gesellschaft, jeder Ball, den sie besucht hatte, und jeder Besuch eines angesehenen Fremden, Es wurde illustriert mit den Visitenkarten der Diplomaten und des höchsten Adels; sie war stolz auf ihr Tagebuch. Es wuchs durch lange Jahre, durch viele Jahre, unter manchen großen Kopfschmerzen, aber auch unter manchen hellen Nächten, das heißt Hofbällen. Emilie war zum erstenmal auf dem Hofball gewesen. Die Mutter trug hellrot mit schwarzen Spitzen, spanische Tracht. Die Tochter war in weiß, so klar, so fein; grüne Seidenbänder flatterten wie Schilfhalme in dem krausen, gelben Haar, das einen Kranz von weißen Seerosen trug. Die Augen waren so blau und klar, der Mund so fein und rot; sie glich einer kleinen Seejungfrau, so schön, wie man sie sich nur deuten kann. Drei Prinzen tanzten mit ihr, das heißt einer nach dem andern. Die Generalin hatte acht Tage lang keine Kopfschmerzen.

Aber der erste Ball war nicht der letzte; für Emilie war es zu viel. Es war deshalb gut, daß der Sommer mit Ruhe und frischer Landluft kam. Sie waren auf das Schloß des alten Grafen eingeladen.

Schloß und Garten waren des Ansehens wert. Ein Teil des Gartens war noch ganz so wie in älteren Tagen, mit steifen grünen Hecken, als ginge man zwischen grünen Wandschirmen, in welchen Gucklöcher waren. Buchsbaum und Taxus waren zu Sternen und Pyramiden beschnitten; das Wasser sprang aus großen Grotten, die mit Muschelschalen verziert waren; ringsherum standen Figuren aus dem allerschwersten Gestein, das konnte man an den Kleidern und den Gesichtern sehen; jedes Blumenbeet hatte seine bestimmte Gestalt, wie ein Fisch, ein Wappenschild oder ein Namenszug. Das war der französische Teil des Gartens. Aus ihm kam man in einen schönen, frischen Wald, wo die Bäume wachsen durften, wie sie wollten. Und deshalb waren sie auch so groß und prächtig. Der Rasen war grün; man konnte auf ihm gehen, und er wurde gewalzt, abgeschnitten, gehegt und gepflegt. Das war der englische Teil des Gartens.

»Alte Zeit und neue Zeit,« sagte der Graf, »gehen hier ineinander über. In zwei Jahren wird der Hof das richtige Ansehen erhalten; es soll eine große Veränderung zum Schönen und Besseren vorgenommen werden. Ich will Ihnen die Zeichnungen und den Baumeister zeigen; er ist heute zu Mittag hier.«

»Scharmant,« sagte der General.

»Hier ist es paradiesisch,« sagte die Generalin, »und dort haben Sie auch eine Ritterburg.«

»Es ist mein Hühnerhaus,« sagte der Graf. »Die Tauben wohnen im Turm, die Truthühner im ersten Stock; aber in der Stube regiert die alte Else. Zimmer genug sind vorhanden. Die Leghühner wohnen für sich; die Hennen mit den Kücken wohnen für sich, und die Enten haben einen eigenen Ausgang nach dem Wasser.«

»Scharmant,« wiederholte der General.

Und sie gingen, um diese Herrlichkeit zu sehen.

Die alte Else stand mitten in der Stube, und an ihrer Seite stand der Baumeister Georg. Er und die kleine Emilie begegneten sich hier nach vielen Jahren, begegneten sich im Hühnerhause.

Ja, hier stand er, und er sah hübsch genug aus. Seine Züge waren offen und entschieden, das Haar schwarz und glänzend, und um den Mund lag ein Lächeln, welches sagte: »Ihm sitzt der Schelm im Nacken; er kennt euch durch und durch.« Die alte Else hatte ihre Holzschuhe ausgezogen und stand auf Strumpfsocken, um die hochvornehmen Gäste zu ehren. Und die Hühner gluckten, der Hahn krähte und die Enten watschelten davon »rap! rap!« Aber das feine, bleiche Mädchen, die Jugendfreundin, die Generalstochter, hatte Rosenschimmer auf den sonst so bleichen Wangen; ihre Augen waren groß und ihr Mund sprach, ohne daß er ein einziges Wort sagte. Und der Gruß, den Georg empfing, war der reizendste Gruß, den ein junger Mann sich von einer jungen Dame wünschen kann, wenn er nicht zur Familie gehört oder nicht oft mit ihr getanzt hat. Und der Baumeister hatte niemals mit ihr getanzt.

Der Graf drückte ihm die Hand und stellte ihn vor: »Ganz unbekannt ist Ihnen unser junger Freund, Herr Georg, wohl nicht.«

Die Generalin verneigte sich; die Tochter wollte ihm die Hand geben: aber sie gab sie ihm nicht.

»Unser kleiner Herr Georg,« sagte der General. »Alte Hausfreunde. Scharmant.«

»Sie sind ein ganzer Italiener geworden,« sagte die Generalin. »Sie sprechen wohl diese Sprache wie ein Eingeborener?«

Die Generalin sänge die Sprache, aber spräche sie nicht, sagte der General.

Bei Tische saß Georg an der rechten Seite von Emilie; der General führte sie; der Graf führte die Generalin.

Herr Georg sprach und erzählte, und er erzählte gut; er war »Wort und Geist« bei Tische, trotzdem der alte Graf es auch hätte sein können. Emilie saß stumm: aber die Ohren lauschten, die Augen glänzten.

Aber sie sagte nichts.

In der Veranda zwischen den Blumen standen sie und Georg; die Rosenhecke verbarg sie. Georg nahm wieder das Wort, nahm es zuerst.

»Dank für Ihre freundliche Gesinnung gegen meine alte Mutter,« sagte er. »Ich weiß es, in der Nacht, als mein Vater starb, kamen Sie zu ihr hinunter und waren bei ihr, bis seine Augen brachen. Dank!« Und er ergriff Emilies Hand und küßte sie. Das durfte er wohl bei dieser Gelegenheit. Sie wurde glühend rot, aber drückte seine Hand wieder und sah ihn mit ihren blauen, gesegneten Augen an.

»Ihre Mutter ist eine liebe Seele. Wie liebt sie ihren Sohn! Und alle Ihre Briefe ließ sie mich lesen! Ich glaube beinahe, ich kenne Sie! Wie freundlich waren Sie gegen mich, als ich klein war. Sie gaben mir Bilder –«

»Die Sie zerrissen,« sagte Georg.

»Nein, ich habe noch eine Zeichnung, mein Schloß.«

»Nun will ich es wirklich bauen,« sagte Georg und wurde ganz warm dabei, als er es sagte.

Der General und die Generalin sprachen in ihrer Wohnung über den Sohn des Pförtners, er wüßte sich zu bewegen und sich auszudrücken, hätte Fähigkeiten und Kenntnisse. »Er kann Hauslehrer werden,« sagte der General.

»Geist hat er,« sagte die Generalin, und dann sagte sie nichts mehr.

 

*

In der schönen Sommerzeit kam Herr Georg gar oft auf das gräfliche Schloß. Er wurde vermißt, wenn er nicht kam.

»Wie viel hat Ihnen doch Gott vor uns armen Menschen vorausgegeben,« sagte Emilie zu ihm. »Erkennen Sie das auch an?«

Es schmeichelte Georg, daß das schöne junge Mädchen zu ihm hinaufsah; er hielt sie für außerordentlich geistreich.

Und der General fühlte sich mehr und mehr überzeugt, daß Herr Georg unmöglich ein Kellerkind sein könnte ... »Seine Mutter war übrigens eine rechtschaffene Frau,« sagte er, »das schulde ich ihr noch übers Grab hinaus.«

 

*

Der Sommer verging, der Winter kam. Von Herrn Georg wurde viel gesprochen. Er war gern gesehen und wurde selbst an höchster Stelle gut aufgenommen; der General war ihm auf dem Hofball begegnet.

Nun sollte für die kleine Emilie ein Hausball stattfinden. Konnte Herr Georg eingeladen werden?

»Wen der König einlädt, den kann auch der General einladen,« sagte der General und wurde um einen Zoll größer.

Herr Georg wurde eingeladen, und er kam. Und Prinzen und Grafen kamen, und der eine tanzte besser als der andere. Aber Emilie konnte nur den ersten Tanz tanzen; sie trat fehl und verletzte sich den Fuß, nicht gefährlich, aber es schmerzte, und deshalb mußte sie vorsichtig sein, mit dem Tanzen aufhalten und zusehen. Und sie saß und sah zu, und der Baumeister stand an ihrer Seite.

»Sie geben ihr noch die ganze Peterskirche,« sagte der General, als er vorüberging, und er lächelte wie das Wohlwollen selbst.

Mit demselben wohlwollenden Lächeln empfing er Herrn Georg einige Tage später. Der junge Mensch kam sicherlich, um sich für den Ball zu bedanken. Was sonst? Gab das eine Überraschung und ein Erstaunen! Wahnwitzige Worte brachte er vor; der General wollte seinen eigenen Ohren nicht glauben. Pyramidale Deklamation, ein Antrag! Es war undenkbar! Herr Georg bat um die Hand der kleinen Emilie.

»Mann,« sagte der General und es hämmerte ihm in den Schläfen. »Ich verstehe Sie nicht! Was wollen Sie? Was sagen Sie? Ich kenne Sie nicht! Herr! Mensch! Was fällt Ihnen ein, in mein Haus zu fallen. Darf ich hier bleiben, oder darf ich nicht hier bleiben?« und er ging rückwärts in sein Schlafgemach, drehte den Schlüssel um und ließ Herrn Georg allein stehen. Er blieb noch einige Minuten stehen, dann drehte er sich um. Im Flur traf er Emilie.

»Mein Vater antwortete –?« fragte sie und ihre Stimme zitterte.

Georg drückte ihr die Hand: »Er lief von mir weg! – Doch es kommen bessere Zeiten.«

Tränen standen in Emilies Augen; aber Zuversicht und Mut sahen aus den Augen des jungen Mannes, und die Sonne schien auf die beiden und gab ihnen ihren Segen.

Kochend vor Zorn saß der General in seinem Zimmer, und es kochte über, es lief über in heftigen Worten: »Narrheit! Größenwahn! Diese Pförtnerseele!«

Keine Stunde war vergangen, und die Generalin hatte es aus des Generals eigenem Munde erfahren. Sie rief Emilie und setzte sich zu ihr.

»Du armes Kind! So dich zu beleidigen, uns zu beleidigen! Du hast Tränen in den Augen; sie kleiden dich! Du bist reizend in deinen Tränen! Du gleichst mir an meinem Hochzeitstage! Weine nur, liebe Emilie!«

»Ja, das muß ich,« sagte Emilie, »weshalb sagtet ihr auch nicht ja.«

»Kind!« rief die Generalin«. »Du bist krank! Sprichst im Fieber! Und ich habe wieder meine entsetzlichen Kopfschmerzen! All das Unglück, das über unser Haus kommt! Laß deine Mutter nicht sterben, Emilie, dann hast du keine Mutter mehr.«

Und der Generalin wurden die Augen feucht: sie konnte es nicht vertragen, an ihren Tod zu denken.

 

*

In der Zeitung stand unter den Auszeichnungen zu lesen: Herr Georg ist zum Professor ernannt worden.

»Es ist schade, daß seine Eltern im Grabe sind und es nicht lesen können,« sagten die neuen Pförtnersleute, die nun dort unten im Keller wohnten. Sie wußten, daß der Professor zwischen ihren vier Wänden geboren und aufgewachsen war.

»Nun muß er Rangsteuer bezahlen,« sagte der Mann.

»Ja, es ist schrecklich viel für ein armes Kind,« sagte die Frau.

»Achtzehn Reichstaler pro Jahr,« sagte der Mann; »ja, das ist viel Geld.«

»Nein, die Ehre meine ich,« sagte die Frau. »Glaubst du, daß er sich viel aus dem Gelde macht! Er kann ja viel mehr verdienen, und er kriegt sicherlich auch eine reiche Frau. Hätten wir Kinder, dann müßte unser Junge auch Baumeister und Professor werden.«

Von Georg sprach man im Keller und im ersten Stock; der alte Graf gestattete es sich.

Die Bilder aus seiner Kindheit gaben ihm den Anlaß dazu. Aber warum sprach man von denselben? Man sprach von Rußland, von Moskau, und da war man bei dem Kreml, welchen Georg einst für Fräulein Emilie gezeichnet hatte. Er hatte so manches Bild gezeichnet; an eines erinnerte sich der Graf besonders: des Schlosses der kleinen Emilie, wo sie schlief, wo sie tanzte und wo sie Besuch spielte. Der Professor wäre sehr tüchtig; er würde sicherlich als alter Konferenzrat sterben – es wäre wenigstens nicht unmöglich, und weshalb sollte er der jungen Dame nicht zuvor ein wirkliches Schloß gebaut haben?

»Der Graf war mal sonderbar,« sagte die Generalin, als er fort war. Der General schüttelte nachdenklich sein Haupt, ritt aus, mit dem Reitknecht im gebührenden Abstand hinter sich, und saß stolzer zu Pferde als früher.

Es war Emilies Geburtstag; Blumen und Bücher, Briefe und Visitenkarten wurden gebracht; die Generalin küßte sie auf den Mund, der General auf die Stirn; es waren zärtliche Eltern. Sie und Emilie erhielten hohen Besuch von zwei der Prinzen. Man sprach von Bällen und vom Theater, von diplomatischen Gesandtschaften, von der Regierung des Landes und fremder Staaten. Man sprach von der Tüchtigkeit, von der Tüchtigkeit des eigenen Landes, und dabei kam man auf den jungen Professor, den Baumeister, zu sprechen.

»Er baut an seiner Unsterblichkeit,« sagte man; »er baut sich gewiß in eine der ersten Familien hinein.«

»In eine der ersten Familien,« wiederholte später der General vor der Generalin. »Wer ist eine von unsern ersten Familien?«

»Ich weiß, auf wen es zielt,« sagte die Generalin; »aber ich sage es nicht. Ich will nicht daran denken. Gott wird es schon richtig lenken. Aber erstaunen will ich.«

»Laß mich mit erstaunen,« sagte der General: »ich habe keine Ahnung,« und er versank in Erwartung.

Es liegt eine Macht, eine unnennbare Macht in dem Gnadenquell von oben, in der Gunst des Hofes und der Gnade Gottes, – und alle diese Gunst und Gnade empfing der kleine Georg. Aber wir vergessen den Geburtstag.

Emilies Zimmer duftete von Blumen der Freunde und Freundinnen; auf dem Tische lagen schöne Geschenke als Gruß und Erinnerung, aber nichts von Georg. Er durfte nicht kommen; aber es war auch nicht nötig; das ganze Haus erinnerte an ihn. Selbst aus der Sandkammer unter der Treppe sproßten Blumen der Erinnerung hervor; da hatte Emilie geächzt, als die Gardinen brannten und Georg als erste Spritze herbeieilte. Ein Blick aus dem Fenster, und der Akazienbaum erinnerte an die Kindheit. Blüten und Blätter waren abgefallen; aber der Baum stand im Rauhreif wie ein ungeheurer Korallenzweig da, und der Mond stand klar und groß zwischen den Zweigen, unverändert in all seiner Veränderlichkeit, wie damals, als Georg sein Butterbrot mit der kleinen Emilie teilte.

Aus einem Fache nahm sie die Zeichnung mit dem Schloß des Zaren, mit ihrem Schloß; ein Geschenk der Erinnerung an Georg. Sie wurde betrachtet und erweckte mancherlei Gedanken. Emilie erinnerte sich des Tages, als sie, unbemerkt von Vater und Mutter, zur Pförtnersfrau hinunterging, die im Sterben lag. Sie saß bei ihr, hielt ihre Hand und hörte ihr letztes Wort: »Georg! Segen!« Die Mutter dachte an ihren Sohn. – Nun legte Emilie eine eigene Bedeutung hinein. Ja, Georg war mit auf dem Geburtstage, war wirklich dabei.

Am nächsten Tage – es traf sich so – war wieder ein Geburtstag im Hause: der Geburtstag des Generals. Er war ein Tag nach seiner Tochter geboren, natürlich früher als sie, viele Jahre früher. Nun kamen wieder Geschenke, und unter diesen ein Sattel, schön, bequem und kostbar; nur einer der Prinzen hatte etwas Ähnliches. Von wem kam er? Der General war entzückt. Ein kleiner Zettel steckte daran. Hätte auf ihm gestanden: »Dank für gestern,« so hätte man noch erraten können, von wem er käme. Aber dort stand geschrieben: »Von einem, den der Herr General nicht kennt.«

»Wen in der Welt kenne ich nicht,« sagte der General. »Alle Menschen kenne ich,« und seine Gedanken wanderten zur hohen Gesellschaft; aber er kannte sie alle. »Er ist von meiner Frau,« sagte er zuletzt. »Sie neckt mich! Scharmant!«

Aber sie neckte ihn nicht; die Zeit war vorbei.

 

*

Und nach diesem Feste war wieder ein Fest, aber nicht bei dem General; es war Kostümfest bei einem der Prinzen; auch Masken waren zugelassen.

Der General erschien als Rubens in spanischer Tracht mit kleiner Halskrause und Degen, in guter Haltung; die Generalin war Frau Rubens in schwarzem Samt bis zum Kinn – es war entsetzlich warm – und mit einem Mühlstein um den Hals, das heißt natürlich mit einer großen Halskrause, genau nach einem holländischen Gemälde, das sie besaßen, und an dem man besonders die Hände bewunderte; sie glichen völlig den Händen der Generalin.

Emilie war Psyche in Tüll und Spitzen. Sie glich einer schwebenden Schwanenfeder; sie bedurfte der Flügel nicht! sie trug sie nur als ihr Attribut.

Das war ein Glanz, eine Pracht! Licht und Blumen, Reichtum und Geschmack überall! Es war so viel zu sehen, daß man die schönen Hände der Frau Rubens kaum beachtete.

Ein schwarzer Domino mit einer Akazienblüte am Hute tanzte mit Psyche.

»Wer ist es?« fragte die Generalin.

»Seine Königliche Hoheit,« fügte der General; »ich bin mir ganz sicher; ich erkannte ihn sofort am Händedruck.«

Die Generalin zweifelte.

General Rubens zweifelte nicht, näherte sich dem schwarzen Domino und schrieb den königlichen Namenszug in seine Hand, Es wurde verneint; aber ein Fingerzeig wurde gegeben.

»Die Devise des Sattels! Einer, den der Herr General nicht kennt.«

»Aber nun kenne ich Sie ja!« sagte der General. »Sie haben mir den Sattel gesandt.«

Der Domino erhob die Hand und verschwand in der Menge.

»Emilie, wer ist der schwarze Domino, mit dem du tanztest?« fragte die Generalin.

»Ich habe ihn nicht nach seinem Namen gefragt,« antwortete sie.

»Denn du wußtest ihn! Der Professor ist es! – Ihr Günstling, Herr Graf, ist hier!« fuhr sie fort und wandte sich zum Grafen, der in ihrer Nähe stand. »Schwarzer Domino mit Akazienblüte.«

»Sehr wohl möglich, meine Gnädige,« antwortete er. »Aber einer der Prinzen ist übrigens ebenso kostümiert.«

»Ich kenne den Handdruck,« sagte der General. »Vom Prinzen habe ich den Sattel. Ich bin meiner Sache so gewiß, daß ich ihn zu Tisch einladen kann.«

»Tun Sie es! Ist es der Prinz, so kommt er sicherlich,« sagte der Graf.

»Und ist es der andere, so kommt er nicht,« sagte der General und näherte sich dem schwarzen Domino, der gerade mit dem König sprach. Der General brachte seine Einladung besonders ehrerbietig vor, daß sie einander kennen lernen könnten. Der General lächelte so sicher in der Gewißheit, wen er einlüde; er sprach laut und deutlich.

Der Domino lüftete seine Maske: es war Georg.

»Nimmt der Herr General die Einladung zurück?« fragte er.

Der General wurde einen Zoll größer, nahm eine festere Haltung an, trat zwei Schritt zurück und einen Schritt vor, wie bei einem Menuett, und Ernst und Ausdruck, soviel er hineinlegen konnte, lag im Gesicht des Generals.

»Ich nehme niemals mein Wort zurück, der Professor ist eingeladen,« und er verneigte sich mit einem Blick auf den König, der sicherlich die Unterredung gehört hatte.

 

*

Und nun war der Mittag bei dem General; nur der alte Graf und sein Schützling waren eingeladen.

»Fuß unterm Tisch,« meinte Georg, »und der Grundstein ist gelegt,« und der Grundstein wurde unter großer Feierlichkeit dort wirklich gelegt.

Der »Mann« war gekommen, hatte, wie es der General ja auch kannte und wußte, durchaus wie ein Mensch der guten Gesellschaft gesprochen, und war höchst interessant, so daß der General manchmal sein »Scharmant« sagen mußte. Die Generalin sprach von diesem Mittag, sprach davon zu einer Hofdame, und diese, eine der geistvollsten, bat sich eine Einladung aus für das nächste Mal, wenn der Professor käme. Deshalb mußte er wieder eingeladen werden, und er wurde eingeladen und kam, und er war wieder scharmant und konnte sogar Schach spielen.

»Er stammt sicherlich nicht aus dem Keller,« sagte der General; »er ist ganz gewiß eines Vornehmen Sohn, und es gibt viele vornehme Söhne, und daran ist der junge Mann durchaus unschuldig.«

Der Herr Professor, der in des Königs Haus kam, konnte wohl auch in das Haus des Generals kommen; aber von einem Festwachsen war dort noch nicht die Rede, wohl aber in der ganzen Stadt.

 

*

Georg wuchs. Der Tau der Gnade fiel von oben auf ihn herab.

Es war deshalb keine Überraschung, daß, als der Professor Etatsrat, Emilie Etatsrätin wurde.

»Das Leben ist ein Trauerspiel oder ein Lustspiel,« sagte der General. »Im Trauerspiel sterben sie, im Lustspiel kriegen sie sich.«

Hier kriegten sie sich. Und sie kriegten drei muntere Jungen, aber nicht gleich.

Die süßen Kinder ritten auf Steckenpferden durch Stuben und Säle, wenn sie bei ihren Großeltern waren. Und der General ritt auch auf einem Steckenpferd, ritt hinter ihnen als der Reitknecht der kleinen Etatsräte.

Die Generalin saß im Sofa und lächelte, selbst wenn sie ihre großen Kopfschmerzen hatte.

 

*

So weit brachte es Georg und noch viel weiter, sonst wäre es nicht der Mühe wert gewesen, von dem Sohne des Pförtners zu erzählen.


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