Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Dritter Band
Berthold Auerbach

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Siebentes Kapitel.

»Und Seine Majestät der König läßt Ihnen mit innigem Beileid sagen, wenn Sie zur Ordnung der Familienangelegenheiten, zu Nachforschungen und Ermittelungen am See oder zu einer weiteren Reise für Ihre Zerstreuung Urlaub wünschen, soll dieser Ihnen nachgeschickt werden auf unbestimmte Zeit.«

Das waren die letzten Worte, mit denen der Oberhofmarschall in der Residenz dem Flügeladjutanten Bruno Graf von Wildenort die Nachricht vom Tod seiner Schwester mitgeteilt hatte. Er drückte ihm die Hand, küßte ihn rechts und links auf die Wangen und verließ ihn.

Draußen fächelte sich der Oberhofmarschall mit dem Taschentuch Kühlung zu. Er hatte sich bei der schweren Aufgabe, die ihm geworden, doch echauffiert, aber das muß er sagen: Bruno hat die entsetzliche Kunde mit sehr viel Haltung aufgenommen.

Bruno hatte, solange der Oberhofmarschall da war, in der Ecke des Sofas gesessen und das Angesicht mit dem Taschentuch verhüllend, alles geduldig und ruhig angehört, als wäre es eine Kunde von einem fernen, fremden, ihn gar nicht berührenden Ereignis.

Jetzt war Bruno allein. Er saß lange stumm und spielte, ohne es zu wissen, mit einem duftigen Briefchen, das er vorher erhalten.

Plötzlich raste er auf, faßte einen Stuhl und zerknickte ihn – das Krachen that ihm wohl; dann, wie von einem Dämon gefaßt, warf er sich auf den Boden und raste und zuckte und schlug mit Händen und Füßen um sich und schrie entsetzlich.

Der Diener kam herein und fand seinen Herrn am Boden; er richtete ihn auf.

»Ich bin krank,« rief er, »ich bin krank! Nein, ich bin nicht krank, ich will nicht! Geh sofort zum Kammerherrn v. Roß oder zum Intendanten v. Schöning, es soll einer der Herren sogleich zu mir kommen. Wenn meine Frau nach mir fragt, so sage, ich sei ausgegangen mit dem Hofmarschall.«

Der Diener ging und Bruno stand am Fenster und schaute hinaus ins Tageslicht; der Nebel verzog sich und hell glänzte der Park. Der Gärtner stellte welke Blumentöpfe weg und ersetzte sie durch blühende; das mausfarbene Windspiel, der Liebling Arabellas, saß auf dem Kiesweg, kratzte sich mit der Hinterpfote den schlanken Kopf, schaute nach seinem Herrn auf und zum Zeichen seiner Freude sprang es lustig um das Rondell.

Bruno sah das alles und dachte doch ganz andres.

»Ha ha,« lachte er, »ich habe nie geglaubt, daß diese Welt etwas andres sei, als ein Possenspiel, eitel Possenspiel. Ein Narr ist, wer sich eine Stunde vergrämt. Ich will nicht. Nun bin ich ganz frei,« rief er, sich erhebend, »ganz frei! Jetzt ist niemand mehr auf der Welt, auf den ich Rücksicht zu nehmen habe. Welt, ich bin frei, allein! Nun gib her, was du noch hast von Genüssen, siebzig Jahre lang – du kannst mir kein Leid anthun! Ich trete alles unter die Füße!«

Er horchte hinaus – es kam niemand.

Bruno hatte immer in Gesellschaft gelebt, aber nie in Gesellschaft seiner Gedanken. Jetzt in der Einsamkeit und Trauer, kamen sie zu ihm – verwahrloste Gesellen mit gierigem Blick und lustigem Augenzwinkern – und riefen: Laß alles! Komm mit! Lustig sein! Was hilft dein Grämen? Du wirst vor der Zeit alt!

Er stand vor dem Spiegel und sie riefen: Sieh in den Spiegel, welch entsetzliche Mienen du hast!

Er konnte die Gesellen nicht abhalten, sie spielten lustige Tänze auf, sie klimperten mit dem Gold und riefen va banque! Sie klirrten mit den Gläsern und zeigten ihm verführerische Gestalten, er hörte unzüchtiges Lachen; sie waren überall in der ganzen Stube, und faßten ihn und wollten mit ihm herumtanzen – er aber stand und ballte die Fäuste und konnte nicht mit und sie riefen wieder: Wir kennen dich, du schämst dich nur, bist ein blöder Knabe, fragst, was die Welt denkt. Du hast keinen Mut! Frisch auf! Laß sie spötteln und sei lustig! Hast du dir einen Tag vergrämt, es gibt dir ihn niemand zurück. Pfui über den Mitleidsbettel! Geh umher, sag: Ich bin ein armer Mensch, mein Vater ist tot, meine Schwester hat sich ertränkt; laß dir ein Lied machen und eine Tafel dazu malen und zieh umher auf den Märkten und laß dir Pfennige schenken! Pfui, pfui! Du hast nur eine Wahl: die Welt verachten oder dich bemitleiden lassen – was ist dir lieber? Wie viel tausendmal hast du gesagt: ich verachte die Welt – und jetzt bist du feig? Du sitzest da und möchtest doch gern hinaus – wer hält dir die Thür zu? Wer hat deinen Pferden die Füße zusammengebunden? Du, du allein. Ach, die lieben Freunde, die herzigen Menschen, die mitfühlenden Seelen – schau, sie werden kommen, einer nach dem andern, und sagen: sei stark, sei ein Mann, überwinde es! Und was thun sie, die guten Seelen? Sie haben dir ein Wortalmosen gegeben und dann gehen sie ihren Lustbarkeiten nach und lassen dich einsam. Mit dir spielen, tanzen, zechen – da halten sie aus, da sind sie treue Genossen, aber jetzt? Keine Festlichkeit wird abbestellt um deinetwillen, nichts, gar nichts. Willst du die Welt genießen, mußt du die Menschen verachten. Sie sagen dir nur: sei Mann – du aber sei es!

Bis zum Wahnsinn verfolgten diese Gedanken Bruno und die nächsten Tage standen vor ihm wie ein gähnender unermeßlicher Abgrund ... Alles leer, nichtig, hohl, freudlos, verzehrende Einsamkeit.

Endlich erlöste ihn die Meldung, daß der Intendant da sei.

Die beiden waren sonst nicht die besten Freunde, aber jetzt umarmte Bruno den Intendanten, als wäre er sein einziger Freund auf der Welt, und er lag an seinem Halse und schluchzte und bat, er solle ihn ja nicht verlassen und nicht dem Alleinsein preisgeben. Er raste und wütete, lästerte und spottete durcheinander, daß ihm, gerade ihm, das Jammervolle widerfahren müsse. »O, diese Wochen, diese Monate, diese entsetzlichen Zeiten, die mir nun bevorstehen!« rief er heftig.

»Die Zeit heilt alles!« tröstete ihn der Intendant.

»Diese Zeit, Wochen, Monate Trauer!« rief Bruno wieder.

Der Intendant stutzte. Er hatte einen Blick in diesen Menschen gethan: daß eine lange Zeit kommen soll, wo er stets Trauermiene haben muß – das war das Harte.

In eine ungünstigere Zeit hätte diese Trauer aber auch nicht fallen können.

Bruno war bei dem Wettrennen, das in den nächsten Tagen beginnt, mit zweien seiner besten Renner engagiert; die Zuleika hatte er im Trabrennen selbst reiten wollen, und für das große Hurdlerennen hatte er seinen Jockey Fitz, er hieß eigentlich Fritz, aber Fitz ist besser, vortrefflich eingeübt und seit Wochen leicht gemacht. Fitz war der Sohn des Lakaien Baum, ein durchtriebener Schelm, auf den der Vater stolz war; denn seine Zukunft war gesichert, es war keine Frage, wenn Fitz seine gesunden Glieder behält, wird er erster Bereiter im Marstall, er sitzt auf dem Pferde wie eine Katze und ist gar nicht abzuwerfen.

Das Wetter läßt sich prächtig an, angenehm bedeckter Himmel, heut nacht hat es ein wenig geregnet, das macht die Bahn bequem, Fitz in seiner grün-weißen Livree wird gewiß den ersten Preis gewinnen. Auf diese Livree bildete sich Bruno nicht wenig ein: er hatte Fitz halbiert, wie durchgeschnitten von der Mütze bis zum Stiefel, rechts grasgrün und links schneeweiß kleiden lassen. Nur schade, daß die Natur bloß sieben Farben hat, die Variation, die man anbringen kann, ist gar zu beschränkt! aber mit Konsequenz kann man viel machen, und Bruno lächelte unter dem vorgehaltenen Tuch, als er an den einen grünen Stiefel und an den andern weißen dachte.

»Ich werde natürlich nicht selbst mitreiten,« sagte er zum Intendanten. »Halten Sie es für schicklich, daß ich meinen Jockey reiten lasse? Nicht wahr, das darf ich?« setzte er schnell hinzu, als fürchte er eine verneinende Antwort. »Man würde es mir als Geiz auslegen – ich habe hohe Wetten eingegangen. Ich werde meinen Fitz reiten lassen; ja, das muß ich, das darf ich!«

Kaum hatte er dies gesprochen, als Fitz in die Stube trat. Bruno hieß ihn barsch fortgehen. Er war entschlossen zu thun, als ob er das Wettrennen ganz vergessen habe. Das zeigt weit mehr seinen Schmerz, als wenn er sein Engagement zurückzieht. Er wird sich strafen lassen wegen Nichterscheinens, Daran wird die Welt erkennen, wie tief und alles vergessend seine Trauer.


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