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An Clemens.
Es geht schlecht mit meinem Witz, Dein Brief ist wie der Blitz in mich eingeschlagen, und ich kann Dir Neues davon sagen, wie das einem tut! – Gar nicht – tut es einem. Geist, samt Eindruck verschwunden! Erst hab ich mich besonnen, ob ich nicht Dir diese Lähmung verschweigen solle, daß ich nämlich mit Deinem Brief nichts anzufangen weiß und lieber Dir etwas vorzaubere vom Frühling, der hier gar nicht schlecht ist. Gibt's der Tage viele wie der gestrige Sonntag? – Himmelsbläue – unendliche! kräftige! vom Sonnenfeuer durchglüht, die Bäume vermählten ihre Schatten einander, alles im schönsten Frieden lautloser Stille – die Orangen warfen als ihre Blüten herunter – da hab ich gelegen im Boskett und alle Blüten aufgefressen, konnt nichts mehr zu Mittag essen, die Großmama frägt, ob ich krank sei, in der Nachbarschaft sind die Röteln.
Dein Brief kam um zwei Uhr, ich wollt ihn studieren unter jenen duftenden Bäumen, ein narkotischer Balsam strömte aus seinen weisheitsvollen Blättern, der Sonnenschein ging, ich hatte den Brief nicht bedacht, aber beschlafen, aber doch blieb mein Begriff gelähmt. Der Mond kam, und der Tag war noch nicht vergangen, ich ging zum Gitter im Boskett, wo die Blumen alle stehen auf hohen Paradegestellen, man kann dran hinaufsteigen. Der Gärtner stand oben mit der Gießkanne, ich ward ganz durstig, wie sie so gierig das kühle Wasser schluckten, ich trank aus der Gießkanne. Der Gärtner wollt es nicht leiden, ich sollte warten, daß er ein Glas hole. Ich bin dem Gärtner gut, er ist mein bester Geselle. Alles, was er sagt, verbindet sich so nah mit der Gegenwart. Die Blumenglocken bewegten sich vom Abendwind, der zieht mit sanftem Brausen durch die erfrischten Sträucher und nimmt den Staub der Blumen mit sich fort; jeden Abend sieht der Gärtner diesem Spiel des Windes mit den Blumen zu. Grade in diesem Monat versäumt der Wind es keinen Abend, sagt der Gärtner.
Was ich gesehen hab noch? – Eine Biene, die sich ein Bad zurechtmachte in dem Schüsselblatt von einer Geisblattblüte, sie patschte drin herum, tauchte den Kopf unter und wusch sich von allen Seiten mit ihrem Rüsselchen, grad wie eine Katze. – Nun denk ich, ob man eine Biene nicht könne zahm machen auch wie eine Katze. Daß sie hereingeflogen käm, abends, und schlief da auf einem Nelkenstock oder Wicken oder sonst einem Blumenstock, den die Bienen lieben. Der Gärtner meint, eine oder die andere, die einen aparten Sinn habe, könne das wohl – und sagte noch allerlei von den Bienen, was die Leute nicht glauben, weil es zu gescheut wär für so kleine Tiere, aber es sei dennoch wahr; ich glaub's, warum soll er es nicht besser wissen, da er diese mit so großer Liebe beobachtet, das heißt mit Geist. Die Leute sind wohl auch so dumm zu glauben, ein Gärtner habe keinen Geist; – aber, der hat Geist – und kann also mit Geist beobachten, das heißt mit Liebe. –
Ja Clemens, ich hab gestern abend noch an Dich schreiben wollen, aber ich mußte nachdenken über die Bienen. Ob sie wohl einen an der Stimme erkennen würden? – Die Bienen haben ein fein Gehör, sie richten sich bei weiten Ausflügen nach dem Abendgeläut, sie unterscheiden genau die Glocke ihres Dorfs, das hat der Gärtner in seinem Dorf hundertmal beobachtet. Wir überlegen's noch mit dem Heimlichmachen der Bienen; – einen Blumenstrauß im Mund, sich ins Gras legen und schlafend stellen. Kommen die Bienen, so muß man sie nicht verjagen, sagt der Gärtner, wenn sie auch an den Blumen vorbei aufs Gesicht fliegen, sie stechen nicht. – Wenn eine erst zahm ist, dann kommen mehrere. – Das wär mir eine Freude, Clemente, über alle Freuden, wenn ich so an einem heißen Sommertag in der Lindenallee spazierenging und die Bienen kämen alle von den Bäumen herabgeflogen und umschwärmten mich. Er würde gleich mitschwärmen, meint der Gärtner! – Ich weiß es – und er flög wohl auch daneben; und ich weiß – liebster Clemente! Der ist aber kein sentimentaler Pfarrer, der mit dem Universum liebäugelt!
Bis die Bienen wirklich kommen und mich umsummen, daß ich mein eigen Wort nicht hör, hat's Zeit, Deinen liebenden Brief zu besprechen. Schon in Deinem früheren Brief über Kunst steht – – ich fühl, daß solche tief durchdachte Gedanken, die Du an mich zwar richtest, doch vielmehr der Welt angehören, das erstemal wollte ich sie wie einen musikalischen Satz durch einen Gegensatz beantworten, wodurch erst seine Basis begründet wird, sagt der Musiker, und eine Symphonie aus sich hervorzubilden vermag. Aber Clemens, ich fühlte mich so beklommen bei Deinem neuen Brief! – er paßt nicht zu meiner feurigen Frühlingsstimmung. »Durch Feld und Wald zu schweifen, mein Liedchen wegzupfeifen!« – – er paßt nicht zu meinem himmlischen leichtsinnigen Stubenkamerad, meinem Dämon – nicht Damon – der mir's unter die Füße gibt, ich soll mich nicht auf Stelzen begeben. – Und »was kann ich, was kann ich dafür?« – daß es mir gar um Freundschaft und Liebe nicht zu tun ist.
Gestern, Dienstag, waren wir im Forstwäldchen auf einem Ball, bei Moritz Bethmann. Der Brief kommt nicht weiter heute, es steht ein Blumenstrauß auf meinem Tisch von lauter Vergißmeinnicht, wunderlich gebunden wie ein Kelchglas. In der Mitte auf dem Grund des Kelches sind Moosrosen. Wie schön! – Ja ihr Rosen seid schön, und euer Gewand ist die Schönheit selbst, und euer Reiz umwallt gleich die Brust, an der ihr vergeht! und ihr seid so schnell fort, und doch hat man so zärtlich euch geliebt – und doch seufzt man euch nicht nach! – Warum nicht? – Hat's Gott gewollt, daß man euch liebe, wie der Clemens mir sagt: ich sei berufen mit ihm zusammen, daß wir einander lieben; wenn das so wär, daß Gott wolle, wo er gar nicht zu wollen hat, ich würde ihm widerspenstig sein und den grad nicht wollen lieben, den er dazu geschaffen. – Denn es bändigt mich eben grade nicht, wenn er vielleicht sagte, wie die Kindererzieher, wenn sie Äpfel austeilen, magst du den nicht, so kriegst du gar keinen! – Fühl ich mich hingezogen zu manchem, so ist's nicht aus vorbedachtem Gefühl, nicht weil ich glaub, Gott hab es so gewollt – es würde mir allen Farbenschmelz und Heiligenschein konsumieren, dies Soll oder Muß. Die Rosen – sie glänzen im Abendschein, sie locken mich, sie zu umfassen, sie zu küssen. Ich bin ganz bei ihnen, wenn wir abends im Mondenschein allein zusammen plaudern, und fühle mich nicht allein mit den Blumen wie oft mit Menschen. Und wenn es Deine eigne Ideen sind, Clemens, die Dich wiederlieben, wie Du mir schreibst, so sind die Blumen wohl die Liebesgedanken der Natur, von denen sie auch wiedergeliebt wird. Liebesgedanken sind sie. – Die Rosenknospe ist's, sie wirft in ihrer Verschränktheit glühende Blicke in das Auge, das sich in ihrem Anschauen verliert. Wenn sie nachher dem Tag sich erschließt, dann ist sie nicht mehr so, sie lacht dann jedem Vorübergehenden und wird die Blume des Tages, an der alle gleichen Anteil zu haben meinen. Drum als ich gestern von meinem knospenreichen Rosenstock ein paar davon abbrach zum Ballsträußchen, das tat ich ungern, so jung von ihrem nährenden Stamm sie zu trennen, die so an der Grenze ihrer Jungfrauenzeit aus ihrem grünen Kinderjoppelchen recht neugierig herausguckten, aber ich dachte: ach, morgen habt ihr ja doch das grüne Jäckchen abgeworfen und seht die Tage eurer Kindheit für nichts an. – »Und du! – für was siehst du sie an, deine Kinderzeit, daß du so reden darfst?« – sagen die Rosen wieder. – Ach Rosen! – Vorwürfe von euch! – da ich doch meine Zeit mit euch vertändle. Aus der Natur süßestem Gefühlsschmelz ihr selber hervorgegangen! – Seid ihr Blumen nicht der Liebesdrang, der Venusgürtel der Natur? – ihrer Lippen würzigen Atem hauchen die Blumen in reizenden neckenden Antworten allen Liebesanträgen aller Wesen in ihr. Und die Rosen, sie sind die Antwort, die im Necken schon sich in einen Kuß verwandelt und ohne Widerstand durch ihre eigne Schönheit Zeugnis gibt: »Die Liebe hat die Natur besiegt.« –
Es war mir so wehmütig gestern abend mit meinen Rosen allein, und bin ungern von ihnen geschieden, um schlafen zu gehen, und hab mich noch recht in ihr weiches, junges Grün hineingeschmiegt zum Abschied! – Und hab so wunderliche Träume gehabt in der Nacht. – Sonnenstrahlen, die scharf und rein durch dichtes Gewölk auf mich trafen, und da war alles in üppiger Blüte um mich her und atmete kaum vor Schwüle, und ich stand da allein unter diesen Blüten allen, mit offner Lippe nach einem Tropfen Labung. – Ach heißer Tag, du drückst die Blumen! – so dacht ich dort. Es tat mir so leid, daß ich nicht den Regen ihnen aus dem Gewölk niederschütteln konnte, und als ich aufwachte, war mir's noch schwermütig, und heute den ganzen Tag so fort. – Wenn nicht eins mir Freude gemacht hätte. – In der heißen Mittagsstunde kamen wirklich ein paar Bienen hereingeflogen, umsummten meine Rosen, meinen Maiblumenstrauß, meinen Basilikum, meine Ranunkel sind noch nicht offen, schmecken den Bienen auch nicht, Nelken sind auch noch nicht aufgeblüht, die sind aber wahre Lockspeise für sie, und die stehen doch schon alle da, daß sie von ihnen gesehen werden, was in der Zukunft auf sie wartet, sie werden wiederkommen und werden sich in meinem Wirtshaus betrinken, dazu mache ich ihnen Musik. Gleich als sie ankamen heut, so nahm ich die Gitarre und klirrte ihnen was drauf vor, sie summten, es war ein deliziöses Doppelkonzert und hat mir meine Munterkeit wiedergegeben, die mit einem Fuß schon ausgeglitten war und schier in den rauschenden Bach der Empfindsamkeit wäre gestürzt. – Adieu! – ich und meine Bienen, was kann ich mehr verlangen.
Bettine.