Sagen aus der Steiermark
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Der Höllentorwart von Mariazell

In der Nähe von Mitterbach bei Mariazell stand vor etlichen Jahren ein kleines Wirtshaus, wo die Holzknechte der Umgebung an Sonn- und Feiertagen zusammenkamen, um sich bei Spiel und Sang zu unterhalten, dabei natürlich auch manch tüchtigen Trunk zu tun und nicht zuletzt nach altem Holzknechtbrauch ordentlich zu raufen. Einer dieser Holzarbeiter war diesem Brauch besonders zugetan; er war wegen seiner Wildheit weit und breit bekannt und hieß deswegen auch der »schreckliche Sepp«. Das Raufen an Sonn- und Feiertagen war ihm geradezu zum Bedürfnis geworden, ebenso wie der Fusel, den er an solchen Tagen in großen Mengen zu sich nahm.

Es war am Feste Christi Himmelfahrt. Scharenweise pilgerten die Leute nach dem Gnadenort Mariazell, um ihre Andacht zu verrichten. Auch der schreckliche Sepp, bekleidet mit einer grauen, grün ausgeschlagenen Lodenjacke, rotem Brustlatz, gamsledernen Kniehose, grünen Strümpfen, groben Nagelschuhen, auf dem Kopf ein grünes Hütchen mit Gemsbart und unternehmend nach vorn gerichtetem Spielhahnstoß – eine Aufforderung an die ihm Entgegenkommenden zum Raufen –, machte sich auf den Weg. Aber nicht die Absicht, die Kirche zu besuchen, führte ihn nach Mariazell, der Wunsch zu raufen trieb ihn an den Wallfahrtsort. »Heute ist Feiertag, heute muß gerauft werden auf jeden Fall und um jeden Preis!« sagte sich der Sepp und ging von einem Gasthaus zum anderen, um eine Gelegenheit zum Raufen zu finden. Aber alle seine Reden und Herausforderungen zogen nicht, niemand wollte den hohen Feiertag durch eine Rauferei entweihen.

Mit sich und der Welt unzufrieden, weil er seine Rauflust nicht befriedigen konnte, machte sich der Holzknecht zu Mittag auf den Heimweg. »Gerauft muß heute noch werden, koste es, was es wolle, was geht mich der Feiertag an!« brüllte der Betrunkene und stänkerte alle ihm Entgegenkommenden an, ohne aber den gewünschten Erfolg zu erzielen. »In dem Wirtshaus bei Mitterbach wird es wohl genug Leute geben«, so tröstete er sich schließlich, »da kann ich mich austoben!« Aber soviel Leute und Kameraden er hier auch traf, keiner wollte sich heute in einen Handel mit ihm einlassen.

»Sepp«, meinten die Holzknechte, »Sepp, der heutige Tag ist doch für eine Rauferei zu heilig. Setz dich nieder und sei ruhig!«

»Nein«, schrie der Sepp wütend, »ich muß heute noch raufen, und wenn's mit dem Teufel selbst wäre!« Grölend lief er bei der Tür hinaus und begann zu schimpfen, um damit zur Rauferei herauszufordern. Da erscholl vom nahen Wald her ein gellender Jauchzer. »Ha«, rief der Sepp, »da drinnen steckt einer, der mit mir raufen will. Jetzt kann's losgehen!« Und unter lautem Rufen eilte er dem Wald zu und verschwand bald im Gebüsch.

Sepps Kameraden schüttelten nachdenklich die Köpfe. Ihnen wollte es gar nicht gefallen, daß der Tag durch eine Rauferei entweiht werden sollte. Sie kannten Sepp und seine Stärke und wußten, daß er nach der Rauferei wieder im Wirtshaus erscheinen und sich mit seiner Heldentat brüsten würde. So warteten sie denn gespannt auf seine Wiederkehr. Aber Stunde um Stunde verstrich, der wilde Sepp kam nicht. Es vergingen Tage und Wochen; Sepp war und blieb verschwunden.

Oft sprachen die Holzknechte noch vom Sepp und rieten hin und her, was ihm wohl zugestoßen sein mochte. Keiner wußte seinen Aufenthalt, nichts wir von ihm zu erfahren, seine Hütte blieb verschlossen.

Drei Jahre vergingen. Wieder war das Fest Christi Himmelfahrt, und die Arbeiter gingen wie üblich von ihrem Arbeitsplatz im Wald nach Mariazell zum Gottesdienst. Wortlos gingen sie dahin. Als sie in die Nähe der Keusche des schrecklichen Sepp kamen, brach einer das Schweigen und meinte: »Was wohl aus dem wilden Sepp geworden sein mag? Heute sind es gerade drei Jahre, daß wir ihn im Wirtshaus bei Mitterbach zum letztenmal trafen. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er eilig in den Wald lief. Noch immer höre ich seine letzten Worte: »Jetzt kann's losgehen!«

Währenddessen waren sie an die Hütte des Sepp herangekommen und sahen – O Wunder! – den wilden Sepp voll Ruß und Schweiß bei der Hüttentür auf einem Holzklotz sitzen.

»Ja, Sepp«, riefen sie, ihn umringend, »wo kommst denn du daher? Wo bist du denn so lang gewesen? Warum hast du gar nichts von dir hören lassen?«

Der Sepp hob abwehrend die Hand und gab durch Gesten zu verstehen, daß er durstig sei und vor allen Dingen zu trinken Wunsche. Schnell lief einer der Holzknechte, das Gewünschte zu bringen, und nachdem sich der durstige Holzfäller mit einem tüchtigen Schluck aus dem Wasserkrug gestärkt hatte, begann er zu erzählen.

»Als ich heute vor drei Jahren in den Wald ging, kam mir einer entgegen, von dem ich glaubte, er wolle es mit mir aufnehmen. Ich forderte ihn zum Raufen heraus, aber er packte mich mit ungeheurer Kraft, und zugleich öffnete sich die Erde unter meinen Füßen. Wir sanken beide immer tiefer, bis wir in der Hölle landeten. Hier bedeutete mir mein Überwinder, daß ich zur Strafe für meine Rauflust an dem hohen Festtag in der Hölle den Dienst des Torwarts zu versehen hätte. Zu essen bekam ich genug, aber nichts zu trinken, denn alles Flüssige verdampft wegen der großen Hitze in der Hölle sofort. Auch zum Schlafen ließ mir mein Dienst keine Zeit, weil es ständig zu tun gab. Man sollte nicht glauben, wie viele Leute täglich zur Hölle wandern. Kaum hatte ich eine Partie abgefertigt, war schon wieder eine neue da. Kurz, ich habe während der ganzen drei Jahre kein Auge zugetan. Erst heute wurde ich von meinem Dienst abgelöst, und mein Vorgesetzter erlaubte mir, mich schlafen zu legen. Als ich erwachte, fand ich mich hier in meiner Hütte.«

Sepp wusch sich, wechselte sein Gewand und ging sodann mit seinen Kameraden in die Gnadenkirche nach Mariazell. Mit seiner bösen Rauflust aber war es von dieser Stunde an vorbei.

 


 


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