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Unbekannter Verfasser.
Der Vater

Eine Erzählung aus Norwegen

Der mächtigste Mann des Kirchsprengels, von dem hier erzählt werden soll, hieß Christian Thord. Er stand eines Tages in der Arbeitsstube des Predigers, stattlich und ernst.

»Ich habe einen Sohn bekommen«, sagte er, »und will ihn getauft haben.«

»Wie soll er heißen?«

»Michael nach meinem Vater.«

»Und die Gevattern?«

Sie wurden genannt und waren die besten und angesehensten Männer und Frauen des Bezirks aus der Verwandtschaft des reichen Mannes.

»Ist sonst noch was?« fragte der Prediger und sah auf.

Der Bauer blieb noch einen Augenblick stehen und sagte dann: »Ich möchte ihn gern allein getauft haben.«

»Das soll heißen an einem Wochentage?«

»Nächsten Sonnabend zwölf Uhr mittags!«

»Und ist es sonst noch was?« fragte der Prediger wieder.

.

»Sonst ist es nichts!« – Der Bauer drehte den Hut, als wolle er gehen. Da stand der Prediger auf. »Dann also noch dies«, sagte er und ging gerade auf Thord zu, nahm seine Hand und sah ihm in die Augen: »Gebe Gott, daß Euch das Kind zum Segen werde.«

Sechzehn Jahre nach diesem Tage stand Thord wieder in der Stube des Predigers. »Ihr haltet Euch gut, Thord«, sagte der Prediger, da er gar keine Veränderung an ihm bemerkte. »Ich habe auch keine Sorgen!« antwortete Thord. Hierzu schwieg der Prediger; nach einem Weilchen aber fragte er ihn: »Was ist heute abend Euer Begehren?«

»Heute komme ich wegen meines Sohnes, der morgen konfirmiert werden soll.«

»Er ist ein braver Bursch.«

»Ich wollte den Prediger nicht eher bezahlen, bevor ich hörte, als der wievielte er vor den Altar gerufen würde.«

»Er soll die Nummer Eins bekommen.«

»Das habe ich gehört; – und hier sind zwei Speziestaler für den Prediger.«

»Ist es sonst noch was?« fragte der Prediger und sah Thord an.

»Sonst ist es nichts!« sagte Thord und ging.

Acht Jahre gingen wieder hin, da ließ sich eines Tages großer Lärm vor der Arbeitsstube des Predigers vernehmen, denn es traten viele Leute ins Haus und an ihrer Spitze Thord. Der Prediger sah auf und erkannte ihn sogleich.

»Ihr kommt heute in zahlreicher Begleitung«, sagte der Prediger.

»Ich verlange das Aufgebot für meinen Sohn. Er soll sich mit der Klara verheiraten, der Tochter Gudmunds, der hier steht.«

»Nun, das ist ja die reichste Dirne aus dem ganzen Bezirk.«

»So heißt es!« antwortete der Bauer und strich sich mit einer Hand das Haar in die Höhe. Der Prediger saß ein Weilchen wie in Gedanken da, er sagte nichts, sondern trug nur die Namen in seine Bücher ein, und die Männer unterschrieben. Thord legte drei Speziestaler auf den Tisch.

»Ich soll nur einen bekommen!« sagte der Prediger.

»Das weiß ich wohl; aber es ist mein einziges Kind; ich wollte es gerne gut machen.«

Der Prediger nahm das Geld. »Es ist das dritte Mal, daß Ihr jetzt Eures Sohnes halber hier steht, Thord.«

»Nun bin ich aber auch fertig mit ihm«, antwortete Thord, legte sein Taschentuch zusammen, sagte Lebewohl und ging. Die anderen Männer folgten ihm langsam.

Der Prediger fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wollte er sich eine Sorge wegwischen. Nach einer guten Weile schaute er durch die Fensterscheiben nach dem See hinaus.

.

Am Ufer stand der Sohn des reichen Mannes, und bei ihm stand ein Mädchen; das Mädchen war aber nicht Klara Gudmund, seine Braut. Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt und weinte, und er fuhr sich mit der Faust über die Augen. Der Prediger ging auch hinunter an den See, als er aber an das Ufer kam, war das Paar verschwunden.

Vierzehn Tage darauf, ruderten Vater und Sohn bei stillem Wetter über den See nach Storliden, um mit Gudmund über die Hochzeit zu sprechen. »Die Ruderbank liegt nicht sehr sicher unter mir«, sagte der Sohn und stand auf, um sie zurechtzulegen. In demselben Augenblick glitt die Planke, auf der er stand; er griff mit den Armen in die Luft, stieß einen Schrei aus und fiel ins Wasser. – »Greif nach dem Ruder!« rief der Vater, erhob sich und warf es hinaus. Nachdem aber der Sohn ein paar Bewegungen gemacht hatte, schien er zu ermatten. »Warte ein wenig!« rief der Vater, und ruderte mit voller Kraft auf ihn zu. Da warf sich der Sohn hintenüber, sah den Vater durchdringend an und – sank in die Tiefe. Thord wollte es nicht recht glauben, er hielt das Boot still und stierte auf den Fleck, an welchem der Sohn gesunken war, als solle er wieder heraufkommen. Da stiegen einige Blasen auf, noch einige, dann noch eine einzige große, sie barst – und spiegelglatt lag der See wieder da.

Drei Tage und drei Nächte hindurch sahen die Leute den Vater diesen Fleck rund umrudern, ohne daß er Speise zu sich genommen oder sich dem Schlaf überlassen hätte: er suchte nach seinem Sohn. Und am vierten Tage, des morgens, fand er ihn und kam, ihn tragend über die Berge, nach seinem Hofe. Und am vierten Tage des Morgens warf der See den Leichnam eines Mädchens ans Ufer. Es war Marie, die Tochter Henrichs, das schönste, tugendhafteste und – ärmste Mädchen des Dorfes. Es konnte seit jenem Tage ein Jahr vergangen sein. Da hörte der Prediger an einem Herbstabende noch spät etwas an der Türe der Vorstube rühren und vorsichtig nach dem Schlosse suchen. Der Prediger öffnete die Tür und herein trat ein hoher, aber nach vorn übergebeugter Mann, mager und mit weißem Haar. Der Prediger sah ihn lange an, denn er kannte ihn: es war Thord. »Kommt Ihr noch so spät?« sagte der Prediger und stand still vor ihm.

»Ach ja; ich komme spät!« antwortete Thord und setzte sich. Der Prediger setzte sich auch, als ob er des weiteren wartete; es war lange still. Dann sagte Thord: »Ich habe etwas bei mir, was ich gerne den Armen geben wollte«, er stand auf, legte einen Beutel Gold auf den Tisch und setzte sich wieder. Der Prediger zählte es nach: »Das ist sehr viel Geld«, sagte er.

»Es ist die Hälfte von meinem Hofe. Ich verkaufte ihn heute.«

Der Prediger blieb lange still sitzen, endlich fragte er, aber milden Tones:

»Was wollt Ihr vornehmen?«

»Etwas Besseres! Ich ziehe hinüber zu Henrichs. Ich habe seine jüngste Tochter an Kindes Statt angenommen.«

Dann saßen sie noch eine Weile, Thord mit den Augen an den Boden geheftet, der Prediger seinen Blick auf ihn gerichtet. Dann sagte der Prediger leise und langsam: »Jetzt denke ich, daß Euch Euer Sohn endlich zum Segen geworden ist.«

»Ja, das denke ich jetzt auch selbst!« sagte Thord, sah auf, und zwei große Zähren rannen nieder über das Antlitz des bisher so unbeugsamen, eisenharten Mannes.


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