Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Der Schiffbruch der »Tritonia«

Der Sturm nahm in dieser Nacht noch an Heftigkeit zu. Bei Tagesgrauen wuchs er sich fast zum Orkan aus. Alle Schiffe hatten in einer der vielen Buchten der Bai Zuflucht gesucht. Leer und öde lag dieses sonst so belebte Gewässer.

Nur ein Schiff kam mit dem Sturm dahergejagt und trug immer noch mehr Segel, als ein anderer es bei solcher See gewagt haben würde. Es war die »Tritonia«, die am Morgen zuvor Baltimore verlassen hatte.

Mit lackiertem Hut und in Ölzeug stand der alte Dosamantes auf dem Verdeck über der Kajüte neben dem Matrosen, der das Schiff steuerte, und beobachtete jede Bewegung des Fahrzeuges, über das vom Bug her die Wellen spritzten.

Es war heller Tag, als Kap Henry und Kap Charles in Sicht kamen. Bald darauf gewahrte er auch ein Fahrzeug, das südlich der Durchfahrt unter wenig Segeln gegen den Sturm ankämpfte. Er rief seinen Steuermann Strabo zu sich, reichte ihm das Fernglas und deutete stumm auf das Schiff, das augenscheinlich weder in die Bai hinein noch in den Atlantik hinaus wollte.

»Wäre das Schiff schwarz, so würde ich es für unsern Nachbarn in Baltimore halten«, meinte Strabo schließlich.

»Die Ähnlichkeit im Bau und der Takelung ist auffallend. Aber es ist weiß und kann darum nicht der ›Sturmvogel‹ sein.«

»Sonderbar! Bei solchem Wetter hält man sich doch nicht zum Spaß so nahe an der Küste!«

Sie ließen das Schiff nicht aus den Augen. Als sie näher kamen, konnten sie außer dem Mann am Steuer niemanden an Deck bemerken. Sie hielten auf Kap Henry zu, auch das fremde Schiff hielt jetzt in dieser Richtung.

»Mehr Ost bei Nord!« befahl Dosamantes dem Mann am Ruder. »Wir wollen den Schoner dort vor uns vorüber lassen.«

Er hob wieder das Fernrohr ans Auge und fuhr plötzlich erschrocken zurück.

»Um Gottes willen! Es ist der ›Sturmvogel‹! Ich habe Flournoy erkannt!«

Er befahl noch mehr Segel zu setzen und Nord-Nord-Ost vor Kap Charles vorüberzusteuern. Die Masten beugten sich unter dem Druck. Die »Tritonia« schoß noch schneller durch die tobende See. Nahm Woge um Woge, glitt von hohem Kamm hinab in die Tiefe, daß es schien, sie werde vom nächsten Wellenberg begraben. Durch ihr schnelles Manöver hatte sie einen bedeutenden Vorsprung gewonnen.

Auch der »Sturmvogel« hatte gewendet und mehr Segel gesetzt. Er folgte.

Eloise kam auf Deck gestürzt. Der Sturm löste ihr Haar und ließ es wild flattern. Er preßte ihr die Kleider um die schlanken Glieder, mühsam kämpfte sie sich zu ihrem Vater.

»Bei allen Heiligen, ist es wahr? Der ›Sturmvogel‹ verfolgt uns?«

Dosamantes nickte.

»Geh hinunter, Eloise! Der Wind könnte eine Segelstange herabschlagen!«

»Nein, Vater, ich bleibe bei dir!«

In diesem Augenblick stieg auf dem Piraten eine Rauchwolke auf. Pfeifend sauste eine Kanonenkugel über die »Tritonia« hin und verschwand mit einer Fontäne in einer sich auftürmenden, heranrollenden Woge.

»Geh, Kind, geh unter Deck! Er schießt, und die nächste Kugel kann unsere Takelage treffen!«

Aber Eloise blieb bei ihrer Weigerung. Angstvoll wartete man auf das Aufsteigen des Rauches, der die nächste Kugel ankündigte. Aber da brach plötzlich das große Segel am Hauptmast des »Sturmvogels« herab und flog, vom Sturm gezerrt, an den Tauen hin und her.

»Gott, der Allmächtige, kommt uns zu Hilfe!« rief Eloise.

Wütend jagte Flournoy seine Matrosen die Wanten hoch. Sie schwankten in den Rahen weit über der tobenden See, der Sturm fing sich in ihren Kleidern und drohte sie jeden Moment hinabzuschleudern, während sie das schwere Segel heranzuziehen und aus den Tauen der übrigen Segel zu lösen suchten.

Bald war der Schaden auf dem »Sturmvogel« notdürftig wieder hergestellt, und in voller Jagd ging es nach Süden zu hinter der »Tritonia« her, die längst außer Reichweite des Geschützes war.

Stunde um Stunde verstrich. Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen verminderte sich nur unbedeutend. Der Tag neigte sich, und noch war der Pirat der »Tritonia« nicht viel näher gekommen. Flournoy hoffte, daß der Mond durch das Gewölk hervorbrechen und die Segel der »Tritonia« beleuchten möge, damit er sie während der Nacht nicht aus dem Gesicht verlöre.

Dosamames flehte zum Himmel, daß er schwarze Nacht über die See ausbreiten möge, damit er unter ihrem Schutz seinen Kurs ändern und dem Flibustier entrinnen könne.

Niemand auf der »Tritonia« dachte an Schlaf. Aller Blicke hingen angstvoll an der Segelpyramide des Piraten, die wie ein böser Geist hinter ihnen herschwebte. Man begegnete Handelsschiffen, die mühsam gegen Wind und Wellen ankämpften, aber es hatte keinen Zweck, sie um Hilfe anzurufen. Ihre einzige Rettung blieb die Schnelligkeit der »Tritonia«.

An Schnelligkeit überlegen war der »Sturmvogel« der »Tritonia« nur, wenn der Wind ihnen entgegenwehte. Daß das nicht geschehen möge, darum betete Eloise.

Dosamantes schaute sehnsüchtig nach der Gegend hin, wo der Hafen von Charleston liegen mußte. Aber er konnte es nicht wagen, dort Zuflucht zu suchen. In dieser Geschwindigkeit durfte er sich ohne Lotse der Küste nicht nahen, jede Verringerung seiner Schnelligkeit aber konnte ihn in die Gewalt seines Feindes bringen.

Abermals wurde es Nacht, und abermals wurde es Tag. Immer noch folgte der »Sturmvogel« wie ein Gespenst der »Tritonia« und ließ ihr keinen Augenblick Zeit, sich irgendwo an der Küste einen Rettungsplatz zu suchen.

Zur Rechten wurde die Küste von Florida sichtbar. Zur Linken zeigten sich die Tausende von schwarzen Felsen, die sich von den Bahama-Inseln bis nach Kuba hinunterziehen. Die Wogen stiegen an ihnen auf und brachen sich schäumend über ihnen.

Plötzlich ließ der Wind nach, die erschlaffenden Segel schlugen hin und her, dann trat eine gräßliche Stille ein. Die »Tritonia« gehorchte dem Steuer nicht mehr, sie schwankte auf den dunklen Wogen hin und her. Durch sein Fernglas erkannte Dosamantes, daß auch der »Sturmvogel« im Lauf gehemmt war.

Bei ihrer schweren Ladung kam die »Tritonia« unter den wenigen Segeln nur langsam vorwärts. Die Golfströmung, gegen die sie anzukämpfen hatte, schien sich verdoppelt zu haben. Da bemerkte Dosamantes zu seinem Entsetzen bei einem Blitzstrahl die weißen Segel des Freibeuterschiffes in nicht zu großer Entfernung mehr. Dann verschlang es die Finsternis, bis der nächste Blitz es geisterhaft wieder erscheinen ließ.

Näher und näher rückte der Pirat. Schon begann er die »Tritonia« mit seiner Kanone zu beschießen, da sah Dosamantes plötzlich zu seiner Rechten ein Licht durch die Nacht blinken. Das mußte das Feuer eines Leuchtturms an der Küste von Florida sein!

Lieber zwischen den Felsen zerschellen, als dem Seeräuber in die Hände fallen! Vielleicht konnte die Küste noch Rettung bringen! Dosamantes ließ das Schiff wenden, ließ Segel aufziehen und schoß nun mit dem Sturm zu dem Leuchtfeuer hin.

»Verdammt, der Kerl ist wahnsinnig!« schrie Flournoy seinen Obersteuermann an. »Er rennt auf die Felsen! Da rettet ihn kein Teufel mehr!«

Er gab die Verfolgung auf und befahl, nach Norden abzudrehen.

Zur selben Zeit ließ Dosamantes den Anker fallen. Dröhnend rollte die schwere Kette mit dem gezahnten Eisen über Bord, faßte Grund. In seinem Lauf plötzlich zurückgehalten, schwang sich die »Tritonia« herum und bäumte sich hoch. Die tobenden Wogen rissen sie mit sich hoch und schleuderten sie wieder jäh in die Tiefe, begruben sie donnernd unter ihrem Gischt, um sie gleich wieder emporzutragen.

Das Schiff krachte in allen Fugen, als wolle es zerbersten. Fässer und Kisten lösten sich und rollten und rutschten über das Deck, so daß die Mannschaft vor ihnen flüchten mußte. Aber der alte Dosamantes war mit den Schrecken der See vertraut. Seitdem der Pirat verschwunden war, erfüllte ihn neuer Mut. Er legte selbst Hand mit an, die gefährlichen Frachtstücke über Bord zu schaffen. Bald war das Deck geräumt.

Noch ein zweiter Anker wurde in die See versenkt. Dann ließ Dosamantes die Luken öffnen und die Ladung ins Wasser werfen. Eloise stand schreckensbleich im Eingang der Kajüte, klammerte sich fest und sah den verzweifelten Anstrengungen der Männer zu, ohne selber helfen zu können. Sie hatte mehr Angst um den Vater als um sich selbst.

Da brach mit einem furchtbaren Krach eine der Ankerketten.

»Kappt die Masten!« schrie Dosamantes, sprang mit einer Axt zum Hauptmast und führte die ersten Schläge dagegen.

Die Taue wurden durchhauen. Schlag auf Schlag dröhnte bald gegen das feste gute Holz. Dann stürzte der Hauptmast donnernd um und wurde von den Wellen fortgetragen.

Der zweite kleinere Mast folgte ihm. Dann wurde an einem schweren Tau noch ein Anker vom Stern des Schiffes herabgelassen. Aber kaum hatte er den felsigen Grund erreicht, als die zweite eiserne Kette krachend zerriß. Das Schiff, nur noch von dem Tau gehalten, flog mit dem Sturm herum.

Das war das Todesurteil für die »Tritonia«. Zerriß das letzte Tau – und das mußte jeden Augenblick geschehen –, dann würde der Sturm sie gegen die Felsenküste jagen und dort zerschmettern.

Dosamantes bewahrte heldenmütig seine Fassung. Er holte aus seinem Kajütenschrank ein versiegeltes, in Wachstuch eingehülltes Paketchen, das Eloise an ihrer Brust verbergen mußte.

»Wir sind in Gottes Hand, mein Kind!« Er drückte sie an sich und küßte sie. »In dem Paket sind Schmuck und Wertpapiere deiner seligen Mutter! Und nun komm! Wir wollen alles tun, uns zu retten!«

»Vater!« schrie Eloise auf und umschlang ihn.

Mit sanfter Gewalt machte er sich frei und zog sie mit sich in die finstere Sturmnacht. Bei jedem Ruck, den das entmastete Schiff an dem Ankertau tat, wurden sie zu Boden geworfen. Schritt für Schritt, sich mit den Händen festhaltend, gelangten sie zu den Matrosen, die einen Notmast herbeigeschleppt und mit der Spitze über die Reling geschoben hatten.

Der Obersteuermann und Dosamantes banden Eloise nun mit Stricken an das schwere Stück Holz. Sturzseen brachen über das Schiff, schleuderten es hin und her. Blitze beleuchteten nasse bleiche Gesichter, Donner übertönten das Rauschen und Zischen der Wogen, das Heulen des Sturmes.

Dann bäumte sich das Wrack hoch auf, das Tau war gerissen. Haltlos stürmte das Schiff davon, den Felsen entgegen. Die ganze Mannschaft drängte sich um den Mast, an dem Eloise angebunden war.

Ein furchtbarer Stoß warf sie auseinander, das Wrack saß auf einem Felsen fest. Aber schon hob eine Welle es wieder empor und schleuderte es abermals gegen die Klippen. Das Deck brach auseinander, die Wände splitterten, schwarze Brecher stürzten gierig schäumend über die Trümmer.

Den Mast, an dem Eloise ohnmächtig hing, aber nahm die Flut mit. Aber nur der Obersteuermann Strabo konnte sich an ihm festklammern, alle anderen riß das tosende Element fort und verschlang sie, auch den alten Dosamantes. Mit letzter Kraft mühte sich Strabo, den Kopf des Mädchens über Wasser zu halten.

So trieb der Mast mit Sturmeseile auf die Küste zu. Strabo sah nicht die Männer, die dort mit Fackeln, Stangen und Tauen über die Klippen rannten und beobachteten, wohin die Flut den Mast treiben mochte. Der Mast drohte ihm zu entrollen. Noch einmal packte er ihn, dann prallte ihn ein Stoß fort von dem Holz. Ein Wirbel saugte ihn mit sich hinab in die Tiefe.

Die Männer aber faßten mit ihren Hakenstangen den Mast und hielten ihn mit Stricken fest. Mit Messern schnitten sie das regungslose Mädchen los und entzogen es dann dem Bereich der Brandung.

Es waren Männer der Besatzung des Leuchtturms, der auf einer einsamen Felseninsel an der Küste Floridas erbaut war. Kapitän Burnham, ihr Führer, ein alter wettergebräunter Mann, beugte sich zu Eloise nieder. Die Fackelträger leuchteten ihm.

»Sie scheint noch zu leben«, meinte Burnham. »Los! Zwei bringen sie vorsichtig in den Turm! Ihr andern bleibt noch hier! Vielleicht hat die See Erbarmen und gibt noch ein Menschenleben heraus.«

Während die übrigen Männer weiter Ausschau auf das kochende Meer hielten, trugen zwei die Ohnmächtige die Felsen hinauf, während Burnham ihnen mit einer Fackel leuchtete. Eine enge Tür führte in das steinerne Gebäude. In dem gemeinschaftlichen Zimmer des Erdgeschosses flackerte ein wärmendes Kaminfeuer. Burnham breitete dort ein paar wollene Decken aus, und man legte Eloise darauf nieder.

Er wusch ihr Schläfen und Nacken mit Branntwein, rieb und schüttelte sie lange vergebens. Endlich brach sie eine Menge Wasser aus, ihre Brust begann sich krampfhaft zu heben, und sie schlug die Augen auf. Verwirrt blickte sie um sich, allmählich kam ihr die Erinnerung.

»Vater! Wo ist mein Vater?« stöhnte sie.

Burnham sprach ihr tröstend zu. Niemand von ihrem Schiff sei bisher gerettet, aber seine Leute seien noch draußen an der Küste. Sie solle nicht mit dem Schicksal hadern, sondern Gott danken für seine Gnade.

Gütig redete der Leuchtturmwächter auf sie ein. Er bereitete einen heißen Grog, den sie trinken mußte. Vor Erschöpfung fielen ihr bald die Augen wieder zu, und man legte sie auf ein Bett. Im Schlaf vergaß sie ihre schreckliche Lage.

Als Eloise erwachte und die kleinen Turmfenster sah, mußte sie sich erst besinnen, wo sie war. Sie wurde sich ihres ganzen Elends wieder bewußt. Ein Kopfschütteln des alten Burnham sagte ihr auf ihren fragenden Blick, daß niemand mehr von der »Tritonia« gerettet sei. Er forderte sie auf, sich das Herz zu erleichtern. Und sie erzählte ihm den Verlauf des Unglücks.

Er nötigte dem unglücklichen Mädchen Kaffee und Frühstück auf. Sie brauche sich keine Sorge um ihre nächste Zukunft zu machen. Sie könne auf der Insel bleiben, solange sie wolle, oder auch mit dem nächsten Regierungsschiff abreisen, wenn ihr das lieber sei.

Am Fuß der Insel lagen außerhalb des Bereichs der Brandung mehrere Rettungsboote. Eine Menge Anker, Ketten, Taue und Werkzeuge aller Art, um Schiffen in Seenot helfen zu können, waren in Bereitschaft.

Die Besatzung der Insel war damit beschäftigt, Kisten, Fässer und Ballen, die von der Flut angetrieben wurden, aufzufangen und in Sicherheit zu bringen. Schon hatten sie einen großen Vorrat von Holz aus den Trümmern der »Tritonia« angehäuft und auch manche der Güter geborgen.

Eloise wandte sich um, sie konnte den Anblick der See nicht ertragen, die das Grab ihres Vaters und all seiner Gefährten war.


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