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Der König war zur Jagd, die Königin war krank. Das Hofgefüge hielt fest, die Herren und Damen speisten an der gemeinsamen Marschalltafel und unterhielten sich über fernliegende Gegenstände; man war heiter, denn es ist Pflicht, den gegebenen Ton aufrecht zu erhalten.
Es war am vierten Tage nach der Schreckensnachricht. Die Hofdamen saßen nach der Mittagstafel unter dem sogenannten Pilz. Der Pilz war ein rebenüberwachsenes rundes Dach an der Bergecke des Weingeländes; das Dach ruhte auf einer Säule in der Mitte und sah von fern aus wie ein aufgespannter Schirm oder auch wie ein riesiger Pilz. Man war so glücklich von den Vorbereitungen zur Verlobung der Prinzessin Angelique sprechen zu können; man pries ihre erhabenen Eigenschaften, obgleich sie nur ein einfaches, bescheidenes und gutherziges Mädchen war. Man hatte den Katechismus des Hofes vor sich, den genealogischen Kalender; denn es hatte sich ein Streit darüber erhoben, in welchem Grade der mediatisierte Fürst Arnold von großmütterlicher Seite mit dem regierenden Hause verwandt sei. Die ganze Unterhaltung war indes nur Notbehelf.
Man sprach davon, daß der Intendant von der Reise zurückgekehrt sei, und man war noch nicht recht klar, welche Abenteuer er erlebt; daß es dabei Tote gegeben, Erschossene, Ertrunkene, wußte man, aber das Wer? und Wie? war noch rätselhaft.
Glücklicherweise sah man den Intendanten jetzt selbst des Weges daher kommen. Man begrüßte ihn mit halb neckischem, halb mitleidigem Zuruf. Er sah entschieden angegriffen aus. Man bot ihm den besten Stuhl in der Mitte – er sollte erzählen. Der Intendant sah sich geschmeichelt von dieser allgemeinen, wenn auch etwas neckisch vorgebrachten Huldigung, und war schnell wieder der Gefällige; er war bereit, um den Preis der Beliebtheit alles zum besten zu geben, und wenn's nötig ist, auch sich selbst.
Er wollte zuerst von Brunos tiefer Trauer erzählen, aber dies war es nicht, was man wissen wollte. Gut – man will von Bruno nichts hören, übergehen wir ihn. Nun erzählte er nicht ohne geschickte Anordnung den grausigen Tod Baums, der als echter Bedienter für einen andern in den Tod gehen mußte, aber doch auch nicht unverdient; denn er hatte Mutter und Geschwister verleugnet, und fiel nun durch die Hand des Bruders, der sich dann selbst den Tod gab.
Alles war von Schauer ergriffen und man fand es höchst seltsam, daß hinter einem alltäglichen Lakaien, wie Baum war, so viel Abenteuerliches stecken sollte.
»Sie haben nun eine Tragödie erlebt, die sich selbst in Scene setzte,« sagte eine der Hofdamen.
Der Intendant wußte, daß Tragödien nicht mehr beliebt sind, und gefällig wie immer, erzählte er nach den wahrheitsgetreuen Mitteilungen eines dekorierten Biedermannes, des höchst ehrenwerten Gemswirtes, einiges sehr Anziehende über Walpurga, die ehemalige Amme des Kronprinzen. Man stellte sich zwar – oder war es wirklich so? – als ob man diese Person völlig vergessen, ja kaum je gekannt habe – mein Gott, wer kann sich alle diese untergeordneten Personen merken? Aber in Ermangelung eines andern unverfänglichen Unterhaltungsstoffes ließ man sich auch wieder von Walpurga erzählen, und Schöning, berichtete nach den streng glaubwürdigen Mitteilungen des sehr ehrenwerten Gemswirtes – so lautete immer seine Einleitung – überaus Lustiges von Walpurga und ihrem tölpelhaften Gemahl. Der gute Hansei wurde in den Geschichten so bocksteif gemacht, daß er weder Hände noch Füße selbst gebrauchen konnte, und wenn er einen Gulden zählen sollte, so mußte der Schulmeister geholt werden. Besonders schmackhaft, und zwar mit etwas Wildgeschmack hergerichtet, war die Geschichte von einer Wette und einem Kammerfensterchen. Die Damen kicherten in sich hinein und schalten auf den Intendanten, daß er solch eine Geschichte erzähle; aber der Intendant wußte recht gut, daß sie solche Geschichten um so lieber hörten, je mehr sie schalten. Dabei hatte der Intendant mehrfach Gelegenheit im Dialekt zu sprechen; er kam ja eben frisch aus der Heimat des Gebirgsdialektes, und er hatte das Talent, verschiedene Stimmen von Bauern und Bäuerinnen, die damals am Kammerfensterchen gestanden, nachzuahmen und dabei allerlei saftige Kraftworte anzubringen; es vergnügte ihn selbst, solche losplatzende Frösche und Sprühteufel unter die Damen zu werfen, daß sie da und dort laut aufschrieen: »O Sie entsetzlicher Mensch! Sie abscheulicher Mensch!« Eine Dame stach ihn sogar mit ihrer Sticknadel; aber er erzählte immer ruhig weiter; er wußte, wie dankbar man ihm war.
Und so wenig es Hansei etwas schadete, daß von ihm als einem Tölpel gesprochen wurde, so wenig schadet es ja Walpurga, wenn man sie etwas bunter ausstaffiert – auf dem Theater sind ja die Röcke der Bäuerinnen auch kürzer als in der Wirklichkeit. Und so dichtete der Intendant – gewiß mit dem besten Willen, er that es ja nur, um den Damen gefällig zu sein – Walpurga allerlei Eigenschaften an, ja man wollte sogar wissen, daß sie der Pfarrer am ersten Sonntag nicht ohne Grund in die Sakristei hatte rufen lassen.
Zuletzt, allerdings mit Vorbehalt und Verwahrung, berichtete der Intendant, daß Walpurga von einer gewissen Dame, die ihre Freundin war, Tausende und Tausende erhalten habe, es ließe sich allerdings nicht sagen, wofür, aber ein großes Bauerngut hätten sich die Leute gekauft; freilich hätten sie auswandern müssen, denn derartig erworbenes Gut bringe keine Ehre, selbst auf dem Lande nicht. In der ganzen Gegend spreche man davon, und auch der Amtmann habe es bestätigt, daß sie das ganze Gut bar in blankem Golde ausbezahlt habe und das betrage mehr als das sechsfache dessen, was Walpurga nachweisbar erhalten habe.
Der Intendant wiederholte, daß er nicht entfernt die Absicht habe, eine Verleumdung weiterzutragen; aber er wollte interessant sein, und dafür gab er sich und andre preis.
Man war glücklich, diese ewig aufgeputzte Landunschuld einmal in ihrer Wirklichkeit zu sehen, und man wünschte nur, daß die Königin auch vernommen hätte, wie ihre geliebte Gestalt aus dem Volke in Wahrheit aussieht.
Es schien aber dafür gesorgt, daß sie es erfahre.