Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Dritter Band
Berthold Auerbach

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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

Es war im Spätsommer, als der Hof aus dem Seebad zurückkehrte.

Als erste Regierungshandlung mußte der König jetzt den Erlaß unterzeichnen, mit welchem das Ministerium Schnabelsdorf das widerspenstige Abgeordnetenhaus auflöste und Neuwahlen anordnete.

Der König war mißmutig, denn er mußte eine Folgehandlung vollziehen, die ihn jetzt überraschte. Er war so froh belebt aus dem Bade zurückgekehrt und nun kam der Staat mit seinen Ansprüchen, wie ein unbefriedigter Gläubiger.

Der König freute sich der Zufriedenheit und allgemeinen Zustimmung seines Volkes, aber diese Zustimmung sollte eine selbstverständliche sein; jetzt wurde eine große Frage an das Land gerichtet und es war zweifelhaft, wie die Antwort lauten würde.

Die ausgiebige Unterhaltungskunst Schnabelsdorfs, ja die geschickte Betonung des Heroischen im Grundcharakter des Königs begegnete nur hoher Mißlaune.

Im ganzen Lande war große Bewegung. Man merkte indes am Hofe wenig davon; die Herbstmanöver hatten begonnen und auf die nächsten Tage, nachdem der Hof noch einmal auf die Sommerburg übergesiedelt, war die Jagd im Hochgebirge angesetzt.

Der König bethätigte eine ungewöhnlich lebhafte Teilnahme an den Manövern. Die Fügsamkeit der geschlossenen Massen und ihre exakte Lenkung bildete einen haltvollen Gegensatz zu einer gewissen Zerfahrenheit und Auflösung im Lande. Man war aber natürlich weit entfernt, nur an die Möglichkeit zu denken, diese Gegensätze thatsächlich einander gegenüberzustellen.

In den Hofgesellschaften zeigte der König stets eine ausnehmend gute Laune; er hielt es für Pflicht, gerade bei innerem Mißmut äußerlich um so zuversichtlicher und heiterer sich darzugeben und den gefälligen Schein zu wahren; die von Jugend an geübte Gewöhnung, sich immer in würdiger Haltung darzustellen, im Bewußtsein, stets beobachtet zu werden; die Rücksicht auf die Ansprüche einer vielgegliederten Umgebung und demgemäß nach allen Seiten hin angemessene Reden zu spenden; vor allem aber die Kunst des Ignorierens, die von andern inne gehalten und daher auch selbst geübt werden muß, dazu das selbständige Kraftgefühl des Königs – alles das ließ an ihm keine Spur des Mißmutes erkennen. Er war immer voll heiteren Anteils, zumal wenn Irma zugegen. Sie vor allem durfte kein Schwanken seines Naturells bemerken, denn sie hätte das anders deuten müssen. Es war Pflicht, bei jeder Begegnung jene gehobene Stimmung zu bewähren, die keinen Zwiespalt kennt und daraus Berechtigung und Sicherheit nimmt, sich über das Gesetz zu stellen. Und doch empfand der König jetzt zum erstenmal die Unzuträglichkeit, im persönlichen Leben von einer Leidenschaft bewegt zu sein, während eine große, noch dazu mit Gegenkampf erfüllte Aufgabe die volle Manneskraft erheischt.

Auch Irma war von der Frische der Meereswellen neu belebt in die Residenz zurückgekehrt. Sie war schöner als je, wurde aber selten am Hofe gesehen, denn sie hielt sich viel bei Arabella auf.

Am Tage, nachdem Arabella eines Knaben genesen, kam Irma mit dem Leibarzt aus dem Hause Brunos.

»Diese ewige Kinderstube wird mir nachgerade zuwider,« wollte Irma sagen, aber sie hielt es zurück.

Der Leibarzt ging schweigend neben ihr die teppichbelegte Treppe hinab. Seine Mienen waren ernst. Er war schon so lang in der großen Welt, aber immer noch verletzte es ihn wie eine grelle Dissonanz, daß Menschen wie Bruno, die, wie der beschönigende Ausdruck sagt, stark gelebt haben, auch noch des Vaterglückes teilhaftig werden sollen. Der Leibarzt hielt den Elfenbeingriff seines Stockes an den Mund gedrückt, als wollte er damit seinem inneren Denken verbieten, zu Worte zu kommen. Schweigend setzte er sich mit Irma in den Wagen. Sie fuhren nach dem Schlosse.

»Meine Schwägerin Arabella hat mich mit einer schweren Aufgabe belastet,« sagte Irma.

Gunther fragte nicht, worin diese Aufgabe bestehe; Irma mußte von selbst fortfahren:

»Ich habe ihr versprechen müssen, unserm Vater sogleich die Geburt des Enkelsohnes anzuzeigen. Sie wissen, er ist mit Bruno gänzlich zerfallen. Stünden Sie noch in der alten innigen Freundschaft mit meinem Vater, Sie wären der beste Vermittler.«

»Ich kann nichts thun,« entgegnete endlich Gunther kurzab. Er war auffällig zurückhaltend gegen Irma. Sie fühlte das und durfte doch nicht mehr die volle rückhaltlose Ehrlichkeit von Befreundeten verlangen; wollte sie nicht mit allen Menschen brechen, die sie hochachtete, so mußte sie ein äußeres höfliches Vernehmen mit ihnen erhalten.

»Ich glaube, daß Bruno nun seine edlere Natur fassen wird,« sagte Irma. Sie zwang sich zum Sprechen und zitterte in dem Gedanken, daß der Mann neben ihr sie plötzlich fragen könnte: Wie hast denn du deine edlere Natur gefaßt?

Der Wagen hielt am Schlosse, Irma stieg aus, Gunther fuhr nach seinem Hause.

In ihrem Zimmer preßte Irma beide Hände auf die Brust, in ihr wogte stürmisches Denken. Muß ich bei jedem betteln, daß er mir stillschweigend freundlich sei und mich gerecht erkenne? Wer einmal die Weltordnung verachtet und sich darüber hinausgeschwungen, der sollte nicht weiterleben ...

Sie raffte sich gewaltsam auf und begann den Brief an den Vater. Sie klagte, daß er sie ganz ohne Nachricht lasse, erzählte von Arabella, von Brunos hausväterlicher Gesetztheit, und gab endlich die Kunde von der Geburt des Enkels. Arabella bitte um einige Worte des Großvaters, er würde sie damit glücklich machen.

Der Brief wurde Irma schwer. Sonst folgte ihre Feder so willig jedem Ausdruck ihrer Seele, heute war alles so stockig. Sie lehnte sich im Sessel zurück und nahm einen Brief auf, den sie hier vorgefunden, es war der von Walpurga; sie lächelte, als sie ihn wieder las, sie empfand das Glück, einem Menschenkinde Gutes gethan zu haben, und in der Ferne treu von ihm gehegt zu werden.

Das Kammermädchen meldete den Jockey Brunos. Irma ließ ihn hereinkommen. Er wiederholte den Wunsch seiner Herrin, daß die gnädige Gräfin den versprochenen Brief sofort abschicke; er sei beauftragt, ihn selber zur Post zu bringen. Irma siegelte und übergab den Brief.

An der Ecke des Schloßplatzes wartete Bruno, auf seinem Gig sitzend. Der Jockey kam, übergab ihm den Brief, und Bruno steckte ihn in die Tasche. Er fuhr nach der Post und that dort eigenhändig einen Brief in den Schalter, der aber an eine Dame gerichtet war; den Brief an den Vater behielt er für sich. Er wollte durchaus keine Demütigung, auch durch die Schwester und die Gattin nicht.

In dem Briefschalter aber, in den jetzt Bruno das feinduftige Billet schob, lagen Briefe an den alten Eberhard, die Bruno nicht zurückhalten konnte.


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