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Kampf zwischen Rinald und Sacripant (1–10). Angelica und der Einsiedler (11–15). Rinaldens Rückkehr nach Paris und Sendung nach England (15–30). Bradamante's Zusammentreffen mit dem Grafen Pinabel. Geschichte von dem Reiter mit dem Flügelpferde (31–62). Bradamante's und Pinabels Ritt nach dem Schlosse dieses Reiters und Pinabels Verräterei (63–76).
1 | Grausamer Amor, daß du unsern Trieben So selten den Zusammenklang verliehst! Warum, Verräther, freut's dich, wenn beim Lieben Du tiefen Zwiespalt zweier Herzen siehst? Wie gern auf sichrem Grund wär' ich geblieben, Indeß du mich in schwarze Strudel ziehst! Wo man mir gut ist, lässest du mich fliehen, Und da wo man mich haßt, anbetend knieen. |
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2 | So ging's Rinalden auch: schön finden sollt' er Angelica, da sie ihn garstig fand. Zuvor, als er ihr schön erschien, da grollt' er Und haßte sie, indeß sie Lieb' empfand. Jetzt peitscht er sich umsonst und duldet Folter, Gleich steht die Rechnung, die erst ungleich stand: Jetzt haßt sie ihn, mit einem Haß so bitter, Daß lieber sie den Tod will als den Ritter. 46 |
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3 | Hochmütig wandte sich Rinald zum Heiden Und rief: »Herunter, Dieb, von meinem Pferd! Daß man mich plündre, pfleg' ich nicht zu leiden, Und theuer wird es büßen, wer's begehrt. Auch werd' ich dich von dieser Dame scheiden; Denn thät' ich's nicht, wär' ich verdammenswert: Vollkommnes Pferd und schöner Frauen Liebe, So scheint es mir, gebüren keinem Diebe.« |
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4 | »Du lügst, wenn du mich Dieb nennst, falscher Christ!« Rief Sacripant; »vor eignen Thüren kehre! Ein Dieb! wenn jemand sagt, daß du es bist, Der giebt der Wahrheit, wie man hört, die Ehre. Wer ihrer und des Pferdes würd'ger ist, Ich hoffe, daß die Waffenprob' es lehre, Obwohl, was sie betrifft, ich Recht dir gebe, Daß keine schönre Frau auf Erden lebe.« |
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5 | Ganz wie zwei biss'ge Hunde, deren Blut Vom Neid' entflammt ist oder andern Tücken, Mit falschen Augen, rot wie Kohlenglut, Die Zähne fletschend, sich zu Leibe rücken, Und nun mit heiserm Knirschen, wild vor Wut, Einander packen mit gesträubten Rücken, So zu den Schwertern nach dem Schmähn und Drohn Griffen der Saracen und Haimons Sohn. 47 |
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6 | Ein Mann zu Fuß, ein Mann zu Roß? da fährt Der Saracen am besten, wird man denken: O nein; er war vielleicht jetzt minder wert Als Knaben, ungewohnt ein Roß zu lenken, Weil kraft natürlichen Instincts das Pferd Sich weigerte den eignen Herrn zu kränken Und nicht durch Sporn noch Hand sich zwingen ließ, Zu gehn wie Sacripant es gehen hieß. |
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7 | Wenn er voran will, steht es still und stockt; Wenn er es hält, beginnt es fortzueilen; Unter die Brust steckt es den Kopf und bockt, Und hintenaus läßt es die Hufe keilen. Der Mohr sieht ein, das Thier ist zu verstockt, Um es von seinem Trotze rasch zu heilen, Und auf den Sattelknauf sich stützend, schwingt er Sich links herab und auf die Erde springt er. |
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8 | Er macht von Bajards störr'ger Wut sich frei Mit leichtem Sprung und tritt dem Feind' entgegen. Ein Kampf beginnt nun, würdig dieser zwei So tapfern Ritter, Degen klingt an Degen; Bald hoch, bald tief erschallt die Melodei; Der Hammer des Vulcan war träg dagegen, Wann auf dem Ambos er im Rauch der Grotte Die Blitze schmiedete dem Donnergotte. 48 |
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9 | In Stößen, Finten, allen Fechterstücken Sieht man die Meister, die das Spiel verstehn, Wie jetzt sie stolz vorangehn, jetzt sich bücken, Jetzt halb sich zeigen, jetzt in Deckung stehn, Sich vorwärts werfen bald, bald in den Rücken, Den Hieb abschlagen bald, bald ihm entgehn. Sie drehn sich rund; wo einer ausweicht klüglich, Da setzt den Fuß der andre unverzüglich. |
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10 | Die berühmten Degenklingen haben in den Rittersagen ihren Eigennamen wie die Pferde. Rinaldens Schwert heißt Fusberta, Rolands Durindane, Rogers Balisarde. | Sieh da! Rinald haut mit dem Degen ein, Dem Saracenen völlig preis sich gebend. Der Heide hebt den Schild; der war von Bein, Darüber Stahl, den Knochen rings umgebend. So dick er ist, Fusberta fährt hinein, Und widerhallt der Forst, vor Schreck erbebend. Knochen und Stahl zerspringt wie Eis in Splitter; Lahm sinkt der linke Arm dem Heidenritter. |
11 | Wie das erschrockene Fräulein diesen Streich, Den fürchterlichen, sieht, da wird ihr bange; Die schönen Wangen werden todtenbleich Wie arme Sünder auf dem letzten Gange. Ihr deucht, sie müsse fliehn, und das sogleich, Wenn sie nicht wolle, daß Rinald sie fange, Rinald, der so verhaßt ist ihrem Herzen, Wie er sie liebt mit jämmerlichen Schmerzen. 49 |
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12 | Hinweg und durch die Büsche wild und dicht Treibt sie ihr Pferd auf rauher, schmaler Gasse Und wendet oft zurück ihr bang Gesicht; Stets ist es ihr, als ob Rinald sie fasse. Sehr weit geritten war die Flücht'ge nicht, Da kam entgegen ihr im hohlen Passe Ein Eremit mit langem grauem Bart, Ehrwürdig anzuschaun und hochbejahrt. |
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13 | Vom Alter abgemagert und vom Büßen Kam er auf einem Esel sacht daher, Und niemals stand ein Mann auf schwächern Füßen, Um einem Mädchen beizustehn, als er. Als aber jetzt das Fräulein mit dem süßen Und zarten Antlitz kam, ihm in die Quer, Da fuhr, so alt er war und so gebrochen, Die Nächstenlieb' ihm dennoch in die Knochen. |
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14 | Das Mädchen wünscht, daß er zum Meeresstrand Sie irgendwo nach einem Hafen bringe; Denn flüchten will sie in ein fernes Land, Wo nie zu ihr Rinaldens Name dringe. Der Klausner, der die schwarze Kunst verstand, Sagt' ihr viel tröstliche und gute Dinge, Daß er ihr helfen werde bald genug, Und griff in eine Tasche, die er trug. 50 |
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15 | Er zog ein Buch hervor von seltner Macht; Denn als er darin las, nur wenig Zeilen, Erschien ein Geist in eines Boten Tracht Und ließ von ihm Aufträge sich ertheilen. Und durch den Zwang des Textes zahm gemacht, Mußte der Bote nach dem Kampfplatz eilen, Wo beim Gefecht die beiden Ritter schwitzten, Und kühnlich trat er zwischen die erhitzten. |
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16 | »Erlaubt«, so sprach er, »euch um eins zu fragen: Was nützt es, wenn ihr euch ums Leben bringt? Was erntet ihr für Lohn von euren Plagen, Wenn einer nun den andern Mann bezwingt, Da Roland doch, ohn' einen Hieb zu schlagen Und ohne daß ihm eine Masche springt, Die schöne Dame nach Paris geleitet, Um derenthalben ihr so grimmig streitet? |
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17 | »Ich traf den Grafen eben als Begleiter Angelica's; sie ritten gen Paris, Lachend und spottend der gefoppten Streiter, Die sie im Walde fruchtlos kämpfen ließ. Sie zu verfolgen wär' vielleicht gescheiter, Eh' sie zu weit sind! denn erwäget dies: Wenn Roland nach Paris kömmt mit der Beute, So saht ihr sie zum letzten Male heute.« 51 |
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18 | O hättet ihr gesehn und angehört Wie diese Ritter mit bestürzten Mienen Sich blind und kopflos nannten und bethört, Weil ihr Rival so arg gespielt mit ihnen! Zu seinem Pferde trat Rinald verstört, Mit Seufzern, die aus Feu'r zu kommen schienen, Und grimmig schwor er, sollt' er Roland packen, Das Herz im Leib' ihm kurz und klein zu hacken. |
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19 | Er springt aufs Pferd und jagt durch das Revier; Den andern läßt er, der sein Pferd verloren, Im Wald und sagt nicht einmal Gott mit dir, Noch wen'ger nimmt er mit aufs Pferd den Mohren. Durchs Dickicht stampft und kracht das mut'ge Thier Und bricht sich Bahn, gestachelt von den Sporen: Nicht Fluß noch Fels, nicht Schlucht noch Dorngeheg Bringt diesen Renner ab vom graden Weg. |
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20 | Ich weiß nicht, ob ihr euch gewundert habt, Daß Bajard still hielt, wie es sich gebürte, Da doch Rinald so lang' ihm nachgetrabt, Eh er ihm auch den Zügel nur berührte. Dies Pferd, mit menschlichem Verstand begabt, Entlief ihm nicht aus Bosheit, sondern führte Ihn so, daß er die Dame finden mußte, Um die er seufzte, wie der Renner wußte. 52 |
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21 | Ein Beispiel unter vielen, wie geschickt Ariost die Fäden weiter spinnt, die bei Bojardo abbrechen. Bei Bojardo steigt Rinald in der Schlacht bei Bordeaux vom Pferde, weil Roger, mit dem er fechten will, zu Fuße ist. | Als sie entfloh aus dem Gezelte, sah Der gute Bajard sie, der unterdessen Mit leerem Sattel stand, dem Zelte nah; Denn eben war der Reiter abgesessen, Um sich zu Fuße, während dies geschah, Mit einem grimmigen Baron zu messen. Das Pferd war ihrer Spur gefolgt von fern, Begierig sie zu retten seinem Herrn. |
22 | Begierig ihm zu zeigen, wo sie sei, War's durch die Waldung vor ihm her gesprungen, Doch hielt es Rücken sich und Sattel frei, Denn umzukehren wär' es sonst gezwungen. So fand Rinald Angelica zu zwei Verschiedenen Malen; dennoch war's mislungen; Denn einmal hatt' ihn Ferragu gestört, Dann der Circasser, wie ihr ja gehört. |
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23 | Dem Höllengeiste, der die beiden Streiter Auf eine falsche Spur des Fräuleins wies, Hatt' auch das Pferd geglaubt, das nun nicht weiter Sich sträubt' und ruhig sich besteigen ließ. Brennend vor Zorn und Liebe spornt der Reiter Verhängten Zügels immer gen Paris, Und seine Sehnsucht fänd' auf diesem Wege Wohl gar den Wind, geschweig' ein Pferd, zu träge. 53 |
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24 | Den Grafen einzuholen, sprengt' er fort; Kaum daß ihn kurze Rast des Nachts erquickte; So blindlings glaubt' er dem verlognen Wort Des Boten, den der schlaue Zaubrer schickte. Er ritt von früh bis spät, von Ort zu Ort, Bis er die große Stadt vor sich erblickte Wo, übel zugerichtet und zerzaust, Der Kaiser mit dem Rest der Seinen haust. |
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25 | Der Kaiser, der sich der Belagerung Versieht vom Feinde, zieht in aller Schnelle Kriegsvolk heran und Proviants genung, Wirft Gräben auf und flickt die Festungswälle, Und alles, was bei der Verteidigung Von Nutzen sein mag, schafft er rasch zur Stelle. Nach England will er schicken, übers Meer, Mannschaft zu werben für ein neues Heer. |
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26 | Denn noch will er im Felde Kampf bestehn, Versuchend, ob das Glück sich nicht gewandt hat. Rinald soll also nach Britannien gehn, (Britannien, das man England dann genannt hat). Rinald scheint den Befehl nicht gern zu sehn; Nicht daß er einen Haß auf jenes Land hat; Es schmerzt ihn nur, daß Karl zur Eile treibt Und für Paris kein einz'ger Tag ihm bleibt. 54 |
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27 | So ungern hatt' er noch im Leben nicht Etwas gethan, weil Karl ihm nicht erlaubte Zu suchen nach dem himmlischen Gesicht, Das mitten aus der Brust sein Herz ihm raubte. Nichtsdestowen'ger that er seine Pflicht Und war gehorsam seinem Oberhaupte. In wenig Stunden war er in Calais Und ging desselben Tages noch in See. |
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28 | Weil er so schnell es ging heimkehren wollte, Ging er in See, trotz Schiffer und Pilot, Obwohl das Meer unruhig wogt' und rollte, Wie seine Art ist, wann ein Wetter droht. Daß ihm der Held so wenig Achtung zollte, Verdroß den Wind, und mit Gebrause bot Er nun die See auf, mit so tollem Blasen, Daß sie den Mastkorb wusch in ihrem Rasen. |
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29 | Der Schiffer ließ herunter aufs Verdeck Die größern Segel, und zurück zum Hafen Dacht' er zu steuern, nach demselben Fleck, Den sie verließen und so schlecht es trafen. Nein, sprach der Wind, ihr wart mir allzu keck, Und solche Unverschämtheit muß man strafen! Er pfeift und schreit und droht schon: ihr ersauft, Sobald ihr anders, als ich jage, lauft! 55 |
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30 | Bald ist er vorn und bald am Hintersteben; Es ist, als ob er stets noch Kraft gewinnt. Mit dürft'gen Segeln und mit großem Beben Treiben sie durch das Meer hin vor dem Wind. Weil Fäden viel zu vielerlei Geweben, Die all' ich wirken will, mir nötig sind, So lass' ich jetzt das Schiff im Sturm sich quälen, Um euch von Bradamante zu erzählen. |
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31 | Die hohe Jungfrau mein' ich, die vorher Den König Sacripant zu Boden rannte, Rinaldens würd'ge Schwester, die wie er Den Haimon und Beatrix Eltern nannte, Und deren kühner Mut und starker Speer, (Von dem man mehr als eine Probe kannte), Dem Hof und Reich für nicht geringer galt Als die belobte Tugend des Rinald. |
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32 | Agolant ist der Großvater des Königs Agramant; seine Tochter Galaciella heiratet den berühmten Helden Roger von Risa, über deren unglückliches Ende, wie über Rogers Geburt, der 36. Gesang weitere Auskunft ertheilt. | Ein Ritter liebte sie, der mit den Mohren Nach Frankreich kam, im Heer des Agramant; Aus Rogers Samen hatte den geboren Die Unglückstochter Königs Agolant. So hatt' auch sie ihr Herz an ihn verloren, (Das nicht so wild wie Löw' und Bär empfand), Obwohl mit ihm nur einmal Wort' und Blicke Zu tauschen, ihr vergönnt war vom Geschicke. 56 |
33 | Den theuren Mann, der wie sein Vater hieß, Zu suchen, streifte sie durchs Land zu Pferde, So furchtlos, als ob sie mit Schwert und Spieß Von tausend Reisigen gehütet werde. Nachdem sie Sacripant vom Sattel stieß Und er aufs Antlitz schlug der Mutter Erde, Ritt sie durch Waldung erst, dann durch Gefels Bis an das Ufer eines schönen Quells. |
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34 | Man sah den Quell durch grüne Wiese blinken, Und alte Bäum' umschatteten die Flut, Die mit melodischem Geräusch zum Trinken Und zu bequemer Rast den Wandrer lud. Ein wohlgepflegter Hügel auf der Linken Hielt fern von ihr der Mittagssonne Glut. Hier, als sie erst die schönen Augen wandte, Sah einen fremden Ritter Bradamante. |
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35 | Ein Ritter saß im Schatten dort am Saume, Der rot und weiß und gelb von Blumen sproß. Da saß er einsam, schweigend, wie im Traume, An dem Krystall, der ihm zu Füßen floß. Sein Schild hing und sein Helm am Buchenbaume, Wo angebunden stand sein gutes Roß, Das Haupt hatt' er gesenkt und feucht die Wangen, Und traurig schien er, ganz von Gram befangen. 57 |
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36 | 36 Der Trieb, den jeder Mensch im Herzen hat, Der Kunde fremden Schicksals nachzujagen, Bewog die Jungfrau, daß sie jenen bat, Die Ursach seines Kummers ihr zu sagen. Und er enthüllt' ihr, was ihm wehe that, Gerührt von ihrer feinen Art zu fragen Und hohem Aussehn; denn der Augenschein Sagt' ihm, dies müss' ein tapfrer Krieger sein. |
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37 | So sprach er: »Herr, mit Volk und Reitern ritt Ich nach der Gegend, wo mit seinem Heere Der Kaiser dem Marsil den Weg bestritt, Damit er vom Gebirg den Paß ihm wehre, Und führt' ein schönes junges Fräulein mit, Zu der in heißer Lieb' ich mich verzehre. Und nah der Rhone stieß auf uns im Flug Ein Reis'ger, den ein Pferd mit Flügeln trug. |
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38 | »Der Räuber – sei es nun ein Mensch wie wir, Sei es ein Geist der Hölle, wie ich glaube, – Kaum sieht er meine Schöne neben mir, Da, wie der Falk herabstößt nach der Taube, Schießt er herab und packt die Schultern ihr, Und steigt empor mit dem ohnmächt'gen Raube. Eh ich den Angriff noch bemerkt, vernahm Ich ihr Geschrei, das aus den Lüften kam. 58 |
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39 | »So plötzlich faßt der räuberische Weih Nah bei der Henn' ein Küchlein wohl am Nacken. Die grämt sich dann, daß sie zu sorglos sei, Doch hilft ihr nicht ihr Kreischen und ihr Gacken. Der andre fliegt, dem komm' ich nimmer bei, Umschlossen, wie ich bin, von Bergeszacken; Mein Pferd ist müd', und auf den rauhen Steinen Des Felsthals hält es kaum sich auf den Beinen. |
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40 | »Ich aber, der es eh verwunden hätte, Wenn er das Herz mir ausriß, eh als dies, Entließ die Meinen an der Unglückstätte, Obwohl ich so sie ohne Führer ließ. Durch manche Schlucht, des Gießbachs trocknes Bette, Folgt' ich dem Wege, den mir Amor wies, Dorthin, wo ich den Feind zu finden glaubte, Der mir das Glück und meinen Frieden raubte. |
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41 | »Sechs Tage ritt ich so von früh bis spat Durch Klüft' und Gründe, schaurig und voll Grausen, Wo keine Straße war, kein Steg und Pfad, Wo nichts verrät, daß unweit Menschen hausen, Bis ich ein wildes wüstes Thal betrat, Umringt von Klippen, Höhlen, finstern Klausen, Und in der Mitt' auf einem Felsen stand, Ein festes Schloß, schön wie ich keins noch fand. 59 |
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42 | »Leuchtende Flamme schien von fern die Veste, Und nicht von Ziegel, nicht von Marmelstein; Wie ich dann näher kam dem Felsenneste, Schien wunderbarer noch der Bau zu sein; Und später hört' ich auch, daß Höllengäste, Gebannt durch Räucherung und Zauberein, Das Schloß mit Stahl gepanzert und die Platten In Glut und Flut des Styx gehärtet hatten. |
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43 | »Von blankem Stahl sind alle Thürm' und Zinnen, Kein Rost, kein Makel trübt den hellen Schein. Wann er das Land durchstreift hat, schließt da drinnen Mit seiner Beute sich der Räuber ein. Nichts, was er fangen will, kann ihm entrinnen; Vergebens flucht und schimpft man hinterdrein. Dort hält er sie, hält er mein Herz gefangen, Denn nimmer werd' ich sie zurückerlangen. |
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44 | »Was kann ich ärmster thun als fern den Schimmer Der Burg betrachten, die mein Glück verschlingt, Der Füchsin gleich, wann ihres Sohns Gewimmer Hoch aus dem Nest des Adlers zu ihr dringt! Sie rennt umher, und helfen kann sie nimmer; Ihr fehlt der Flügel, der hinauf sie bringt. So steil ist das Gefels, so glatt die Wälle, Wer nicht ein Vogel ist, kömmt nie zur Stelle. 60 |
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45 | »Ich stand und weilte dort, als sich zu mir, Geführt von einem Zwerg, zwei Ritter fanden, Die Hoffnung paarend mit der Kampfbegier; Jedoch Begier wie Hoffnung ward zu Schanden. Zwei Ritter hohen Mutes nenn' ich dir: Gradasso aus den serican'schen Landen, Und Roger, der noch jung ist, doch schon jetzt Am afrikan'schen Hofe hochgeschätzt. |
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46 | »Die kamen, wie ich von dem Zwerg vernahm, Um Kampfes mit dem Herrn der Burg zu pflegen, Der auf vierfüß'gem Vogel wundersam Zu reiten pflegt auf ungewohnten Wegen. Ach, rief ich, liebe Herrn, laßt meinen Gram, Mein schrecklich Loos zum Mitleid euch bewegen: Wofern ihr siegt in diesem Wagestück, Gebt mein geliebtes Mädchen mir zurück! |
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47 | »Und dann erzählt' ich alles was geschehen, Mit Thränenflut erhärtend meine Qual. Sie waren gern bereit mir beizustehen Und stiegen von der steilen Höh ins Thal. Ich blieb zurück dem Kampfe zuzusehen, Indeß ich sie in Gottes Schutz befahl. Unter dem Schloß war ebner Raum für Reiter, Zwei Steinwürf' etwa lang und auch nicht breiter. 61 |
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48 | »Als sie nun hielten vor dem hohen Stein, Entstand ein Wettstreit, wer den Kampf beginne. Gradasso traf das Loos, – es mag auch sein, Daß Roger nicht bestand auf seinem Sinne. Der König nahm sein Horn und blies hinein; Vom Nachhall dröhnte Feld und Thurm und Zinne, Und sieh, gewappnet kam aus seinem Schloß Der reis'ge Mann auf dem beschwingten Roß. |
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49 | »Langsam erhob er erst sich von der Stelle, Ganz wie der wanderlust'ge Kranich pflegt, Der Anfangs läuft und dann sich eine Elle Ueber dem Boden, oder zwei, bewegt Und dann die Fittige mit Windesschnelle Ausbreitet in die Luft und flink sie regt: So schwingt der Greif die Flügel in die Höhe, Daß wohl ein Adler kaum so hoch entflöhe. |
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50 | »Dann schwenkt er um und läßt die Flügel ruhn Und kömmt lotrecht herab vom Firmamente, Wie aus dem Blau der Falk stößt, wann ein Huhn Dort unten auffliegt oder eine Ente. Die Lanze senkend kam der Reiter nun, Die Luft zerspaltend, die sich brausend trennte. Gradasso sah noch kaum den Ueberfall, Da fühlt' er in den Gliedern schon den Prall. 62 |
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51 | »Des Zaubrers Lanze war an ihm zerbrochen, Gradasso traf die Wind' und Lüfte nur. Der Flieger schlug indeß ununterbrochen Die Flügel, bis er wieder aufwärts fuhr. Der Stoß warf mit den beiden Hinterknochen Die wackre Stute auf die grüne Flur. Gradasso ritt die allerschönste Stute, Die je gesattelt ward, vom besten Blute. |
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52 | »Der Flieger strich dahin, den Sternen nah, Dann dreht' er sich und kam zurück zur Erde Und stieß auf Roger, der sich's nicht versah, Neugierig, was Gradasso machen werde. Roger entwich, eh ihm ein Leids geschah, Dem schweren Stoß, rückprallend mit dem Pferde, Und als er ausholt' um nach ihm zu hauen, Sah er ihn wieder weit entfernt im Blauen. |
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53 | »Auf Roger bald, bald auf Gradasso los Fährt er an Kopf und Brust und in die Seiten, Und stets vereitelt er der andern Stoß, So hurtig ist er, sichtbar kaum zu Zeiten. Dann wieder zieht er Kreise weit und groß Und rennt den ersten an und trifft den zweiten, Und hat die Augen ihnen so verwirrt, Daß sie nicht sehn, woher er kommen wird. 63 |
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54 | »So zwischen Erd' und Himmel ging die Schlacht Des einen gegen zwei bis zu der Stunde, Die alle schönen Dinge farblos macht, Den dunklen Schleier breitend in die Runde. So war's, kein Jota hab' ich selbst erdacht; Ich hab's gesehn, ich weiß es; doch im Munde Stockt mir das Wort, weil solch ein Wunder leicht Mehr einem Märchen als der Wahrheit gleicht. |
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55 | »Der Schild des Wolkenritters ward verdeckt Von schönem Seidenzeug am Arm getragen; Weshalb er ihn die ganze Zeit versteckt In seiner Hülle ließ, kann ich nicht sagen; Denn wenn er ihn enthüllt und vor sich streckt, Muß, wer ihn ansieht, wie vom Blitz geschlagen Hinfallen, wie ein todter Körper fällt, So daß der Zaubrer ihn gefangen hält. |
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56 | Pyropus ist bei den Alten eine Metallmischung von höchstem Glanze. | »Es glänzt der Schild und leuchtet wie Pyrop, Und alles andre Licht ist schwach dagegen. Sie fielen um, wie er das Tuch verschob, Betäubt und blind, und konnten sich nicht regen. So fiel auch ich, und als ich mich erhob, Nachdem ich lange Zeit wie todt gelegen, Sah ich die Krieger nicht und nicht den Zwerg; Leer war der Kampfplatz, dunkel Thal und Berg. 64 |
57 | »Der Zaubrer hatte, das erschien mir klar, Sie beid' auf einen Zug ins Netz bekommen Und durch den mächt'gen Glanz dem Kriegerpaar Die Freiheit und die Hoffnung mir genommen. Dem Orte, wo mein Herz verschlossen war, Sagt' ich mein Lebewohl, von Schmerz beklommen. Nun urteilt, ob ein andrer Kummer je, Den Lieb' erzeugt hat, gleichkam meinem Weh.« |
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58 | Die Erbfeindschaft zwischen diesem Mainzer Geschlechte und dem Hause, welchem Roland und Rinald angehören, zieht sich durch alle Geschichten dieses Sagenkreises. Gano oder Ganelon, der Verräter, ist das Haupt der Mainzer, der Judas unter den Paladinen. | Den Ritter übermannten Schmerz und Pein, Als er enthüllte, was ihn härmt' und quälte. Dies war Graf Pinabel von Mainz am Rhein, Der Sohn Anselms, von dem der Ruf erzählte, Daß er von seiner Sippschaft nicht allein Den Weg der Treu' und Ritterehre wählte; Vielmehr in Lastern greulich und verdammt Zuvor es that den andern insgesammt. |
59 | Wie wechselten des schönen Mädchens Mienen, Als sie die Worte Pinabels vernahm! Die Freude strahlte, wie noch nie, aus ihnen, Als Rogers Nam' ihr erst zu Ohren kam; Doch als er dann in Not geriet, erschienen Auf ihrem Antlitz blasser Schreck und Gram, Und mehr als einmal, mehr als zweimal mußte Der Mainzer ihr erklären, was er wußte. 65 |
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60 | Und als sie alles dann genau vernommen, Sprach sie zu jenem: »Ritter, fasse Mut; Vielleicht wird meine Ankunft hier dir frommen Und dieser Tag erscheint dir schön und gut. Laß uns nur bald nach jenem Neste kommen, Das geizig uns verschließt so reiches Gut, Und nicht vergeblich wird die Mühe bleiben, Wenn nur nicht allzu arg die Stern' es treiben.« |
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61 | Der Ritter drauf: »Um dir den Weg zu zeigen, Soll ich noch einmal in das Felsgestein? Wohlan, verlor ich alles, was mein eigen, So macht verlorne Müh mir wenig Pein. Du aber strebst auf schauerlichen Steigen In ein Gefängniß, – und es mag drum sein; Du kannst dich niemals über mich beklagen; Ich warne dich, und doch willst du es wagen.« |
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62 | So sprach er, und gehorsam dem Gebote, Führt' er die kühne Jungfrau durch den Wald, Die allem trotzte, was ihr Haupt bedrohte, Um Roger zu befreien mit Gewalt. Da, siehe, kam von hinten her der Bote Und rief mit lauter Stimme Halt da! Halt! Der Bote, der dem Sacripant entdeckte, Daß sie es sei, die ihn zu Boden streckte, 66 |
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63 | Und der dem Fräulein Zeitung bringen wollte, Nachrichten aus Narbonne und Montpellier, Wie dort Castilien sein Panier entrollte, Und auch in Aiguesmortes an der See, Und wie Marseille, das sie hüten sollte, In großen Sorgen schweb', in Angst und Weh, Und fest auf ihren Rat und Beistand zähle Und sich, durch diesen Boten, ihr empfehle. |
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64 | Die Stadt Marseille und rings das Küstenland Vom Var bis an den Rhonefluß vertraute Der Kaiser Karl der Obhut ihrer Hand Und Tapferkeit, auf die er Häuser baute, Weil er sie stets bewundernswürdig fand, So oft er sie beim Werk der Waffen schaute. Jetzt, wie gesagt, kam vom Marseiller Rat Der Bote, der um rasche Hilfe bat. |
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65 | Erst schwankt die Jungfrau zwischen Ja und Nein, Ob sie ihm folge; guter Rat ist theuer. Hier setzen Ehr' und Pflicht die Sporen ein, Dort treibt und drängt sie das verliebte Feuer. Zuletzt beschließt sie Roger zu befrein: Beharren will sie bei dem Abenteuer, Und wenn sie das nicht kann mit ihrer Kraft, Dann bei ihm bleiben in Gefangenschaft. 67 |
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66 | Mit triftigen Entschuldigungen schloß Sie erst den Mund dem unwillkommnen Reiter; Dann auf die Straße lenkte sie ihr Roß Mit Pinabel; der schien darob nicht heiter; Nun wußt' er, daß sie jenem Stamm' entsproß, Der tödtlich ihm verhaßt war wie kein zweiter; Auch dacht' er an die künft'ge Klemme schon, Wenn sie erkenn', er sei des Mainzers Sohn. |
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67 | Haus Claramont und diese Mainzer lagen In Fehd' und Feindschaft seit uralter Zeit; Oft hatten sie die Köpfe sich zerschlagen Und Ströme Bluts verspritzt in manchem Streit. Der böse Graf beginnt schon sich zu fragen, Wie er die ahnungslose tapfre Maid Verraten oder, wenn's der Zufall wolle, Im Stich sie lassen und entweichen solle. |
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68 | So wurden Haß und Furcht und Zweifel rege Und hatten über seinen Geist Gewalt, Und unversehens kam er ab vom Wege Und fand sich nun in einem dunklen Wald. Ein Berg war mitten in dem Waldgehege, Mit kahlem Gipfel, spitzig von Gestalt; Und Herzog Haimons Tochter blieb ihm immer Dicht auf den Fersen und verließ ihn nimmer. 68 |
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69 | Im Busche fuhr's dem Mainzer durch den Sinn, Hier sei der Ort, dem Fräulein durchzugehen. »Es dunkelt,« sprach er zur Begleiterin, »Und Zeit ist's nach Quartier sich umzusehen. Jenseits des Bergs, wenn ich nicht irrig bin, Muß eine stolze Burg im Thale stehen. Du warte hier; ich will auf jenem Stein Mich vergewissern durch den Augenschein.« |
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70 | So redet er und nach dem höchsten Joch Des spitzen Berges klimmt er mit dem Pferde, Um auszuspähen, ob vielleicht sich noch, Ihr zu entfliehn ein Weg darbieten werde. Da plötzlich trifft er im Gestein ein Loch, Das dreißig Ellen abstürzt in die Erde; Der Stein ist ausgehauen nach der Schnur, Und eine Thür ist unten auf der Flur. |
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71 | Am Fuß war eine Thür, die in der Wand Sich öffnete nach einem größren Saale, Und Schimmer drang hervor, als ob der Brand Von Fackeln mitten in dem Berg' erstrahle. Indeß der Schelm daselbst unschlüssig stand, Folgt' ihm von fern das Mädchen aus dem Thale, (Aus Furcht, die Spur möcht' ihr verloren gehn,) Und sah ihn an dem Rand der Höhle stehn. 69 |
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72 | Kaum sieht der Falsche jenen Plan mislingen, Den er ersann, als er sich schon vermißt Sie los zu werden oder umzubringen Durch eine neue unerhörte List. Er kömmt und bittet sie hinabzudringen, Wo angebohrt und hohl der Felsen ist, Weil er dort unten in dem Höhlengrabe Ein Mädchen jung und schön gesehen habe. |
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73 | Und wie man an den reichen Kleidern sehe, Sei sie gewiß von nicht gemeinem Rang; Ihr Antlitz aber zeige Schmerz und Wehe, Als sei sie eingesperrt und leide Zwang. Und um zu wissen, wie die Sache stehe, Hab' er hinab gewollt den finstern Gang, Da, aus dem Innern sei jemand gekommen Und habe zornig sie mit sich genommen. |
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74 | Die Jungfrau, die so unvorsichtig fast Wie kühnen Muts war, glaubte, was er sagte, Und während sie zu helfen voller Hast Sich nur, wie sie hinabgelange, fragte, Warf sie ihr Aug' auf einen langen Ast, Der aus dem Wipfel eines Ulmbaums ragte, Und mit dem Schwerte hieb sie den vom Baum Und senkt' ihn abwärts in den hohlen Raum, 70 |
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75 | Und hielt ihn fest, dem ungetreuen Mann Das glatte End' in beide Hände gebend. Erst ließ sie ihre Füß' ins Loch, und dann Hing sie nur noch an ihren Armen schwebend. Da lacht der Schelm, und ob sie springen kann, Fragt er, die Hände öffnend und erhebend, Und ruft: »Hätt' ich beisammen in der Grotte, Euch zu vertilgen, doch die ganze Rotte.« |
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76 | Nicht sollte so, wie Pinabel sich dachte, Das Schicksal des unschuld'gen Mädchens sein; Denn eh sie unten ankam in dem Schachte, Stieß erst der dicke Ast auf das Gestein, Der zwar zerbrach, doch so viel Hilfe brachte, Um freundlich sie vom Tode zu befrei'n. Wie sie der Fall betäubt hat und wie lange, Erzähl' ich euch im folgenden Gesange. 71 |