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Liebes Kind.
Ich fühle mich in eine ganz wunderliche Lage hineingeschoben durch Deine ausgreifenden und wieder tief im Lebensschacht herumwühlenden Mitteilungen. Oft ist mir, als stehe ich auf einem vulkanischen Boden, wo die verwitterte Lava, von der schaffenden Natur üppig begrünt, hervorbricht in Flammen und verzehrt es wieder. Und hier und da liegen Brandstätten unter dem ewig blauen Himmel. Was nützt mein guter Wille, meine Stimme, mein Wort. Wie könnte das diesen Boden erschüttern, in dem ein innerliches Wirken verborgne Wege schleicht und dann, jeder Gewalt unerreichbar, plötzlich das begonnene Gepflegte zerstörend aufflammt. – Weißt Du, was Du sprichst? – Nein! Denn ich kann Dir den Mut nicht zutrauen, Dich Nationen und Jahrtausenden gegenüberzustellen und denen Hohn zu sprechen. Das tust Du aber, blind, wie Du bist, springst Du über Abgründe, und immer glücklich fühlst Du den Boden unter Deinen Füßen. Man sagt, der Blitz erschlage keinen Schlafenden, drum soll man während dem Gewitter keinen Schlafenden stören. Ich frage mich, ob Du schläfst, ob Du träumst, und dann mein ich, das Gewitter bist Du selber; es rollen Ideen donnernd in Deinem Geist, die aneinander zerschmettern; und vor meinen Augen sinkt in die tiefste Spalte, die plötzlich gähnt, was eben noch meine Hoffnung war, was ich mit demselben süßen Willen hütete wie Du Deine Blumen und Kräuter. Deine unverständlichen Aufsätze, wie Du sagst, seien die glühende sinkende Asche und ausfahrenden Funken von dem Herd, auf dem der erwachende Geist sich seiner Unverständlichkeit entbindet. Einmal will ich mich vor Dir aussprechen darüber, sollte ich mich irren, so sage mir es. Ich war bis jetzt noch immer so sehr der einzige Gesichtspunkt, nach dem Du mit inniger Begierde hinsahst, in dem das meiste um Dich her nicht das war, was den Geist auf eine würdige Art fesseln kann. Deine Aufsätze, teilweise auch Deine Briefe stellen daher oft mehr Selbstgespräche vor oder eine Art Gebete, in denen der Gedanke sich selbst lieben und würdigen lehrt und in einer sehnsuchtsvollen Andacht verweilt. Diese Andacht ist von allen Gesichtspunkten heilig und unverletzlich, da sie allein das Erwachen eines trefflichen Menschen verkündigen kann; sie liegt über der Bildung wie alle Gottesverehrung als die erste Poesie des Menschen; sie ist die Morgenröte vor dem geschäftigen Tag, der Frühling und das Kindliche in dem Fortschreiten jeder Art von Leben überhaupt; so schienen Deine Briefe und Ergießungen bisher mir auch nur die erste schöne reflektierende Bewegung Deines Erwachens in der lieben Welt, und Dein Gefühl, Deine Rührung und Dein Gott sind eins und dasselbe darin; ein Morgengebet eines an sich frommen Menschen, den man nicht grade dazu angehalten hat. Wolltest Du meinen, in Deinen Briefen spräche bloß Deine Liebe, Dein antwortender Geist zu mir, so täuschest Du Dich, sie sind Deine Liebe zu allem, so wie es Dein reflektierender Geist über alles und in allem ist, den Du mir anvertraust; Du kannst nicht zweiflen, daß sie mir daher das höchste lebendige Interesse umfassen und daß Deine Geistesanlagen mir ebenso heilig sind, als es mir rührend ist, daß Du sie mir anvertraust; warum ich also wünschte, daß Du die Kette dieser reizenden Lebensaufregungen nicht unterbrechen mögest, das erweist sich von selbst, da es aber ebenso unmöglich als unnatürlich sein würde, ewig oder sehr oft in dieser Rührung zu verweilen, ja am End komisch und dann gar schändlich werden könnte. Es gibt solche Epochen in der Geschichte, wo dasselbe im großen geschah. Diese Epochen bildeten ihre Krankheitsstoffe aus, als die Andacht nicht mehr im einzelnen Menschen vor dem Verstand sicher war und daher allgemeine Religionen hervorkamen, dann, als gar keine Andacht mehr da war und eine Menge Religionszeremonien ihre Stelle vertraten, das war komisch, und da die Religion als Mittel zu schlechteren Zwecken gebraucht ward, das war schändlich, denn sie ist die Krone alles Lebens und die einzige Ruhe in uns, die jede einzelne Bildung krönt und, indem sie über alles Ungebildete, bloß Zufällige erhebt, dieselbe dem ganzen Dasein, Gott und uns zugesellt. Diese Andacht also, die Liebe, die Du in Deinen früheren Aufsätzen aussprichst, oder auch Deine Sehnsucht überhaupt, zu bilden und gebildet zu werden, kann nur wie der Morgen jeden Tag einmal, und wie der Frühling jedes Jahr einmal, und wie die erste kindische Poesie jeder Völkerbildung in dem Volke nur einmal erscheinen und so ins Unendliche in diesem Zirkel rückwärts und vorwärts in engeren und weiteren Kreisen, und es wäre daher komisch oder schändlich, Dich dazu zu zwingen oder zu verstellen, das erste wär komisch und das zweite schändlich. Du schreibst also bloß, wenn ich Dich durch einen Brief, der Dich an das Bessere erinnert, in Deinem Geist aufrühre. – Aber kennte ich Dich nicht besser, müßte ich dann nicht glauben, Du ließest es bei dieser bloßen Andacht bewenden, und auf das gerührte Gefühl des Erweckten in Dir folge keine Arbeit, kein Streben; beinah willst Du mir's weismachen! – Darum hab ich Dich aufgefordert, Gedanken, Geschichten, Begebenheiten, Fragen, Meinungen etc. niederzuschreiben, damit Du mir ohne Anstrengung schreiben könntest und Dich nicht dazu erst zu stimmen brauchst; es war mein Wunsch, denn ich selbst lerne durch Dich mich aussprechen. Wie schön sind Deine letzten Briefe davon erfüllt, wie wahr und warm Deine Reminiszenzen aus den Kinderjahren, wie tief Dein Gedächtnis noch aus Deinem ersten und zweiten Lebensjahr. Liebste Bettine, bedenk Dich doch, daß solche Eigenschaften von der Natur als köstlichstes Lebensgeschenk in die Seele geprägt sind, daß es feinste Organisation des Geisteslebens ist, so schreiben zu können. Vielleicht sag ich manches in meinen Briefen, was Dich stört, laß es ungesagt sein. Überhaupt nähre das Vertrauen, denk, Du sprichst auf der Höhe auf freien Bergen oder im tiefen Wald, wo nur die Natur Dich auffordert zum Sprechen, nicht der verblendete Mensch, der vielleicht eigensinnig. Oft erschreckt es mich, und es kommt mir vor, als wär Dein Gefühl und Dein durch dies Gefühl gebildeter kühner Wille lange wie eingesperrt gewesen und bräche nun so stolz und unbändig hervor, so berührte mich eben ein großer Teil Deines letzten Briefes; ich habe mich gefragt, ob ich durch Äußerungen Deinen eigentümlichen Wendungen in den Weg getreten sei, und beinah glaube ich's, denn auch in diesem Augenblick fühle ich, wir stimmen nicht ineinander.
Ich wollte Dir noch mehr schreiben, aber eben erhalte ich einen Brief von Leonhardi, er habe Dich zweimal gesehen, und wenn die Zeit schöner werde, wolle er öfter nach Offenbach kommen; ich finde das nicht weiter sehr wünschenswert, weil unbedeutende Menschen oft einen Einfluß haben, eben weil sie das Bedeutende aufheben, ich habe jedoch nichts weiter zu erinnern, als dem Leonhardi doch nur höchstens scherzend zu begegnen, auf andern Wegen würdest Du ins Philistertum geraten, denn er ist ein hypochondrischer Mensch, der sich leicht einbilden kann, er sei dies oder jenes und müsse Dich wärmen oder schützen oder Dir Weltansichten eröffnen, ein solches Pfuscherwesen lasse Dir nicht in den Weg treten. Er hat Bücher und kann Dir die geben, die ich will. Sei stolz und lasse Deine Einsamkeit Dich nicht verführen, Deine Zeit an Menschen zu verlieren, von denen Du nichts gewinnst.
Dein Clemens.
Du sollst einem meiner Freunde, der Dich bittet, den ich und viele für den einfachsten genialischsten Menschen seiner Zeit halten, ein kleines Geschenk machen, sticke, nähe irgend etwas; es ist Ritter, der Naturphilosoph, der Freund der Gachet, denke was Hübsches aus, sage niemand, für wen.