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Einige Tage vor dem Sturze des schrecklichen Robespierre verurteilte das Revolutionstribunal in einer Provinz einen alten, ehrwürdigen, ehemaligen Beamten. Als man ihn ins Gefängnis brachte, war seine ganze Familie vom Schreckenssystem schon zerstreut und ihm mit seinen Freunden aller Umgang abgeschnitten worden. Doch einer blieb ihm, dem man nachzufolgen nicht wehren konnte: es war ein zwölf Jahre alter Pudel, der fast nie von seiner Seite gekommen und auch in dem Augenblicke bei ihm war, als er festgenommen wurde. Daß man ihn nicht ins Gefängnis mit einließ, schreckte ihn nicht zurück. Er flüchtete sich in ein benachbartes Haus und kam alle Tage an die Tür des Kerkers, immer jedoch gehindert hineinzugelangen. Den Gefängniswärter rührte endlich doch solche unwandelbare Treue, er gestattete dem guten Tier den Einlaß. Grenzenlos war die Freude, als er seinen Herrn sah, es kostete Mühe, sie wieder zu trennen. Aber der ehrliche Kerkermeister fürchtete für sich selbst und nahm den Hund weg, der nun wieder seinen bisherigen Zufluchtsort aufsuchte. Am nächsten Morgen war er aufs neue da, wiederholte seinen Besuch einige Wochen lang, erhielt alle Tage den Zutritt regelmäßig einmal, leckte dann die Hand seines Herrn und schied, sobald ihn der Gefängniswärter rief, weil er nun die Gewißheit hatte, wieder eingelassen zu werden.
Als der Tag der Eröffnung des Urteils da war, drängte sich der Hund durch eine zahllose Menschenmenge in den Gerichtssaal und kroch zwischen die Beine seines unglücklichen Herrn. Das Urteil wurde gefällt und dieser ins Gefängnis zurückgebracht.
Den Hund hinderte man, ihm nachzulaufen, aber er wich nun die ganze Nacht nicht von der Tür. Die Stunde zur Hinrichtung erscheint, das Gefängnis geht auf, der Greis tritt heraus, und an der Schwelle bewillkommt ihn der Hund, unerschrocken an ihm emporspringend. »Ach, diese Hand wird dir nie wieder den Kopf streicheln, armes Tier!« ruft der Verurteilte aus.
Das Beil fällt, tot ist der Arme, doch der treue Begleiter will nicht von dem Leichnam lassen. Er umkreist ihn, er legt sich aufs Grab, als er verscharrt ist. Auf dem kalten Lager bringt er die erste Nacht, den folgenden Tag und die zweite Nacht hin, bis ein Nachbar, dem es wehe tat, das arme Tier nicht mehr zu sehen, ihn aufsucht. Der gute Mann liebkost ihn und nimmt ihn mit sich, er versucht alles, ihn zu füttern, aber der Hund entflieht bald nachher wieder zum Grabe seines Herrn.
Drei Monate gingen hin, alle Morgen kam das arme Tier zu seinem Wohltäter, Nahrung zu erhalten, aber täglich wurde er trauriger, magerer und kraftloser. Sein Beschützer versuchte ihn von seinem Aufenthalte zu entwöhnen, er sperrte ihn ein, er legte ihn an. Immer entzog sich das treue Geschöpf seiner Aufsicht und entschlüpfte zum Grabe seines Herrn, das er nicht verließ. Kurz, alle Mühe war vergebens. Selbst der menschliche Kerkermeister brachte ihm Futter. Er wollte nicht mehr annehmen und suchte die Erde auszuscharren, die ihn von dem geliebten Herrn trennte. Bald aber verloren die schwachen Glieder ihre Kraft und er atmete auf dem Grabe sein Leben aus.