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Rogers Kampf mit der Riesin Eriphyle (1–7). Seine Ankunft und sein Aufenthalt in Alcina's Zauberreich (8–32). Bradamante und Melissa beschließen ihn zu befreien (33–50). Melissa in der Gestalt des Atlas entzaubert Roger (51–80).
1 | Wer weit von Hause geht, sieht manche Sachen, Weitab von allem was er glaublich fand, Und wenn er sie hernach erzählt, so lachen Die Leut', und Lügner wird er zubenannt. Den Pöbel kann man niemals glauben machen, Was er nicht sieht und greift mit Aug' und Hand, Und wegen Unerfahrenheit der Blinden Wird mein Gesang nur wenig Glauben finden. |
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2 | Ob wenig oder viel, mich abzuplagen Um dumme klug zu machen, brauch' ich nicht, Und daß ich löge, werdet ihr nicht sagen; Denn ihr besitzt der Weisheit helles Licht. Daß euch die Früchte meiner Müh behagen, Ist all mein Streben, meine ganze Pflicht. Ich zeigt' euch an der Brück' und an dem Bache Die grimmige Eriphyle als Wache. 182 |
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3 | Auf ihrem Panzer und auf ihren Schienen Trug sie buntfarbiges Gestein zur Schau, Grüne Smaragden, dunkelrot Rubinen, Den gelben Chrysolith, des Safirs Blau. Beritten (nicht zu Roß) war sie erschienen, Auf einem Wolfe saß die Riesenfrau; Sie saß auf einem Wolf in Weges Mitte, Der reich geschirrt war wider Brauch und Sitte. |
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4 | Solch einen, glaub' ich, sah Apulien nie, Denn höher war sein Wuchs als eines Stieres. Sie lenkt' ihn, doch ich kann nicht sagen wie, Kein Zügel schäumt' im Rachen dieses Thieres. Ein Kleid von sand'ger Farbe hatte sie, Die Höllenpest, und trug in der Manier es, Wie es in andrer Farb' in unsren Tagen Die Bischöf' und die Äbt' am Hofe tragen. |
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5 | Ihr Wappenbild und ihre Helmeszier War eine giftige, geschwollne Kröte. Die Mädchen wiesen Roger hin zu ihr; Wo nach der Brücke sich der Weg erhöhte, Hielt sie bereits gerüstet zum Turnier, Als ob sie höhnend ihm den Weg verböte. Er solle flugs umkehren, tobt und schreit sie; Er greift nach einem Speer und ruft zum Streit sie. 183 |
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6 | Die Riesin ist nicht minder kühn und hetzt Den großen Wolf, und fest am Sattelbuge Anschließend, senkt sie ihren Speer, und jetzt – Die Erde bebt – kömmt sie heran im Fluge. Jedoch beim Stoß wird sie ins Gras gesetzt, Der gute Roger trifft am Hals die Fuge Und jagt vom Sattel sie mit solcher Wut, Daß sie nach hinten fliegt sechs Ellen gut. |
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7 | Schon blitzt das Schwert, das aus der Scheide fliegt, Den Kopf herabzuhaun dem Riesenweibe. Er hätt' es leicht: in Gras und Blumen liegt Sie ruhig wie mit schon entseeltem Leibe. Da ruft das schöne Paar: »Sie ist besiegt; Genüge das, und schlimmres unterbleibe. Steck' ein den Degen, ritterlicher Held, Und laß uns weiterziehn, wenn's dir gefällt.« |
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8 | Ein wenig rauh und schwierig ging nun mitten Durch eine Holzung ihres Weges Spur; Schmal war der Pfad und steinig, und sie ritten Geradeswegs bergan wie nach der Schnur. Doch auf dem Hochland angelangt, beschritten Sie eine weitgedehnte Wiesenflur, Und ein Palast stand droben, prächtig-heiter, Herrlich und schön wie auf der Welt kein zweiter. 184 |
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9 | Aus des Palastes erstem Thore trat Alcina selbst dem Jüngling schon entgegen. Umringt von ihres Hofes vollem Staat, Empfing sie ihn, wie hohe Frauen pflegen, Und alles neigte sich vor ihm und that So hohe Ehren an dem tapfren Degen, Sie konnten nicht mehr thun, wenn unter ihnen Vom Himmel hoch Gott Vater wär' erschienen. |
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10 | Dies, sag' ich war der schönste der Paläste, Nicht weil er all' an Reichtum übertraf, Vielmehr weil man die angenehmste, beste Gesellschaft, die es giebt, dadrinnen traf. Kein einz'ger unterschied sich sehr vom Reste, Was Schönheit und was Jugendflor betraf, Alcina nur war schöner, ohne gleichen, Wie alle Sterne vor der Sonn' erbleichen. |
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11 | Sie war so schön in vollem Jugendprangen, Kein Meister malte solche Schönheit je, Mit blonden Haaren, aufgeschürzten, langen, Kein Gold kann leuchten wie das Haar der Fee. In eins verfließen auf den zarten Wangen Der Rosen Purpur und der Lilien Schnee. Die heitre Stirn wie Elfenbein erglänzend Und mit gerechtem Maß den Raum begrenzend. 185 |
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12 | Unter zwei schwarzen feinsten Bogen sind Zwei schwarze Augen, nein, zwei lichte Sonnen, Mit stillem Blick, der doch das Herz gewinnt; Da fliegt und scherzt der Gott der Liebeswonnen Und leert den Köcher, eh ihr euch besinnt, Und tausend Herzen hat er so gewonnen. Von dort aus theilt die Nase das Gesicht, Und selbst der Neid weiß nichts, was ihr gebricht. |
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13 | Darunter, zwischen zwei ganz kleinen Thälern Der Mund, auf den Natur Zinober gießt; Darin zwei Perlenschnüre, frei von Fehlern, Die schön und weich die Lippe zeigt und schließt; Und jedes Herz zerschmilzt, ob noch so stählern, Wenn von dem Mund das holde Plaudern fließt; Dort wohnt die Schelmerei, das süße Lachen, Die uns die Welt zum Paradiese machen. |
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14 | Der Hals ist Schnee, die Brust scheint Milch zu sein; Rund ist der Hals, und voll und breit die Büste; Zwei herbe Aepfel, ganz von Elfenbein, Kommen und gehn wie Wellen an der Küste, Wann Lüfte lind sich mit dem Meer entzwein. Kein Argus sähe mehr, doch jeder müßte Erraten, daß sich eins zum andern reime, Das was vor Augen liegt und das geheime. 186 |
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15 | Das Maß der Arme stimmt dazu genau, Und häufig zeigen sich die weißen Hände, Länglich und schmal, wo man kein Fleckchen rauh Von Knoten und geschwollnen Adern fände. Zum Schlusse sieht man der erhabnen Frau Gewölbten, knappen Fuß als zierlich Ende. Der engelhafte Reiz, des Zaubers Fülle Läßt nie verbergen sich, durch keine Hülle. |
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16 | Ob sie nun wandle, rede, lache, singe, In allem hat sie Schlingen ausgespannt. Ein Wunder wär's, wenn Roger sich nicht finge, Da er die Fee so liebenswürdig fand. Daß ihm der Myrtenbaum so böse Dinge Von ihr erzählt hat, hält nicht lange Stand; Denn daß zusammen mit Verrat und Ränken Dies süße Lachen wohnt, kann er nicht denken. |
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17 | Viel eher glaubt er, wenn sie diesen Britten Verwandelt hat am Rand der Meeresflut, So hat er nur verdiente Straf' erlitten Für seinen Undank oder Uebermut. Was er gehört von ihren argen Sitten, Hält er für falsch; Astolf ward nur durch Wut, Durch Rachsucht oder Neid dazu bewogen Auf sie zu schmähn, und alles ist gelogen. 187 |
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18 | Die schöne Jungfrau, der sein Herz allein Gehört hat, ist seitdem daraus verschwunden; Alcina wäscht durch Zaubersprüch' es rein Von allen seinen alten Liebeswunden Und prägt ihm sich und ihre Schönheit ein Und thront allein darin, unüberwunden; Daher es billig sich entschuld'gen ließ, Wenn sich der gute Roger schwach erwies. |
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19 | Bei Tafel tönten Laute, Harf' und Cithern Und andrer Instrumente holder Klang; Von süßem Wohllaut schien die Luft zu zittern Und von der Melodien vielstimm'gem Klang. Auch fehlt' es nicht an einem, der von bittern Und süßen Regungen der Liebe sang Und mit Erfindungen und Poesieen Heraufbeschwor anmut'ge Phantasieen. |
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20 | Kein schwelgerischer Tisch in Niniveh, Wann einer von des Ninus Enkeln praßte, Kein üppig Mahl, das Roms Gebieter je Bereit fand in Cleopatra's Palaste, Glich diesem Tisch, den die verliebte Fee Vorsetzen ließ dem ritterlichen Gaste; Kaum glaub' ich, daß so reich die Tafel glänzt, Wo Ganymed dem höchsten Zeus credenzt. 188 |
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21 | Als man die Tische forttrug und die Speise, Saß man im Kreis und spielt' ein lustig Spiel: Ein jeder that an seinen Nachbar leise Geheime Fragen, was ihm just gefiel, Und die Verliebten konnten auf die Weise Sich leicht verständ'gen über Weg und Ziel, Und immer war das Ende der Beschlüsse, Daß man zur Nacht sich wiedersehen müsse. |
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22 | Sie endeten das Spiel in kürzrer Zeit, Als sonst die Regel war, und dienstbeflissen Mit Fackeln standen Pagen schon bereit, Licht zu verbreiten in den Finsternissen. Umringt von schönem, prächtigem Geleit, Begab sich Roger nach den Federkissen In ein geschmücktes kühles Schlafgemach, Das schönste Zimmer unter diesem Dach. |
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23 | Und abermals credenzten sie ihm drinnen, Wie sich's geziemt, Backwerk und guten Wein. Dann tief sich neigend gingen sie von hinnen, Und jeder schloß sich in sein Kämmerlein. Roger bestieg alsbald das duft'ge Linnen, (Das von Arachne schien gewebt zu sein,) Und immer horcht' er, ob er nichts vernähme, Kein Zeichen, daß die schöne Wirtin käme. 189 |
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24 | Sobald er hört, als ob sich etwas rühre, Hofft er, sie ist's, und blickt er um sich her. Oft spürt er nichts und meint, daß er es spüre, Und dann, den Irrtum merkend, seufzt er schwer. Oft springt er auf und öffnet sacht die Thüre Und späht hinaus und findet alles leer; Und tausendmal verwünscht er dann die Stunde, Daß sie so träg' abwandelt ihre Runde. |
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25 | Jetzt, denkt er oft, verläßt sie ihre Schwelle, Und rechnet, wie viel Schritte mögen's sein Von ihrer Wohnung bis zu dieser Stelle, Wo er erwartend weilt in banger Pein? So, eh sie kömmt, erwägt er hundert Fälle, Ergeht er sich in nicht'gen Grübelein Und zittert, daß ein Hinderniß am Ende Sich schieben könnte zwischen Frucht und Hände. |
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26 | Nachdem Alcina eine gute Weile Bei köstlichen Essenzen zugebracht, Und nun gewahrt, daß schon die Zeit enteile Und alles ruhig sei und still die Nacht, Tritt sie aus dem Gemach in hast'ger Eile, Und auf geheimem Wege kömmt sie sacht Dahin, wo Hoffnung schon und ängstlich Bangen Um Rogers Seele mit einander rangen. 190 |
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27 | Als nun Astolfs Nachfolger diese Sonnen, Die lächelnden, dicht über sich erblickt, Da brennt's im Busen ihm wie Schwefeltonnen, Zu eng wird's in der Haut ihm, er erstickt, Und augentief schwimmt er im Meer der Wonnen, Der Schönheit, die ihm Aug' und Herz bestrickt. Er springt empor, hat sie ans Herz gepreßt, Kaum daß er Zeit ihr zum Entkleiden läßt, |
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28 | Obwohl sie weder Reifrock trug noch Mieder; Sie hatte nur ein leichtes Zindelein Aufs Hemd geworfen, das um Leib und Glieder Schneeweiß herabfiel, und unglaublich fein. Als Roger zugriff, glitt der Mantel nieder, Nichts blieb als jene zarte Hüll' allein, Die ihren Leib verbarg, den tadellosen, Wie klares Glas die Lilien und die Rosen. |
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29 | Der Epheu klammert mit den Wurzelhaaren An den umschlungnen Baum so fest sich nie, Wie diese Liebenden verschlungen waren. Vom Hauch auf ihren Lippen pflückten sie Süßere Blum' als je im wunderbaren Duftreichen Sand' Arabia's gedieh. Wie sie genossen, fragt sie selbst um Kunde: Sie haben mehr als eine Zung' im Munde. 191 |
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30 | Geheim blieb, was sie trieben, vor der Welt, Und wenn geheim nicht, wenigstens verschwiegen; Denn selten ist, wer still die Lippen hält, Gescholten worden, oft in Gunst gestiegen. Die klugen Leute sieht der junge Held Diensteifrig bald zu seinen Füßen liegen: Ihm neigt sich alles mit ergebner Miene, Denn also will's die zärtliche Alcine. |
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31 | Kein Wunsch des Herzens bleibt hier unbedacht; Denn alles bietet diese Zauberveste. Dreimal am Tage wechseln sie die Tracht, Für jede Art des Zeitvertreibs die beste; Oft giebt es Schmaus, Kurzweil bei Tag und Nacht, Tanz, Fechten, Ringen, Bäder, Bühnenfeste; Oft liest man auch am Quell, wo Bäume ragen, Was alte Dichter von der Liebe sagen. |
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32 | Bald über luft'ge Höhn und grüne Strecken Verfolgen sie des flücht'gen Hasen Spur; Bald gehn sie mit dem klugen Hund und schrecken Dumme Fasanen aus der Stoppelflur; Bald mitten in Wacholderduft verstecken Sie für die Drossel Leimrut' oder Schnur; Bald stören ihre Angeln oder Netze Den Fischen die geheimen Tummelplätze. 192 |
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33 | So lebte Roger dort in Herrlichkeit, Indeß sich Karl und Agramant sich plagte, Und Unrecht wär's, wenn ich von ihrem Streit Euch nichts und nichts von Bradamanten sagte, Die viele Tage schon in Schmerz und Leid Um den ersehnten Freund sich härmt' und klagte, Der vor den Augen seiner Retterin Die Luft durchflog, sie wußte nicht wohin. |
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34 | Von ihr vor allen andern geb' ich Kunde. Vergeblich suchte sie ihn manchen Tag In Stadt und Dorf, auf Bergen und im Grunde, Auf sonn'gen Feldern und im schatt'gen Hag, Und nichts erfuhr sie auf der weiten Runde Von ihm, der fern von ihr in Banden lag. Oft ritt sie mitten in das Heer der Mohren, Jedoch von Roger kam ihr nichts zu Ohren. |
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35 | Sie fragt des Tags wohl hundert hier und dort, Doch keiner weiß sie auf die Spur zu leiten. Sie sucht von Lagerort zu Lagerort In Hütten und Gezelt nach allen Seiten, Und kann es leicht; denn ohne Losungswort Darf sie durch Reiterei und Fußvolk schreiten, Durch jenen Ring, der unsichtbar sie machte Vor Menschen, wenn sie in den Mund ihn brachte. 193 |
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36 | Daß Roger todt sei, dünkt unmöglich ihr; Sturz eines Helden von so hohem Range Erschölle vom hydaspischen Revier, Der Sonne folgend, bis zum Niedergange. Sie weiß und ahnt nicht, wo er schweift, ob hier, Ob in den Wolken: dennoch fährt die bange Zu suchen fort, und mit ihr als Geleit Ziehn Thränen, Seufzer, Gram und Herzeleid. |
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37 | Zuletzt beschloß sie nach der Gruft zu ziehn, Wo der Prophet bestattet liegt im Schreine, So lang' zu schrein am Sarge des Merlin, Bis Mitleid sich entzünd' im kalten Steine. Ob Roger leb', ob das Verhängniß ihn Entführt hab' aus dem heitren Sonnenscheine, Dort wird sie's hören und das Mittel dann Ergreifen, das am besten helfen kann. |
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38 | In dieser Absicht hatt' auf wald'gem Wege Die Jungfrau sich nach Ponthieu aufgemacht, Wo in dem wilden bergigen Gehege Merlins Orakel liegt im Felsenschacht. Die Magierin indeß, die allerwege Auf Bradamante's Wohlfahrt ist bedacht, Sie mein' ich, die ihr Söhn' und Enkel alle Gezeigt hat in der schönen Grottenhalle, 194 |
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39 | Die weise, gütige, die nimmer ruht Zu sorgen für die Jungfrau spät und frühe, Wohl wissend, daß dereinst aus ihrem Blut Ein Helden-, ein Halbgötterstamm erblühe, Forscht Tag für Tag, was jene sagt und thut, Und wirft das Loos um sie mit Fleiß und Mühe. Daß Roger frei ward und hernach entführt Nach Indien, hatte sie schon ausgespürt. |
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40 | Sie hatt' ihn wohl auf jenem Roß erkannt, Das nicht zu lenken war mit scharfem Zaume; Sie sah ihn, wie er über Meer und Land Dahinflog in dem niebetretnen Raume, Und dann wie er mit Schmaus und Tanz und Tand Die Zeit verlor in schwelgerischem Traume Und nimmer dacht' an seine Lehenspflicht, Und auch an seine Lieb' und Ehre nicht. |
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41 | Der Lenz der Jahre wär' in Tändelei'n Vielleicht verzehrt und ohne Frucht geblieben, Und solch ein Held, so edel und so fein, Mit Seel' und Leib dem Untergang verschrieben, Und jener Duft, der einst von uns allein Fortdauert, wann in Asche wir zerstieben, Der uns vom Grab' erlöst und fort und fort Am Leben hält, wär' auf dem Halm verdorrt. 195 |
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42 | Die weise Magierin jedoch, die treuer Um ihn in Sorgen als er selber war, Beschloß auf rauhem Bergpfad ihn zu neuer Tugend zu führen, kost' es auch Gefahr; Dem weisen Arzte gleich, der Stahl und Feuer Zur Heilung braucht und häufig Gift sogar; Im Anfang freilich peinigt er den Kranken, Doch heilt er ihn, und jener muß ihm danken. |
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43 | Sie war nicht weich für ihn, nicht dergestalt Verblendet durch ein Uebermaß von Liebe, Daß ihr, wie Atlas, nur für wichtig galt, Auf welche Art man Rogers Tod verschiebe. Der andre säh' ihn lieber grau und alt, Auch wenn er ohne Ruhm und Ehren bliebe, Als daß ihm mit dem höchsten Lob der Erde, Ein Jahr des Lebensglücks entzogen werde. |
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44 | Er hatt' ihn an Alcina's Hof geschickt, Daß er des Kriegs vergess' und seiner Waffen, Und als ein Magus, welcher sehr geschickt Verstand sich Zauber aller Art zu schaffen, Hatt' er das Herz der Königin bestrickt Mit Liebesschlingen, so haltbaren, straffen, Daß sie umsonst sie abzuschütteln strebe, Wenn Roger länger auch als Nestor lebe. 196 |
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45 | Die andre aber nun, die alles kannte, Was erst geschehen soll, brach auf und nahm Die Richtung so, daß sicher Bradamante Auf ihrer Irrfahrt ihr entgegenkam. Als diese ihre Führerin erkannte, Da wandelte sich schnell der vor'ge Gram In Hoffnung ganz, bis sie die Wahrheit hörte, Was für ein Zauber Rogers Sinn bethörte. |
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46 | Das Mädchen bleibt beinah vor Schrecken todt, Daß Roger fern ist so unzähl'ge Meilen Und vollends ihre Liebe so bedroht, Wenn sie nicht augenblicks zur Rettung eilen. Die Freundin tröstet sie in ihrer Not Und legt ein Pflaster, um ihr Weh zu heilen, Und schwört ihr, eh der Tage viel vergehn, Soll Roger kommen und sie wiedersehn. |
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47 | Sie sprach: »Da du versehn bist mit dem Ringe, Der stärker ist als jedes Zauberstück, So zweifl' ich nicht, wenn ich dorthin ihn bringe, Wo dir Alcina vorenthält dein Glück, So brech' ich leicht ihr Netz, und aus der Schlinge Führ' ich dir deinen Herzenstrost zurück. Heut Abend noch will ich zur Fahrt mich rüsten, Und eh der Tag graut, seh' ich Indiens Küsten.« 197 |
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48 | Und weiter redend gab sie ihr bekannt, Auf welche Art sie Roger von der Stätte Weichlichen Müßiggangs ins Abendland Heimführen woll' und lösen seine Kette. Das Mädchen streift den Ring von ihrer Hand, Und nicht nur diesen giebt sie gern, sie hätte Mit Freuden auch ihr Herz, sie hätt' ihr Leben, Um Rogern beizustehn, dahingegeben. |
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49 | Sie giebt den Ring hin und empfiehlt sich ihr, Doch mehr empfiehlt sie ihr den tapfren Degen Und bittet, »grüßt ihn tausendmal von mir.« Dann kehrt sie zur Provence auf andern Wegen. Die andre sucht ein anderes Revier, Entschlossen, gleich die Hand ans Werk zu legen. Um Nacht erschien ein Gaul auf ihr Gebot, Der völlig schwarz war; nur ein Fuß war rot. |
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50 | Farfarello und Alchino sind Teufelsnamen, die in Dante's Hölle vorkommen. | Ein Farfarello oder ein Alchin, Vermut' ich, den sie aus der Hölle lockte. Entgürtet, unbeschuht bestieg sie ihn, Lang flatterte das Haar, das wildgelockte. Den Ring vergaß sie nicht erst abzuziehn, Weil sonst durch seine Kraft der Zauber stockte. Dann ging es fort, und mit dem Tag zugleich Gelangt sie in Alcina's Inselreich. 198 |
51 | Und hier verwandelt seltsam sich die Weise; Sie wächst um eine Spann', und wunderbar Wachsen die Glieder in derselben Weise, Bis sie das rechte Maß hat und aufs Haar Dem Necromanten gleich ist, jenem Greise, Der Rogern solch ein treuer Pfleger war. Mit langem Bart bedeckte sie die Backen Und machte runzlig Stirne, Hals und Nacken. |
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52 | An Antlitz und Geberden, Sprach' und Miene Kam diese Täuschung der Natur so nah, Als ob der Zaubrer Atlas selbst erschiene. Alsdann verbarg sie sich und spähte da, Bis sie zuletzt die zärtliche Alcine Von ihrem Roger sich entfernen sah. Und großer Zufall war's: Alcina grollte, Wenn sie ihn eine Stund' entbehren sollte. |
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53 | Sie traf ihn, wie sie wollte, ganz allein Des heitren Morgens frische Luft genießend, An einem Bache, der vom Felsgestein Zum Weiher rann, die schöne Flut ergießend. Die Kleidung, die er trug, war weich und fein, Wie träge Üppigkeit den Leib umfließend; Alcina hatt' ihm selbst mit kund'ger Hand Aus Seid' und Gold gewoben das Gewand. 199 |
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54 | Von seinem Hals bis auf den Busen hing Reich funkelnd von Juwelen ein Geschmeide, Und seine sonst mannhaften Arm' umfing Die schönste Spange, schimmernd auf der Seide. Ein goldner Draht, gestaltet wie ein Ring, Durchlöchert' ihm ganz fein die Ohren beide; Zwei Perlen hingen dran, zwei Perlen aber, Wie Indien keine sah und kein Araber. |
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55 | Sein lockig Haar war feucht vom wundersamen Arom, das man aus seltnen Blumen preßt; Verliebt war seine Art, als hätt' er Damen Valencia's stets bedient bei Tanz und Fest; Gesund war nichts an ihm bis auf den Namen, Wurmstichig, mehr als faul der ganze Rest. So fand sie Roger, so in allen Stücken Entfremdet seiner Art durch Zaubertücken. |
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56 | So kam er jetzt, als sie in der Gestalt Des Atlas plötzlich ihm den Weg verlegte, Dasselbe würd'ge Antlitz, ernst und alt, Das Roger immer zu verehren pflegte, Derselbe Blick voll zorniger Gewalt, Der weiland oft des Knaben Furcht erregte, Und sprach: »Dies also ist die Frucht, der Preis, Den ich gehofft von jahrelangem Schweiß? 200 |
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57 | »Reicht' ich das Mark der Leu'n und Bären dir Statt Ammenmilch, den Säugling zu erquicken? Lehrt' ich im schauerlichen Felsrevier Den Knaben schon die Riesenschlang' ersticken, Die Krall' ausziehn dem wilden Tigerthier, Den Hauer in des Ebers Maul zerknicken, Damit du dann, mit so gestähltem Geist, Alcinens Athys und Adonis seist? |
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58 | »Das also ist's, was der Planeten Stand, Die heil'gen Fasern, die punktirten Bogen, Augurien, Träume, Zeichen, allerhand Orakel, die ich Thor zu Rat gezogen, Geweissagt, seit ich dich als Säugling fand: Du werdest einst von mir zum Mann erzogen, Glorreiche Dinge thun auf blut'gem Feld, Die ohne Beispiel seien in der Welt? |
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59 | »Fürwahr ein stolzer Anfang, dich vor andern Hervorzuthun, desselben Wegs zu gehn Mit Scipionen und mit Alexandern! Wer hätte je geglaubt, was jetzt geschehn, Du würdest in dem Joch Alcina's wandern? Und sieh, damit die Leut' es deutlich sehn, Hast du an Hals und Arm die Kette hangen, Daran sie ihren Sklaven hält gefangen. 201 |
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60 | »Kann dich die eigne Ehre nicht bewegen, Das Werk, für das dich Gott erkoren hat, Warum willst du die Enkel um den Segen Betrügen, um verheißne künft'ge Saat? Ewig verschlossen blieb' Alcinens wegen Der Schooß, aus welchem nach des Himmels Rat Du göttliches Geschlecht, der Menschen Wonne, Erzeugen solltest, leuchtend wie die Sonne? |
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61 | »O hindre du die schönsten Seelen nicht, Die je den ewigen Ideen entsprangen, Vom Stamme, den die Zukunft dir verspricht, Die körperliche Hülle zu empfangen! O raub' die Sieg' und Palmen nicht dem Licht, Womit, nach bittrem Leid und schwerem Bangen, Einst deine Söhne, Kindeskinder, Erben Italiens alten Ruhm zurückerwerben. |
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62 | »Dahin dein Herz zu wenden, braucht es freilich So vieler und so schöner Seelen kaum, Die strahlend, ruhmgekrönt, siegreich und heilig Erblühen sollen an dem stolzen Baum; Ein Paar genügt, bei dem allein verweil' ich, Alfons und Hippolyt! der Erde Raum Kann wen'ge nur wie diese Hohen zeigen Auf allen Stufen, die zum Ruhme steigen. 202 |
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63 | »Ich habe dir weit mehr erzählt von ihnen Als von den andern allen insgemein, Weil sie des Lobes größern Theil verdienen Und Muster all der andern werden sein; Auch lauschtest du mit aufmerksamren Mienen, Sobald ich redete von diesen zwein; Du hörtest freudig von so theuren Helden Als deinen Sprößlingen und Enkeln melden. |
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64 | »Was that denn diese, deine Königin, Das man nicht auch bei tausend Dirnen fände? Sie, so viel andrer Männer Buhlerin, Die sie beglückt, du weißt mit welchem Ende! Damit du sie erkennst mit klarem Sinn, Und ohne daß ihr Gaukelwerk dich blende, Nimm diesen Ring und kehr' zurück zu ihr; Wie schön sie ist, zeigt dann dein Auge dir.« |
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65 | Indeß der Jüngling schamhaft und beklommen Zu Boden sah und keine Worte fand, Hatte die Magierin den Ring genommen Und gab ihm den und bracht' ihn zu Verstand. Als Roger wieder zu sich selbst gekommen, Fühlt' er von solcher Schmach sich übermannt, Er sänke meilentief gern in die Erde, Daß nie sein Antlitz mehr gesehen werde. 203 |
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66 | Sie kehrt', indeß er dastand wie zerschlagen, In die Gestalt zurück, die sie verließ; Nicht nötig schien's die Maske noch zu tragen, Da nun ihr Werk sich als vollbracht erwies. Noch hab' ich nicht gesagt und muß doch sagen, Daß diese Magierin Melissa hieß, Die Rogern jetzt mittheilte frei und offen, Zu welchem Zwecke sie hier eingetroffen, |
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67 | Gesandt von ihr, die ohne ihn nicht sein Und leben könn' und stets nach ihm verlange, Um ihn von dieser Kette zu befrein, Die ihn mit magischer Gewalt umfange. Atlas' Gestalt zu borgen fiel ihr ein, Damit sie williger Gehör erlange; Doch jetzt, da er genesen sei und frei, Soll' alles klar ihm werden, wie es sei. |
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68 | »Die edle Jungfrau, die so treu dich liebt, Die wert der Liebe wär', die du verschwendet, Der Dank gebürt, (wenn's Dank auf Erden giebt,) Weil sie die Tage deiner Haft beendet, – Den Ring, vor welchem Zauberspuk zerstiebt, Sie sendet ihn und hätt' ihr Herz gesendet, Hätt' auch das Herz an solchen Kräften Theil, Wie dieser Ring sie hat, zu deinem Heil.« 204 |
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69 | So fährt sie fort zu Bradamante's Preise, Wie treue Liebe sie gehegt und hegt; Sie lobt des Mädchens Wert in jeder Weise, Soweit mit Wahrheit Freundschaft sich verträgt, Und braucht die Wort' und Wendungen so weise, Wie kluge Botin sie zu brauchen pflegt, Und weiß ihm solchen Abscheu beizubringen Vor seiner Fee wie vor graunhaften Dingen. |
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70 | Sie ward zum Abschied ihm, die er noch eben So sehr geliebt, und wundern darf's euch nicht; Ein Zauber hat die Lieb' ihm eingegeben, Der, wie der Ring erscheint, vergeht und bricht. Noch eins verriet der Ring, daß ohne Leben Alcina's Schönheit sei, ein Truggesicht, Erborgt, nichts eignes dran, vom Fuß zur Schläfe; Die Schönheit ging davon, es blieb die Hefe. |
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71 | So wie ein Kind, das Obst sich aufgespart hat Und dann die Stelle, wo es liegt, vergißt Und nach dem Platz, wo es den Schmaus verwahrt hat, Zufällig wiederkömmt nach langer Frist, Wie das erschrickt und staunt, wenn es gewahrt hat, Daß alles faul und ganz verdorben ist, Und das was es geliebt und wert geachtet, Nun haßt, verabscheut, wegwirft und verachtet: 205 |
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72 | So Roger, als er auf Melissa's Wort Die Schritte wieder nach Alcinen wandte, Mit jenem Ring, dem sichren Zauberhort Für jeden, dessen Finger er umspannte. Ganz wider sein Erwarten fand er dort Anstatt der Schönheit, die er früher kannte, Ein häßlich Weib, wie man bis an das Ende Der Erde keins so alt und garstig fände. |
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73 | Fahl, runzlig, hager stand Alcina da, Mit dünngesäten, ganz ergrauten Haaren; Sie maß noch nicht sechs Spannen, und man sah, Daß alle Zähn' ihr ausgefallen waren. Cumä's Sibylle nicht, nicht Hecuba, Noch irgendwer kam zu so hohen Jahren, Und nur durch Kunst, die unsre Zeit verlor, Kam sie den Leuten jung und reizend vor. |
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74 | Sie machte sich durch Künste schön und jung, Und mancher ward wie Roger so betrogen. Schon viele Jahre war dies Spiel in Schwung, Bis jener Ring verriet, die Karten logen. Kein Wunder also, daß Begeisterung Und alle Liebeswünsche rasch verflogen, Als Roger sie in der Verfassung fand, Wo ihre Kunst zu helfen nicht verstand. 206 |
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75 | Doch, wie Melissa ihm zur Pflicht gemacht, Verriet er nicht, daß er den Wandel sehe, Bis er die langversäumte Rittertracht Sich angelegt vom Wirbel bis zur Zehe. Er stellte sich, (sonst schöpfte sie Verdacht,) Als woll' er prüfen, wie die Tracht ihm stehe, Als woll' er prüfen, ob er seit den Tagen Beleibter ward, seit er sie nicht getragen. |
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76 | Und mit der scharfen Balisarde dann (So hieß sein Schwert) umgürtet' er die Lenden, Und auch den Wunderschild hängt' er sich an, Der nicht allein die Augen pflegt zu blenden, Der auch die Seele schlägt in solchen Bann, Als ob die Lebensgeister ganz verschwänden; Den nahm er mit der Hülle des Metalls, Wie er ihn fand, und hängt' ihn um den Hals. |
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77 | Rabican ist das Pferd, welches Angelica's Bruder Argalia ritt und das nach dessen Tode erst in Rinalds, dann in Astolfs Hände geriet. Es war vom Winde und der Flamme gezeugt und nährte sich von Luft. | Er ging zum Stall, woselbst ein Renner stand, Schwärzer als Pech; den ließ sich Roger zäumen. So riet Melissa, denn ihr war bekannt, Der Rappe werd' im Laufe nimmer säumen. Von Kund'gen ward er Rabican genannt; Er kam mit seinem Herrn, der jetzt mit Bäumen Ein Spiel der Winde stand am Meeresbord, Auf jenem Walfisch einst an diesen Ort. 207 |
78 | Er hätte leicht das Flügelroß genommen; Denn neben Rabican sah er es stehn; Jedoch Melissa sprach: »Das kann nicht frommen; Er ist unlenkbar, wie du selbst gesehn.« Am nächsten Tag versprach sie nachzukommen Und mit dem Greif in sichres Land zu gehn, Wo Roger dann gemächlich lernen solle, Ihn mit dem Zaum zu lenken, wie er wolle. |
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79 | Nähm' er ihn jetzt, entstünde leicht Verdacht Der Flucht, die sie in Heimlichkeit betrieben. Und Roger that, wie sie es klug bedacht; Denn unsichtbar war sie ihm nah geblieben. Also verließ er Üppigkeit und Pracht Der Vettel, die er einst gewähnt zu lieben, Und kam bis an ein Thor, vor dem sogleich Der Weg beginnt nach Logistilla's Reich. |
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80 | Er griff die Wächter an; mit einem Satze, Den Degen schwingend, fuhr er durch den Troß. Todt oder wund blieb mancher auf dem Platze, Er aber trieb die Brück' entlang sein Roß, Und eh die Fee von dem entflohnen Schatze Erfahren hatte, war er fern vom Schloß. Im folgenden Gesang erzähl' ich weiter Und führ' in Logistilla's Land den Reiter. 208 |