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Eine Skizze aus Kaliforniens Pionierzeit
Wir hatten am Tage unsere Minenarbeiten beendet, so erzählte ein alter Pionier aus Kalifornien, den letzten Rest des Goldkieses aufgewaschen und das schimmernde gelbe Goldpulver in den bekannten Sack von Hirschleder getan, der zur Sicherheit in einer Ecke unseres Zeltes verscharrt wurde. Es war dies unsere letzte Arbeit in diesem Camp, denn morgen früh wollten wir aufbrechen und diese Gegend, Red Water Run, für immer verlassen. Zwar hatten wir hier gute Geschäfte gemacht, der Kies war reichhaltig und hatte uns ein kleines Vermögen in Goldstaub geliefert, aber das mühsame Leben, die beständige Wachsamkeit gegen die Utes-Indianer, die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt hatten unsere Nerven so angestrengt, daß wir diese Gegend verlassen und unsere alten Kameraden in Poker-Camp aufsuchen wollten, bevor der Herbstregen einsetzte. Zweitausend Dollar in Goldstaub lagen im Ledersack in unserer Hütte vergraben: sie waren das Resultat von sieben Wochen harter Arbeit und bildeten für uns ein kleines Vermögen.
Das Abendessen war vorüber – ein Dutzend Mehlpfannkuchen, ein Stück getrocknetes Hirschfleisch und ein Becher Tee –, mit unseren kurzen Holzpfeifen saßen wir vor dem Eingang unserer Hütte und bliesen Rauchwolken in die kühle Abendluft, während die Sonne langsam hinter dem Gipfel der Sierra verschwand und die grauen Schatten leise und allmählich aus den Bergschluchten emporstiegen. Stille herrschte ringsumher; ruhig und still blies Tom, mein einziger Begleiter, seine Rauchwolken, ebenso still folgte ich seinem Beispiele.
Nach langer Pause nahm Tom seine Pfeife aus dem Munde und sagte: »Hast du irgend etwas Ungewöhnliches heute den Berghang herabkommen sehen, Dick, irgendwelche Anzeichen bemerkt?«
»Nein«, antwortete ich langsam. »Nicht daß ich wüßte! Was war es; ein Bär?«
»Waren es Rothäute, Utes?«
»'s waren auch keine Indianer!«
»Strolche oder Verbrecher?«
»Das stimmt! – Ich denke, es war Red Mikes Bande. Du weißt, sie lauerte der Postkutsche zwischen Winnemucca und Silver Cliff auf, und jetzt denke ich, sie sind auf dem Wege nach den Ortschaften, um ihre Beute wieder durchzubringen. Gewiß ist, daß ein Dutzend Reiter die Schlucht kreuzten, gerade unterhalb der alten Wasserleitung, und es muß seit Sonnenuntergang gestern abend geschehen sein, denn ich fand heute mittag die frischen Spuren.«
»Das ist eine schlechte Neuigkeit«, erwiderte ich bestürzt, »wenn diese Halsabschneider wissen, daß wir hier sind, würde ihnen nichts mehr Vergnügen machen, als uns einzuschließen, zu rösten und sich mit dem Goldstaub davonzumachen. Das würde ein schlechtes Ende unserer zweimonatigen Arbeit sein.«
»Du hast vollständig Recht«, erwiderte der alte Tom, indem er seine Pfeife von neuem mit Blocktabak füllte, »aber sie müssen uns erst haben, bevor sie uns niederschießen können, und müssen den Goldstaub erst finden, bevor sie ihn stehlen können. Ich glaube an beides nicht!«
»Aber, wie weißt du –«, warf ich ein, als Tom mich wieder unterbrach und sagte:
»Ich weiß nichts; das ist es ja aber; aber besser ist's, sicher zu sein. Ich schlage vor, wir brechen heute abend noch auf. Der Mond geht um 11 Uhr auf; wir beide kennen den Weg; wenn sie uns dann unterwegs begegnen, so ist's recht; begegnen sie uns aber nicht, so haben wir morgen früh einen guten Vorsprung erreicht, was meinst du dazu?«
Ich willigte natürlich gerne ein und vertraute auf Tom. Eine Stunde später waren wir reisefertig. Der Goldstaub war geteilt und in Ledergürteln auf dem bloßen Leibe aufbewahrt; Picke, Schaufel und Pfannen waren auf unseren Rücken geschnürt; die Büchse in unserer Hand, so traten wir unsere Reise an. Noch einmal blickten wir zurück auf unsere Hütte.
»Good bye, alte Hütte!« rief Tom, indem er mit seiner Büchse den letzten Abschiedsgruß der Hütte zuwinkte, »sage jedem Besucher, daß wir für den Abend ausgegangen sind und zurückkehren werden. Leb wohl!«
Unser Weg führte uns westlich, eine Zeitlang über hügeliges Land, das spärlich bewaldet und reich an kleinen Flüssen war, so daß wir wenig in unserer Reise aufgehalten wurden; als der Mond am Horizont erschien, da trafen wir auf dicht bewaldete Gebirgsschluchten, rauh und felsig, so daß wir nur langsam vorwärtsdringen konnten. Wir sprachen nicht viel, waren aber auf unserer Hut, spähten scharf nach Indianern und Strolchen und berechneten unsern Weg nach den Sternen über uns.
Die Nacht war kalt und still; das einzige Geräusch in dieser Stille machte der Sand und das Geröll unter unseren Füßen, oder hin und wieder das von weitem kommende Geheul eines Wolfes.
So waren wir ungefähr vier Stunden lang gegangen und hatten ein Dutzend Meilen zurückgelegt, als wir uns am Eingange einer engen Schlucht fanden, die wir zu passieren hatten. Es war ein unheimlicher Platz. Unwillkürlich löste ich mein Messer in der Scheide und schritt mit angehaltenem Atem in diese Schlucht, der alte Tom ging unbesorgt voran, und ich mußte folgen. Größer und größer wurde die Dunkelheit; die an beiden Seiten der Schlucht emporragenden Felsenwände näherten sich mehr und mehr und schienen sich über unseren Häuptern zu vereinigen; rauher und unpassierbarer wurde der Weg über den mit Felsstücken besäten Boden, so daß wir schließlich gezwungen wurden, auf allen Vieren von Felsblock zu Felsblock zu kriechen.
Plötzlich machte die Schlucht eine scharfe Biegung und erweiterte sich in einen lichten Talkessel, der mit schönem Rasen bewachsen war, und durch den ein kleiner Fluß strömte. Neben diesem Flusse standen und lagerten ein Dutzend Männer, anscheinend die größten Desperados, die der Erdboden trägt. Das Ganze wurde durch ein Feuer beleuchtet, das in der Mitte des Platzes brannte.
Wir stutzten, wußten wir doch, daß wir in dieselbe Falle geraten waren, der wir entgehen wollten. Wir waren in das Lager des gefürchteten Banditen Red Jim geraten!
Zum Rückzuge war's zu spät, denn wir waren bereits bemerkt worden. Zwei oder drei Banditen sprangen vom Boden auf und riefen uns mit halb erhobener Büchse »Halt!« zu.
»Wir sind gebrochene arme Miner und suchen ein Obdach«, murmelte Tom mir zu, erhob dann seine Hand und rief laut:
»Wir sind Freunde«, dann traten wir mit großer Keckheit vor, obgleich mir das Herz pochte und wurden von den Desperados umringt.
Tom klagte unser Leid; – wir seien arme Miner und ohne Geld; suchten nach den Minen-Camps jenseits des Gebirges zurückzukehren; wanderten bei Nacht aus Furcht vor den Indianern und bat schließlich um Essen und Nachtquartier.
Eine kurze Unterredung folgte. Red Jim, ein rauher sonnenverbrannter Bursche mit blutrotem Haar und Bart, richtete einige unverschämte Fragen an uns, und schließlich wurde unser Gesuch bewilligt, wenn auch nicht mit übertünchter Höflichkeit. Es wurde uns gesagt, näher zu kommen und uns selbst von den Vorräten zu helfen, die am Boden lagen. Hungrig von der beschwerlichen Reise, warteten wir keine zweite Einladung ab, übersahen auch den Mangel an Höflichkeit, wir setzten uns zu dem Proviant, aßen und waren bald im Gespräch mit den Desperados, wir suchten allen Verdacht und alle Furcht von uns abzulenken, wenn uns unser Leben lieb war.
Die Mahlzeit war nahezu vorüber: ich hatte gerade mein letztes Stück getrocknetes Rehfleisch mit einem Schluck Whisky hinuntergespült, als Red Jim abermals auf uns zutrat.
»Wie heißt ihr?« frug er.
»Mein Name ist Baldwin – Hank Baldwin«, sagte der alte Tom gefaßt, »und dessen Name ist Major Dick Smith. Er war im Roosian-Krieg und ist grün in diesem Geschäfte; ich aber bin ein alter San-Juan-Miner und arbeitete dort neun Jahre, bevor ich diese verdammte Gegend sah.«
Red Jim blickte ihm einen Augenblick scharf ins Gesicht, dann sagte er:
»Zeige mir deine linke Hand!«
Tom wurde leichenblaß, und in demselben Augenblicke bemerkte ich, wie seine Hand nach dem Revolver zuckte, doch schnell gefaßt streckte er seine linke Hand lächelnd aus und sagte: »Da ist die Patsche; das ist alles, was davon übrig ist; nur noch zwei Finger und ein Daumen; die anderen Finger wurden mir in den Schmelzwerken in Haals Gulch zerquetscht.« Red Jim untersuchte die Hand sehr genau; dann verzerrte sich sein Gesicht, und seine Augen sprühten Feuer.
»Du lügst, du Hund«, schrie er, »du warst niemals in San Juan! Diese Finger verlorst du, als du eine Anzahl Soldaten nach einem verborgenen Lager in Arizona führtest! Du verlorst diese Finger und gabst mir dieses Denkzeichen.« – Hierbei zeigte er auf eine große Narbe über die ganze Stirne. – »Ich habe dich nie vergessen und habe den Teufel diese fünf Jahre lang gebeten, er möge mir dich in den Weg führen! Bindet ihn! Es ist kein passender Baum in der Nähe; aber morgen wollen wir mit Messern nach dir werfen! Einstweilen bindet ihn!«
Im Augenblick war mein Tom an Händen und Füßen gebunden und an einen Felsblock befestigt. Er machte keine Miene zum Widerstande; es wäre nutzlos und sicherer Tod gewesen. Ich war stumm vor Schrecken.
»Red Jim«, sagte Tom mit bewegter Stimme, »du hast mich und kannst mit mir tun, was dir gefällt. Ich bin kein Weib, daß ich aus Furcht vor einem Messer weinen sollte; aber um des Himmles willen bitte ich dich, laß diesen jungen Mann gehen! Er ist ein ehrlicher Miner; ich kenne ihn nur als solchen. Er kennt mich erst seit dem letzten Herbst. Laß ihn nicht meine Schuld büßen!«
»Lügt er?« fragte Red Jim, indem er sich an mich wandte.
»Ich traf Tom Blackburn im letzten Herbste zum ersten Male«, antwortete ich. »Ich kam erst vor einem Jahre von den östlichen Staaten; kenne Tom nur als Miner und als nichts anderes, und wie er auch sagt, suchen wir neue Goldlager, haben kein Geld und wollen nach den Minen jenseits des Gebirges zurück, das ist die reine Wahrheit, soviel ich sie weiß.«
Einen Augenblick überlegte Red Jim, während ich zitterte, dann sagte er mit einem kräftigen Fluche: »Laß so sein, ich will dir Glauben schenken, denn du siehst wie ein ehrlicher Kerl aus, und die sind heute verdammt rar! Du kannst bis morgen früh mein Gast sein, und dann kannst du gehen, aber du hast allein zu gehen!«
Ich dankte so gut ich konnte und wandte mich ab. Als ich bei Tom vorüberging, flüsterte ich ihm die beiden Worte: »Paß auf!« zu.
Die Nacht brach herein. Ein Desperado nach dem anderen hüllte sich in seine Decke und legte sich zum Schlafen auf den Boden; zuletzt auch Red Jim, nachdem er eine Wache für seinen Gefangenen ernannt hatte, legte er sich neben seinem Pferde auf den steinigen Boden, den Zaum um seine Hand gewunden.
Ich war der letzte von allen, der sich legte, aber nicht um zu schlafen; ich mußte Tom retten; ihn in den Händen dieser Galgenvögel zu lassen, schien mir schlimmer als Mord zu sein. Mit wachsamem Auge und Ohr wartete ich und schmiedete Pläne.
Eine Stunde verging. Das Feuer war nahezu niedergebrannt und dem Erlöschen nahe; von dem Schnarchen und tiefen Atmen um mich wußte ich, daß alles schlief mit Ausnahme der Wache.
Dies, wenn je, war der Augenblick zur Ausführung meines Planes. Ein Erwachen heuchelnd erhob ich mich und ging langsam dem Platze zu, wo Tom gebunden lag. Bei meiner Annäherung wandte sich die Wache gegen mich und legte warnend die Hände an die Büchse. Ich lächelte und sagte mit leiser stimme:
»Schieß nicht, ich kann nicht schlafen und dachte deshalb, ich wollte mit dir ein paar Augenblicke plaudern.«
Mit einer mir unverständlichen Äußerung machte er Platz neben sich, und ich setzte mich zu ihm. Er war ein starker robuster Kerl gleich einem Herkules und verriet große Körperstärke. Seine Waffen, seine Büchse und ein Messer lagen neben ihm. Er musterte mich und verfolgte scharf meine Blicke und Bewegungen.
Eine Zeitlang sprach ich von der Gegend, dem Wilde und von den Minenaussichten und anderen Sachen, erhielt aber nur kurze Antworten. Dann lenkte ich vorsichtig das Gespräch auf Tom und sondierte, ob ein Beftechungsversuch möglich sei.
Er schien jetzt meinen Reden mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und als ich schließlich zum Hauptpunkte kam und ihn frug, ob er Tom für Geld freigeben würde, antwortete er: »Ja!«
»Wieviel verlangst du?« fragte ich. »Sprich schnell! Wir müssen ebenfalls Pferde haben!«
»Wieviel hast du denn, du Grünhorn?« antwortete er. »Aber das macht nichts, ich will dein Gold zur Sicherheit aufbewahren und dich morgen früh dem Kapitän überliefern.«
In demselben Augenblick legte er seinen Arm mit eiserner Gewalt um mich, und ich wurde zu Boden gerissen, war ich auch bedeutend schwächer als mein Gegner, so war ich doch kein Rind und machte verzweifelten Widerstand; doch er war mir viel zu überlegen, und zuletzt lag ich atemlos vor ihm. Eine seiner Hände packte meine Gurgel, die andere ergriff das lange Messer, während Mord aus seinen Augen sprühte. Für einen Augenblick sahen wir uns beide erschöpft in die Augen, dann bog er sich über mich und fragte mit gedämpfter Stimme: »Wo hast du dein Gold? Sag's oder ich bringe dich um!« Ich fühlte, daß seine Hand sich etwas von der Gurgel löste, er schlug nach einem Gegenstande auf dem Boden, indem er einen schrecklichen Fluch ausstieß; ich sah das Messer in seiner Hand aufblitzen; hörte dann ein scharfes Klappern, wie es den Klapperschlangen eigen ist, und ich fühlte wie eine Klapperschlange über meine Hand lief.
Es war mir klar, mein Gegner war von einer Klapperschlange gebissen, die wir durch unser Geräusch aus ihrem Versteck gejagt hatten. Er atmete schwer und wurde leichenblaß. »Whisky«, rief er, »ich muß Whisky haben oder ich sterbe!«
Er versuchte sich zu erheben, doch mit aller Gewalt hielt ich ihn fest und umschlang ihn. Konnte ich ihn nur so lange halten bis das Gift zu wirken begann, so waren Tom und ich gerettet.
Ein Kampf auf Leben und Tod begann; ich war der Kaltblütigere.
Das Messer meines Gegners war zerbrochen, und so konnten wir nur mit den Händen kämpfen. Ich riß ihn wieder und wieder zu Boden bis ich an seinen zitternden Muskeln und den hervortretenden Augen bemerkte, daß das Gift zu wirken begann. Mit Anstrengung aller meiner Kräfte warf ich ihn dann zu Boden, knebelte und band ihn mit seiner eigenen Schärpe und - ich war frei.
Ich kroch zu Tom. Wenige Schritte genügten, um ihn ebenfalls frei zu machen. Er war stummer Zeuge des Kampfes gewesen; hatte die Klapperschlange bemerkt und wußte alles. Als er sich erhob, ergriff er meine Hand und drückte sie. Dann, ohne ein Wort zu sagen, zeigte er auf einen Steinhaufen unweit des Platzes wo der gebundene Wächter lag.
Ich wendete mich dahin und sah aus jeder Ritze und aus jeder Felsspalte Dutzende von Klapperschlangen hervorkriechen und sich über das Tal verbreiten.
Tom lehnte sich zu mir und flüsterte: »Euer Kampf hat sie aufgescheucht, sie werden jeden Mann hier umbringen, wir befinden uns hier in dem sogenannten Klapperschlangental, von dem so viel erzählt wird.
Dann nahm er meinen Arm und führte mich schnell durch den Talkessel, nach dem Platze, wo die Pferde standen, wir schwangen uns jeder auf ein Pferd, ritten vorsichtig aus dem Tale und galoppierten dann davon, wir waren frei.
Red Jim wurde seitdem nicht mehr gesehen. Einige Jahre später wurde nach Red Water Run der Bericht gebracht, daß in einem einsamen Tale, westlich von dort, die Skelette von zwölf Personen gefunden seien. Man habe noch weiter nachsuchen wollen, doch seien so viele Klapperschlangen in dem Tale gewesen, daß man zur eigenen Sicherheit weitere Nachforschungen aufgab.