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Atlisage

Atlamal

1

Die Missetat lebt im Munde der Menschen,
Wie man Ränke beraten in heimlichen Reden,
Den Vorsatz befestigt mit furchtbaren Eiden
Und zur Reife gebracht. Wohl wurde gerochen,
Was sie begangen; doch Gibichs Söhne
Verloren ihr Leben, arg überlistet.

2

An den Fürsten erfüllte sich Vorbestimmtes,
Doch auch Atli ging's kläglich trotz all seiner Klugheit.
Den starken Stab, der ihn stützte, zerbrach er
Und fand den gefährlichsten Feind an sich selbst.

3

Zu Strophe 3. In Atlaquiđa haben sowohl der Bote Atlis als die eingeladenen Niblunge nur eine Landreise zu Roß zu machen. Die nirgends bestimmt angegebene Entfernung ist zwar zu weit, um Recken des Rheingebirges zeitig genug zur Hilfe zu rufen, übrigens aber nicht sehr groß vorgestellt. Wenn also die Erinnerung an die ältere Heimat der Sage, die Umgegend von Soest (Susat), auch schon verwischt erscheint, so spielt doch die Handlung dort noch auf festländischem, deutschem Schauplatz. Hier dagegen sehen wir bereits nordische und speziell dänische Lokalisation. Atlis Residenz liegt auf einer Insel oder doch in einem Küstenlande; zur See gelangen die Boten zu den Nibelungen. Daraus ist zu schließen auf spätere Überarbeitung der ersten Nachbildung des deutschen Originals. Auf 3, 5 folgten ursprünglich 4, 1 und 2; 3, 7 und 8 und 5 und 6 ganz sind jüngere Zutat.

Nach den Schwägern sandt' er geschwinde Boten.
Die Gemahlin bewährte mannhafte Weisheit,
Denn sie hatte behorcht die geheime Beratung.
Nur mit schlauem Entschluß war schleunig zu helfen.
Die Sendboten sollten die See durchsegeln, –
Ihr war es verwehrt, sich hinweg zu begeben.

4

So ritzte sie Runen. Doch ränkevoll fälschte
Die Wingi, der Träger der trugvollen Botschaft,
Eh' er sie abgab. Atlis Gesandte
Segelten drauf durch verästelte Sunde,
Bis sie zum Wohnsitz der Wackeren kamen.

5

Die zechten sich lustig, zündeten Feuer
Und ahnten nichts Arges bei Ankunft jener.
Sie scheuten sich nicht, die Geschenke zu nehmen,
Die der Herrscher geschickt. Sie hängten dieselben
An die Säulen im Saal und blieben sorglos.

6

Kostbera kam, die kenntnisreiche
Gattin Hagens, die Gäste begrüßen.
Auch Gunthers Gattin, die gütige Glaumwör,
Tat ihre Pflicht mit wirtlicher Pflege.

7

Sie baten Die Boten. den Hagen, nach Hause zu gehen,
Um leichter den Fürsten zur Fahrt zu verlocken.
Da hätte man, sorgend, sich selbst zu sichern,
Wohl merken müssen des Meinrats Tücke.
Gunther gewährt' es, wenn Hagen wolle;
Doch was jener gewünscht, verweigerte dieser.

8

Da brachten den Met die minnigen Frauen,
Auch ein reichliches Mahl von mancherlei Speisen;
Man händigte trinkend die vollen Hörner
Im Zirkel herum, bis man satt war des Zechens.

9

Dann legten die Leute zurecht ein Lager,
Wie es den Boten am besten behagte.
Kostbera kannte die Kunst der Runen
Und las die Stäbe beim Lichte des Feuers;
Doch zögerte zaghaft am Gaumen die Zunge;
Denn fälschend verzogen fand sie die Zeichen,
Und ihr deuchte verdunkelt die rechte Bedeutung.

10

Zu 10. Keine der bisherigen Auslegungen gibt einen erträglichen Sinn. Für diejenige, welche K. E. als die traditionelle anführt und in der Übersetzung beibehält: drottlata – populari animo praeditae (danach Simrock: die Leutselige), wird eine sprachliche Begründung nicht einmal versucht, ist eine solche auch nicht abzusehen. Kaum besserer Sinn ist gewonnen mit der ebendort im Glossar aufgestellten Konjektur dreymdi drott-lata stehe vielleicht für dr. til drottl. und bedeute: somniavit de actionibus aulicorum, satellitum. – Drott, unser »Troß«, ist die Gefolgschaft, deren Besitz ein Hauptmerkmal des Gebieters, Fürsten, des Drottinn (deutsch Drost, Landdrost) ausmacht, deren Verlust also den Verlust der Herrschaft, der Krone, den Untergang des Reiches bedeutet. Nun heißt aber lata, wie recht oft unser »lassen«, auch »verlieren«. Also ist drott-lata nicht etwa nur müßiges Beiwort zum Besten der Alliteration, sondern gibt die hier unbedingt erforderliche Hauptsache, den Inhalt des Traumes, mit härtester Kürze in ein Wort zusammengedrängt: Sie träumte [Land- und] Leute-Verlieren.

Dann ging sie zu Bette mit ihrem Gatten.
Ihr träumte Verlust von Thron und Leuten.
Sie hielt's nicht geheim vor dem hehren Gemahle.
Kaum war er erwacht, so erzählte sie's weislich:

11

»Du bereitest dich, Hagen, von hinnen zu reisen.
Erwäge das Wagnis mit weisem Geiste.
Der völlig Unfehlbaren gibt es nicht viele;
Verspare den Zug auf spätere Zeit.
Ich errate die Runen, die Gudrun geritzt hat:
Keineswegs den Wunsch, daß du kommest,
Auf diese Ladung schrieb die Erlauchte.

12

Eins ist erstaunlich und schwer zu verstehen:
Sie kennt doch die Kunst; wie kam es also,
Daß sie nicht richtig die Runen geritzt hat?
Denn sie lauteten an, als laure dahinter
Der Tod für euch beide, wofern ihr den Boten
Sofort gefolgt wärt. Ein Zeichen fehlen
Ließ hier die Frau, oder fremde Hände
Walteten fälschend [und schnitten es fort].«

Hagen.

13

Argwohn ist immer den Weibern eigen;
Nicht nach meinem Sinn ist solches Mißtraun.
Hier darf nicht Verdacht, nur Dank mich bestimmen.
Der Herrscher verheißt uns, die Hände zu schmücken
Mit Ringen von Rotgold. Reden zu hören
Von bösen Träumen, macht mir nicht bange.

Kostbera.

14

Ihr würdet straucheln, die Straße wandernd;
Euch begegnet nichts Gutes auf diesem Gastmahl;
Das träumt' ich, Hagen, ich will's nicht verhehlen.
Widerwärtiges wartet euer,
Oder es irrt mein angstvolles Ahnen.

15

Zu 15, 7. Statt muno lies munþu.

Lichte Lohe verzehrte dein Lager,
Und flackernd durchflog mein Haus die Flamme.

Hagen.

Hier liegt ein lässig vergessenes Leintuch;
Der helle Schimmer, indem du es schautest,
Ist sofort wie Feuer dir vorgekommen.

Kostbera.

16

Zu 16, 7. In der altdeutschen Vorlage stand hier vielleicht drumôn, in Stücke brechen, zertrümmern. Oder ist þraummun verschrieben aus draumum? Dann wäre mit leidlichem Sinn zu übersetzen: Da war es auch den Träumen, in den Tr., nicht so Geringes; d. h. es war schon schrecklich genug, dergleichen auch nur im Traum zu erleben.

Dann schien mir ein Bär durchs Gebälk hier zu brechen.
Und tobte mit den Tatzen, daß Angst uns betäubte.
Wir lagen ihm regungslos alle im Rachen. –
Da betraf [unser Haus] nicht geringe Zertrümmrung.

Hagen.

17

Ein Sturm wird entstehn von riesiger Stärke,
Und dies Wetter aus Osten Ein Schneesturm, von dem du träumtest, brachte dir die Vorstellung von einem weißen Bären mit. erschien dir als Eisbär.

Kostbera.

18

Zu 18. heitom kann sein ablat. plur. von heit, Verheißung, bestimmter: böse V., hier mithin drohendes Aussehen, aber auch, und weit ungezwungener, von heiti, Benennung, Namen; also af heitom = vom Heißen. Schon K. E. T. II, Glossar S. 661 s. v. heitom, bemerkt ... sive ab »heiti« nomen, cum forte alludatur ad nomen proprium Atli (Attila) et vocem germanicam »Adler«. Danach würde diese Stelle einen der deutlichsten Beweise dafür liefern, daß wir in Atlamal Übersetzung eines deutschen Originals vor uns haben. Denn im Altnordischen ist ein verständliches Wortspiel mit den Bezeichnungen für Adler und dem Namen Atli nicht möglich. Freilich ist auch im Altdeutschen, soviel mir bekannt, keine dazu geeignete Wortform für Adler nachzuweisen. Gotisch ara, althochdeutsch aro und arn. Erst im mittelhochdeutschen finden wir adelar und adlar. Indes trägt diese, wenn auch in schriftlichen Denkmalen erst später vorkommende Form in sich selbst das Gepräge höheren Alters, und dürfen wir wohl um so mehr annehmen, daß jene schriftlich älteren aus ihr gekürzt sind, als wir den Dental im griechischen αἰετός und ἀετός, das l im lat. aquila erhalten sehen. Sehr oft sind ja uralte Worte noch lebendig im Gebrauch, obgleich schriftlich seit einem Jahrtausend nicht bezeugt; so z. B. im Bernischen mehrere, die seit Ulfilas niemals geschrieben wurden.

Ein Adler durchflog hier den Flur meines Hauses.
Schwere Trübsal wird uns betreffen.
Er beträufelt' uns alle mit Tropfen Blutes.
Der Benennung entnahm ich's, daß niemand andern
Dieser Adler bedeutet als Atli.

Hagen.

19

Wir sehen rot aus beim Rinderschlachten,
Und oft bedeutet's Ochsen, wenn man träumt von Adlern.
Atli ist treu gesinnt, was dir auch träume.«

Sie ließen's beruhn. Jede Rede hat ein Ende. –

20

Erwachend wechselten ähnliche Worte,
Der König Gunther und seine Gattin.
Auch Glaumwör meinte, daß ihrem Gemahle
Geträumte Trübsal entgegentrete,
Die Reise widerrate, die Rückkehr versage.

Glaumwör.

21

Es erhob sich ein Galgen. Dich hängten sie, Gunther,
Du nährtest die Würmer – ich nahm dich wieder
Aus bergender Gruft – da warst du lebendig –.
Dann stürzte das Reich. Verstehst du dies Rätsel?

22

Dann meint' ich wieder, ein blutiges Messer
Durchbohre dein Wams. O, wie bangt mir, so Böses
Dem teuern Gemahl melden zu müssen!
Auch schien mir aufrecht ein Schaft zu stehen –
Der Schaft eines Speers, der dich mitten durchspießte –
Und so vor mir als hinten heulten Wölfe.

Gunther.

23

Zu 23. Nachdem G. das Wolfsgeheul im Traume wirklich vernommenem Hundegebell zugeschrieben, erklärt er zugleich recht scharfsinnig, wie derselbe Sinneseindruck die Vorstellung eines durchbohrenden Speeres habe wecken können: Weil der Jäger den Speer erhebt und alsbald fliegen läßt, um das aufgespürte Wild zu erlegen, wann der Jagdhund anschlägt, deshalb ließ das Hundegebell sogleich einen durchbohrenden Speer in deiner Einbildung auftauchen.

Du hörtest im Hofe die Hunde bellen.
Und oft folgt Speerwurf dem Laute des Spürhunds.

Glaumwör.

24

Des Hauses Flur schien ein Fluß zu durchfluten,
Wie rasend rauscht' er, erreichte die Bänke,
Euch Brüdern beiden zerbrach er die Beine –
Der Wut des Wassers war nimmer zu wehren.
Das, denk' ich, bedeute schreckliche Dinge.

25

Auch verstorbener Weiber Gestalten gewahrt' ich
Verwichene Nacht in verwesten Gewändern,
Die dich begehrten zu ihrem Gatten
Und alsbald entboten zu ihren Bänken –
Verscheucht von dir scheinen die Schutzgöttinnen.

Gunther.

26

Zu spät kommt die Warnung, der Weg ist beschlossen,
Befohlen die Fahrt. Wir müssen uns fügen.
So manches Merkmal läßt es vermuten,
Daß kein langes Leben unser Los ist.«

27

Sie verließen ihr Lager beim farbigen Lichte
Des frühen Morgens; doch ward von den Frauen
Der Aufbruch verzögert. – In allem zogen
Fünf in die Ferne, und diesen folgte
Nur die doppelte Zahl an dienenden Leuten;
Die Reiserüstung war übel beraten.

28

Zu 28. Die ersten zwei Namen bedeuten der Schneeige und der Sonnige und machen mit ihren an Winter und Sommer erinnernden Gegensatz den Eindruck, als seien sie aus einem Naturmythus hergeraten. Der dritte, Orkning, erlaubt die Auslegung: Seehundsjäger.

Den Snävar und Solar, die Söhne Hagens,
Nicht minder den Bruder seiner Gemahlin,
Der geschickt im Geschäft war, die Schilde zu tragen,
Und Orkning genannt, nahmen sie mit sich.

29

Die Frauen folgten, mit feinen Gewändern
Strahlend geschmückt, bis zum trennenden Strome;
Doch umsonst war ihr Zögern, ihr zärtlicher Zuspruch.

30

Die Gattin Gunthers, Glaumwör, begann da
Ein Wort voll Würde zu Wingi zu reden:
»Wir wollen euch wohl, doch kann ich nicht wissen,
Ob ihr die Liebe nicht lohnet mit Undank.
Ihr vergeht euch am Gastrecht mit böser Vergeltung,
Wenn unseren Gatten ein Unheil begegnet.«

31

Da verschwor sich Wingi mit schwerem Eide:
»Wer euch verlockte mit listiger Lüge,
Den mögen die Riesen von hinnen raffen,
Und vergißt er das Gastrecht, so lohn' ihm der Galgen.«

32

Sanft von Sinnesart sagte Bera:
»Möge nur Glück auf der Fahrt euch begleiten
Und nichts euch neidisch das Heil verneinen,
Das ich als Ausgang innigst erflehe.«

33

Drauf entgegnete Hagen der Gattin herzlich:
»Nicht klagender Kleinmut geziemt dem Klugen;
Drum bleibet getrost, was immer uns treffe.«
Die meisten Menschen führen im Munde
Dies Wort beim Scheiden; doch wiegt es verschieden.
Nicht die mindeste Mühe gibt sich die Mehrzahl,
Die geleitenden Lieben schön zu verlassen.

34

Sie winkten einander, bis es zu weit war,
Und verschiedene Wege das Schicksal sie führte.
So rasch dann und rüstig beugten sie rudernd
Den Körper zurück, daß der Kiel des Kahnes
Krachend zerriß von den kräftigen Rucken,
Die Schleifen zerschlissen, die Bordpflöcke barsten.
Am Ufer angelangt, eilten sie weiter,
Ohne das Fahrzeug festzulegen.

35

Zum Ziel ihres Zuges eilt die Erzählung.
Die Bothlungenburg erblickten sie balde;
Laut klirrte das Tor, als Hagen klopfte.

36

Ein Wort sprach da Wingi, das besser wegblieb:
»Die Ladung war lockend; doch List nur barg sie.
Es fiel mir nicht schwer, euch ins Feuer zu führen,
Und nun seid ihr nächstens niedergehauen.
Hier findet ihr Falschheit; bleibt fern dem Hause
Oder verweilt hier und wartet so lange,
Bis ich euch beiden den Galgen baue.«

37

Nicht gewillt, zu weichen, erwiderte Hagen,
Um nichts bekümmert, wo's not tat, zu kämpfen:
»Du bist nicht der Mann, uns bange zu machen.
Wagst du, ein einziges Wort noch zu äußern,
So verlängerst du nur dein schmerzliches Los.«

38

Sie streckten den Wingi mit Streitäxten nieder
Und schlugen sein Haupt, bis die schluchzende Seele
Verhaucht war und hinnen zur Hel gefahren.

39

Da rotteten sich die Recken Atlis
Rasch zusammen und eilten gerüstet
In Helmen und Brünnen hinter die Brustwehr.
Sie warfen sich zu gar zornige Worte:
»Wir gelobten uns längst, euch das Leben zu nehmen.«

40

»Daß ihr längst schon drauf sinnt, ist nicht sonderlich sichtbar;
Ihr seid nicht bereit, und wir entrissen
Von eueren Leuten einem das Leben.«

41

Sie wurden wütend nach diesen Worten,
Faßten die Sehnen mit spannendem Finger
Und schossen scharf, mit den Schilden sich deckend.

42

Was draußen drohe, ward drinnen ruchbar.
Vor der Halle des Hauses hörte man alles
Einen der Diener deutlich erzählen.

43

Zu 43. Die für baugar gewählte Übersetzung veranschaulicht die ursprüngliche und gewöhnliche Form der »Baugen«. Dieselben waren lange, meistens dreikantige Streifen edlen Metalles, spiralförmig so gebogen, daß man sie um den Arm (kleinere auch wohl um den Finger) tragen konnte. Im Kopenhagener Museum sieht man deren eine ziemliche Anzahl, sowohl von reinem Silber und Golde als von einem Gemisch aus beiden. Dieselben dienten zugleich statt Geldes, indem man zur Zahlung ein Stück abschnitt und wog, wovon mehrere Worte Zeugnis geben, z. B. baugboeta, Geldbuße zahlen, baugđak, Zubuße. Selbst schon gemünztes Geld scheint man in solche Baugen umgestaltet zu haben. S. Hildebrantslied:

want er dô ar arme wuntanê bougâ,
cheisaringû gitân, so imo der chuning gap.

Grausen ergriff bei der gramvollen Kunde
Gudruns Geist. Ihren goldenen Halsschmuck,
Die silbernen Schnallen und Schneckengewinde
Riß sie herab, daß die Ringe zersprangen.

44

Im Herausgehn riß sie rasselnd die Tür auf,
Doch durchaus nicht erschrocken kam sie geschritten
Und hieß mit Küssen die Gäste willkommen.
Der letzte Liebesgruß war's, den im Leben
Die Nibelunge vernehmen sollten.
Sie meint' es redlich. Dann sprach sie mehr noch:

45

»Durch ein Sinnbild versucht' ich, die Fahrt zu versagen,
Doch unwiderstehlich ist die Bestimmung.
Ihr konntet nicht anders und kamet dennoch.«
Mit klugen Reden riet sie zum Frieden;
Doch genehm war das niemandem. »Nein!« riefen alle.

46

Zu 46. neykđan oder nökđan steht hier in der Bedeutung eines Passivpartizips. Sie zückte den durch Abwerfen des Gewandes nackt gewordenen Dolch.]

Da durchschaute die Fürstin den schändlichen Anschlag.
Mutig entschlossen warf sie den Mantel ab,
Zückte den Dolch, der von diesem bedeckt war,
Verteidigte tapfer das Leben der Teuren
Und bewies sich gewandt im Waffenwerke,
So weit ihre Rechte zu reichen vermochte.

47

Zwei Gegner fällte die Gibichstochter.
Der Bruder Atlis brach zusammen,
Von ihr getroffen. Man trug ihn von hinnen;
Sie hatte den Stoß zu führen verstanden,
Daß die Fersenflechsen am Fuß er durchschnitt.

48

Den anderen aber durchstieß sie also,
Daß er niedersank zum Nimmeraufstehn
Und von Hel in Haft behalten wurde.
Nicht bebte die Hand, die sein Herz durchbohrte.

49

Der Welt ist es kund, wie wild sie da kämpften,
Doch sonderlich gut die Söhne Gibichs.
Die Niblunge ließen, solange sie lebten,
Die geschwungenen Schwerter schwelgen in Streitlust,
Brünnen brechen, Helme zerhauen.

50

Zu 50. Die vier letzten Halbzeilen:

Schon verendeten achtzehn; die Oberhand hatten
Beras Bruder und beide Söhne

sind späterer Zusatz. Die Zahl der Erschlagenen stimmt nicht mit der im folgenden angegebenen. Der Sage und dem Bisherigen entgegen werden plötzlich die Söhne Beras und deren Bruder statt Hagen und Gunthers als siegreich genannt. Auffällig sind auch die reimhaften Endungen sveinar und hennar.

Sie durchstritten die Morgen-, die Mittagsstunden
Und die zweite Hälfte des Tags bis Zwielicht.
Das Feld, noch bevor sie zu Ende gefochten,
Rieselte rings von rotem Blute

51

Zu 51. Der zweite Teil des Satzes führt nur den Inhalt, nicht die Form des ersten weiter; er ist gebildet als lautete der erste: Ich hatte vier Brüder.

Da redete Atli, obwohl entrüstet:
»Ihr traget die Schuld an dem traurigen Schauspiel!
Wir waren hier dreißig wehrhafte Degen;
Nun sind eilf in allem von uns noch übrig.
Ein leidiges Loch hat die lodernde Flamme
Des Kampfes gebrannt. Wir Bothlungenbrüder
Waren zu fünft beim Tode des Vaters: –
Nun beherbergt Hela die eine Hälfte,
Die zwei anderen liegen lahmgehauen.

52

Zu 52. Die betreffende Stelle der Völs. S. lautet: þer hafit nú drepit marga mina fraendr en svikit mik fra rikinu ok fénu rôđit systur mina, ok þat harmar mik mest. »Ihr habet nun eine Menge meiner Lieben getötet und mich selbst um Reich und Geld (den Schatz) betrogen, auch meine Schwester (Brunhild) ins Verderben gestürzt, was mich am meisten härmt.« Unser Lied ist der Sprache nach entschieden älter als Völs. S. Dennoch verbietet ein Vergleich dieser Stelle in beiden besonders deutlich die Annahme, daß der Verfasser der Völs. S. hier nur den Text von Atlamal in Prosa aufgelöst. Seine bei weitem deutlichere und vollständigere Darstellung sieht nicht aus wie selbständige Auslegung des letzteren, den wir ohne sie oft kaum verstehen würden (wie z. B. den Halbvers fae opt svikinn). Nein, V. S. enthält mehr von einer älteren, ihr und Atlamal gemeinsamen Vorlage. Auch diese muß schon alliteriert gewesen sein, wie zahlreiche Spuren der Prosa verraten. Gleichwohl ist in Atlamal trotz vieler identischer Worte (wie hier fraendr, svikit) die mühsame, oft gezwungene Änderung behufs Gewinn des Stabreims nicht minder deutlich. Wie lösen sich diese Rätsel? Durch Annahme altdeutscher Originale in Stabversen.

Ich bin herrlich verschwägert, ich kann's nicht verschweigen!
Mein Wunder von Weib war mir wenig ersprießlich.
Ich sollte mich selten an deiner Seite
Des Friedens erfreun, seit ich dich zur Frau nahm!
Nun hab' ich verloren die lieben Verwandten,
Und, treulos betrogen um vieles, ertrag' ich
Am schwersten das eine, daß ihr mir die Schwester
Hinunter genötigt in Helas Nachtreich.«

53

»Dessen magst du noch, Atli, gedenken,
Du, der das Unheil zuerst veranlaßt?
Du fingst meine Mutter, du hast sie gemordet,
Um selber zu schalten mit ihren Schätzen.
Sie war deine Base; doch du verbargst sie
In einer Höhle, ließest sie verhungern.
Daß du von Leid sprichst, das dünkt mir zum Lachen!
Ich danke den Göttern; denn diese vergelten
Dein eigenes Unrecht mit üblem Ausgang.«

Atli.

54

»Euch mahn' ich, ihr Mannen, die Qual zu mehren
Der frechsten der Frauen! Das säh' ich mit Freuden.
Kämpfet so kühn, daß sie kummervoll jammert;
Mich gelüstet's, ihr Los ihr verleidet zu sehen.

55

Bemächtigt euch Hagens, sein Herz mit Messern
In schneller Bereitschaft herauszuschneiden.
Den grimmen Gunther stellt auf den Galgen
Mit dem Würgseil umwunden und gebt ihn den Würmern [Fußnote fehlt im Buch. Re].

Hagen.

56

Handle nach Herzenslust, heiter erwart' ich's.
Einen Trotzigen trifft's, der Schlimmres ertragen.
Wir haben euch Not genug bereitet,
Da wir kämpfen gekonnt mit heilem Körper;
Nun sind wir so wund, daß du volle Gewalt hast.«

57

Da meinte Beiti, der Marschalk Atlis:
»Laßt uns, Hagen erhaltend, den Hialli nehmen;
Das mindert die Mühe. Die Memme verdient es.
Zu lange schon dauert sein lumpiges Leben.«

58

Das bekümmerte peinlich den Kesselputzer.
Er wollte hinweg; auch durft' er wohl winseln.
In allen Ecken drückt' er sich ängstlich:
»Für euren Streit bestraft ihr mich Armen;
Ich soll bitterlich büßen Bosheit andrer!
O trauriger Tag, der zum Tode mich trennte
Vom genügsamen Leben und nahrhaften Essen,
In dem ich geschwelgt, als ich Schweine gehütet!«

59

Sie brachten den Koch des Königs Bothel
Unter das Messer. Der mutlose Sklave
Jammerte furchtbar, bevor er es fühlte:
»Wie hoch ich betagt bin, ich tauge noch immer
Zu guten Diensten – den Garten zu düngen;
Ich verrichte, gerettet, gern das Geringste;
Laßt mich nur leben, so bin ich lustig.«

60

Zu 60. »Gewärtig des Todes« ist eine für die Charakteristik bedeutende Ergänzung nach der Völs. S. þa maelti Högni sem faerrum er tiđt þa i mannraum koma, ok arnađi þraelnum lifs. Da sprach Hagen, wie wenige pflegen, wann sie zur Manneserprobung [zum Augenblick des Sterbens] kommen, und bat für des Knechtes Leben.

Da fand noch ein Fürwort der furchtlose Hagen,
Bedacht, eines Dieners Verderben zu wenden,
Was, gewärtig des Todes, wohl wenige täten:
»Legt mir dies Spiel auf; ich spür' es minder;
Was zaudern wir hier, um ihn zetern zu hören?«

61

Sie bemächtigten sich des Mildgesinnten; Als einen þioþgođan, auch gegen das Volk, den gemeinen Mann, Gütigen hat er sich bewährt durch die Fürbitte für den Knecht Hialli. Im ganzen Liede ist Hagen mit Vorliebe als Ideal von Milde und Mannhaftigkeit gezeichnet.
Kein Mittel mehr gab's, sie mußten den Machtspruch
Des zornigen Herrn ohne Zögern vollziehen.
Da lachte Hagen. Die Herrscher des Lichtes dag megir, die des Tages Mächtigen, die Lichtgötter. Vgl. Sigrđrifumal 1,3 dagsynir, in einem Gebet um Heil.
Hörten dies Lachen. So heldenhaft litt er;
Mit stolzer Stärke bestand er die Qual.

62

Zu 62. Wörtlich: Er sagte der Mächtigen (das ist der Königin Gudrun, seiner Schwester) Rat – »die Balken brachen auseinander«. Die Stelle ist bisher unverstanden geblieben. In 50 hat Atli befohlen, den Gunther mit starkem Stricke am Galgen festzubinden. Das ist geschehen. Die Schleife um den Hals, steht er auf dem unteren, aus zwei Teilen in der Mitte gefügten Schwebebalken, der durch einen Riegel zusammengehalten wird. Nachdem er noch, etwa durch die Melodie eines Liedes von bekanntem Text, Gudrun aufgefordert, ihn zu rächen, wird seine Erdrosselung vollzogen. Man zieht den Riegel fort und die beiden Balken, raptar, auf denen er steht, klappen, unter seinen Füßen fortsinkend, auseinander, sundr brusto. – Hier erst sei zu 55 bemerkt, daß meine Übersetzung von ormom mit »Würmern« der allgemein angenommenen mit »Schlangen« vorzuziehen ist. Denn in 62 wird Mitwirkung der Schlangen bei Gunthers Tode gar nicht erwähnt; auch ist sie zusammen mit der Erhängung nicht wohl vorstellbar. Schon in Atlaquida und mehr noch in allen späteren Darstellungen ist der Schlangenhof oder -turm, die Umstrickung Gunthers und sein Tod durch eine Natter, die sich ihm bis zum Halse hinauf windet, ein Hauptzug geworden, der mit zunehmender Breite und wachsender Vorliebe für dies Grauenbild ausgeführt wird, dagegen der Galgen und die Erdrosselung weggefallen. Weder eine genügende mythische Deutung des Schlangentodes ist zu gewinnen, noch ein historischer Grund für diesen Zug vorstellig zu machen. Dagegen legt unsere Stelle die Antwort nahe auf die Frage, wie derselbe in die Sage hineingekommen. Die dem Verfasser von Atlamal vorliegende Sage kannte ihn noch nicht. Seine Ursprungsquelle ist eben das Wort ormom 55. Der Dichter wollte den Atli nur sagen lassen: »Erhängt den Gunther und gebt ihn den Würmern, ladet die Würmer bei ihm zu Gast.« Erst die Ausleger dieses Verses machten die Würmer zu Schlangen, wie das der Sprachgebrauch allerdings gestattet. Damit war der Ausgangspunkt gegeben für eine der Phantasie willkommene grusliche Episode.

So gut mit den Zehen schlug Gunther die Zither,
Daß die Frauen betrübt in Tränen zerflossen,
Und wer von den Männern zu schätzen vermochte
Die Klarheit der Klänge, der klagte nicht minder.
Den Rat der Rache raunt' er durch Töne
Der Schwester ins Ohr, bis endlich die Schwelle
[Des Henkergerüstes] entriegelt herabschlug.

63

So mußten im Mittag kräftiger Mannheit
Die tapferen Fürsten dem Tode verfallen;
Ihre Tugend nur lebt bis zum letzten der Tage.

64

Atli tat stolz mit dem Sturze der beiden,
Erzählte die Trübsal der trefflichen Gattin
Und fügte zum Herzeleid höhnische Worte.
»Kaum leuchtet der Tag – du verlorst deine Teuern;
Auch du selber bist schuld, daß es also geschehen.«

65

»Du meldest gar mutvoll die Mordtat, Atli;
Doch erfährst du, was folgt, so fühlst du Reue.
Dies einzige Erbe kann ich dir verheißen:
Beständiges Unheil, wenn ich nicht auch sterbe.«

Atli.

66

Zu 66. haufnom opt gođo, wir verschmähen oft das Gute. Die Sentenz vertritt als andeutende Redeformel die direkte Aufforderung. Du solltest nicht in den gewöhnlichen Fehler verfallen, einen Vergleich in Güte, d. h. die schuldige Sühne, zu verschmähen, mit der ich dir dein Recht der Rache abkaufen will. – Erinnert an Gunthers Erbieten im N. L., der Grimhild Sühne zu zahlen für Sigfrid. Auch wird ja hier Hagen ähnlich charakterisiert wie sonst Sigfrid.

Ich vermag's zu vermeiden durch andere Mittel.
Ich biete dir Buße; wähle das Beßre.
Dirnen zum Dienste, dankenswerte
Seltene Sachen, schneeweißes Silber,
Welches nach Wunsch du selber dir wählest,
Will ich zum Troste der Trübsal dir geben.

Gudrun.

67

Erwarte das nimmer. Mich weigernd verwerf' ich's.
Um gerringere Ursach' zerriß ich die Eintracht.
War ich vorher schon wilden Herzens,
So vergrößern den Grimm jetzt noch andere Gründe.
Ich verhehlte den Haß, weil Hagen noch lebte.

68

Wir waren erwachsen in einer Wohnung;
Die Jahre der Jugend verscherzten wir jauchzend
Mit geschäftigem Spiel im Schatten des Waldes.
Mit goldnem Geschmeide schmückte uns Grimhild.
Umsonst versuchst du, jemals zu sühnen,
Was du mordend verbrochen an meinen Brüdern.
Was du immer beginnst, mich begütigst du niemals.

69

Doch – das Weib trägt wehrlos des Mannes Gewalttat!
Wo der Zweig geknickt ist, da welkt die Knospe,
Und es beugt sich der Baum, den das Beil entbastet.
Du magst nun alles, o König Atli,
Lenken und leiten nach deinem Belieben.«

70

Zu 70. at leika tveim skiöldom, spielen mit zwei Schilden, ist eine figürliche Redensart und bedeutet: heimlicher Gegner dessen sein, für dessen Freund man sich ausgibt. Zugrunde liegt die Vorstellung, daß ein Krieger, welcher die Waffen gegen seine Genossen zu kehren beabsichtigt; auch auf dem Rücken einen Schild trage, um beim Übergehen zum Feinde gedeckt zu sein.]

Der betrogene Fürst vertraute der Falschen,
Wo kluge Vorsicht ihm klar und faßlich
Die Ränke der Rachsucht verraten hätte.
Gut zu verstellen verstand sich Gudrun,
Mit Haß im Herzen heiter zu reden
Und scherzend Böses im Schilde zu führen.

71

Sie befahl das Fest ihren Toten zu feiern,
Und dasselbe beschloß, um seine Erschlagnen
Auch zu ehren, der König Atli.

72

So ruhte die Rede, das Mahl ward gerüstet,
Das Fest gefeiert in üppiger Fülle.
Doch voll grimmigen Grames sann auf Grauses
Die Stolze zum Sturz des Bothlungenstammes,
Auf maßlose Rache an ihrem Gemahl.

73

Ihre Kinder vom König lockt sie liebkosend
An eine Bank und beugt sie drauf nieder.
Sie blicken erschrocken, doch ohne zu schreien,
Und suchen verschüchtert den Schoß der Mutter.
»Was willst du uns tun?« – »O fragt nicht! Euch töten!
Mich gelüstet schon längst, euch das Leben zu nehmen.« –

74

»Ist's dein Beschluß, deine Kinder zu schlachten,
So wehrt es dir niemand; doch wahrlich nimmer
Wird dir der zornige Vater verzeihen
So jähe Bluttat an blühender Jugend,
Am fast schon zur Feldschlacht fähigen Bruder.«
Den gefaßten Vorsatz vollführte sie dennoch:
Beiden Kindern durchschnitt sie die Kehlen.

75

»Wo sind meine Söhne?« frug suchend Atli;
»Wo spielen sie nur? Ich erspähe sie nirgend.«

Gudrun.

76

Ich erkühne mich, Atli, dir Kunde zu geben;
Grimhildens Tochter verhehlt ihre Tat nicht.
Doch wird dir die Nachricht mit nichten genehm sein,
Wenn du alles erfährst, was vorgegangen.
Erst wecktest du mir gewaltiges Wehe,
Indem du die Meinigen hingemordet.

77

Es floh mich der Schlaf, seit du sie erschlugest;
Da droht' ich dir deutlich. Gedenke nun dessen:
»Kaum dämmert der Tag,« so sagtest du damals,
Ich weiß es genau, bei der schrecklichen Nachricht, –
Jetzt ist es Abend, und ebenso will ich
Ähnliches Unheil dir nun eröffnen.

78

Deine Lieben verlorst du in leidigster Weise,
Ihre Schädel hier schaust du als Schalen zum Trinken.
Ich vermehrte den Met, indem ich ihn mischte
Und hochrot färbte mit ihrem Herzblut.

79

Ich briet am Bratspieß und brachte die Herzen
Dir, König, zu kosten als Kälberherzen.
Dir schieb' ich die Schuld zu an dieser Schandtat.
Du ließest nichts übrig vom leckeren Imbiß,
Und mit gierigem Gaumen hast du gegessen.

80

Du kennst nun, o König, das Los deiner Kinder;
Das schaurigste Schicksal war ihnen beschieden.
Mein Werk ist vollbracht; doch ich will mich nicht brüsten.

Atli.

81

Gräßliches tatst du, grimmige Gudrun!
In den Met mir zu mischen mit Mutterhänden
Das Herzblut der Knaben, der holden Knospen
Des eigenen Schoßes, war scheußliche Untat.
Lückenlos leidvoll machst du mein Leben.

Gudrun.

82

Dich selbst zu entseelen, ist meine Sehnsucht.
Strenge genug ist keine Strafe
Für solch' einen Herrscher. Hast du vorher nicht
Beispiellos tückische Taten geboten
Und die Welt entsetzt mit sinnlosem Wüten?
Zum früheren Frevel fügtest du frischen.
Dich selbst besudelnd mit gräulicher Sünde
Stellst du zur Stunde dein Sterbefest an.

Atli.

83

Du sterbe gesteinigt, und dann zerstöre
Dein Fleisch die Flamme; dann wird dein Flehen
Und ewiges Wünschen endlich gewährt sein.

Gudrun.

84

Du bemühe dich, morgen dies Los zu meiden;
Mich leitet zum Licht eines anderen Lebens
Ein mir beschiedener schönerer Tod.

85

Zu 85. Diese Strophe hat ihre Stelle wahrscheinlich weit früher gehabt.

Sie wohnten beisammen feindlich gesonnen
Und warfen sich zu viel zornige Worte;
Ihr Leben war beiden leidig verbittert.

86

Der Niblung grollte, sann auf Großes
Und erzählte der Gudrun, er zürne dem Atli.

87

Da gedachte diese, was Hagen erduldet,
Und reizte rühmend den Jüngling zur Rache.
Nach raschem Entschluß ward Atli erschlagen
Vom Sohne Hagens und Gudruns Händen.

88

Entrissen dem Schlaf, begann er zu reden,
Sogleich gewahrend, daß seine Wunden
Ihn tödlich durchbohrten und unverbindbar:
» Wer verwundete, sagt mir die Wahrheit,
Den Bothle Entstammten? Sein Stoß durchstach mich
Etwas unsanft und ist mein Ende.«

Gudrun.

89

Grimhildens Tochter verhehlt ihre Tat nicht.
Mich zeihe des Ziels der Zeit deines Lebens
Und mit mir in Gemeinschaft, daß du ermattest
Durch solche Versehrung, den Sohn des Hagen.

Atli.

90

Du wütest grausam, obwohl nicht grundlos.
Den vertrauenden Gatten betrügen, ist gottlos.
Verleitet war ich, mein Land zu verlassen,
Um dich mir zum Weibe, Gudrun, zu werben.

91

Du warest Wittib, als wild verrufen,
Nun zeigt's der Erfolg, ich hab' es erfahren.
Wir führten dich heim mit Heeresgefolge,
Auf das reichste gerüstet war unsere Reise.

92

Alles war prunkvoll, dich pries die Menge.
Nie gebrach es an Rindern zu reichlicher Nahrung;
Der Schatz war gefüllt, denn es schoßten uns viele.

93

Ich brachte dir zu als Brautgeschenke
Und Morgengabe Güter die Menge,
Dreißig Diener und sieben Dirnen,
Die seltensten Sachen und Silber in Fülle.

94

Doch dünkte das dir nicht wert eines Dankes,
Solang ich die Länder nicht auch noch verlöre,
Mein Gebiet und Geburtsrecht als Bothels Erbe.
Du brachtest mir – Ränke, sonst nicht das geringste.
In Tränen schwamm deine Schwiegermutter;
Heiteren Geistes waren wir Gatten,
Einmal verbunden, beide nicht wieder.

Gudrun.

95

Nun lügst du, Atli; doch leicht will ich's nehmen.
Zwar – sanft war ich selten – du – sinnlos wütend
In Jähzorn und Zwist mit den jüngeren Brüdern.
Hela beherbergt die Hälfte der deinen.
Was genehm war und nützlich zu Glück und Genügen,
Das habt ihr euch neidisch alles vernichtet.

96

Uns drei Geschwistern schien nichts unerschwinglich;
Auf ferne Fahrten folgten wir Sigfrid;
Wir jagten dem Glück nach und jeder unser
Verstand zu stellen das Steuer des Schiffes,
Bis wir abenteuernd ins Ostland kamen.

97

Wir fällten im Kampfe den ersten König
Und erlangten als Lohn sein Land zu eigen.
Die Herzöge huldigten unserer Hoheit,
Weil Schrecken voraufging unseren Schritten.
Wer unsträflich uns schien, dem erstritten wir Freiheit
Von Verbannung und Buße. Wir bauten Häuser
Den Bettlern sogar, die alles entbehrten.

98

Zu 98. Einzige Stelle des Gedichts, in der das Wort hunisch vorkommt, und zwar zur Bezeichnung Sigfrids. Es hat also hier, im Gegensatz zu Atlaquida, wieder die Bedeutung: deutsch, wie in den anderen eddischen Heldenliedern der Niblungensage.

Doch der Hunische starb, zerstört war die Hoheit,
Jammervoll ward mein Jugendschicksal;
Das war mein Erwerb, nun Witwe zu heißen.
Doch dem Atli vermählt sein, war ärgere Marter
Und herberes Los für die Heldengeliebte.

99

Du kehrtest vom Kampf nie heim mit der Kunde
Erfochtener Sache, besiegter Feinde;
Stets wolltest du weichen, nicht Widerstand leisten;
Das hieltst du geheim; doch Schmach war's dem Herrscher.

Atli.

100

Gudrun, du lügst. Das lindert das Los nicht,
Das uns beiden nur bittere Buße bestimmte.
Was an Güte dein Geist hat, o Gudrun, das denke
Unserer Ehre bei meinem Ausgang.

Gudrun.

101

Einen Kahn will ich kaufen nebst steinerner Kiste,
In gewächstes Linnen die Leiche dir wickeln
Und alles nach Ordnung nicht anders besorgen,
Als wenn ich dir hold gewesen wäre.«

102

Die Seele des Königs verließ den Körper,
Und seine Getreuen erfüllte Trauer.
Was sie gelobt, das hielt die Erlauchte.
Sich selbst zu entseelen, sann jetzt Gudrun;
Doch war es ihr Los, noch länger zu leben,
Durch andres Geschick vom Dasein zu scheiden.

103

Beneidenswert nennt die Nachwelt jeden,
Dem eine Tochter, tatentüchtig
Gleich der des Gibich, zu zeugen vergönnt wird,
Und ewig lebt in allen Landen,
Wo Menschen hören, »der Haß der Vermählten«.


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