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Lieber Clemens.
Dein Brief hat einen Eindruck auf mich gemacht, wie ungefähr das Licht wirken muß auf einen, der lange blind gewesen oder im Dunkeln herumtappte. – Du gingst von hier und warst so unzusammenhängend, daß selbst die Trennung von Dir übersprungen war; Du liefst, Du liefst, hätte ich nicht dem Buben vor der Haustür mein Schnupftuch in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle Dir nachlaufen, denn Du habest es vergessen, so wüßte ich nicht, wie ich Dich im letzten Augenblick noch an mich erinnern sollte. – Der Knabe kam zurück und sagte, Du habest es in den Busen gesteckt und aufgetragen, mich tausendmal zu grüßen! – tausendmal! – Einmal wär genug gewesen! – wenn Du nur vorher Dich besonnen hättest, daß Deine Schwester Dir gegenüberstand und wartete, daß Du sie ans Herz drücken solltest. – Der Knabe sagte mir auch, der Postwagen war noch nicht fertig angespannt, Du seiest voran dem Tor zugegangen! – Ach Deine Ungeduld fortzukommen, sie war Dir eingeimpft durch jenen letzten Brief, den Du aus Weimar erhieltst; das Fieber ergriff Dich gleich, Du stürmtest fort! – Du hast mich immer geplagt, daß ich nie einen Versuch gemacht habe, Deine Bitte zu erfüllen, irgend etwas niederzuschreiben. Ich hab ein Märchen geschrieben, seit Du weg bist.
Ein schwermütiger Jüngling, von Träumen aufgeregt, erwacht in der Nacht, die heiß und glühend die Welt umfängt, wie gestern, wo es die ganze Nacht wetterleuchtete; er stürzt hinaus ins Freie mit seinen getreuen Hunden und kommt in einsame fürchterliche Gegenden, wo schreckliche Wasserfluten von den Felsen niederstürzen und die Bäume auf den Höhen über ihm zusammenkrachen, wo es feucht ist und giftige Kräuter am Gestein sich hinaufranken und betäubend duften. Hier hört er auf einmal ein helles fröhliches Lied singen, mit lustiger Stimme, er geht dem Tone nach und entdeckt einen mutwilligen Knaben, der über einen schrecklichen Abgrund sich schaukelt, über den brausenden Wassern, die in stürmender Eile dahinrollen. Er sieht's, erschrickt, wird tief bewegt von der Lebenskeckheit, viele Empfindungen machen sein Herz ganz wild und glühend, er glaubt das Kind zu kennen, er will es warnen, er will es retten, doch nein, es ist ihm noch fremd; nun entspringt heiße Liebe zu dem heiteren Wesen in Todesgefahr, die Hunde klettern ihm nach, wie er sich versteigt, dem Kinde nachzukommen, sie suchen ihm Bahn, doch mit Angst, und möchten ihn abmahnen; er gelangt endlich hinauf, jetzt ist die Frage, was er mit dem Kinde anfängt. –
Er stößt ihm einen Dolch in die Brust, ohne es zu wissen, sagt die Günderode. Ich bin aber nicht so grausam und will das nicht, ich sage nein, es begegnen ihm mit dem Knaben noch wunderbare Dinge, der sich ganz mit seinem Schicksal verknüpft, das führt ihn durch Glaub, Hoffnung und Lieb, und das Märchen endet auf eine eigne Art. – Wenn es so enden soll, sagt die Günderode wieder, dann ist der Clemens der Jüngling, seine neue Geliebte ist der Knabe, und wir zwei sind die zwei getreuen Hunde, die zwar ihn warnen, aber nichts vermögen; hätt es aber nach meiner Art geendet, so warst du, Bettine, der Knabe. –
Ja wir beiden treuen Hunde von Dir, lieber Clemens, ahnen ein schwer Gewitter über Deinem Haupt. – Wir möchten Dich wieder nach Hause persuadieren und Dich beschwören, den Block zu fliehen, wenn Du auch ein Weilchen die Ketten mit Dir noch herumschleppen mußt. –
Ach Clemens, ich bin müde und bin wie krank, aber es wird schon besser werden, könnt ich nur zur Großmama nach Offenbach; die Luft ist mir dort zugetan, sie brachte mir immer gute Botschaft von Dir, besonders im Frühling, da war die Luft ganz würzig von aller herzlichen Begeistrung der Bruderliebe. Die Günderode sagt auch zu mir, geh nach Offenbach, aber nun hat mir gestern der Gärtner meinen Orangenbaum geschickt und meinen Feigenbaum und den Granatbaum voll Knospen, wer wird sie pflegen, bis ich wiederkomme? – Ich häng an diesen Bäumen, die nun schon zum zweitenmal mir blühen, ich bin ihr Spiegel, sie sehen sich in mir, sonst sagt ihnen keiner, daß sie schön sind – so will ich hierbleiben. – Aber die Schwalbe dort, die alle Jahr am Dachfenster baut und der zulieb ich nachts es offen ließ und die hereinkam morgens, mich zu grüßen, wenn ich noch schlief, die wird nach mir suchen, und der Lavendel, der jetzt blüht, wer wird ihn abschneiden! es wird alles verkehrt gehen dort, ich will hin auf acht Tage nur. Ich hab mit Bäumen und Sträuchern zu reden, hören sie meine Rede zu ihnen nicht mehr, so werden all sie meine Sprache wieder vergessen. – Oft am Fenster früh, wenn der kühle Wind von Osten her den Tag ankündigte, sah ich den Mond noch am Himmel mit dem Morgenstern sich unterhalten. Alles ist Mitteilung in der Natur, alles hat Flammenzungen, selbst der kalte Quell, in dem Du Dein Antlitz badest! denn: ist Kälte nicht auch Feuer? – Ob der Schnee nicht die glühende Asche ist, die vom Himmel herabfällt, Du kannst's nicht wissen! – Gleich drauf, als er die Asche abgelagert hat, entzündet sich die blühende Erde, die düftereiche – alles wird Flamme, der Vogel, der im Busch hüpft, ist ein spielend Flämmchen, und so alles Leben ist Flamme des erschaffenden Geistes! – Wer ist aber dieser? – Ich bin, die es zu denken vermag und im Gedanken den Glauben verbirgt wie den Keim im Busen der Erde. Der Glaube ist die Kunst, die Macht und die Kraft des Schöpfungswerkes! – sie wird stillestehen, die Welterzeugung, die Schöpfung – wenn wir sagen, weiter gibt es nichts, als was wir durch die bedingende Grenze unsers Wissens erlauben, daß es sei. – Ja wohl auch – weiter gibt's nichts! Ich erlaub aber alles, was ich zu denken vermag, daß es gleich sein darf. Wie soll ich das Schöpfungswort: Es werde, mir anders auslegen? – Ich glaub daran, daß wir einander begreifen sollen, wir geschaffne Wesen – daß im Begreifen das Erschaffne liege, daß im Erschaffen die Unsterblichkeit ihren unendlichen Keim heraufträgt zum Licht! – Licht! – Licht! – was ist das? – ist's das, was wir mit dem dunklen Blick unseres Auges auffangen? was uns den Vorhang wegzieht der Nacht und Flur und Wälder zeigt im Schmuck der Farben? – ja, das ist's, aber wo ist sein Ende? – Es erleuchtet die Unendlichkeit in die Ewigkeit hinein. O was ist in der Ewigkeit möglich? – Die offne Pforte, aus der die Schöpfungskraft niederwallt, ein voller, unversiegbarer Strom! – Das Lichtelement – der alles umfangende Schoß dessen, was der Geist begreift. – Dies Begreifen ist ein Lichtschöpfen; das ist der Gedanke. Denken ist einen Leib annehmen, das ist Wirklichwerden! – Wer aber dies Wirklichwerden erzeugt, der ist eine erschaffende Kraft! diese Kraft ist die Unsterblichkeit im Menschen, wer sie übt, der kann nicht vergehen, was aber nicht in ihr liegt, das ist Asche, die niederfällt, wie der Schnee niederfällt von der Himmelsfeste. Diese Geistesasche liegt schützend über dem nachkommenden Weltenfrühling, er wird durchdringen mit seinen tausend und aber unzählbaren Flammengeschlechtern, die alle zur Unsterblichkeit sich aufschwingen, die alle Tatkraft werden der Erschaffung! Ja, das ist die Werkstätte des Gottes, sie heißt Weltengeist, in ihr wirkt die Menschheit das Unendliche, nur um selbst unendlich zu sein! – Und ich bedenke dies und frage mich, was für ein Werk in der Schöpfung soll ich doch vornehmen? – damit ich meine Unsterblichkeit feste und sie durch die Ewigkeit strahle, denn alles Tun ist nur Selbsterhaltung, und was ich nicht belebe mit meinem Geist, in dem bin ich gestorben, aber den Tod soll ich bezwingen, das ist die Aufgabe der Unsterblichkeit.
Wie tief fühle ich's, daß es so ist und sein muß! – und ich getraue mir in meinem Geiste diese Schöpfung fortzuführen in dem, was mir am nächsten liegt, was mich anspricht um Erlösung! – Es sind die Blumen, die wollen von mir begriffen sein, allerdings um ihrer selbst willen! – sie sind verstanden in allen Winken, die sie uns geben, so sind sie in eine neue Sphäre geboren, und auch sie sind unsterblich durch den Begriff, der sie immer weitererzeugt! – so ist's gewiß, daß sie eine Sprache führen, die ganz mit unsern Empfindungen verwandt ist, sie reden also mit uns! – nun? – haben wir denn keine Antwort? – keine Mitteilung ihnen zu machen? – Ach nein! eine Blume ist ja nur ein Fragzeichen der Natur; – die ganze Natur ist Sprache, die Blume ist ein Wort, ein Ausdruck, ein Seufzer ihrer vollen Brust! – ja die Blume spricht auch für sich zu Dir, aber die ganze Natur bedarf ihrer, um sich selbst auszusprechen, und alles Sein ist ihre Sprache, so redet die Natur mit dem Geist! und diese liebende Unterhaltung ist die Nahrung des Geistes, daraus schöpft er seine Unsterblichkeit, daß er sie begreifen lernt und durch den Begriff sie eben forterzeugt. Also ein Erzeugender kann nicht sterben, denn in ihm würde die Unsterblichkeit untergehen! –
O lache mich nicht aus mit meinen Reden, es ist nichts, es ist Kopfweh, unendliche Müdigkeit; schlafen verlangt's in mir! An die Mereau soll ich schreiben? – was denn? – ich kenne sie nicht, sage mir, was sie ist, so will ich einen Stein in den Brunnen werfen, ob sie versteht, was der ankündigt.
Am Morgen nach einer wohldurchschlafenen Nacht muß ich doch dem Brief von gestern noch einen menschlichen Schluß geben, Du könntest sonst glauben, ich habe mich verstiegen (übergeschnappt). Clemens, was hab ich Dir vorgeplaudert? – ich will's nicht wiederlesen, sonst würde ich's vielleicht zerreißen, und einen zweiten schreiben kann ich nicht. Gestern war ein Kopfwehtag, heute bin ich wohl, aber matt und sehr aufgelegt zum Schlummer, und es ist mir doch so bequem, daß ich mir selber angehöre, und nichts will ich von allem behalten, was mir auf ewig sollte bleiben. Übertrage meine Liebe zu Dir auf die gute Sophie! Ich werde dann kommen und naschen wie ein Kätzchen von dem, was ehmals mein war! – Adieu doch! ich bin schon ganz froh, daß ich nichts mehr zu hüten habe mit sauerem Schweiß. Lieber ein Bettelmann sein als ein Hüter von etwas, was einem doch nicht gehört!
Bettine.