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Mär von Grimner

Grimnismal

König Hraudung hatte zwei Söhne, Agnar und Geiröd. Als Agnar zehn, Geiröd acht Winter zählte, ruderten beide mit ihren Angelruten hinaus, kleine Fische zu fangen. Wind verschlug sie nach der hohen See. Bei Nacht und Nebel scheiterten sie an einer Küste, stiegen empor und fanden einen Hüttenbewohner. Da blieben sie den Winter. Die Frau nahm sich Agnars an, der Mann Geiröds und lehrte ihn Schlauheit. Im Frühjahr schaffte ihm der Mann ein Schiff. Als er sie mit seiner Frau an den Strand geleitete, sprach er beiseite mit Geiröd allein. Sie faßten Fahrwind und gelangten zur Wohnstätte ihres Vaters. Geiröd stand vorn im Schiff. Er sprang ans Land, stieß das Schiff hinaus und rief: Fahre hin, wo sich Unholde deiner bemächtigen.

Das Boot trieb ins Meer hinaus, Geiröd aber ging hinauf nach dem Königsbau und wurde da wohl empfangen. Sein Vater war gestorben; so wurde Geiröd zum König gewählt und ward ein berühmter Mann.

Odin und Frigg saßen auf Hlidskialf und überschauten alle Heimstätten. Da sagte Odin:

Siehst du, wie dein Pflegling Agnar in jener Höhle mit einem Riesenweibe Kinder zeugt, Geiröd aber, mein Pflegling, König ist und in seinem Lande sitzt?

Frigg entgegnete: Er ist ein so schmutziger Geizhals, daß er seine Gäste quält, wenn ihm deren zu viele kommen.

Das sei arge Lüge, versetzte Odin.

Darüber gingen sie eine Wette ein. – Frigg sandte ihre Schmuckzofe Fulla zu Geiröd mit dem Auftrag, ihn zu warnen vor Schädigung durch einen Zauberer, der in sein Land gekommen, und gab als Merkzeichen an, daß kein Hund so wütig sei, einen Anfall auf ihn zu wagen.

Für den anrüchigsten Makel galt es, daß König Geiröd mit Speisen nicht freigebig sei. Doch ließ er den Mann festnehmen, den die Hunde nicht anzufallen wagten.

Der trug einen blauen Mantel, nannte sich Grimner, sagte aber sonst nichts von sich aus, obgleich man ihn mit Fragen bedrängte.

Um ihn durch Pein zum Reden zu zwingen, ließ ihn der König zwischen zwei Feuer setzen. Acht Nächte saß er so.

König Geiröd hatte einen Sohn, der zehn Winter alt war und Agnar hieß nach dem Bruder des Vaters. Agnar trat zum Grimner, gab ihm ein Horn voll zu trinken und sagte: der König tue übel, ihn, den Schuldlosen, so zu peinigen.

Grimner trank aus. Schon war das Feuer so weit gekommen, daß der Mantel Grimners anbrannte. Jetzt hub er an:

1

Heiß bist du, Herdglut,
Allzu arg, Hitze!
Fort von mir, Feuer!
Vom lodigen Mantel
Obgleich ich ihn lifte,
Brennt das Bruststück.

2

In Sengeglut sitz' ich
Acht schon der Nächte.
Nahrung Vgl. 19. bot niemand
Als einzig Agnar.
Allein einst lenken
Die Lande der Goten
Soll Geiröds Sohn.

3

Heil ist dir, Agnar,
Sicher verheißen,
Wenn die Verheißung
Ausspricht der Helfer
Der Menschengemeinde.
So gute Vergeltung
Trägt dir nimmer
Ein einziger Trunk ein.

4

Geheiligt ist das Land,
Das benachbart liegen
Ich sehe den Asen
Sowohl als den Alfen.
In Thrudheim thronen
Wird Thôrr bis zum Tage,
Da die Götter vergehn.

5

Zu 5. tannfé, dem Kinde beim Zahnen gestiftetes Angebinde, vgl. bruþfé, skaldfé, Braut- und Skaldengeschenke. Sollte vielleicht aus dieser Stelle Licht fallen auf des Tacitus »templum quod Tanfanae vocabant« Annal. I, 51? Denn aus tan-fé könnte immerhin für ein Heiligtum Freyrs ein Name entstanden sein, welcher dem von Tacitus überlieferten ähnlich lautete.

Ytal heißet
Die Heimstatt, wo Uller
Die Burg sich baute.
Alfheim gaben
Als Godengeschenk
Die Götter dem Freyr
Im Zeitenbeginn
Als ihm Zähne gewachsen.

6

Das dritte der Häuser
Ist jen's, wo die heitern
Götter mit Silber
Die Säle deckten.
Walskialf heißt es;
Es wählte sich dieses
Vor Alters der Ase.

7

Zu 7. Sökkvabekkr = in die Tiefe stürzender, unterirdisch weiterfließender, wie von der Erde eingesogener Bach. Daß unter seinem Kühlung spendenden Fall der vierte Göttersitz liege und nach dieser Sage benannt sei, erklären der zweite und dritte Halbvers.

Senkbach heißt der Sitze
Vierter; ihn umtoset
Kühlflut nach der Tiefe.
Aus goldenen Humpen
Trinken da heiter
Alle Tage
Odin und die Sage.

8

Glanzheim ist der fünfte,
Wo goldig glostend
Walhall sich weitet.
Da kürt sich täglich
Der König der Götter
Die dem Waffentod Geweihten.

10

Zu 9 und 10. Diese Strophen müssen umgestellt werden; denn die Ankommenden gelangen doch erst vor das Tor, dann in den Saal.

Die zu Odin kommen,
Erkennen unschwer
Nach Sicht seine Saalburg.
Hängend ob dem Westtor
Gewahren sie den Wolf,
Über ihm den Adler.

9

Die zum Odin kommen,
Erkennen unschwer
Nach Sicht seinen Saal.
Speere dienen
Dem Dach als Sparren,
Als Schiefer Schilde;
Panzerhemde
Polstern die Bänke.

11

Der sechste der Sitze
Ist Thrymheim, wo Thiassi,
Der Gewaltige, wohnte,
Jetzt aber Schadi,
Die schämige Gottbraut,
In ihres Vaters
Veste verweilt.

12

Den siebenten Sitz
Hat sich Balder gebaut,
Und Breidablick heißt er.
In jenen Gründen
Weiß ich von Greueln
Die wenigsten heimisch.

13

In Himmelsburg achtens
Ist Heimdal wohnhaft.
Als Wächter der Götter
Trinkt er vergnügt
In traulichem Gemache
Den trefflichsten Met.

14

Zu 14. Der versteckte Sinn dieser Götterrune ist: daß Freya, als Göttin des Luftreichs, nicht etwa die halbe Anzahl der im Kampfe Gefallenen, sondern von jedem derselben die Hälfte aufnehme. Die Körper lösen sich in Luft auf, indem sie verbrannt werden; die Seelen nimmt Odin nach Walhall.

Im neunten, Volksmark,
Ist Freya befugt,
Mit Sitzen zu versorgen.
Von den Toten der Kämpfe
Erkiest sie sich täglich
Die eine Hälfte;
Die andere Odin.

15

In Glitzerburg zehntens,
Wo golden die Säulen,
Von Silber das Dach ist,
Ist Forseti seßhaft,
Tagtäglich bestrebt,
Alle Streite zu schlichten.

16

Zu Nóatun eilftens
Hat sich Niördr errichtet
Sein ragendes Haus.
Da herrscht er vom Hochsitz,
Ohne Makel und Mißgunst
Als Männergebieter.

17

Bewachsen mit Weidig,
Hoch wucherndem Grase
Sind Widars Gründe.
Da setzt vom Rücken
Des Rosses der Rüst'ge,
Den Vater zu rächen.

18

Zu 18. Andhrîmnir, der Name des Koches in Walhall, bedeutet Rußgesicht, Eldhrîmnir, der des Kessels, feuerberußt, Saehrîmnir, der des Ebers, etwa rußschwarze Wildsau.

Rußgesicht kocht
Im Kessel Rauchschwar
Den Keiler Kohlschwar,
Das köstlichste Fleisch;
Doch wenige wissen,
Was die Einherier
Eigentlich essen.

19

Dem Gier und dem Frech Geri und Freki, Namen der beiden Wölfe Odins.
Gibt zu fressen
Der sieggewohnte
Herrliche Heervater;
Doch nur von Wein lebt
Der waffengewaltige
Odin immer.

20

Hugin und Munin Huginn, Gedanke, Muninn, Erinnerung, Namen der beiden Raben Odins.
Umfliegen täglich
Die Fluren der Erde.
Ich fürchte, daß Hugin
Nicht finde den Heimweg;
Doch mehr noch besorgt
Bin ich Munins wegen.

21

Zu 21. aber zugleich zum Verständnis der ganzen Dichtung unentbehrlich.

An dieser Strophe hat man herumgerätselt mit einem Massenaufgebot von Konjekturen, Textänderungen und einander unvereinbar entgegenstehenden Erklärungen. Schließlich kommen alle Ausleger bei dem Bekenntnis an, daß der Sinn hoffnungslos verdunkelt, keine der möglichen Vermutungen erweislich sei.

Auch ohne erhebliche Änderung des überlieferten Wortlauts ist befriedigende Deutung zu erlangen, wenn man sich zuvor klar geworden ist über die Anlage und den allerdings geflissentlich verschleierten Gedankengang der Dichtung.

Achttägige Feuerfolter hat dem Fremdling das Geständnis, wer er sei, noch nicht abgepreßt. Endlich, nachdem schon sein Rock angesengt ist, bricht er sein Schweigen. Dem zehnjährigen Knaben Agnar, dem Sohne des Königs Geiröd, dankt er für den dargebotenen Trunk mit der Verheißung, daß er glücklich und einst Alleinherrscher im Reich sein solle, da, oder insofern ihm dies Heil vom Menschenbeschützer zuerkannt werde; womit er andeutet, daß er selbst dieser Menschenhelfer sei. Dies ferner und immer deutlicher ahnen zu lassen, ist der Zweck der folgenden Strophen. In ihnen entfaltet er eine Kunde von den Residenzen der Riesen, Wanen und Asen, namentlich von Walhall und seinen Geheimnissen, wie sie nur Odin selbst besitzen kann.

Schon mit Strophe 17 über das Gefilde Widars, des Rächers, der einst dem Wolfe die Kiefer auseinanderreißen wird, nachdem derselbe den Odin verschlungen (vgl. Vafthrudnismal 53) kommt er an beim allbeherrschenden Hauptthema der altgermanischen Göttersage, bei der Vorstellung, um welche sie sich dreht als um ihre Achse, der von Ragnarauk, dem Untergange der Ordner in der Schlacht mit den Mächten der Vernichtung. Auch Strophe 18 verläßt diese Vorstellung keineswegs; denn sie handelt von den Einheriern, den zu Mitkämpfern in der Endschlacht Gekorenen. Dabei gibt Grimner wieder ein Merkzeichen seiner Gottwürde, indem er andeutet, er wisse, was eigentlich die Speise bedeute, welche diesen Helden Koch Rußgesicht im Kessel Feuerschwarz vom Fleisch des Ebers Rauchschwarz bereite; eine Kost nämlich, gerade so geistig wie das weiter unten symbolisch bezeichnete Getränk. (Vgl. Anm. 3 zu Str. 25.)

Gewiß nicht ohne Bezug erstens auf die Angabe der prosaischen Einleitung, daß König Geiröd geizig gewesen mit Gewährung von Speise, also wohl dem gequälten Fremdling acht Tage und Nächte nichts zu essen geboten, zweitens auf den Trunk, den ihm der Knabe Agnar gereicht, fügt er in 19 hinzu, daß Odin selbst nur von Wein lebe und mit anderer Nahrung nur seine beiden Wölfe füttere. Deren Erwähnung ruft dann in 20 auch die der beiden Raben auf. Doch ist unverkennbar, daß ihr gegenwärtiges Amt, täglich über die Erde zu fliegen, um Odin Bericht zu bringen vom Weltlauf, nur bezeichnet wird, um sogleich überzugehen zum Tage der Götterdämmerung, an welchem sie, wie der erst ausgesandte Rabe Noahs, nicht zurückkehren werden. Auszuführen, warum das zu besorgen stehe, ist der Dienst der bisher so rätselhaften 21. Strophe.

Die einzige geringfügige Textänderung, die ich für unabweisbar halte, ist: statt unir in Halbzeile 2 zu lesen unnir, Wogen. Danach muß þioþvitnir als Benennung eines Gewässers, Stromes stehen. Übersetzt heißt es aber Völkerwolf, Volksverschlinger. Erinnernd an die Styx und den späteren Acheron, den Allerraffer der griechischen Mythe, wäre das wohlgeeignete Benennung für einen Strom, den die Seelen der Schlachttoten zu furten hätten, um nach Walhall zu gelangen. Indes auch die Mittgartschlange, die den Ozean symbolisiert und deren Schweifschläge wider die Erde am jüngsten Tage die Überbrandung des Festlandes durch die Meeresflut bedeuten, erhält oft den Namen Erd- oder Weltwolf. Diese Sintflut also ist gemeint mit den »Wogen des Völkerwolfes«. Von ihr sagt die Hyperbel der dritten Halbzeile fiskr flođi i: sogar der Fisch erleidet Überschwemmung in ihr. Sie ist zu gewaltig, sagen Halbzeile 4-6 nach mindest gezwungener und nächster Auslegung, als daß die Schar der an diesem Tage nach Walhall strebenden Kampftoten sie zu durchwaten vermöchte.

Ungesagt freilich und nur zu denken gefordert bliebe dann, daß der wilde, mit der Fischhyperbel ausgedrückte, etwa hoch aufspritzende Wogenaufruhr sogar den Raben unüberfliegbar sei.

Erwähnt sei daher noch eine andere, zwar dem Text gegenüber mißliche, aber immerhin mögliche Auslegung.

Valr heißt auch Falke, und glaumr kann nicht nur »Schar«, sondern wie »Freudenlärm«, allenfalls auch »Freude« bedeuten. Wenn also valglaumr nicht gar direkt »Falkenschar« meint und damit sagen will: »nicht einmal diese allerflugkräftigsten der Vögel, geschweige denn Raben können den Flutenaufruhr überfliegen«, so darf man es doch, als ausgesagt von den beiden Raben, gelten lassen als etwa: falkfroh, falkenbehende, sich der Flugkraft der Falken erfreuend. Der späteren Skaldenpoesie wenigstens, von welcher etliche der folgenden Einschaltungen in dies alte Lied herzurühren scheinen, waren sprachliche Verrenkungen dieser Art zum Rätselspiel mit allerentlegenstem Sinn durchaus geläufig. Dann wäre die Meinung unserer Verse, das Wassergestürz und Brandungsgespritze der ozeanischen Überflutung werde so furchtbar sein, daß sogar die Falkenflugkraft der Odinsraben nicht ausreiche, sie zu überfliegen.

Aus vaþa darf man keine Einwendungen dagegen herleiten. Zwar ist es identisch mit unserem »waten«, bedeutet auch oft wie dieses ein Gewässer zu Fuß furten, ist aber auf diese Urbedeutung nicht gleich streng beschränkt geblieben. Es steht auch für durchschwimmen, z. B. sogar von Antwari in Fischgestalt (Sigurdarqu. II, 2), und an einer Menge von Stellen für schreiten, laufen, sich schnell vorwärts bewegen, u. a. am Himmel, von der auf- und untergehenden Sonne ausgesagt; also warum nicht auch vom Vogelflug? Auf Grund dieser Deutung hätte die Übersetzung zu lauten:

Das Gestrudel des Stroms
Ist so furchtbar, daß Falken
Die Flut nicht überflögen.

Noch deutlicher würde damit der schon oben berührte Anklang an die biblische Flutsage. Die Verwandtschaft der betreffenden nordgermanischen mit der griechischen und semitischen Mythe von Deukalion und Noah ist ja ohnehin unbestreitbar. Sogar das ist nicht unmöglich, daß in Noatûn, d. i. Zaun, Gehege, Gehöft Noas, der Name des biblischen Fluthelden steckt, da eine altnordische Etymologie für Noa nicht beizubringen ist.

Denn es toben und tosen
Die Wogen des Wolfstroms;
Selbst der Fisch in ihm
Wird fortgeschwemmt.
Das Gestrudel des Stroms
Ist dem Schwarm der Gefallnen
Zu geschwollen zum Furten.

22

Der Schlachttoten Schließtor
Steht gefemt im Felde
Vor gefeiter Einfahrt.
Hoch betagt ist dies Tor,
Doch wenige wissen,
Wie spät es gesperrt wird.

23

Fünfmalhundert
Und vierzig Türen
Weiß ich in Walhall.
Achthundert Einherier
Gehn, wann es gilt,
Dem Wolfe zu wehren,
Aus jeglicher Tür.

24

Zu 24. Hier endlich bekennt sich Grimner als Odin, wenn auch nur indirekt, indem er den Besitzer des größesten der Götterpaläste, des Bilskirnir, den Thôrr, natürlich ohne dessen Namen auszusprechen, seinen Sohn nennt. Aber dem geizigen, grausamen und verstockten Geiröd ist auch nach diesem Wink Odin noch nicht erkennbar. Der Gast fährt also fort mit Beweisen seiner Kunde von allen Weltgeheimnissen.

Fünfmalhundert
Und vierzig Böden
Im bogenreichen
Bilskirnir schätz' ich.
Von allen erwähnten
Wohnsitzen weiß ich
Geräumigst errichtet
Den Sitz meines Sohns.

25

Zu 25. Ich erkläre, entgegen der gewöhnlichen Auslegung, den Namen Heiđrun als gebildet aus heiþr und runa und bedeutend: Ehrenkunde. Ähnlich Lärad: ratsame, frommende Lehre.

Über Heervaters Halle
Steht Heidrun, die Ziege.
Die nagt ihre Nahrung
Vom Laube Lärads.
Mit lauterem Labemet
Schenkt sie die Schale voll;
Nie mindert sich ihre Milch.

26

Über Heervaters Halle
Steht der Hirsch Eichenhornig Mit Geweihen, so riesig wie das Geäst eines Eichbaums.
Und nagt auch Nahrung
Vom Laube Lärads.
Nach Wergelmir Hvergelmir ist eine Art Tartaros oder Acheron. Lange vor der Erde, heißt es in Snorri Sturlesons Edda, wurde Niflheim, die chaotische Nebelwelt, geschaffen, und in ihrer Mitte liegt der Quell(=See) Hvergelmir, aus welchem die zum Reiche der Hel gehörigen Flüsse entspringen. tröpfelt's
Von seinem Geweih.
Davon eignen ihre Wege
Alle Wasserläufe.

27 u. 28

Strophe 27.

Einn heitir Vina
En aunnor Vegsvinn,
Þriđia Þiođnuma.
Þaer hverfa um hodd god đa
Gumnom naer
En til Heliar hêđan

ist so von mir aus der Zerstreuung hergestellt. Die ganze überlange und formlose 27. Strophe, wie sie in den Handschriften und Ausgaben steht, ist nämlich mit Ausnahme des einen Verses þaer hverfa um hodd gođa das Machwerk eines schreibenden Mythologen der spätesten Skaldenzeit. Dasselbe gilt von der vierten bis zehnten Halbzeile der Strophe 28, in denen bereits die Reimlust auftaucht. – Hier die Übersetzung der Namen in diesen Katalogen, insoweit ihre Bedeutung erweislich oder doch vermutbar ist:

Strophe 27. Der Tiefe, Breite, Beharrliche, Feindliche, Kühle, Kriegtrotzige, Langläufige, Murmelstrom, Rauscher auch Rhein, Schnelle, Geschwätzige, Burbelnde (unsicher), Gähnende (oder Ältliche), Speerschwingende (?), Tobende, Anmutige, Gesprächige (?), Steinige, Gierige, Kampfkühne.

Strophe 28 von Halbvers 4 an: Nutzen, Not, Freigiebige, Fliehende, Schlüpfrige, Ungestüme, Verschlucker, Brander (oder Heuler), Weite, Versieger, Geschlängelt, Strandig, Glitzernd, Schimmernd.

Unmut heißt der eine,
Wegkund der zweite,
Volkfang der dritte.
Die gehn um der Götter Au'n,
Drauf näher den Menschen,
Dann wieder zur Hel.

29

Die beiden badwarmen
Körmt und Örmt
Durchwatet Thôrr
An jedem Tage,
Wo Urteil an der Esche
Yggdrasil gesprochen wird;
Denn in Brand steht die Brücke
Der Asen, und heiß
Sind die heiligen Flüsse.

30

Glatthaar und Goldfuchs,
Blänker und Blitzlauf,
Silberkamm, Sehnig,
Streifscheck, Strahlhuf,
Leuchtstirn und Leichthuf
Heißen die Rosse,
Die zum Gerichtstag
An der Esche Yggdrasil
Reiten die Asen.

31

Von dieser Esche
Wenden sich drei Wurzeln
Nach drei Weltseiten.
Unter der einen
Liegt Hels Behausung,
Unter der andern
Der Reifriesen Reich,
An der dritten der Sitz
Der gesitteten Menschen.

32

Zu 32. Niđhauggr ist, deckender nachgebildet: Neidhacker oder auch Niederhauer.

Das Eichhörnchen Ratraun
Wird rennen auf und ab
In der Esche Yggdrasil
Und vom Adler oben
Die Reden berichtend
Hinunter tragen
Zum nagenden Neidwurm.

35

Zu 33 und 34.

33.

Vier sind der Hirsche,
Die hälsebeugend
Knuspern von den Knospen:
Töter, Betäuber,
Tönohr und Türbrech.

Wegen gaghâlsir, einer der Sprache der älteren Stücke der Edda noch nicht geläufigen Zusammensetzung, und der vier Hirschnamen, von denen zwei im unechten Zwergkatalog der Völuspa (11) vorkommen, dringend verdächtig.

34.

Mehr Gewürm umwühlt
Die Wurzeln der Esche,
Als das einem träumt
Von den affigen Tröpfen.
Goïnᵃ) und Moïnᵇ),
Grafvitnirs c) Sprossen,
Grabakrᵈ) und Grafvölludrᵉ),
Ofner und Svafner:
Die sind bestimmt,
Die Triebe beständig
Dem Baum zu verstümmeln.

Diese Strophe ist unverkennbar eine durch übertreibenden Ausdruck entstellte, durch Einschaltung erweiterte Variante der ihr folgenden. Das schlichte meira en menn viti in 35 (mehr, als Menschen wissen) ist mit jener Kraftsucht, die nur beim Schwulst anlangt, verballhornt in fleira en þat ofhyggi ôsviđra apa (mehr, als das ausklügeln blödsinnige Affen); wobei ofhyggi (ungefähr ergeisten, sich herausgrübeln) ähnlich und noch mehr als das obige gaghâlsir die Wortschmiedung der Skaldenzeit verrät.

Missetat mehr,
Als Menschen es ahnen,
Erduldet die Esche.
Hirsche weiden
Am Wipfel oben,
Im Stamm Verwesung;
An den Wurzeln unten
Nagt der Neidwurm.

36

Tragen sollen
Zu mir das Trinkhorn
Vernichtsturm und Nebel.
Beilzeit, Erbittrung,
Kampfgrimm, Kühnheit,
Hochmut, Heerbann,
Schildgier, Machtgier
Und Lust nach dem Lose
Gebietender Götter
Tragen das Bier auf
Den einherischen Helden.

37

Frühwach und Freisicht,
Die erfreulichen, sollen
Hinfort die Fahrt
Der Sonne besorgen.
Gütige Götter
Umhüllten ihre Kumte
Mit kühlendem Eisen.

38

Zu 38. Wieder eine Berührung der mythischen Poesie unserer Vorfahren mit jüngsten Lehren der Naturwissenschaft, nach denen die Hüllen der Sonne nur etwa ein Viertel ihrer Wärme ausstrahlen lassen, so daß ohne ihre Schirmung wirklich eine Weltbrandkatastrophe wie die geschilderte für uns einträte.

»Kühler« heißt der Schild,
Der schirmend vor den Schein
Der Sonne gesetzt ist;
Denn ich bürge, daß die Berge
Und die Fluten sich entflammten,
Dafern er fiele.

39

Zu 39. Skaull oder Sköll, unsicher; vielleicht der Hängende. Hati, Haß oder Hast; Hrođvitnir, Verwüstungswolf.

Skaul heißt der Wolf,
Der zum gürtenden Weltmeer
Der Funkelgöttin folgt.
Der andere, Hati,
Ein Sohn Hrodvitnirs,
Ist berufen, der hellen
Himmelsjungfrau
Voran zu rennen.

40

Aus Ymirs Fleisch
Ist die Erde geschaffen;
Aus den Säften die See,
Vom Gebein die Berge,
Vom Haare das Baumlaub,
Der Himmel von der Hirnschale.
Aus den Brauen machten
Die milden Götter
Mittgart für die Menschen.
Aus dem Hirn entstand
Alles Sturmgewölk.

42

Zu 42. Auch nach der Vermenschlichung der Göttersage zur Heldensage (vgl. meine Epischen Briefe) bleibt ein solches Wunderschiff im Besitz des zum Sigfrid metamorphosierten Frühlingsgottes und Sonnensohnes. Noch im N. L. dient es ihm zur Fahrt nach Nibelungenland. Zugrunde liegt die Wahrnehmung, daß der Südwind, wann er den Frühling nach dem Norden bringt, den Himmel erst überwölkt, in Wolken also der Sommergott einzieht. Gesichert also ist es, daß das unsichtbar zusammenfaltbare Schiff die Seglerin der Lüfte, die Wolke bedeutet. Ungewiß dagegen ist die Etymologie des Namens. Nach dem Mythologischen Lexikon der K. E. entweder: aus Schichten, Getäfel zusammengeblättert oder, falls man Skyblađnir als ursprüngliche Schreibart annehmen dürfte, aus Gewölkblättchen gebildet. – In Betracht der auch sonst der nordischen Poesie von ihrer Neigung zum Gerätsel eingegebenen sprachlichen Willkür darf man vielleicht Umwürfelung aus Blâskiđnir annehmen. So gewänne man, da blâ blau, skiđ auch die Scheide bedeutet, den trefflich passenden Sinn: Einhüller der Himmelsbläue.

Inwaldis Söhne
Unternahmen es weiland
Skidbladnir zu bilden,
Der Schiffe bestes,
Für Niörds beglückendes
Glanzkind Freyr.

43

Zu 43. Wahrscheinlichste Bedeutung von Bilraust oder röst: heftigem Winde ausgesetzter Aufgang, also etwa Sturmsteg. Hôbrok oder Hâbrok, Hochschenkel Hochfuß; Garmr, der Gefräßige, Name des Höllenhundes.

Wenn die nicht unverdächtigen Strophen 42 und 43 überhaupt ursprünglich zu unserem Liede gehören, dürfen sie ihre Stelle jedenfalls nur unmittelbar nach 40 finden, nicht aber die durchaus zusammengehörigen und nur in Verbindung verständlichen 43 und 44 auseinanderreißen.

Die Esche Yggdrasil
Ist der Bäume bester,
Skidbladnir der Schiffe
Schönstes; der Asen
Erster Odin;
Das rascheste ferner
Der Rosse Sleipnir;
Bilraust beste
Von allen Brücken,
Von Dichtern Bragi,
Von den Habichten Hobrok,
Garm von den Hunden.

41

Zu 41. Ullr ist der Gott des Winterbeginns, teils nach dem Schnee, der oft als Wollengeflock vorgestellt wird (wie das noch in »Schnee flocke« anklingt), teils geradezu nach der Wolle, ull, die er zur Kleidung wieder zeitgemäß werden läßt. Seine Attribute sind der Schneeschuh und der Schlittschuh. Der Schild heißt sein Schiff, weil man ihn bei Märschen sich vorhielt zum Schirm gegen Schneesturm und Hagel. Hier wird er vor den anderen Göttern hervorgehoben, weil sich seiner Gunst der Nordländer besonders bedürftig fühlte. – Zum versteckten Sinn der Strophe gelangt man nur über ihre unausgesprochene Voraussetzung. Nachdem Grimner-Odin eine Enzyklopädie der Weltgeheimnisse geliefert hat, macht er eine Pause. Euch anderen, außer dem grausamen, verstockten und berauschten Geiröd, meint er, ohne es zu sagen, habe ich wohl nun genug Zeichen meiner Allwissenheit gegeben, um euch merken zu lassen, wer ich bin. Gehorcht mir also. Erwerbt euch die Gunst der Asen, zumal die euch besonders nötige des Wintergottes. Hebet die Kessel fort, löscht die Feuer aus. Dann werde ich den anderen daheim weilenden Asen hier sichtbar, und sie kommen her zu willkommener Lösung (wie das Strophe 44 sagt, die deshalb unmittelbar hier folgen muß). Unentschieden bleibt, ob er meint, das werde seinen Mitgöttern ein wundersamer Zauberwink sein, oder ob er den Rauch und Kesseldampf als natürliches Hindernis seiner Sichtbarkeit bezeichnen will. Erst nachdem man sein Verlangen erfüllt hat, fährt er fort mit 44.

Die Gunst des Uller
Und aller Götter
Erfährt, wer zuerst
Hier faßt an die Feuer.
Hebt ihr die Häfen ab,
So öffnet sich der Ausblick
[Nach hier] in der Heimstatt
Der Söhne der Asen.

44

Zu 44. Der überzählige Halbvers. Aegis drekku at ist nur Variante seines Vorgängers.

Was ich eigentlich bin,
Offenbart' ich eben
Den Söhnen der Sieggötter.
Erwünschtes Wohlsein
Erwächst mir daraus;
Denn herbei zu den Bänken
Des Wüterichs winkt es
Die Asen alle.

45 u. 46

Zu 45 und 46. Wie die echtalten Stücke der Edda fast alle, trägt auch dies Lied die Merkmale, aufgezeichnet zu sein nach dem Vortrage oder Diktat bald eines, bald mehrerer Gedächtnisinhaber. Das geschah, als nach Annahme des Christentums die þulr, die Lehrer des heidnischen Weistums, deren Rezitationen bei Festen und Gelagen den ganzen damaligen Unterricht und das einzige Surrogat der noch nicht vorhandenen Schule bildeten, schon umzuarten begannen in Skalden, Hofpoeten kleiner Dynasten, und ihre nach dem Aufhören des alten Kults nicht mehr verwendbaren Lieder aus der Göttersage zu vergessen anfingen. – Keines besonderen Beweises nun bedarf es, daß von einem solchen, an knappe Form gewöhnten und auf inhaltliche Wirkung des Vortrages bedachten Gedächtnisinhaber diese insipiden Lexikonverse mit möglichst vollzähligem Verzeichnis der Inkognitonamen Odins ebenso unmöglich herrühren können als etwa von den Dichtern der Ur-Ilias und der Odyssee das aller epischen Poesie hohnsprechende Schiffsregister. Sie wurden eingefälscht von einem späten Skribler, der bei der Tranlampe die langen Winternächte Islands, wie das dort noch jetzt geschieht, der Ansammlung einer Bibliothek von selbstverfertigten Abschriften widmete und, wenn er es mit alten Texten zu tun hatte, keine Gelegenheit versäumte, die Glossen seiner mythologischen Gelehrsamkeit einzuflicken. – Der Urtext enthielt statt der 19 Zeilen von 45 und 46 nur folgende, meiner Nachbildung einverleibte 6: Hetomk Grîmr – ok Gangleri – Herian ok Hialmberi – Eino nafni – hetomk aldregi – Siz ek međ folkom for.

Hier nun seien 45 und 46 unrhythmisch mit Übersetzung der Namen, deren Bedeutung indes mehrfach unsicher und nur eben vermutbar bleibt, wiedergegeben:

45. Ich hieß der Vermummte, oder Wandersmann, Heergebieter, Helmträger, Dankverdiener, Dritter, der Milde (?), Tiefsinnige, mit Tod Blendende, Erhabene.

46. Sämann (? vielleicht der Wahrhafte), Bewegliche, Umherschweifende, nach Wahrheit Forschende, Heereifrige, zum Weichen Bringende, Funkelauge, Flammauge, Vollbringer schwerer Werke, Vielgestalt, Verlarvt, Wütig, im Täuschen geübt, Vielwissend, mit niedergedrücktem Hut, Hängebärtig, Siegvater, in die Flucht schlagend, Angreifer oder Verharrer, Gott der Fahrenden. Mit nur einem Namen ward ich niemals genannt, seit ich zu den Völkern fuhr.

Grîmr hieß ich
Und Gangleri,
Heerkönig, Helmträger.
Mit nur einem Namen
Ward ich niemals benannt,
Seitdem ich unternahm
Fahrten zu den Völkern.

47

Zu 47. Jalk, der Altersschwache, Greise. Asmundr, falls nicht, wie es fehlende Alliteration zu vermuten erlaubt, aus Jasmundr verschrieben, Schatz der Asen oder Hüter des Götterschatzes. Kialar, gebildet von Kialki, Schlitten, Schlittenzieher. þrór, der Beharrliche, Erhabene.

Grimner hieß ich
Hier bei Geiröd,
Jalk bei Asmund,
Schlepper damals,
Als ich den Schlitten zog;
Wenn man bei Verträgen
Mich anrief Throrr.

48

Zu 48. Viđr, Sieger, Oski, Erhörer, Onir (?), der Stimmkräftige; vielleicht auch verwandt mit omjor, breit, unermeßlich ausgedehnt, vom Himmel.

Widr im Waffenkampf,
Oski und Omi,
Jafnhar, Biflindi,
Gaundler und Harbart
Unter den Göttern.

49

Swidur und Swidrir Swiđur, Schwäler, Swiđrir, Loderer.
Ward ich betitelt
Beim Mimir der Tiefen,
Als den alten Thursen
Ich listig täuschte
Und seinen Sohn ihm,
Den sagenberühmten
Mittlandswolf,
Ganz allein erlegte.

50

Berauscht bist du, Geiröd,
Du trankst zu reichlich;
Der Met hat sich deiner
Betörend bemeistert.
Du büßtest das Beste ein:
Meinen Beistand,
Der Einherierschar
Und Odins Huld.

51

Ich sagte dir vieles –
Nichts faßte dein Sinn;
Dich betrügen die Vertrauten;
Mir schwant, ich erblicke
Blutüberschwemmt
Das Schwert meines Wirts.

52

Zu 52. Hier schließt das Lied. Die noch folgende Strophe:

53

Jetzt heiß' ich Odin,
Wie eben noch Yggr
Und Thundr vorher.
Wakrᵃ) und Skilfingᵇ),
Wafudr c), Hroptatyrᵈ)
Gautrᵉ) und Jalkr f),
Im Kreise der Götter
Ofnirᵍ) und Swafnir h).
Ich achte die alle,
Aus mir einem geworden

ist später Zusatz. – a) der Wache, b) Erschütterer, c) Weber, Umfeßler, d) Ruf-, Redegott, Sprecher der Götter, e) Wächter oder Gotischer, f) Altersschwach, Greis, g) Weber, h) Einschläferer.

Die Schneide des Stahls
Gibt schnell den Gestorbnen
Dem Yggr zu eigen.
Abgelaufen
Weiß ich dein Leben;
Dysen verderben dich.
Erkenne den Odin
Und nahe mir, wenn du kannst.

Der König hielt sitzend sein halb aus der Scheide gezogenes Schwert auf den Knien. Als er vernahm, daß Odin da sei, sprang er auf und wollte ihn aus den Feuern fortziehen. Da fiel ihm das Schwert aus der Hand, mit dem Griffe nach unten. Er stieß an mit dem Fuß und fiel. Das Schwert stand ihm entgegen, und so fand er seinen Tod. Odin verschwand. Agnar aber war seitdem lange König.


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