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Ich habe dieses Blatt nur mit einem Gedanken, einer ganz kleinen Erinnerung zu beschreiben, und doch erfüllt sie mich mit einer wehmütig-sinnlichen Empfindung, durchdringend und alles übertäubend wie der Duft, den wenige Tropfen Öl der Kalifenrose in einen Alcarazas gegossen, verbreiten. Es ist die Erinnerung an eine Viertelstunde, die ich in der Tabakmanufaktur Sevillas verbrachte. Und der Eindruck von der Mädchenmenge, durch die ich da an jenem drückend schwülen Tage ging, wird ebensowenig aus meinem Gedächtnis schwinden, wie der Duft, den das Aroma der ausgepreßten Nelken, des Basilikums und Jasmins der andalusischen Gärten in meinem Flakon zurückließ.
Es war Mittagszeit, als ich nach einer Wanderung durch sonnenversengte Straßen und Höfe ein riesiges Gebäude erreichte, halb Kaserne, halb Kloster. Ich durchschritt die großen Säle, wo unter einem betäubenden Lärm von Singen und Schwatzen die berühmten sevillanischen Cigarreras Zigarren und Zigaretten aus Tabakblättern drehen.
Fünftausend Sevillanerinnen! In gekühlten Räumen voll erstickenden Tabakstaubes sind sie an der Arbeit, nur halb bekleidet, und lassen die unvergleichlichen Augen sehen, die Haare, die kleinen braunen Hände ebenso ungeniert wie die runden Arme, die goldgebräunten Brüste, die Waden, und da und dort diese anderen köstlichen Kleinode, deren genauer Name zu sehr der Grazie ermangelt, als daß ich dieses Bildnis damit mindern wollte.
Die einen schaukelten mit dem Fuße die Wiege ihres Kindes, andere hatten ein Hündchen bei sich, einige hatten ihre Arbeit unterbrochen, um sich ihr Gesicht mit Puder zu betupfen oder ihren Teint mit roter Schminke zu heben, die meisten hatten einen kleinen Spiegel neben sich liegen, aber alle trugen eine grellfarbige Blume im Haar und schwatzten.
Es waren Mädchen darunter zwischen zwölf und dreizehn Jahren, die große Mehrzahl hingegen zeigte die Formen des liebereifen Weibes; vereinzelte, wenige, ganz alte Frauen verstärkten nur den Reiz dieser Jugend und dieses Lebens, das um sie war und sie wie ein zu starkes Parfüm asphyktisch gemacht zu haben schien.
Warum nur machten mich diese so lustigen Gigarreras traurig? Warum war die Empfindung, die der Anblick so vieler schöner Geschöpfe auf einem Flecke, dieser wahrhaften Ställe der Liebe, mir hinterließ, nicht wie es doch sein sollte die von ausgelassener, schrankenloser Daseinslust?
Jetzt werde ich es inne: es war die tiefe Wehmut über so viele vergeudete Juwelen.
Jenen, die die Tränen einer Frau zu genießen wissen, hätten diese schwärzen Augen unvergleichliche Tränen geben können; diese knospenden Brüste hätten beben können, aber sie werden nur in sinnlicher Lust erschauern; diese kleinen Füße verdienten stolz und unachtsam über kostbarste Teppiche zu schreiten, und sie werden nur nach der Vorstadt Triana laufen. Ja, ich weiß ganz gut, wie anderswo singt man in der Vorstadt Triana das alte Lied von der Liebe, das Lied mit den Gebärden. Aber, so schön, hätten sie neue Melodien zu erfinden, zu inspirieren.
Beim Verlassen der Manufaktur sah ich, ganz wie ich es geahnt hatte, in welch unwürdige Hände diese kostbaren Kleinode fallen. Für höhere raffinierte Regungen geschaffen, befriedigen diese so hübschen Geschöpfe nur die allergewöhnlichste Sinnlichkeit. Das heißt Perlen wegwerfen. So viel vergeudete Schönheit, das ist der Becher des Königs von Thule, eine Geschichte, die alle feiner Empfindenden traurig macht.
Doch vergraben zu sein, ist nicht das melancholischste Los eines Schatzes. Diese fünftausend Frauen dauern ja nur ein paar Jahre. Die Erkenntnis aber, daß ein Wunderwerk im Verschwinden ist, vergeht, das kompliziert alle Wollust zum Fieber! Vergänglich sein, das ist die köstlichste Qualität. In seinen Armen mit jedem Tage die Geliebte verfallen sehen, das erst vollendet mit einer unvergleichlichen Melancholie den Genuß, den sie uns gewährt. Es gibt keine wirkliche Gefühlsintensität, in die sich nicht die Idee des Todes mengte.
Sollte einmal einer von uns eine Geschichte der zerebralen Wollust schreiben wollen, so müßte er dem König Xerxes einen hervorragenden Platz darin geben. Von ihm berichten uns die Geschichtschreiber einige Züge, die tief in unser Herz gehen, und wie man sie selbst bei unseren raffiniertesten Modernen nicht finden dürfte. Im Besitze unbeschränkter Macht, der schönsten Frauen und der herrlichen orientalischen Luft, versprach er dem eine Belohnung, der ihm eine neue Wollust zu erfinden wüßte. Und diese Wollust entdeckte er selber: Als er von den Ufern des Abydos aus sein ungeheueres Heer überblickte, das weithin den Hellespont und die Ebene bedeckte, da gab er sich den Genuß der Tränen bei dem Gedanken, daß von allen diesen Männern keiner mehr in hundert Jahren am Leben sein werde.
Eine gleiche Regung überkommt einen vor den schönen Cigarreras: seit Jahrhunderten folgen sie einander, und verschwinden wieder, ohne daß ihre Schönheit jemals in vollen Zügen getrunken worden wäre.
Die Manufaktur beschäftigt auch ein paar hundert Maultiere zum Betrieb der Maschinen, in denen der Tabak geschnitten wird. So ist diese Cigareria ein Resumé von allem, was Andalusien zu bieten hat: dessen Ruhm seine Blumen, seine Früchte, seine Maultiere und seine Frauen sind.
Ich wollte aber von dort unten weder Blumen noch Früchte mitnehmen; fern von Andalusiens blühendem Himmel verblaßte nur zu schnell ihre vergängliche Pracht. Auch eines dieser andalusischen Kinder würde in Paris nicht an seinem richtigen Platze sein. Aber ein Maultier hätte ich mir gerne ausgesucht, eines mit den großen, mandelförmigen Augen. Die schönsten Mädchen von Sevilla hätten ein paar Tage darauf reiten müssen, ich hätte es mit den Winzern in die Weinberge geschickt und in den blumigsten Wiesen an den Ufern des Guadalquivir weiden lassen, dann erst hätte ich es mit mir genommen nach Paris. Und manchmal am Morgen würde ich es in seinem Stalle geliebkost haben und auf seine großen Augen hätte ich einen Kuß gedrückt, deren sanfter, ernster Ausdruck den herrlichsten, schmachtendsten Liebesblick übertreffen. Mit der Hand über sein Fell zu streichen, wäre mir wie eine Liebkosung so vieler teurer Erinnerungen gewesen.