Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Osmakohees Rache

Ralph Norwood fand bei der Regierung in Washington größte Beachtung. Seine Abstammung von den Seminolen, seine Vertrautheit mit ihnen und seine Kenntnis ihrer Sprache waren Eigenschaften, die ins Gewicht fielen. Der Regierung lag daran, Zeit zu gewinnen und den Ausbruch der Feindseligkeiten so lange hinauszuhalten, bis man den Wilden gegenüber eine hinreichende Macht zum Schutz der Ansiedlungen gesammelt haben würde.

Es war ein alter bewährter Grundsatz der Indianerpolitik, die Stämme unter sich zu entzweien und einzelne zu gewinnen, um mit ihrer Hilfe die anderen zu vernichten. Für diesen Zweck schien Norwood ganz der geeignete Mann. Er machte in dieser Hinsicht Vorschläge und entwickelte Pläne, die Erfolg versprachen.

Ralph legte dar, daß man durch sein Verfahren bedeutende Summen Geldes und das Leben vieler Soldaten sparen könne. Es genüge, an der Grenze der Indianergebiete kleine Truppenabteilungen zum Schutz der weißen Ansiedler zu postieren. Das Übrige möge man ihm als Indianeragenten schon überlassen. Er würde jede Einigung der Wilden verhindern und sie gegeneinander ausspielen. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß Tallihadjo, der mächtigste und entschlossenste Häuptling der Seminolen, unschädlich gemacht würde. Wie, das müsse man ihm überlassen.

Schon nach wenigen Tagen wurde Ralph Norwood zum Indianeragenten der Regierung ernannt. Die nötigen Vollmachten, Empfehlungen und Anweisungen wurden für ihn ausgefertigt. Er sollte sich bereithalten, sich in einem Kriegsfahrzeug einzuschiffen, das mit Truppen, Munition und Lebensmitteln nach der Tampa-Bai absegeln sollte.

Nach seiner Ankunft in der Tampa-Bai begab sich Ralph sofort ins Innere des Landes. Als Halbseminole wurde er freundlich von den Wilden aufgenommen. Er ritt von Stamm zu Stamm. Überall, wo er erschien, fand er die Indianer in großer Aufregung und merkte, daß sie zu einem allgemeinen verzweifelten Kampf gegen die Weißen rüsteten.

Vorsichtig begann er sein Ränkespiel. Er erklärte, der große Weiße Vater habe ihn gesandt, um ihnen zu versichern, daß er nicht nach ihrem Land trachte und eine feste Grenze bestimmen wolle, die niemals ein Weißer überschreiten dürfe. Wenn sie jetzt in den Krieg zögen, würden sie die Weißen in ihre Jagdgründe holen. Unter dem Versprechen tiefsten Stillschweigens erzählte er den Häuptlingen, Tallihadjo sei ein Verräter, der nur aus Eigennutz den Krieg wünsche. Er strebte danach, alle Häuptlinge ihrer Rechte zu entheben und allein die Gewalt über alle Seminolen zu bekommen. Er habe dem großen Weißen Vater die Hälfte allen Landes der Seminolen angeboten, wenn er als alleiniger Häuptling anerkannt werde.

Diese Lügen fanden bei vielen Häuptlingen nur zu willig Gehör. Ralph erreichte ihr Vertrauen so sehr, daß sie seinem Rat zu folgen versprachen. Nach wie vor sollten sie Tallihadjo in der Meinung lassen, daß sie ihm Beistand leisten würden, und ihn zum Losschlagen ermuntern. Die Weißen würden ihn dann schnell gefangennehmen oder töten. Für die Rechte der Seminolen aber würde er, Ralph Norwood, dann sorgen. Unter den heiligsten Versicherungen treuester Freundschaft schied er.

Ganz anders redete Ralph zu den Häuptlingen, die in der Nähe der Weißen wohnten. Dort gab er sich als geheimer Verbündeter und Freund Tallihadjos. Er riet ihnen, nichts ohne dessen Rat gegen die Amerikaner zu unternehmen und versprach ihnen, alle Schritte und Absichten der Weißen an Tallihadjo zu verraten. In Kürze werde er sich zu dem Häuptling begeben, um mit ihm den Tag des Beginns der Rache festzulegen. Unter Berufung auf den Großen Geist, der ja auch sein Gott sei, legte er auch ihnen strengste Verschwiegenheit auf.

Monate waren so vergangen, als Ralph wieder in der Tampa-Bai eintraf. In der ganzen Zeit hatte er nicht einen Brief an Eloise gesandt, hatte auch kaum Möglichkeit dazu gehabt. Es war in der zweiten Hälfte des April 1827, als er sich mit einem Küstenfahrzeug nach der Mündung des Ocklockney River begab, um von da zu Lande weiter nach Tallahassee zu reisen. Er wollte nun Tallihadjo selber aufsuchen und dann auch zu Hause einen Besuch abstatten.

Schwere Gewitter waren niedergegangen. Erst spät am Abend traf die Postkutsche von Tallahassee beim »Concordia«-Hotel ein, denn die Regengüsse hatten die Straße aufgeweicht und alle Bäche, die sie querte, zu reißenden Strömen umgewandelt.

Mit dem Kind auf dem Schoß saß Eloise in einem Armstuhl. Montclard las ihr aus einem Buche vor. Wie traulich geborgen fühlte sie sich, während draußen der Regen gegen die geschlossenen Fensterläden klatschte und der Sturm an ihnen rüttelte.

Plötzlich dröhnten von der Vorderseite des Hauses wuchtige Schläge, zugleich erscholl ein schauerliches Geheul, das durch Mark und Bein drang. Schreckensbleich sprang Eloise auf.

»Indianer!« sagte Montclard, der sich schnell wieder faßte. »Warte hier!«

Er eilte aus der Stube. Das Geschrei hatte die Gäste bereits aus dem Schlaf gerissen. Mit Gewehren und Pistolen stürzten sie aus ihren Zimmern und rannten in wilder Verwirrung durcheinander. Montclard brachte sie zur Vernunft. Seinen ruhigen lauten Befehlen ordneten sie sich unter.

Schon splitterte die Eingangstür unter den Axtschlägen der Wilden. Schwerlich würde man das Haus lange verteidigen können. Wenn es eine Rettung gab, dann nur durch die Flucht. Montclards Plan war schnell gefaßt. Man mußte die Feinde, die ihren Hauptangriff gegen die Vordertür richteten, dort möglichst lange binden. Dann sollte überraschend ein Ausfall durch die Hintertür in den Garten gemacht werden.

Er gab Eve, dem Negermädchen, und den anderen Sklaven Anweisungen, nur auf Eloise und das Kind bedacht zu sein. Sie sollten beide nach dem Bach hinter dem Garten führen, der durch den Regen zu einem Fluß angeschwollen war, und mit ihnen in dem Kahn fliehen, der dort angebunden war.

Dann suchte er Eloise auf. Sie hatte sich bereits gefaßt. Aus ihrem Schreibtisch hatte sie den Brillantring, das Geschenk Montclards, und alles vorhandene Geld entnommen, es eingewickelt in die Preisliste, die ehedem ihren Schmuck enthalten hatte, und in die Tasche ihres Kleides gesteckt.

»Bleib bei mir!« flehte sie Montclard an.

»Wir müssen die Wilden beschäftigen! Währenddessen bringen die Neger dich und das Kind zum Kahn! Ich komme nach!« sagte er und küßte sie. »Schnell, sonst ist es zu spät! Die Vordertür wird bald einbrechen!«

Er zog sie und den Knaben mit sich. Aufschluchzend folgte ihm die Frau. Ein Triumphgeheul der Indianer verkündete, daß die Vordertür bereits nachgab.

Die Sklaven faßten Eloise und das Kind, zerrten sie mit sich in den Regen und Sturm und zogen sie fort von den kämpfenden Männern dem Walde zu. Ein Wilder tauchte neben ihnen auf, einer der Neger warf sich ihm entgegen. Weiter hasteten die übrigen. Der Wald umfing sie. Keinen Schritt weit konnte man sehen, doch mit sicherem Instinkt führten die Schwarzen.

Gurgelnd rauschte das Wasser. Von fernher drang der Kampfeslärm. Schüsse, Schreien! Dann war der Kahn erreicht. Eloise kletterte hinein. Man reichte ihr den Knaben nach. Eve sprang hinein, noch ein Neger. Vom Hause her kam gellendes Heulen, das Siegesgeschrei der Indianer. Mit einem Schmerzensruf brach Eloise zusammen. Eve stützte sie, der Neger löste den Kahn. Die Strömung riß ihn mit sich fort, wirbelte ihn auf weiß schäumender Flut durch die Finsternis davon.

Grau dämmerte der Tag. Noch war der Himmel wolkenverhangen, aber es regnete nicht mehr. Der Sturm hatte sich gelegt. Feucht tropfte es von allen Bäumen.

In aller Frühe brach Ralph Norwood von Tallahassee auf, wo er übernachtet hatte. Stunde um Stunde ritt er in wechselnder Gangart. Es eilte ihn nicht, nach Hause zu kommen. Ja, er hatte sogar überlegt, ob er überhaupt dort jetzt vorsprechen und sich nicht zuerst zu Tallihadjo begeben sollte. Nur die Kunde, daß Montclard noch lebe und in dem Hotel wohne, hatte ihn zu diesem Ritt bewogen, nicht aber die Sehnsucht nach Frau und Kind.

Er näherte sich seinem Ziel. Er sog die Luft ein. Es roch nach Rauch. Brannte der Wald? Er gab seinem Pferd die Sporen. Der Geruch wurde immer stärker. Voll böser Ahnung galoppierte er, daß der Schmutz der aufgeweichten Straße hochspritzte.

Nun bog er in den Weg ein, der zum Hotel führte. Jetzt war der Blick frei auf das Gebäude, aber statt dessen sah er vor sich einen rauchenden Trümmerhaufen.

Ralph hatte sie bei ihrem Leichenmahl aufgestört. Er stürzte auf die Toten zu. Blutige skalpierte Köpfe starrten ihm entgegen. Indianer hatten hier gemordet und sein Besitztum niedergebrannt! Waren sie hinter das Doppelspiel gekommen, das er trieb? Dann hieß es fliehen, sich in Sicherheit bringen! Hastig untersuchte er die Toten. Es waren alles Fremde, wahrscheinlich Reisende, die im Hotel übernachtet hatten. Vergebens suchte er nach Eloise und Tom. Hatte man sie mitgeschleppt? Oder hatten sie flüchten können? Oder waren sie verbrannt?

Einen toten Indianer zu finden erwartete er nicht. Denn er wußte, daß die Roten ihre Toten nach Möglichkeit immer mitnahmen. Er durchstöberte den Garten, wo auch gekämpft worden war, und drang in den Wald ein. Zwischen niedergetrampelten Pflanzen lagen dort zwei Leichen hingestreckt ... Osmakohee, dessen Züge gräßlich verzerrt waren, und Montclard, der mit der linken Hand ein feines Battisttuch gegen die tödliche Wunde in seiner Brust gepreßt hielt.

Ralph bückte sich. Sein erster Gedanke war der Brillantring. Nicht mehr da! Auch nicht an der anderen Hand. Aber in dem Tuch erblickte er eingenäht den Namen Eloises. Er nahm es an sich.

»Verdammt!« knirschte er.

Dann steckte er das Tuch in seinen Rock und machte sich daran, Montclards Taschen zu durchsuchen. Mit gierigen Augen zog er eine pralle Brieftasche daraus hervor, in der ein dickes Bündel Banknoten steckte, darunter einige Fünfhundertdollarnoten, wie er bei flüchtiger Durchsicht feststellte.

»Da bin ich ja gerade richtig gekommen!« sagte er höhnisch für sich.

Er fuhr zusammen. Hufschlag und Stimmen drangen an sein Ohr. Rasch nahm er das Bündel Banknoten an sich, die Brieftasche aber tat er wieder in Montclards Jacke. Schnell trat er aus dem Wald hervor.

Vor dem Trümmerhaufen hielt der alte Arnold mit einer Anzahl schwerbewaffneter Männer. Sie sprangen von den Pferden, um die Toten zu untersuchen. Ralph ging auf sie zu. Überrascht blickten sie ihm entgegen.

»Norwood! Sie ... leben?« fragte Arnold.

»Ich hörte schon in Tallahassee von dem albernen Gerücht, das so ein Zeitungsschmierer in die Welt gesetzt hat! Ich lebe noch ... und die Schufte sollen es fühlen, die mir mein Eigentum zerstört haben!«

»Ihre Frau und Ihr Kind sind bei Frank, meinem Sohn. Es gelang ihnen, zu flüchten!«

»Bei Frank! Verdammt!« entfuhr es Ralph. »Ich werde zu ihnen reiten. Hier habe ich doch nichts verloren ...«

»Reiten Sie nur!« sagte der alte Arnold. »Die Toten begraben wir ...«

Er griff nach seiner Büchse. Am Waldrand war die Gestalt eines Indianers aufgetaucht. Zum Zeichen des Friedens hob der Wilde den Arm. Arnold senkte die Büchse. Er erkannte Tallihadjo. Hochaufgerichtet näherte sich der Häuptling. Finster starrten ihm die Weißen entgegen.

»Seminolen haben das Haus eines Freundes verwüstet und die Männer darin erschlagen!« klagte Arnold ihn an.

»Osmakohee war es! Er hat seine Strafe, er ist tot«, erklärte Tallihadjo. »Er hielt den Sohn meines Freundes für einen Verräter.«

Unwillkürlich schauderte Ralph zusammen. Sein Spiel schien aus zu sein. Osmakohee, den er gegen Hallemico gehetzt hatte, mußte ihn durchschaut haben. Er hatte sich gerächt. Ralphs Hand griff nach der Pistole, doch da streckte ihm Tallihadjo seine Hand entgegen:

»Hätte Osmakohee den Sohn meines Freundes Tom so gekannt wie ich, er würde sein Leben für ihn gelassen haben! Du sollst keinen Schaden haben durch die roten Männer!«

Ralph atmete erleichtert auf.

»Ich wollte dich aufsuchen, Tallihadjo, um im Namen der Regierung auch mit dir über den Frieden zu verhandeln«, sagte er. »Schon in den nächsten Tagen werde ich bei dir sein. Erst muß ich für mich und die Meinen eine neue Unterkunft besorgen.«

»Tallihadjo erwartet dich!«

Der Häuptling drückte Arnold beide Hände und sah ihm lange in die Augen. Dann wandte er sich und schritt lautlos zum Walde, in dem er verschwand.

Nachdenklich schaute Arnold ihm nach. Dann machte er sich mit seinen Gefährten an die traurige Arbeit, die Erschlagenen zu beerdigen.


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