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Zwanzigstes Kapitel.
Das Diner beim Präsidenten

Die von Mrs. Slater in Aussicht gestellte Einladung bei Sr. Excellenz dem Präsidenten Jefferson Davis war in aller Form an Miß Emmy Brown ergangen und von dieser mit widerstrebendem Gefühl angenommen worden. Seit der Stunde, da sie die Ueberzeugung hatte, daß ein Unheil durch die Entdeckung der Spionin gegen sie im Anzuge sei, verfolgte sie eine namenlose Angst. Sie dachte dabei weniger an sich als an das Schicksal ihrer theuren Freundin. Der Gram und die Angst brachten sie fast zur Verzweiflung, um so mehr, als eine zarte Rücksicht gegen Esther sie verhinderte, dieser ihr Herz auszuschütten. Esther wußte noch nichts von der drohenden Gefahr, die über ihrem, wie über Emmy's Haupte schwebte.

So standen die Sachen, als einige Tage nach dem Besuch der Mrs. Slater Esther und Margot eben beschäftigt waren, die letzte Hand an die glänzende Toilette der jungen Dame zu legen, in welcher diese sich zum Diner zu begeben beabsichtigte.

»O, jetzt bist Du schön, sehr schön!« rief Esther entzückt, einen Schritt zurücktretend und sie mit herzlicher Befriedigung betrachtend. »Du bist bezaubernd,« fuhr sie fort, »je länger ich Dich ansehe, desto mehr werde ich von Deiner Erscheinung begeistert; Es sollte mich nicht wundern, wenn die Eisherzen der Aristokraten, welche Dich dort sehen werden, bei Deinem Anblick zu zerschmelzen, und wenigstens so lange diese Sonne ihnen strahlt, menschlich zu fühlen gezwungen würden.«

»Ach, wenn das der Fall wäre!« seufzte Emmy, den Kopf gesenkt und das Kinn in die Hand gestützt, ohne auch nur einen Blick in den Spiegel zu werfen. »Aber ich fürchte, diese Menschen sind durch nichts zu rühren.« –

Sie schwieg eine Weile gedankenvoll und starrte auf den Teppich, dann fügte sie, als ob sie sich's nochmal überlegt hätte, langsam den Kopf schüttelnd, hinzu:

»Nein, – nein, – nein! Sie lassen sich nicht erweichen.«

Esther näherte sich ihr und legte zärtlich ihre Hand auf den alabasterweißen Hals der Freundin.

»Was hast Du nur, Theure,« sagte sie in sanft zuredendem Tone. »Seit einigen Tagen bist Du trauriger und blickst kummervoller, als ich Dich je gesehen. Du verbirgst mir etwas. – Thränen? – Emmy, weshalb diese Thränen? Verdiene ich Dein Vertrauen nicht mehr? Ich bitte, ich flehe Dich an, Emmy, theile mir mit, was Dich bekümmert. Ist es dieser Besuch? – Ich kann mir's nicht denken, denn wenn er Dir auch unangenehm ist, so ist das doch kein Grund zu einem Gram, der offenbar tief, tief in Deinem Herzen wurzelt.«

Emmy barg den Kopf an dem Busen der Freundin, und unter Schluchzen und während ihre Thränen über die zarten Wangen herabflossen, rief sie:

»Esther, Du bist verloren – Du, und ich auch!«

»Was sagst Du?« fragte Esther betroffen.

»Ich wollte Dir's nicht sagen, um Dir die Angst, die ich fühle, zu ersparen, aber heute muß ich es thun, um Dich zu warnen, daß Du während meiner Abwesenheit keine Unvorsichtigkeit begehst. – Nimm Dich in Acht, Esther, fahre nicht aus und laß Niemand zu Dir. Hörst Du? Ich habe dringende, sehr dringende Gründe, Dir das zu rathen.«

»Ha! ich errathe; man hat Verdacht, daß ich bei Dir bin!« rief Esther bestürzt.

Emmy nickte traurig mit dem Kopfe, und deutete mit dem Finger durch das Fenster auf den Platz.

»Siehst Du jenen Menschen dort? – Der bewacht, sich mit einem andern ablösend, seit dem Tage, an dem Mrs. Slater hier war, unser Haus.«

»Du liebe, gute Schwester,« sagte Esther, sie in ihre Arme pressend;·»Du verschwiegst es mir, damit ich nichts von der Gefahr wisse, welcher Du Dich meinetwegen aussetzest. Ich kenne die Gesetze, Emmy, welche Dich für Deine Großmuth mit fürchterlicher Strenge bedrohen und –« sie unterbrach sich plötzlich und ihr Antlitz verfinsterte sich. – »Entsetzlicher Gedanke,« fuhr sie dann in dumpfem Ton fort, »wenn Deine Peiniger diese Deine Schuld benutzen, um Dich zu zwingen, in ihre schurkischen Pläne zu willigen. – Emmy, Du siehst Breckenridge heut. Zeige Dich ihm gegenüber nicht willig, hörst Du? In nichts willigst Du. Er kann und darf Dich nicht zu etwas zwingen.«

Emmy wollte etwas entgegnen, da aber trat Margot, die sich nach Beendigung der Toilette entfernt hatte, mit geheimnißvoller Miene herein und meldete, daß der Nigger Pet draußen sei und dringend bitte, Miß Esther zu sprechen.

»Laß ihn hereinkommen, die treue Seele,« erwiderte Esther. – »Es ist Dir doch recht, liebe Emmy, daß ich ihn in Deiner Gegenwart höre?«

Da Emmy durchaus nichts dawider hatte, so wurde Pet hereinbeschieden. Mit linkischer Verbeugung betrat er den Salon, auf seinem unschönen aber gutmüthigen Antlitz schwebte ein Lächeln, das halb Verlegenheit, halb inniges Behagen ausdrückte.

»Was führt Dich zu mir, guter Pet?« fragte ihn Esther, die ihm die Hand reichte und ihn zum Sitzen einlud, eine Auszeichnung, die er mit Bescheidenheit ablehnte.

Als Esther zufällig einen Blick auf seine Kleidung warf, bemerkte sie, daß unter seiner Jacke hervor lange Blutstreifen an seinen Kleidern herabgeflossen waren.

»Heiliger Himmel!« rief sie, »Bist Du schon wieder gezüchtigt worden?«

Pet nickte mit fröhlichem Grinsen, als ob von einer außerordentlichen Auszeichnung die Rede sei.

»Warum denn nun wieder, Unglücklicher? Kaum sind die Wunden vernarbt, die Du meinetwegen davontrugst, so zermartert man Dich aufs Neue. Was hast Du nur verbrochen?«

»O Ma'am,« antwortete er mit strahlenden Augen, »Massah Edward sollte baumeln, aber Pet das nicht dulden. Massah Edward sein frei und lassen grüßen.«

»Also diesmal hast Du für meinen Bruder gelitten, Du Guter. Doch warum hält sich nur mein Bruder immer noch in Virginien auf? Warum hat er nicht längst die Grenze zu erreichen gesucht?«

Pet schüttelte energisch den Kopf.

»Massah Edward, Anführer der Nigger!« antwortete er kurz, schloß aber dann mit einem halb mißtrauischen Blick auf Emmy seine Lippen, zum Zeichen, daß er nicht beabsichtige, darüber weitere Erklärungen zu geben. Ohne weitere Einleitung fing er darauf ein anderes Thema an: »Die Peitsche, Miß Esther, das ist nicht einzige Strafe. Sehen – hier – Zwangspaß nach Millen.«

Esther warf einen Blick auf das Papier, das er ihr hinhielt.

»Unglücklicher, zum Todtentransport nach dem Schreckensort – das ist sicherer Todt.« rief sie.

Pet lächelte gutmüthig, und es war fast, als ob eine Thräne in seinen großen Augen leuchtete, als er einen schwermuthsvollen Blick auf Emmy heftete.

»Wenn Miß Esther froh machen kann,« sagte er, »so sterbe gern. Ich Miß Esther froh machen kann; ich fremden Massah befreien – –«

»Wie, ihn?« rief Esther aus ihn zuspringend, als wollte sie ihn umarmen.

»Ihn!« wiederholte er mit Nachdruck.

»Wie willst Du das anfangen?«

»Hm, Massah muß sein todt, und ich fahre ihn weg.«

Esther ergriff seine dicken schwarzen Hände.

»Pet, wenn Du das könntest, wie meinen größten Wohlthäter, wie meinen Freund will ich Dich verehren.«

Des Negers Nerven zuckten bei dieser Berührung; seine Augen begannen leidenschaftlich zu rollen und sein Athem schien zu keuchen – er fühlte, daß sein Wille nicht stark genug sei, seinem afrikanischen Blute Zwang aufzuerlegen, daß diese Berührung ihn die Schranken vergessen ließ, welche ihn von ihr trennten. Schnell entzog er daher dem schönen Mädchen die Hand und trat einen Schritt zurück.

Einen Augenblick rang er nach Athem, dann sich allmählig fassend, sagte er:

»Danken mir nicht so, Miß Esther. – Ich Sie bitten, weit fort

zu sein, da« – er deutete auf einen entfernten Stuhl – »da setzen sich hin und schreiben einen Zettel. Das war's, warum ich bitten wollte, denn Pet kann nicht schreiben.«

»Einen Zettel, wozu?«

»Für ihn. Ich den Zettel heimlich gebe – Instruktion, sich todtstellen, – denn ich nicht mit Gefangenen sprechen darf.«

Esther machte ein Zeichen, daß sie ihn verstanden habe, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb die verlangte Instruction für den Mann, den sie zu retten versprochen hatte, den Mann, den sie in einer einzigen Nacht kennen und lieben gelernt hatte. Bei einem Wesen von solcher leidenschaftlichen Glut bedurfte es nicht mehr als dieser Spanne Zeit, um ihr Herz zu entflammen zu einer Liebe, welche kein Opfer scheut. –

Als Pet mit dem Zettel und den besten Hoffnungen für das Gelingen seines Anschlages sich entfernt hatte, näherte sich Emmy der Freundin.

»Ach, vielleicht bist Du so glücklich, den Mann, den Du liebst, wieder zu sehen, vielleicht gelingt es dem treuen Burschen, ihn zu retten. Ob ich den Mann wiedersehen werde, dem all meine Liebe, all mein Denken geweiht ist? ... Ich zweifle. – Adieu, theure Freundin. Noch einmal, Vorsicht!« –

»Fürchte für mich nichts, meine Emmy,« entgegnete Esther. Aber gieb Breckenridge nichts nach. – Bewillige ihm nichts aus Furcht, er konnte über Dein Haupt Unheil bringen.«

Noch einen zärtlichen Kuß, innig und leidenschaftlich, drückte sie auf die Lippen der Freundin, dann geleitete sie dieselbe bis an die Thür, von wo die Goldbetreßten sie die Treppe hinab über den Teppich, der auf dem Pflaster lag, bis an den Wagen geleiteten. Während sie einstieg, fiel ihr Blick auf das abstoßende Gesicht des Spähers, der argwöhnisch durch die Fenster der Carosse blickte.

Von neuer Angst befallen und voll banger Ahnung lehnte sie sich in die gelben Damastpolster zurück; die Grooms sprangen hinten auf, und dahin rollte die stattliche Equipage, so leicht, so stolz; und Keiner, der ihr bewundernd nachschaute, hatte eine Ahnung, welche Last des Grames und welch kummerschweres Herz sie in sich schloß – –

Wie widerwärtig war dem schönen Mädchen die steife, ceremonielle Höflichkeit, die hochmüthige Herablassung, mit welcher Mrs. Davis ihr entgegenkam; das phrasenhafte, gedrechselte, gezierte und schablonirte Wesen des Präsidenten; die heimtückische Kriecherei der Mrs. Slater; die unverschämte Pikanterie, mit welcher Miß Anna Surratt ihrem Neide gegen sie Ausdruck gab; die kalte aristokratische Gemessenheit der Ritter und Junker – Alles war ihr widerwärtig und ekelhaft und tausendmal dachte sie bei sich: »O Esther, könnte ich bei Dir sein; wie unendlich unglücklich fühle ich mich, aus Deiner Gesellschaft in diese verbannt zu sein!« –Aber der Ton erforderte, daß sie Alles geduldig ertrug und zu Allem die conventionelle Miene vollkommenster Befriedigung machte.«

Es gab nur eine Seele in der großen Schaar der conventionellen Komödianten, die mit ihr fühlte. Es war Mr. Conover, der sich ihrer annahm und sie überall befreite, wo sie von einem dieser Formenmenschen in die Conversation gezogen und mit den kalten Hofetiquetten-Phrasen überschüttet wurde, daß sie ein Grausen ankam; und stets lohnte dem eben so geistvollen, wie zartfühlenden Manne ein Blick aufrichtigen Dankes, wenn es ihm gelungen war, sie einem peinlichen Austausch nichtssagenden Wortgeklingels zu überheben, oder ihr unter der niederdrückenden Tyrannei stolzer Herablassung die Hand zu reichen.

Miß Emmy Brown wußte, daß Mr. Conover nicht zu den Leuten dieses Schlages gehörte, daß er hier vielmehr die Rolle eines Kundschafters spiele und das Resultat seiner Beobachtungen seinen Correspondenzen für die Zeitungen der Union einverleibte. Das war schon ein Umstand, der sie nöthigte, sich ihm vertrauensvoller zu nähern, als einem Andern, und sie ergriff daher jede Gelegenheit, ihre Conversation auf ihn ausschließlich zu beschränken. Leider glückte es ihr nicht so oft als sie es wünschte, denn erstens mußte sie bemerken, daß Mrs. Slater sowohl, wie Mr. Breckenridge sie verfolgten, wie ein Freibeuter dem Cours einer lohnenden Prise folgt und sie womöglich zu entern versucht. War es ihr gelungen, diesen zu entgehen, so stand ihr zwar Mr. Conover als Rettungshafen zur Verfügung, aber er war nicht allein, an seiner Seite fand sich stets der junge Mann, der ihr als der Advokat Francis Parker vorgestellt war. Obwohl sie nicht sagen konnte, daß sein Aeußeres sie zurückschreckte, denn seine Züge waren zart und weich, wie die eines Mädchens, aber sie war gewohnt, daß Mr. Conover in Fremder Gegenwart stets sehr verschlossen war, und es nicht liebte, ein vertrauliches Wort zu sprechen. Und doch hätte sie heute so gern mit ihm im Vertrauen gesprochen, denn in ihrem verwaisten Zustande war er der Einzige, dem sie sich anvertrauen durfte. Mr. Conover mochte ihre Verlegenheit bemerkt haben, und er beeilte sich daher, ihr mitzutheilen, daß der junge Mann ein Gesinnungsgenosse sei und zwar ein Offizier in der Unionsarmee.

Emmy horchte hoch auf. Ihre Zurückhaltung war mit einem Mal verschwunden, und mit der ganzen Offenheit ihres Wesens zog sie ihn in ihre Unterhaltung.

»Unter welchem Corps, Mr. Parker, stehen Sie?« fragte sie ihn, als die übrige Gesellschaft eben begann, sich in die Salons zu vertheilen, und sich dort in Gruppen zu spalten, die eine, welche der Frau Präsidentin Weihrauch streute, die andere, welche sich im Wohlwollen des Präsidenten sonnte.

»Ich gehöre zu Sheridan's Corps,« antwortete er.

Emmy's Auge glänzte vor Freude.

»Ah!« rief sie, »dann kennen Sie ohne Zweifel einen Hauptmann Frederic Seward?«

Die Frage wurde bejaht, aber George Borton that dies mit so trauriger Miene, daß die Freude in Emmy's Gesicht sofort der Blässe des Schreckens Platz machte.

»Er ist todt, Sir?« fragte Emmy mit fieberhafter Erregung. »Ich lese es auf Ihrem Gesicht, daß er todt ist« –

»Er ist nicht todt,« entgegnete George schmerzvoll, »aber fast so gut wie todt. – Er ist im Gefängniß bei Millen.«

Mit einem Schrei sank Emmy auf ihren Sessel zurück und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

Miß Jenny hatte schon längst mit eifersüchtigen Blicken die Unterhaltung ihres Verehrers mit dem schönen Mädchen gesehen und einen Vorwand gesucht, dieselbe zu unterbrechen, sie benutzte daher diese Gelegenheit hinzuzueilen und sich angelegentlichst zu erkundigen, ob ihr nicht wohl sei.

»Es ist vorüber,« erwiderte Miß Brown, sich mühsam aufraffend, – »doch wird es besser sein, ich ziehe mich zurück.«

Als sie sich erhob begegnete sie dem kalten durchbohrenden Blick des Kriegsministers. Vergebens sah sie sich nach Rettung um. Mr. Conover hatte sich beeilt, der Frau Präsidentin zu melden, daß Miß Brown Unwohlseinshalber sich genöthigt sehe, die Gesellschaft zu verlassen, und George war von Miß Davis schnell der gefährlichen Nähe der schönen Dame, welche die Blässe und die Gemüthsbewegung nur noch schöner machte, entführt worden.

Mr. Breckenridge näherte sich daher seiner Mündel.

»Bewillige ihm nichts!« tönten Esthers letzte Worte in ihren Ohren; allein, wenn sie auch den festen Vorsatz gehabt hätte, diesem Rathe zu folgen, so machte sie der eisige Blick, die unbezwingliche Starrheit in diesen Zügen wieder völlig muthlos.

»Miß Brown,« redete er sie an; »ich danke Ihnen, daß Sie den ersten Schritt gethan haben, sich den Kreisen wieder zu geben, welchen Sie sich durch eine unzeitige Melancholie zu unserm großen Bedauern so lange entfremdet haben.«

Emmy sah ihm in's Gesicht, aber sie las nichts in demselben, was die Aufrichtigkeit dieser Versicherung bekundete, sie erwiderte daher nur, daß sie fürchte, mit ihrer traurigen Stimmung in diese Kreise nicht zu passen und daher willens sei, nach wie vor sich der Einsamkeit hinzugeben.

»Das werden Sie nicht thun,« entgegnete Breckenridge, den Ton formeller Höflichkeit verlassend. »Mr. Berckley, der hoffentlich bald zurückkehren wird, brennt ohne Zweifel vor Verlangen, Ihnen nach so langer Trennung wieder zu begegnen. Wie aber soll das möglich sein, wenn Sie sich nach wie vor einschließen?«

»Mr. Breckenridge, ich bitte –«

»O, ich übertreibe nicht,« fiel der Kriegsminister höhnend ein. »Und ich setze voraus, daß auch Ihnen die Rückkehr jenes Herrn nicht gleichgültig ist.«

»Sie ist mir völlig gleichgültig,« sagte Emmy, all ihren Muth zusammenraffend, vielleicht auch unter dem Einfluß von Esther's Rath.

»O, nicht doch,« versetzte er ernsthaft. »Sie täuschen sich über sich selber, und ich bin überzeugt, falls ich Ihnen morgen einen gewissen Heirathscontract zuschicke, werden Sie sich sicherlich nicht weigern, ihn zu unterschreiben. – Nicht wahr, Sie werden es thun?«

Emmy bebte. Die gefürchtete Katastrophe nahte heran. – Lange vermochte sie kein Wort zu entgegnen; erst nach längerer Pause, während welcher sie angstvoll dem diabolischen Blick ihres Vormundes auszuweichen suchte, der auf ihr ruhte, öffnete sie die Lippen.

»Mindestens, Mr. Breckenridge,« preßte sie beklommenen Herzens hervor, »wäre es billig, mir eine Bedenkzeit –«

»Nichts von Bedenkzeit,« unterbrach er sie. »Noch heute muß ich wissen, ob Sie den Contract unterschreiben wollen oder nicht. – Ich will Ihnen aber Eins an's Herz legen. Bemerkten Sie gegenüber Ihrem Palais einen Menschen mit röthlichem Haar, der den ganzen Tag nichts thut, als Ihre Fenster und Thüren beobachtet? – Was?«

»Ich bemerkte ihn.«

»Gut, Miß Brown. Dieser Mensch wird sofort verschwinden, wenn ich die Unterschrift des Contractes in meinen Händen habe. Es wird sich dann Niemand mehr um das kümmern, was in Ihrem Hause vorgeht. Andernfalls ... Sie kennen gewisse Gesetze über das Verbergen gewisser Personen?«

Alle Schrecken, welche sie bedrohten, las sie in doppelt fürchterlicher Gestalt aus den steinernen Zügen des Mannes, der zu ihr sprach.

»Bewillige ihm nichts!« hatte Esther gesagt. O, sie kannte nicht die Gewalt dieses Mannes und unterschätzte die Waffen, die er in Händen hatte.

»Ich kann Esther retten, wenn ich mich opfere,« überlegte Emmy. »Willige ich nicht ein, so sind wir Beide verloren.

Ihr stürmisch klopfendes Herz drohte den Busen zu sprengen. Mehrmals setzte sie an, eine Antwort zu geben, aber das Wort wollte nicht heraus.

»Nun – Ja oder Nein?« drängte Breckenridge. – »Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Erklärung an dieser Stelle von mir als bindend betrachtet werden wird. – Ja oder Nein?«

In diesem Augenblick näherte sich Mr. Conover und meldete, daß der Wagen der Miß Brown bereit sei, und die Frau Präsidentin sie gnädigst beurlaube, zugleich bot er ihr zuvorkommend seinen Arm.

»Ja oder Nein« flüsterte ihr Breckenridge in's Ohr, mit einem Blick, der wie mit Dolchen ihre Brust durchbohrte.

»Ja!« lispelte sie, und wankend hing sie sich an Mr. Conover's Arm, der sie an den Wagen geleitete.

»So sollst Du wenigstens glücklich werden, meine Schwester!« seufzte sie, als sie in dem Polster ihres Wagens ruhe. »Der Mann, den Du liebst, wird aus dem schrecklichen Kerker gerettet werden. Mein Frederic wird darin umkommen, wenn nicht ein Wunder ihn rettet. Du selbst bist frei und in Deinem Glück will ich das meinige suchen, Dein Glück soll mir mein Elend ertragen helfen. – O Gott, wie hat das eine »Ja« mich so unglücklich gemacht!« –

Als der Wagen an der Rampe ihres Palais hielt, blickte sie unwillkürlich um sich, ob sie das widerwärtige Gesicht des Spähers bemerken würde, allein sie sah ihn nicht. Als sie, von Margot geführt, in ihr Zimmer trat, wunderte sie sich, daß Esther ihr nicht mit offenen Armen entgegeneilte, konnte sie doch kaum die Zeit erwarten, um ihr diese neue Phase ihres Schicksals mitzutheilen.

»Wo ist Miß Esther?« fragte sie.

»Miß Esther ist in ihrem Zimmer,« antwortete Margot, »sie hat dort den Thee genommen und wünschte allein zu sein.«

»Oh, mein Besuch wird ihr nicht störend sein, ich bringe ihr ja die Nachricht, daß sie frei ist, – freier wie ich selber.«

Mit diesen Worten eilte sie, von Margot begleitet, nach dem Zimmer ihrer Freundin.

Sie klopfte an, da aber nicht sogleich eine Antwort erfolgte, trat sie ohne Umstände ein. – Was hatte das zu bedeuten? – das Zimmer war leer.

Emmy warf einen erstaunten Blick auf Margot. Diese wußte aber keine Erklärung zu geben, sondern theilte das Erstaunen ihrer Gebieterin.

»Vielleicht ist sie in einem andern Zimmer?« meinte Miß Brown, und unterzog sich selbst der Durchsuchung des ganzen Hauses. Vergebens, von Esther war keine Spur zu finden. Da endlich fiel ihr Blick auf einen Brief, der in ihrem Schlafzimmer auf dem Nachttische lag. Er war an Emmy adressirt.

Mit zitternden Händen entfaltete sie das Papier. – Ach, ihre schreckliche Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Esther schrieb:

 

»Innig geliebte Schwester!

Ich verlasse dies Haus, das mir auf der ganzen Welt das liebste war. Mag aus mir werden, was da will, aber ich kann Dich nicht länger in der Gefahr lassen, die über Deinem Haupte schwebt. Werde ich ergriffen – wohl, ich bin auf Alles gefaßt; werde ich nicht ergriffen – desto besser; in jedem Falle aber wird man Dich nicht länger im Verdacht haben können, und Du hast nicht nöthig, Dich vor Deinen Feinden zu fürchten. Ich hoffe, Du hast Breckenridge nichts bewilligt. – Adieu, Schwester; noch einen Kuß, vielleicht den letzten, drücke ich auf Deine Lippen.

Esther.«

 

»Gütiger Himmel, so war das Opfer, das ich brachte, vergebens!« rief Emmy, zusammensinkend.


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