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Zur Überschrift. Der Name Vafthrudnir hätte nachgebildet zu lauten Webetrotz oder Trotzweber; der Dichtung nach etwa zu beziehen auf die Kunst, schwer lösbare Rätsel zu ersinnen und sich im Wettstreit mit solchen Aufgaben für unbesiegbar zu halten. Doch spricht das Mythologische Lexikon zur Kopenhagener Edda die Vermutung aus, daß der Verfasser dieser Göttermär aus uralter Überlieferung geschöpft und der Name in dieser einen der Winterdämonen bezeichnet als gewalttätigen Einzwänger der Erde in das Gewebe von Schnee und Eis. Das Lied möge also zu jenen Festgesängen gehört haben, welche zur Feier der alljährlichen Siege Odins und Thôrrs, als der Götter des Himmels und des Gewitters, über die Wintergewalten vorgetragen und zuweilen selbst dramatisch aufgeführt wurden.
Vafthruđnismal
Odin.
1
Rate mir, Frigga!
Zu reisen verlangt mich
Zum Riesen Vafthrudner.
Ich wünsche zu wetten
Um uralte Weisheit
Mit dem Alleswissenden.
Frigg.
2
Daheim zu bleiben, Heervater,
In den Marken der Götter
Möcht' ich dich mahnen;
Denn keinen der Riesen
Kenn' ich so rüstig
Und gewaltig wie Vafthrudner.
Odin.
3
Fahrten tat ich viele,
Vieles auch erforscht' ich,
Maß mich mit vielen Mächten.
Ich will nun auch wissen,
Wie des Vafthrudner
Wohnung beschaffen ist.
Frigg.
4
Wohlbehalten wandre
Hin und heimwärts,
Sei's auch unterweges.
Entscheiden wird dein Scharfsinn,
Was du vorhast, Allvater:
Den Redekampf mit dem Riesen.
5
Zu 5. Der Name Im ist ganz unsicher. Man vermutet Verschreibung für Hrimnis oder Ymirs. Ob, wenn letzteres zuträfe, Vafthrudnir wirklich als noch lebender Vater des Urriesen oder nur als König der Nachkommenschaft Ymirs bezeichnet werden soll, wie K. E. vorschlägt, ist nicht zu entscheiden. – Yggr ist einer der Beinamen Odins.
So enteilte denn Odin
Zum Redewettstreit
Mit dem wissenden Riesen.
Nun war er an der Wohnung
Des Vaters des Im,
Und Yggr trat ein.
Odin.
6
Heil dir, Vafthrudner!
Deine Halle betrat ich,
Um dich selbst zu sehen.
Doch zuvörderst erforsch' ich,
Ob du klug bist und der Jote,
Der jegliches weiß.
Vafthrudner.
7
Wer ist nur der Mann,
Der in meinem Gemache
Die Red' an mich richtet?
Hinaus kommst du nimmer,
Bewährst du dich nicht
Als gewitzter denn ich.
Odin.
8
Gagnrađr bedeutet Siegrater. Die andere Lesart Gangrađr ist vermutlich erst wegen des folgenden at göngo hereinkorrigiert als etwa aussagend: Fahrten sich ratend, beschließend, reiselustig. Doch kann es auch bedeuten: Gangungestümer, im Sturm einherfahrend, in welchem Sinn es ein von Odin passend gewählter Mummname wäre.
Gagnradr heiß' ich;
Vom Gange durstig,
Besuch' ich deinen Saal.
Bin weit gewandert,
Nach Bewirtung, o Jote,
Und Labung lechzend.
Vafthrudner.
9
Weshalb von der Schwelle
Schwatzest du, Gagnradr?
Nimm Sitz im Saale;
Dann messen wir, wer Meister
Im Witz bleibt: der Wirt hier
Oder der fahrende
Alte Fabler.
Odin.
10
Unbegüterter Gast
Eines Reichen soll reden
Gutes oder gar nicht.
Übeln Ausgangs eracht' ich
Den gewärtig, der zu wortreich
Mit dem Argsinn sich einläßt.
Vafthrudner.
11
Zu 11. O. hat es also verschmäht, näher zu treten.
Wenn du dartun von der Diele
Deine Gaben willst, Gagnradr,
So nenne mir den Namen
Des Rosses, das herauf
Dem Geschlechte der Menschen
Den
Morgen geschleppt bringt.
Odin.
12
Strahlmähn' heißet
Der Hengst, der den heitern
Morgen für die Menschen zieht.
Für das prächtigste Roß
In Prunkgeschirr gilt er;
Lauteres Licht
Umlockt ihm die Mähne.
Vafthrudner.
13
Wenn du dartun von der Diele
Deine Gaben willst, Gagnradr,
So nenne mir den Namen
Der Mähre, die von Morgen
Den gabenreichen Göttern
Die Nacht hinaufzieht.
Odin.
14
Reifmähne heißt sie,
Die den gabenreichen Göttern
Jede Nacht hinaufzieht.
Ihr träufeln von der Trense
Tropfen jeden Morgen;
So fällt Tau in die Tale.
Vafthrudner.
15
Wenn du dartun von der Diele
Deine Gaben willst, Gagnradr,
So nenne mir den Namen
Des Flusses, der die Fluren
Der Gigantensöhne
Und der Götter sondert.
Odin.
16
Zu 16. Der Name Ifing muß nach der Anlage des Gedichts Feindschaft, Zwietracht bedeuten. If und ifi = Zweifel, Meinungszwiespalt. Aus derselben Wurzel unser »Eifer«. Statt des von mir gebildeten, die Strophe durchsichtig machenden Stromnamens hätte ich allenfalls auch den Namen eines vorhandenen deutschen Flusses setzen und schreiben dürfen: Wutach heißt der Wasserlauf usw. usw.
Streitach heißt der Strom,
Der das Riesenland scheidet
Vom Reiche der Götter.
In Ewigkeit offen
Und unübereiset
Fließe seine Flut
Vafthrudner.
17
Wenn du dartun von der Diele
Deine Gaben willst, Gagnradr,
So nenne mir den Namen
Des Schlachtfelds, wo den Schlußkampf
Einst ficht das Gefolge
Surturs mit den Seligen.
Odin.
18
Wigrid heißt die Walstatt,
Die zum Kampf einst erkiesen
Surtur und die Seligen.
Sie reicht hundert Rasten
In jeglicher Richtung:
Da beschließen sie die Schlacht.
Vafthrudner.
19
Weise bist du, Wandrer!
Auf die Bank her sei gebeten.
Laß vom Ruhsitz uns reden,
Doch als Kampfpreis unsre Köpfe
Uns wagen als Einsatz
Des Wettstreits um das Weistum.
Odin.
20
So sage mir zuvörderst,
Wenn du Sinn hast, es zu fassen,
Und es weißt, Vafthrudner,
Woraus einst, kluger Riese,
Ihren Ursprung die Erde
Und der Oberhimmel nahmen?
Vafthrudner.
21
Aus dem Fleische des Ymir
Ward geschaffen die Erde,
Vom Gebein die Gebirge,
Der Himmel aus der Hirnschale
Des reifkalten Riesen,
Aus den Säften die See.
Odin.
22
Nun sage mir ferner,
Wenn du Sinn hast, es zu fassen,
Und es weißt, Vafthrudner,
Von wannen der Mond kam,
Zu kreisen ob der Menschen,
Und so auch die Sonne.
Vafthrudner.
23
Zu 23. Mundilföri wird ausgelegt: Dreher der Sphäre, Bewirker des Umschwunges der Himmelskugel um ihre Achse. Wenn das der Sinn des Namens ist, dürfte man die Vorstellung, welche ihn eingegeben, bezeichnen als ahnungsvoll zusammentreffend mit der astronomischen Kosmogonie, welche die Rotation des Urnebels eine Hauptrolle spielen läßt bei der Bildung der Sonne, Planeten und Monde. Indes bleibe nicht unerwähnt, daß die Verfechter überwiegend deutscher Herkunft der Edda in Mundilföri lediglich die Korruption eines altdeutschen Wortes für Mondvater erblicken.
Mundilföri nennt sich
Der Vater des Mondes,
Nicht minder der Sonne.
Das Gewölbe des Himmels
Umwandeln sie täglich
Zur Zählung der Zeiten.
Odin.
24
Erkläre mir drittens,
Wenn du des dich erdreistest
Und es weißt, Vafthrudner,
Von wannen zuteil
Den Menschen der Tag ward
Und die Neumondnächte.
Vafthrudner.
25
Zu 25. Dellingr = der Dämmerer. Nörri unsicher, der Nährende oder der Schwarze.
Dellinger gab
Dem Tage Dasein,
Nörri der Nacht;
Dem Neige- und dem Neumond
Gütige Götter
Zur Zählung der Zeiten.
Odin.
26
Ich frage dich viertens,
Dafern so findig
Dein Witz ist, Vafthrudner:
Von wannen kam Winter
Und der warme Sommer
Den weisen Mächten?
Vafthrudner.
27
Windschwall nennt sich
Der Vater des Winters,
Der des Sommers Sanftsüd.
Ihre Bahn ziehn die beiden
unablässig, bis gelöst einst
Die Götter vergehn.
Odin.
28
Sage mir fünftens,
Dafern du so findig
Und weise bist, Vafthrudner,
Wer zuerst von den Asen
Oder Ymirssprossen
In Urtagen aufwuchs?
Vafthrudner.
29
Mit der »Schaffung der Erde« ist nicht gemeint die Entstehung des Planeten, sondern eine nachsintflutliche Herstellung ihres geordneten Zustandes. – Bergelmir wird ausgelegt als umgesetzt und verschliffen aus Berg-gamlir, der Berggreis, Alte der Berge, vorgestellt als Überleber der großen Flut. Thruđgelmir: der Alte der Feste, des Felsenkerns der Erde; Örgelmir gilt für identisch mit Ymir, der Personifikation des uranfänglichen Chaos.
Unschätzbar lange
Vor Schaffung der Erde
Ward Bergelmir geboren,
Des Thrudgelmir Sohn
Und Örgelmirs Enkel.
Odin.
30
Sage mir sechstens,
Wenn du so sinnvoll
Und weise bist, Vafthrudner,
Örgelmirs Ursprung,
Des Ersten der Joten.
Erkläre den, Klügling.
Vafthrudner.
31
Dem eisigen Urstrom
Entquollen Quicksäfte;
Ihr Gerinnsel ward zum Riesen.
Dann fuhren Funken
Von Südheim in den Reif
Und erregten ihn beseelend.
Odin.
32
Siebentes sage mir,
Wenn du klug dich erklärst
Und es weißt, Vafthrudner,
Wie, entbehrend einer Buhle,
Der bejahrte Jote
Jungen erzeugt?
Vafthrudner.
33
Die Rede geht, daß dem Riesen
Eine Maid und ein Mannsbild
In den Achselhöhlen auswuchsen
Und eines der Beine
Vom andern geboren
Einen Sohn mit sechs Köpfen.
Odin.
34
Zum achten gib an,
Wenn so klug du dich erklärst
Und es weißt, Vafthrudner:
Was erinnerst du erstes
Als älteste Kunde,
Allberatener Riese?
Vafthrudner.
35
Zu 35. Diese und die vorhergehende Strophe werden von einigen als müßige Wiederholung der 28. und der zur Hälfte gleichlautenden 29. als unecht und später eingeschaltet verworfen. Mit Unrecht. Die Frage in 34 trifft auch im Wortlaut zusammen mit Völuspa 1, 8: þau er fremst um man. Daraus schließe ich, daß Odin schon hier, wie entscheidend in der vorletzten Strophe, ein Rätsel aufgibt, von welchem er weiß, daß dem Vafthrudnir die Lösung unerschwinglich sei. Die richtige Antwort hätte zu lauten nach Inhalt der kosmogonischen Strophen 3 und 5 der Völuspa. Bis zu dieser höheren Ursprungskunde reicht aber das Riesenweistum nicht hin. So verrät denn V. schon seine Verlegenheit dadurch, daß er auf die Frage nach dem Uranfang erst mit wörtlicher Wiederholung auf die Geburt des Ahnen seines Geschlechts zurückkommt und dann bekennt, dessen Rettung im Schiff aus der großen Flut sei für ihn die älteste Begebenheit.
Unschätzbar lange
Vor Schaffung der Erde
Ward Bergelmir geboren.
Das erinner' ich Erstes,
Daß der ratkluge Riese
In ein Schiff sich geschafft hat.
Odin.
36
Nennst du dich klug,
So erkläre mir neuntens,
Von wannen der Wind
Das Meer überweht,
Den Menschen aber
Nie selber sichtbar?
Vafthrudner.
37
Zu 37. Hraesvelgr: Leichenverschlinger. Der heftige Nordwind, auch den Lateinern adlergestaltig, aquilo, wird vorgestellt als Förderer der Verwitterung alles Abgestorbenen, Verhüter langsamer Leichenfäulnis, Luftreiniger.
Totenvertilger
Heißt ein am Himmelspol
Hockender Unhold
In Adlerverhüllung.
Mit den Fittichen fächelt er
Wind allem Volk zu.
Odin.
38
Erzähle mir zehntens,
Wenn du Bescheid weißt
Vom Geschicke der Götter,
Wie unter die Asen
Bei anderer Abkunft
Niördr eintrat
(Der heiliger Gehege
Hunderter waltet)
Die eingeklammerten Schlußverse sind überschüssig und wahrscheinlich hinzuglossiert.
Vafthrudner.
39
Ihn zeugten in Wanheim
Weise Walter
Und gaben als Geisel
Ihn hin zu den Göttern;
Doch heim wird er ziehn
Am Ende der Zeiten
Zu den weisen Wanen.
Odin.
40
Gib eilftens an,
Wenn du Bescheid weißt
Vom Göttergeschicke,
Was in Heervaters Hallen
Einherier treiben
Bis zum Endtag der Ordner?
Vafthrudner.
41
Täglich auf dem Tummelplatz
Odins zerhauen sich
Die Einherier alle.
So kiesen sie Kampftod,
Reiten
Ergänze: wieder lebendig und geheilt. vom Ringen
Zurück dann und sitzen
Versöhnt beisammen.
Odin.
42
Wenn du Bescheid weißt
Von der Götter Geschicken,
So sage mir zwölftens,
Was zweifellos ist
Nach den Runen der Riesen
Und des Reiches der Götter?
Vafthrudner.
43
Aus den Runen der Riesen
Und des Reiches der Götter
Kann ich Sicheres sagen,
Dieweil ich durchwandert
Jegliche Welt.
Deren neune besucht' ich
Bis Nifelheim nieder,
Wohin zur Hel
Die Helden sterben.
Odin.
44
Fahrten tat ich viele,
Vieles auch erforscht' ich,
Maß mich mit vielen Mächten.
Wer wird leben von Leuten,
Wann vorüber der berühmte
Schreckenswinter schritt?
Vafthrudner.
45
Leben und Lust dazu
Halten sich verborgen
In des Hortwahrers Hain.
Ihre Kost ist der Morgentau;
Die künftigen Menschen
Keimen aus ihnen.
Odin.
46
Fahrten tat ich viele,
Vieles auch erforscht' ich,
Maß mich mit vielen Mächten.
Von woher an den Himmel,
Wann der Wolf sie erwürgt hat,
Kommt wieder eine Sonne?
Vafthrudner.
47
Eh' der Wolf sie erwürgt,
Gebiert eine Tochter
Die Strahlerin des Tages.
Nach Ausgang der Ordner
Wandelt die Wege
Der Mutter die Maid.
Odin.
48
Zu 48 und 49. In beiden Strophen scheint der Text arg Not gelitten zu haben. Daß mit den drei Jungfrauen die Nornen gemeint sind, ist unverkennbar. Nur wenn man, davon ausgehend, maugþrasis nicht bequem unbekümmert, wie Simrock, als den sonst unerhörten Namen ihres Vaters nimmt, sondern, gestützt auf lifþrasir 45, ₁, meya, maugþr. auslegt: Helfmägde des Fortgedeihens des Menschengeschlechts, dämmert, wenn auch mehr nur erratbar als erweislich, überhaupt ein Sinn auf im sonst undurchdringlichen Dunkel dieses Ungefüges von Worten.
Fahrten tat ich viele,
Vieles auch erforscht' ich,
Maß mich mit vielen Mächten.
Nun frag' ich, welche Frauen
Mit den Losen der Lebenden
Schicksalskundig schalten?
Vafthrudner.
49
Drei Schwestern umschweben
Der Sterblichen Stätten;
Als Mächte zur Bewahrung
Des Wachstums der Menschen
Walten die Jungfraun
Jotischer Herkunft.
Odin.
50
Fahrten usw.
Welche von den Asen
Walten ihres Erbes,
Wann zuletzt einst erloschen
Die Sengeglut Surturs?
Vafthrudner.
51
Zu 51. Viđar, Vollender des Sieges; Vali, der Mächtige; Mođi, der Mut; Magni, Größe, Stärke; Miöllnir, Zermalmer, der Blitzhammer Thôrrs.
Widar und Wali
Walten im Heiligtum,
Wann die Glut einst verglomm.
Modi und Magni
Erlangen den Malmer,
Beschließen die Schlacht.
Odin.
52
Fahrten usw.
Wie legt zuletzt
Sein Leben ab Odin,
Wann die Götter vergehn?
Vafthrudner.
53
Der Wolf wird verschlingen
Den Weltenvater,
Widar ihn rächen
Und jenem zerreißen
Die kalten Kiefern
Für des Mächtigen Mord.
Odin.
54
Fahrten usw.
Was hat Odin ins Ohr
Vor Hebung zum Holzstoß
Seinem Sohne gesagt?
Vafthrudner.
55
Zu 55. Hier folgen noch die Verse:
Nu ek viþ Ođin deildak
mina orþspeki
þu ert ae vîsastr vera.
Wettstreit mit Worten
Wagt' ich mit Odin.
Du wirst ewig
Der Weiseste sein.
Sie sind überflüssig und als lahm abschwächende Glosse zu verwerfen.
Die Worte, die weiland
Du selbst deinem Sohne
Ins Ohr sprachst, Odin,
Sind keinem bekannt.
Mein Mund sprach
mir,
Als ich redete meine Runen
Und vom Tag der Vertilgung,
Mein Todesurteil.