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Im oststeirischen Grenzland ragt auf steil abfallenden Felsen ein mächtiger Bau himmelan, das Schloß Gleichenberg, ein stolzes Mahnmal an siegreiche Abwehrkämpfe, eine warnende Erinnerung an dunkle Zeiten des Aberglaubens.
Vor vielen Jahren war es, da erging sich die gütige Schloßherrin still und besorgt im Hof der Burg. Liebevoll hielt sie in den Armen ein winziges Menschenkind, ihren Sohn, das kraftlos und bleich am Herzen der Mutter ruhte. Eine tückische Krankheit hatte das Kindlein befallen, und keine Pflege, kein Arzt und keine zauberkundige Frau hatten bisher eine Heilung oder Besserung zu bewirken vermocht. In trübe Gedanken versunken, schritt die Burgfrau dahin.
Da wurde sie plötzlich durch ein lärmendes Stimmengewirr in ihrem Nachdenken gestört. Der Vogt und seine Helfer zerrten ein kreischendes junges Zigeunerweib zur Burg, und sooft es im Gehen innehielt, trafen Peitschenhiebe die Schultern der Frau, daß sie schreiend den Weg fortsetzte.
»Eine verdächtige Dirne, gnädige Frau«, rief der Vogt der Herrin zu. »Dieses Zigeunergesindel führt stets böse Taten im Schild.«
Laut weinend stürzte die Zigeunerin der Schloßherrin zu Füßen und flehte um Erbarmen. Mitleidig hob diese das Zigeunerweib auf und tröstete es. Dann sprach sie zu den Männern: »Für diesmal soll Gnade für Recht ergehen!« Die Männer nahmen den Befehl der Schloßfrau entgegen und gingen davon. Die Herrin aber neigte sich milde zu der Zigeunerin und sagte leise:
»Armes Vöglein, hab keine Angst und fliege wieder weiter!«
Dankbar erhob sich die Zigeunerin und warf einen mitleidigen Blick auf das müde, blasse Gesicht des Söhnleins, das die Burgfrau an sich drückte. »Herrin«, sagte sie, »nehmt meinen Dank für Eure Milde und Güte und erlaubt mir, Euch zum Zeichen dafür eine kleine Gabe zu bringen, die wieder rote Rosen auf die bleichen Wangen Eures Kindes streuen soll. Ich weiß einen wundertätigen Trank, der irdische Krankheiten lindert und heilt. Ich will Euch jeden Abend ein Krüglein davon hierher zu diesem Stein schicken.« Nach diesen Worten verschwand sie im nahen Gebüsch, die Schloßfrau aber blickte mit Tränen in den Augen auf das zarte Knäblein, das leise zu wimmern begann.
Als sie am nächsten Abend zum Stein trat, stand wirklich ein Krüglein mit perlendem Wasser da, das sie ihrem Söhnlein zu trinken gab. Allabendlich wiederholte sich der gleiche Vorgang; vertrauensvoll gab die Schloßherrin ihrem kranken Söhnlein den Zaubertrank. Das ging so viele Wochen. Mit Freude sah die Schloßfrau, wie die Wänglein des Kindes röter und voller, die Glieder stärker und praller wurden; das Gebräu der Zigeunerfrau schien wirklich Wunder zu wirken. Und als drei Monate vergangen waren, saß eine glückliche Mutter beim Stein, und ein munterer Bub spielte vor ihr im Gras. Da teilten sich die Büsche, und das braune Zigeunerweib stand vor der Burgherrin und blickte mit frohem Lächeln auf den fröhlich spielenden Jungen. Überrascht erkannte die Frau die Spenderin des heilsamen Trankes und sprach in mildem Ton: »Komm mit mir, ich will dir's reichlich lohnen, daß du mit deinem Zauberwasser Hilfe gebracht hast« Die Zigeunerin aber schüttelte den Kopf und äußerte: »Nein, gnädige Schloßfrau, meinen Lohn habe ich schon empfangen. Gott schütze Euch und Euer Kind!« – »So nimm doch wenigstens dies zum Andenken«, entgegnete die Schloßherrin und nahm vom Hals des Jungen eine goldene Kette mit dem Bild des Knaben, das sie der schwarzlockigen Maid überreichte. »Habt Dank, edle Frau!« sagte diese und verschwand im Gebüsch.
Jahre waren vergangen. Aus dem kleinen Jungen war ein wackerer Ritter geworden, der manchen schweren Kampf bestanden und viele tapfere Taten vollbracht hatte. Wieder war eine stürmische Zeit angebrochen, rebellische Bauern verwüsteten das Land und brachen manche stolze Ritterburg. Aber an den Mauern der festen Burg Gleichenberg rannten sie sich vergebens ihre Schädel blutig. Schließlich stellten sie den Kampf ein und suchten wieder Verzeihung bei ihrem Herrn zu erlangen.
Eines Tages drängte sich ein heller Haufen lärmender und schimpfender Bauern vor dem Burgtor und verlangte, vor den Burgherrn geführt zu werden. In ihrer Mitte schleppten sie ein Zigeunerweib, das sich infolge der erlittenen Mißhandlungen kaum mehr auf den Füßen halten konnte.
»Herr«, riefen sie, »wir bringen hier eine Hexe. Sie ist schuld an unserem Unglück und an unserem Unverstand. Sie hat uns behext, daß wir Recht von Unrecht nicht mehr unterscheiden konnten. Sie hat unser Vieh verzaubert und unsere Felder ruiniert. Sie steht mit dem Bösen im Bunde und hat den Tod verdient«
Man fragte sie aus, doch sie leugnete; man schleppte sie in die Folterkammer und wandte die peinliche Befragung an. Da, in ihrer Not und Qual, schrie sie, daß es durch Halle und Schloß gellte: »0 edler Herr von Trauttmansdorff, Euch bitte ich in höchstem Leid um Rettung aus dieser Not. Helft mir doch, 0 edler Herr!«
Der Schloßherr, der soeben mit seinem Gefolge in den Burghof einritt, hörte diesen Notschrei und gebot »Bringt das Zigeunerweib vor mich!«
Man schleifte sie herbei; sie aber warf sich ihm zu Füßen und flehte: »Herr, erbarmt Euch meiner, nehmt mir die Ketten ab! Ich bin's, der Eure Mutter vor vielen Jahren das goldene Kettlein schenkte!« Sie löste es stöhnend vom Hals und hielt es zitternd dem Ritter hin. Der nahm es entgegen und erkannte erstaunt – sein eigenes Bild.
Erschüttert rief er ans: »0 Gott, die Arme! Sie ist's, die mir einst als Knaben das Leben gerettet hat. Schnell, nehmt ihr die Fesseln ab, macht sie frei und gebt ihr zu Essen!« Eilig vollzog man den Befehl des Herrn. Doch es war zu spät. Die Qualen und Mißhandlungen hatten ihre schwachen Kräfte fast zur Auflösung gebracht
»Edler Herr«, flüsterte sie, »laßt mich sterben! Doch zuvor will ich Euch noch den Quell zeigen, der Euch die Kräfte wiedergab, der noch vielen leidenden Menschen zum Heil werden kann. Aber es eilt, ich fühle, wie meine Lebenskraft hinschwindet«
Man trug die Sterbende hinunter ins Tal, wo sie noch den Weg zur Quelle wies. »Diesen Brunnen hat Gott geschaffen«, sagte sie mit schwacher Stimme, »zum Segen für Euch und die ganze Menschheit« Nach diesen Worten hauchte sie ihre Seele aus.
Der Brunnen in Gleichenberg aber ist in Wahrheit ein Segensquell geworden für die leidende Menschheit bis zum heutigen Tag.