Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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V.

(Ein Schubert-Sänger. – Der Compositeur des »Dorfbarbier« und sein mündliches Testament.)

    Der Mensch lebt! ein paar Tage
und wie schnell hat er vergessen.
Der Mensch stirbt! ein paar Tage
und wie schnell ist er vergessen!
Ida Gräfin Hahn-Hahn.

Die besten Schubert-Sänger waren ihrer Zeit der theatralische Vogl und dessen vorzüglichster Schüler, der noch lebende Baron Schönstein. –

Johann Michael Vogl war ein ebenso großes Talent als eine höchst merkwürdige Persönlichkeit. An ihn knüpft sich zugleich die Erinnerung an die goldene Zeit der Wiener Oper. Ihrer wie seiner darf daher in diesen Wiener Memoiren wohl einige Erwähnung geschehen.

Vogl war im Jahre 1768 in dem oberösterreichischen Städtchen Steyr geboren. Als Sängerknabe an der dortigen Pfarrkirche erhielt er gründlichen Musikunterricht, legte später die Gymnasial- und philosophischen Studien in dem Stifte Kremsmünster zurück. Nun waren in dem Kloster bisweilen kleine geistliche Schau- und Singspiele aufgeführt worden, die letzteren von der Composition und unter der Leitung des talentvollen Süßmayer und unter der thätigsten Mitwirkung des jungen Vogl, welcher als Schauspieler und Sänger reichlichen Beifall erntete.

Mit diesen theatralischen Lorbeern geschmückt, begab er sich nach Wien, um die juridischen Studien anzutreten, die er auch vollendete. Der Sänger stand eben auf dem Punkte, seine amtliche Praxis zu beginnen, als er durch Süßmayer (inzwischen Hoftheater-Kapellmeister), der sein Talent längst erkannt hatte, einen Ruf zum Hofoperntheater erhielt. Vom Jahre 1794 bis 1822 gehörte Vogl nun einem Künstlerkreise an, welcher für die Entwicklung und Weiterbildung der deutschen und dramatischen Sangkunst von hoher Bedeutung war. –

Mit Vogl wirkten zu gleicher Zeit: Weinmüller, Saal, Sebastian Mayer, Baumann und Gottdank als Komiker, die Damen Saal, Laucher und Bondra; später Anna Milder, Anna Buchwieser (Forti, Wild), zuletzt Wilhelmine Schröder und Karoline Unger.

Sowohl die große Oper wie das Singspiel waren durch diese Kräfte gehörig vertreten, man war im Stande, auch kleinere Partien durch geschickte Repräsentanten zu besetzen und so dasjenige zu erreichen, was eigentlich das Ziel und die Seele alles theatralischen Unternehmens ist oder sein soll: ein künstlerisches Ensemble. Durch Vogl's Hinzutreten gelangte übrigens der Geist der an sich vortrefflichen Gesellschaft erst völlig zum Durchbruch. – Eine imposante, kräftige Persönlichkeit, eine ausdrucksvolle Miene, freier, edler Anstand, der wohltönendste Bariton, waren die äußeren Vorzüge des deutschen Sängers; dabei erschienen allerdings die Bewegungen der Hände und der allzu großen Füße nicht immer als die anmuthigsten, auch war hie und da eine Stellung in einer griechischen Heldenrolle etwas zu absichtlich der Antike entnommen. –

Im Gesang verfolgte Vogl mit strenger Consequenz und mit vollem Bewußtsein den einzig richtigen Weg der dramatischen Gesangskunst. Er besaß ein feines Ohr für den Rhythmus der Verse, und hatte das, seitdem, wie es scheint, beinahe verloren gegangene Geheimniß des rezitativischen Vortrages vollkommen inne; ebenso wenig waren ihm die Gesetze der Harmonie fremd, durch deren Kenntniß und Studium es dem Sänger einzig möglich wird, in Ensemblestücken gehörig mitzuwirken, bald hervorzutreten, bald sich unterzuordnen, und Licht und Schatten so zu vertheilen, daß dem Sinne des mehrstimmigen Gesangstückes sein ihm gebührendes Recht werde.

Vogl's Element war vorzugsweise die Darstellung des Charakteristischen; hier, in der Verbindung der Wahrheit mir der Schönheit, feierte er seine höchsten Triumphe, auch erfreute er sich wahrhaft nur an Rollen, die es ihm möglich machten, einen entschiedenen dramatischen Charakter darzustellen, während ihm zum Beispiel die Nebelgestalten der (damals) modernen italienischen Oper zum Gräuel und Abscheu dienten. Dafür machten ihm die Gegner seiner Gesangsweise häufig den Vorwurf, er vernachlässige allzu sehr den bindenden, flüssigen Gesang, wie ihn etwa die Arie erfordert.

So stellte man ihm auch den künstlerisch weit minder ausgebildeten Wild nicht ungern entgegen, der freilich den Zauber der Jugend voraus hatte und der sich schon durch den wunderbaren Schmelz seiner Tenorstimme Aller Herzen leicht gewann. Vogl konnte nicht umhin, bei allem Selbstbewußtsein, die glänzenden Gaben und Vorzüge seines jungen Nebenbuhlers anzuerkennen, wenn er auch gelegentlich über das Publicum in Harnisch gerieth, welches den Fehlern und Unarten seines Lieblings beinahe noch mehr zujubelte, als es über sein wirklich Gutes und Lobenswerthes entzückt war.

Von seiner Seite verharrte Vogl fest auf seinem, nun einmal klar erkannten, viel durchdachten, wohl auch an sich richtigen Princip, zu welchem er sich in Wort und That leidenschaftlich bekannte und nicht einen Schritt von seiner idealen Bahn abwich.

Dem dramatischen Sänger und Menschendarsteller hat es übrigens durchaus nicht an Methode gefehlt; bei dem Ernste, der ihm innewohnte, bei dem unablässigen Triebe zum Lernen ließ er auch kein Hilfsmittel unbeachtet, welches ihn bei Lösung seiner Lebensaufgabe fördern konnte. Ein günstiges Geschick fügte es, daß er im Anfang seiner Laufbahn auch für kleinere Partien der italienischen Oper verwendet wurde, wobei er mit dem berühmten Crescentini in ein freundliches Verhältniß gerieth. Von jeher waren die Italiener im Besitz einer richtigen Methode. Sie articuliren deutlich, wissen mit der Stimme Haus zu halten, sie durch häufiges Solfeggiren geschmeidig zu bewahren, zu beherrschen, die tauglichen Punkte zum versteckten Athemholen verstehen sie geschickt auszufinden, und ihre Verzierungen sind immer präcis, auch geschmackvoll. Was sich von solchen Künsten und Fertigkeiten erwerben und verwerthen ließ, entging nun dem deutschen Sänger durchaus nicht; dabei hütete er sich aber sorgsam, in die Fehler des hohlen Pathos oder des Concertgesanges auf dem Theater zu verfallen. So wußte er sich auch in der italienischen Oper Geltung zu verschaffen, doch nur in der deutschen und französischen erreichte er den Gipfel seines Ruhmes. Von der erschütterndsten Wirkung war sein Orest in der »Iphigenia auf Tauris«, wo er die Lorbeern mit der Milder theilte, über welche sich Schubert freilich gelegentlich äußerte: »Sie singt am schönsten und trillert am schlechtesten.« – Allein das Trillern ist nicht überall am Platze! So auch nicht in der »Schweizer Familie«, deren bedeutender Erfolg dem Zusammenwirken jener beiden Künstlergrößen hauptsächlich zu danken war. – Unter den hervorragenden Rollen Vogl's wären noch zu nennen: der Patriarch Jakob in »Joseph und seine Brüder«, Graf Dunois in »Agnes Sorel«, der Oberst im »Augenarzt« (Beides von Gyrowetz); ferner Spontini's »Milton«, Creon in Cherubini's »Medea.« – Es lassen sich kaum zwei verschiedenere Persönlichkeiten erdenken, als die des Telasko in »Ferdinand Cortez« und des Grafen Almaviva in »Nozze di Figaro.« Wenn Vogl als wilder Mexikaner durch seine leidenschaftliche Gluth hinriß, so zwang der stolze, vornehme Graf, nach seiner Arie im zweiten Act, einem damals bekannten Schriftsteller und Theater-Enthusiasten den Ausruf ab: »So und nicht anders singt ein spanischer Grande erster Classe!« –

Vogl's letzte bedeutende Schöpfung war die des Propheten Daniel in »Baal's Sturz« von Weigl. Man vergaß dabei die Lampen und Coulissen, während die alttestamentarische Zeit wie verkörpert aus ihrem ehrwürdigen Grabe hervorstieg. –

Sein letztes Auftreten (im Jahr 1822) fand in einer sogenannten Nebenrolle statt, im Gretry's »Blaubart« mit Forti und Wilhelmine Schröder. Wenn die Schöne im letzten Act von dem ehelichen Tyrannen an ihren wallenden blonden Locken unbarmherzig über die Bühne gezerrt wurde, so brach der Zuschauerraum in lauten Jubel aus; aber neben Jugend, Schönheit und Anmuth machten sich auch Geist und Kunst des reifen Alters bemerkbar. Vogl als »alter Castellan« schuf eine Mustergestalt im kleineren Genre, und über den Vers: »Was gehen mich die Weiber an!« erhob sich fast ein noch größerer Beifallssturm, als ihn die göttliche Minna erregt hatte. –

Mit Schubert bekannt geworden, hatte Vogl den »Erlkönig« bereits im Jahr 1821 auf dem Theater vorgetragen und den jungen Compositeur, der ihn am Clavier begleitete, gewissermaßen dem Publicum vorgestellt. Jetzt, von der Bühne entfernt, aber die Kunst noch immer im Herzen, bot sich dem Veteranen in den Liedern Schubert's das willkommenste Element dar, sich aufzufrischen und in lebendiger Theilnahme zu erhalten. Er kam den Wünschen gebildeter Kunstfreunde gerne entgegen und sang jene dramatischen Lieder bis in sein hohes Alter, wo dann freilich Geist und gebildeter Vortrag nicht immer ausreichten, den völligen Mangel an Stimme zu ersetzen. »Memnon«, »Antigone und Oedip«, Fragment aus dem »Aeschylus«, »Orest«, »Philoktet«, »Der zürnenden Diana«, »Der Wanderer«, »Der Einsame«, »Ganymed«, »Schwager Kronos«, »Die Müllerlieder«, »Die Winterreise« und so fort, bildeten sein reiches Repertoire, welches wir nicht müde wurden, anzuhören. –

Ueber den Mann selbst erübrigt noch Einiges zu sagen. – Vogl war durchwegs kein gewöhnlicher Mensch, wohl aber ein sonderbarer Kauz, ein Sonderling. Das Kloster, die klösterliche Erziehung staken ihm im Leibe und hatten dazu gedient, eine gewisse, schon in den Keimen seines Wesens gelegene Beschaulichkeit zu nähren und zu pflegen, welche nicht selten den wunderlichsten Contrast mit seinem Stande und seinen äußeren Verhältnissen bildete. Der Grundton seines Wesens war eine moralische Skepsis, ein grübelndes Zergliedern seines Selbst so wie der Welt; ein innerlicher, nie ruhender Antrieb, von Tag zu Tag besser, vollkommener zu werden, verfolgte ihn durch sein ganzes Leben, und wenn ihn die Leidenschaft, wie alle reizbaren, zugleich kräftigen Naturen, bisweilen zu gefährlichen, ja frevelhaften Schritten hinriß, so kam er wohl dahin, sich darüber selbst anzuklagen, zu zweifeln, zu verzweifeln, bis ein neuer Fehltritt neue Selbstvorwürfe brachte, Gewissensbisse, Zerknirschung. Lectüre und Studien standen natürlich mit dieser Sinnesrichtung im innigsten Zusammenhang. Das alte und neue Testament, die Evangelien der Stoiker: Mark Aurel's Betrachtungen und Epiktet's Enchiridion, Thomas a Kempis, Taulerus hatte Vogl zu steten Begleitern und Rathgebern seines Lebensganges auserwählt. Das Buch »von der Nachahmung Christi« übersetzte er und ließ es in Abschriften unter ähnlich gesinnte Freunde vertheilen. So kam mir auch ein Werk des Epiktet zu Gesicht, von Vogl's sauberer Handschrift in vier Sprachen (griechisch, latein, englisch und deutsch) copirt. – Man glaube aber ja nicht, daß erst der lebensmüde Greis zu solcher Art von Tröstung seine Zuflucht nahm; der religiös-philosophische Faden, bereits im Kloster angesponnen, hatte sich durch Vogl's ganzes Leben ununterbrochen fortgezogen.

Nun war es freilich eine ziemlich wunderliche Erscheinung, wenn man den gefeierten Theaterhelden im Costume des Agamemnon, Orest oder sonst eines heidnischen Heros in der Garderobe sitzen und mit Aufmerksamkeit in den Evangelien lesen sah, oder im Thomas a Kempis! Wer aber die Langeweile des Treibens hinter den Coulissen kennt und die schaalen Reden und Späße, die dort gang und gäbe sind, der wird es wohl begreiflich finden, daß sich ein geistreicher Mann von seiner lästigen Umgebung auf diese Weise zu befreien suchte und lieber für einen Sonderling gelten mochte, als sich dem völlig Geistlosen, Rohen und Absurden preiszugeben. Einige Eitelkeit mochte wohl auch mit im Spiele sein, was die ungebildeteren Collegen bald begriffen und es an Scherzreden über den gelehrten Mimen nicht hatten fehlen lassen. –

Seit Jahren war Vogl durch ein Gichtleiden gequält, welches sich in verschiedenen Formen äußerte und den, trotz seinen Stoikern immer ungeduldigen und des Duldens ungewohnten Mann häufig in die übelste Laune versetzte. Wie erstaunten aber die Freunde, als ihnen der Hagestolz plötzlich seine nahe bevorstehende Vermählung eröffnete! Nach seiner versteckten Weise hatte er nie von einem ähnlichen Vorsatze gesprochen, ja, man konnte aus seinen Aeußerungen weit eher abnehmen, daß er Zeitlebens unverheirathet zu bleiben gedenke. Nun aber erfuhr man mit einem Male, er habe Jahre her mit einem, fast außer Zusammenhang mit der Welt erzogenen weiblichen Wesen in einer Art von ethisch-pädagogischem Verhältniß gestanden, wobei er sich als berathenden Freund und Lehrer benahm, während ihm das sanfte Gemüth des nicht mehr ganz jungen Mädchens mit leidenschaftlicher Verehrung zugethan war.

Im Jahre 1826, in Vogl's achtundfünfzigstem Lebensjahr, wurde die Verbindung vollzogen, welche den gereiften Sänger noch im Herbst seiner Tage mit einem Töchterlein beglücken sollte. Doch nahmen Kränklichkeit und üble Laune zu, die Welt schien dem Leidenden nun völlig »im Argen« zu liegen (eine seiner Lieblingsphrasen) und es bedurfte der ganzen himmlischen Geduld der sanften und frommen Frau, um weder in der Krankenpflege noch im Zusprechen und Trösten völlig zu ermatten. Bei alledem überlebte der sieche und noch immer singende Greis den lebenskräftigen Liederdichter um volle zwölf Jahre. Die verhängnißvolle Stunde schlug ihm erst am Abend des 19. November 1840 – gerade am Jahres- und Erinnerungstage von Schubert's, bereits im Jahre 1828 erfolgtem Ableben. –

Das Sterben ist nach Friedrich Schlegel ein philosophischer Act; – ich halte das Sterbenmüssen für eine Art Beleidigung, die uns die Natur anthut. Mein Ich soll wieder aufhören – das ist die Bedingung, unter welcher ich existire. Welche Zumuthung! Wer weiß, hätte ich die Existenz, wäre mir die Bedingung im Voraus bekannt, überhaupt angenommen! – –

Vier Jahre vor Vogl's Ableben, im Jahre 1836, hatte ich einen anderen alten Freund und Sonderling verloren, meinen ehemaligen Clavierlehrer, den Compositeur des »Dorfbarbier«, Johann Schenk. Er war ein Schüler des berühmten Wagenseil, der ihn in die Geheimnisse des Contrapuncts und Doppelcontrapuncts eingeweiht, auch die alten Meister von Palästrina bis Händel gründlichst mit ihm durchstudirt hatte. Als Beethoven im Jahre 1792 bei Joseph Haydn die Harmonielehre zu studiren begann, vertrugen sich der stürmisch-geniale Schüler und der etwas pedantische, mit seinen eigenen Arbeiten über und über beschäftigte Lehrer nicht immer zum Besten. So, wenn der Meister, eine Aufgabe flüchtig durchblickend, ganz kurz sagte: »Das stimmt ja nicht!« erwiderte wohl der Feuerkopf von Schüler: »Es muß stimmen!« und rannte spornstreichs davon. –

Durch Abbé Gelinek's Vermittlung wurde nun der gelehrte und bescheidene Schenk in Vorschlag gebracht, um Meister Haydn zu ersetzen. Beethoven war damit einverstanden. Der gradus ad Parnassum von Joseph Fux ward vorgenommen und rasch an's Werk geschritten. Da entstand ein sonderbares Verhältniß, indem der neue Lehrer, die Größe seines Schülers erkennend, den höchsten Respect vor ihm empfand und sich selbst nur als Werkzeug betrachtete, um zur theoretischen Ausbildung des werdenden musikalischen Titanen sein Scherflein beizutragen. Der unruhige Kopf hielt aber nicht lange an, kaum ein volles Jahr währte der Unterricht.

Mitten hinein kam ein Zettel:

»Lieber Schenk!

Ich wünschte nicht, daß ich schon heute fort würde reisen nach Eisenstadt.« (Auch Haydn weilte dort und Beethoven war von dem Fürsten Eszterhazy für längere Zeit dahin berufen.) »Gerne hätte ich noch mit Ihnen gesprochen. Unterdessen rechnen Sie auf meine Dankbarkeit für die mir erzeigten Gefälligkeiten. Ich hoffe Sie bald wieder zu sehen und das Vergnügen Ihres Umgangs genießen zu können. Leben Sie wohl und vergessen Sie nicht ganz

Ihren Beethoven.«

Späterhin bildete sich bei aller ihrer Verschiedenheit noch ein innigeres Verhältniß zwischen den beiden Maëstri's aus und dauerte bis zu Beethoven's Ableben im Jahre 1827.

Der alte Schenk hatte in seiner Jugend viele Opern geschrieben, deren sich mehrere, wie »Die Jagd«, »Die Weinlese«, »Der Faßbinder«, durch längere Zeit auf dem Repertoire erhielten. Sein komisches Meisterwerk: »Der Dorfbarbier« war am 6. November 1796 im Kärntnerthortheater zum ersten Male zur Aufführung gelangt, mit Baumann als »Adam« und Weinmüller als »Lutz.« Die Oper erlebte viele hundert Wiederholungen und reicht bis in die Neuzeit, wo sich noch Nestroy als »Adam« versuchte. Zuletzt brachte das »Strampfer-Theater« die lustige Arbeit noch im Winter 1872 zur Darstellung und machte Glück damit. – Das Leichte, Gefällige, Zierliche und Anmuthige, mit einem gewissen naiven Humor gebracht, war das musikalische Element, auf welches Meister Schenk (wie auch Dittersdorf mit seinem »Doctor und Apotheker«) angewiesen war, wie schon die Wahl ihrer ländlichen und häuslichen Stoffe darthut; die Reinheit des Satzes, die nette Instrumentirung geben dem Gedanken zugleich eine gewisse klassische Vollendung.

Es war ein kleines, aber liebenswürdiges Genre. Damit gab sich aber der im Stillen überaus ehrgeizige Schöpfer des lustigen »Adam« nichts weniger als zufrieden. Eine große tragische Oper im Gluck'schen Styl schwebte ihm stets als Ideal vor der Seele und sollte endlich in einem heroischen »Achmet und Almazinde« in's Leben treten. Das Publicum ließ die Oper fallen, das Werk langjähriger Studien, gewissenhaften Fleißes. Der Componist war tieferschüttert, Schwermuth und Trübsinn bemächtigen sich seiner, ein heftiges Nervenfieber erfolgte. Der Kranke genas, wurde körperlich wieder vollkommen gesund und kräftig, allein die Kraft seines Geistes schien durch seinen Mißerfolg wie gebrochen. Der Mann hatte das Vertrauen auf sein Talent verloren. So zog er sich noch in ziemlich guten Jahren für immer von der gleißenden Bühne zurück, arbeitete für sich im Stillen, gab dabei Clavierstunden, doch mit Auswahl, nur in Häusern, die ihm sonst befreundet oder genehm waren. Er unterrichtete auch die Töchter des von ihm hochverehrten Hofcapellmeisters Weigl, die er mir oft genug als Muster anpries, denn der alte Schenk war der Hausfreund meiner Angehörigen und mein Clavierlehrer seit meinem achten oder neunten Lebensjahr. Er war groß und kräftig gebaut, immer nett und sauber gekleidet, nur mußte auch der neue Rock den alten Schnitt bekommen – so ging er stattlich einher, mit weißer Halsbinde, in kurzen Beinkleidern, Strümpfen und Schnallenschuhen. Zu Pantalons ließ er sich nur schwer bewegen, erst in seinen letzten Lebensjahren. Seiner Bildung nach gehörte Schenk der josephinischen Zeit an. Ohne gelehrte Erziehung, ohne geregelte Studien hatte er doch von jeher den größten Respect für Kunst und Wissenschaft. Außer einer bedeutenden musikalischen Sammlung schaffte er sich nach und nach eine Bibliothek der classischen Schriftsteller an, der nichtdeutschen in Uebersetzungen. Er las viel und eifrig, besonders historische Werke, und Namen wie Gibbon und Robertson kamen nie ohne Ehrfurcht über seine Lippen, wie ihm unter den Dichtern Klopstock und Gellert als die höchsten und unerreichbarsten Muster galten. Wie an seiner Person, so herrschte auch in seinem Wohnzimmer die größte Ordnung; wer ihn besuchte, erhielt den Eindruck einer abgeschlossenen, stillen, reinlichen Existenz, und so bot er im Ganzen das liebenswürdigste Bild eines behaglichen alten Junggesellen und Hagestolzen dar. Es gab Familien (worunter auch die meinige), in deren Kreisen er seit dreißig Jahren und länger heimisch blieb, und für welche er eine rührende Treue und Anhänglichkeit bewahrte, an allen häuslichen Ereignissen liebevoll theilnehmend, auch in bedenklichen Tagen, ohne sich aufzudrängen, immer zu Rath und Hilfe bereit.

Mein alter Jugendlehrer wurde im Laufe der Jahre mein wahrer väterlicher Freund, der auch große Stücke auf mich hielt. Ich machte ihn mit Schubert bekannt, und der alte Classiker ließ der neuen Romantik alle Gerechtigkeit widerfahren, wie er in der Folge auch an meinen dramatischen Versuchen und Erfolgen den innigsten Antheil nahm und den Vorstellungen meiner Lustspiele bisweilen beiwohnte, und zwar im Orchester, da seine Harthörigkeit zugenommen hatte.

Der gute Schenk war inzwischen immer älter und gebrechlicher geworden, hatte zuletzt die Lectionen aufgeben müssen. Ich benützte die Gelegenheit, um ihn auf sein Gewissen zu befragen, ob er nicht etwa in Verlegenheit gerathen, einer Beihilfe bedürftig sei. Der alte Mann, der mich in meinen jungen Tagen wie oft beschenkt hatte, durfte mir gegenüber offen sein, er versicherte mich aber, daß seine Bedürfnisse, wie ich wisse, gering seien, und daß er habe, was er brauche. So war es auch. Er besaß ein kleines aufgespartes Capital und seine Verhältnisse waren vollkommen geregelt; er lebte einen Tag wie den andern, kaum daß er sich ab und zu von mir in unser Gasthaus zu Tisch laden ließ. Er wollte nicht aus seinem Geleise heraus. Seit vierzig Jahren speiste er im »Jägerhorn«, saß täglich in demselben Winkel, bekam die gewohnten ausgiebigen Portionen immer um denselben Preis.

Eines Tages eröffnete er mir aber nach einer andern Richtung sein Herz. Er habe in seiner Jugend eine Oper geschrieben, die »Jagd« – berichtete der Greis; das Ding habe gefallen, sei jedoch unreif, erst jetzt, im Alter, und mit hinreichender Erfahrung wisse er, woran es fehle. Vor Allem am Text! Wenn ich ihm den umarbeiten, hübsche neue Strophen für Arien, Duette, Ensembles machen wollte! Ich ließ mich dazu herbei, schrieb ihm einen ganzen neuen ersten Act, worüber er entzückt war, sich gleich darüber hermachte. Ich sah die Arbeit als ein Spielzeug des Alters an, was es auch wohl war, und zögerte mit dem zweiten Act, da mich eben ein neues Lustspiel über und über beschäftigte.

Während dem war mein guter Alter nicht unbedenklich erkrankt; der Arzt und Freund, der ihn behandelte, fing an, vom Geistlichen und vom Testamente zu sprechen, wofür der arme Schenk durchaus keine Ohren hatte. So zog sich die Sache hin, bis die Schwäche des Dreiundachtzigers zunahm und man ihm die letzte Oelung verabreichen mußte. Nur ein mündliches Testament war mehr möglich. Ich wurde dazu berufen. Kapellmeister Weigl und ein junger Advokat, einer der letzten Schüler des Maëstro, auch einige Hausgenossen wohnten dem Acte bei. – Der schwer Kranke, befragt, wer sein Erbe sein solle, murmelte für sich, gab lange keine Auskunft; auf wiederholtes Drängen von Seite des Advocaten lallte er endlich: »Muß ich denn sterben?«

Man versicherte ihn des Gegentheils, doch gelte es, auf alle Fälle gefaßt zu sein – wem er also sein Hab' und Gut vermachen wolle?

»Vermachen?« wiederholte der Patient und suchte sich aufzurichten. »Einem Anderen vermachen? Dann hab' ja ich nichts, wenn ich am Leben bleibe.«

Man suchte ihm begreiflich zu machen, daß er für diesen erwünschten und gehofften Fall unbestrittener Eigenthümer bleibe und daß das Testament nur nach ihm zu gelten habe. – Es war nicht leicht, einem von jeher eigensinnigen und argwöhnischen Manne, der nun nicht mehr im Vollbesitz seiner Sinne war, die Sache begreiflich zu machen. Als es sich aber darum handelte, seinen Erben namhaft zu machen, da blieb der dem Scheiden Nahe vollkommen verstockt. Der junge Advocat fragte nun, ob Schenk Verwandte habe. – Dieser verneinte mit einer leisen Kopfbewegung. – Wen er also zum Erben einsetzen wolle? Der Rechtsfreund nannte mehrere Namen, auch den meinigen.

»Mein lieber Eduard« – hauchte mein ehemaliger Lehrer gerührt, und suchte meine Hand.

Ich war stummer Zeuge geblieben, hatte mich durchaus nicht in die Verhandlung eingemischt, befand mich überdies in einer eigenthümlichen Lage. Lange vor der Catastrophe hatte Schenk, wie mir der Rechtsfreund mitgetheilt, diesem eröffnet, daß ich der Erbe seines Vermögens sein solle; dieselbe Erklärung hatte er auch nach der Beichte noch in Gegenwart des Geistlichen von sich gegeben. Von da an verschlimmerte sich aber sein Zustand und er war wenige Stunden darauf nicht mehr vollkommen zurechnungsfähig. – Ein »Ja«, welches mich in Gegenwart der Zeugen als Erben bestätigte, war aus dem Kranken nicht herauszubringen; man nannte ihm also auch andere Namen, auch den Weigl's.

»Mein verehrter Hofcapellmeister« – hieß es – »mein lieber Eduard.«

Ob vielleicht die Beiden miteinander erben sollten?

»Sind Beide gute, liebe Männer – werden sich vergleichen.«

Das ginge nicht an, eine bestimmte Willenserklärung sei nöthig, der Namen des Erben müsse genannt werden. Der Sterbende brachte endlich nach langem Zureden den Namen »Weigl« hervor. – Der Advocat sah mich verwundert an. Ich winkte ihm leise, den Leidenden nicht länger zu quälen.

Hier war ein merkwürdiger psychologischer und pathologischer Fall. Kein Zweifel, der alte Schenk hatte mir seit Jahren sein Erbe zugedacht, doch trug er, wie viele Leute, eine gewisse Scheu, seinen letzten Willen niederzuschreiben – jetzt aber, da er sich mündlich erklären sollte, überkam den erschöpften Mann der gewohnte Respect vor dem gleichfalls gegenwärtigen Hofcapellmeister, seine Liebe für mich trat in den Hintergrund, und der Compositeur der »Schweizer Familie«, ein mehr als wohlhabender Mann, war zu seinem eigenen Erstaunen de facto Erbe des armen »Dorfbarbier« geworden.

Der Rechtsfreund war ärgerlich über die unerwartete Wendung und ließ nicht ab, den Kranken zu quälen, bis er aus dem Erblasser heraus bekam, daß mir sein Clavier und seine Bibliothek zufallen solle.

Ich dankte dem Himmel, als die peinliche Stunde vorüber war.

Am Christtag 1836, am frühen Morgen nach dem Abende des mündlichen Testamentes, hauchte mein alter Schenk seine kindliche Seele aus.

Weigl hatte mich ersucht, gemeinschaftlich mit ihm den Nachlaß durchzusehen. Wir fanden Wäsche und alte Kleider in Unzahl, ganze Laden voll Zwieback und Speiseresten, dagegen eine höchst werthvolle Musikaliensammlung. An baarem Gelde waren nur einige hundert Gulden vorhanden, allein eine hübsche Anzahl von »Tausendern« in Metalliques und Rothschild'schen Losen. Der verschlossene Schenk hatte sich gegen Niemanden jemals über seine verborgenen Schätze ausgesprochen. – Weigl schien fast verlegen über den unerwarteten Zuwachs seines ohnehin nicht unbedeutenden Vermögens. Er bat mich, ihn statt des alten Schenk zum Freunde anzunehmen. Das war wohl nur eine Redensart!

Ich hatte dem Erben von der Oper erzählt. Weigl wollte das Manuscript sogleich durchsehen, die Arbeit »seines verewigten und hoch talentirten Freundes« ergänzen, sie zu dessen Andenken zur Aufführung bringen. Ich sah Weigl im Leben nicht wieder, nach ein paar Besuchen und Gegenbesuchen, vernahm auch nichts mehr von der Sache.

So hatten wir meinen alten lieben Lehrer zu Grabe getragen. Das Legat, welches mir zugefallen, ein Brodmann'sches Clavier mit schwarzen Unter- und weißen Obertasten, stellte sich merkwürdiger Weise als dasselbe heraus, welches vor Jahren zu Grillparzer's ersten Uebungen gedient hatte.


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