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(Literarisches Zusammenleben in den 30er und 40er Jahren. – Grillparzer. – Raimund. – Anastasius Grün. – Nikolaus Lenau.)
Wem ihren Strahl die Freiheit einmal durch's Herz gegossen, Abfällt der nun und nimmer, trotz sond'rer Kampfgenossen! |
Nibelungen im Frack. |
Mit Schwind, Schubert, Schober, Feuchtersleben und andern Gleichgesinnten innig und treu verbunden, hatte sich mir der Kreis, in welchem ich lebte und strebte, bald vergrößert und erweitert. An Anastasius Grün und Nikolaus Lenau erhielten wir einen neuen und reichen Zuwachs. Alle die jungen Männer, so Künstler als Schriftsteller, waren eben im Beginn ihres Wirkens, dabei in anregendem und lebhaftem Verkehr mit einander. Was ein Jeder schuf, wurde gegenseitig mitgetheilt, besprochen, wie auch neue Stoffe, Pläne und Hoffnungen der Zukunft. Des Censur und sonstigen Geisteszwanges satt und übersatt, und seit der Juli-Revolution immer ungeduldiger, die Morgenröthe der neuen Aera über Oesterreich heraufbrechen zu sehen, fiel in dieser Richtung unter uns manches zündende Wort, welches bald in den »Spaziergängen eines Wiener Poeten« seinen warmen und schönen Ausdruck finden sollte. –
Inzwischen hatten wir unser geselliges Hauptquartier in Neuner's»silbernem« Kaffeehause in der Plankengasse so wie im Gasthause zum »Stern« auf der Brandstatt aufgeschlagen. Grillparzer, Karajan, Witthauer (damals Redacteur der Modezeitung), Christian Wilhelm Huber (in der Folge General-Consul in Alexandria), der Hofschauspieler Schwarz (der berüchtigte Chalife der Ludlamshöhle) bildeten mit mir und dem jungen und überlustigen Alexander Baumann, wie auch anderen Freunden, den Kern der Haus- und Stamm-Gäste, die sich jeden Mittag und Abend zusammen fanden. Der gesellige Kreis vergrößerte sich aber bald und gewann durch das Hinzutreten von anderen Schriftstellern, auch Malern, Musikern, Schauspielern, einen immer mehr literarisch-artistischen Anstrich. Mehrere deutsche Journale brachten Artikel über den »Stern« – nicht eben zu unserm Behagen, denn die Wiener Polizei konnte leicht aufmerksam auf den »Club« werden, ihm das Schicksal der Ludlam bereiten. Doch hatten sich die Zeiten inzwischen geändert und so ließ man uns gewähren, auch später, nach dem Tode des Kaisers Franz, als sich der Oppositionsgeist in Wien immer mehr und mehr zu regen begann, der denn auch unter uns gehörig wucherte, sich im dahinrauschenden Gespräch so wie in Aufsätzen in Prosa und Versen kund gab. Dem alten lustigen harmlosen Wiener Leben widerfuhr dagegen nicht minder sein Recht, auch wechselten Scherz und Ernst, und an lebhaft-geistreicher Mittheilung über Kunst und Literatur fehlte es nicht. Vor Allem war es Grillparzer, der mit Perlen des Geistes und Gemüthes nicht kargte, wie ihm auch in guter Stunde stets die schlagendsten Witzworte in Bereitschaft standen. Wie wir uns der Jahre, die er, der ältere Mann, mit uns zubrachte, in Freude und Dankbarkeit erinnern, so wird er auch gewiß seine treuen »Sternianer« nicht vergessen haben. Ich schmeichle mir, daß ich ihm Einiges gegolten habe und bis zu seinem Lebensende galt – und mit welchem Wohlwollen, mit welcher Wärme und Liebe er meine ersten Jugendversuche aufgenommen, steht für immer in meiner Brust gegraben.
Im Verlaufe dieser Wiener Skizzen wird wohl noch öfter von Grillparzer die Rede sein – hier nur so viel, daß er damals als treuer Kumpan mit uns hielt, sich auch von keiner Kundgebung unserer bisweilen übermüthigen Geselligkeit ausschloß. So an den Sonntagen, Winter wie Sommer, wo gemeinschaftliche Landpartien unternommen, zur schönen Jahreszeit wohl auch auf ein paar Tage ausgedehnt wurden. Im festen Schnee bei Nußdorf ward gelegentlich ein Wettlauf beschlossen, wobei unser »Sapphokles Istrianus« (sein ludlamitischer Spitznamen) mitrennen mußte, er mochte wollen oder nicht! Im Sommer 1831 machte er sogar mit Karajan und mir eine Fußreise von der Brühl über Heiligenkreuz, Lilienfeld, Mariazell u. s. w. bis Aussee und Ischl. Von Weichselboden aus wurde der »Hochschwab« bestiegen, leider unter Nebel und Regengüssen und sonstigen Beschwerlichkeiten, wobei der tragische Dichter nicht sparsam in ein: »Sei's!« oder: »Liebster Jesus!« – (seine Lieblingsstoßseufzer) ausbrach. –
Ein häufiger Gast im »Stern« war Ferdinand Raimund, dessen Talent wie Charakter Grillparzer überaus hoch hielt. Beide Dichter, auch in den feinen und nervös durchfurchten Gesichtszügen einander nicht unähnlich, waren zugleich echte Oesterreicher Naturen, nichts Gemachtes an ihnen, Alles einfach, wahr, Raimund mehr primitiv, ein wunderliches Gemisch von Naivem und Sentimentalem in seinem ganzen Wesen. Sein Humor war im Grunde harmlos, seine Scherze ab und zu kindlich; der tragische Grillparzer, weit schärfer in seiner Satyre, hatte dagegen einen aufmerksamen Blick für alles Lächerliche und Verkehrte. Das Sonnleitner'sche Blut floß in ihm. Grillparzer's Onkel von mütterlicher Seite war ein berühmter Wiener Witzbold; in dem Tragiker verdichtete sich der Spaß zur geistreichsten Ironie, die sich noch bis zu seinen letzten Tagen in Tausenden von Epigrammen Luft machte.
Eines Abends saß Raimund bis tief in die Nacht unter uns und gab seine Liebes- und Heirathsgeschichte mit Louise Gleich zum Besten. Das verehrte Publicum des Kasperl-Theaters, welches um das Verhältniß der Beiden wußte, hatte den beliebten Schauspieler und Dichter bei seinem jedesmaligen Auftreten so lange ausgezischt, bis dieser sich zuletzt entschloß, mit der Schönen zum Altar zu treten. Allein die Flitterwochen oder Monate waren bereits vor der Hochzeit genossen – und so konnte es nicht fehlen, daß der gemüthliche, verliebte, auch eifersüchtige Sonderling, mit der herzlosen Kokette verbunden, bald Höllenqualen auszustehen hatte. Die Details dieser wunderlichen Ehe müssen verschwiegen bleiben – Raimund's Darstellung des ganzen Verhältnisses, so wie gewisser Zwischenfälle, war geradewegs hinreißend. Der Komiker gab uns Anekdoten preis, die das Zwergfell erschütterten, dann kamen wieder weiche und zarte Empfindungen dazwischen, eine wirklich erotische Poesie, die uns die Thränen in die Augen lockte, bis ein neuer Theater-Klatsch sie uns wieder abtrocknete. – Auch Raimund's erstes Auftreten im Leopoldstädter-Theater, nach seinem Rücktritt von der Josephstadt, wurde uns abgeschildert. Er spielte für seine Existenz, für seine ganze Zukunft, von dem heutigen Erfolg oder Miß-Erfolg hing Alles ab. Er war bereits als »Hamlet, Prinz von Tandelmarkt« angekleidet, die Lampen waren angezündet, das Orchester stimmte – da wurde dem Gastspieler ein Brief mit schwarzem Siegel überbracht, der ihm den plötzlichen Tod einer damals heiß Geliebten meldete.
»Ich fing zu zittern an« – erzählte Raimund – »die Coulissen drehten sich wie im Kreise herum, ich konnte kein Wort hervorbringen. Da, als der Regisseur das Zeichen zum Aufziehen des Vorhangs gab, schluckte ich ein Glas Limonade hinunter. Wie ich dann auftrat, anfangs verwirrtes Zeug schwatzte, statt der Knittelverse, das Publicum schon anfing unruhig zu werden, ich endlich doch in Zug kam, applaudirt wurde, hervorgerufen – es war mir Alles wie ein Traum, ist mir's noch! So war nun der miserable Hamlet als erster Komiker engagirt – aber seine arme Ophelia war todt, blieb todt!« – So schloß der gemüthliche Raimund schmerzlich-lächelnd seine Erzählung.
Der leidenschaftliche Mensch hatte sich auch in früher Jugend, bei einem Theater in Ungarn engagirt, wegen einer Liebesgeschichte gelegentlich in die Raab gestürzt, war halbtodt herausgefischt worden.
Nach und nach hatten sich sämmtliche Wiener Schriftsteller häufig im »Stern« eingefunden, Saphir ausgenommen, gegen welchen Grillparzer sein Veto einlegte, wobei ich ihm secundirte. – Graf Johann Mailáth legte seine merkwürdigen Gedächtnißproben ab, der unglückliche Michael Enk aus Mölk, den das traurige Klosterleben und die Quengeleien seiner Mitmönche nicht wenig herunter stimmten und schließlich in den Tod jagten, versäumte es nicht, sich von Zeit zu Zeit in dem Freundeskreise aufzufrischen, auch Anastasius Grün erfreute uns bisweilen aus Thurn am Hart mit seinem Zuspruch. Nur unser melancholischer Freund Lenau konnte kein rechtes Behagen unter uns finden, und nach ein paar tollen Abenden, an denen kein »znsammenhängendes Gespräch« aufkommen wollte, wie er's liebte, hatte er sich für immer zurück gezogen. – Von Literaten sprachen sonst noch zu: Braun von Braunthal, L. A. Frankl, Castelli, Baron Schlechta, Draexler-Manfred, Gustav Frank, Franz von Schober, Marsano, Kaltenbaek und Andere.
Holtei kam in der Mitte der dreißiger Jahre nach Wien. Mit seiner zweiten liebenswürdigen Frau, einer gebornen Holzbecher, brachte er »Lorbeerbaum und Bettelstab«, die »Drillinge«, die »Wiener in Paris« und andere seiner Sachen mit größtem Erfolge auf die Josephstädter-Bühne. Für die Geselligkeit war der Selbst-Biograph der »Vierzig Jahre« und der Verfasser der »Vagabunden« ein wahrer Schatz. Er hatte Tausende von Abenteuern erlebt, war unendlich mittheilsam und erzählte noch weit besser als er schrieb. In seiner Nähe stockte kein Gespräch und wenn auch im Grunde ein elegischer Ton durch das Wesen des Schlesiers ging, so war er doch dabei jederzeit zu Scherzen und Possen aufgelegt, wie auch auf Landpartien und sonst die tollsten Streiche anzugeben immer bereit. Er wurde in den vierziger Jahren der Gründer des sogenannten »Soupiritums«, eines Ablegers der »Ludlam«, die sich bis zum heutigen Tage als »Gnomenhöhle« fortpflanzt. Daß Holtei uns gelegentlich mit einem norddeutschen Weinpunsch bewirthete, wobei er die gesammte österreichische Literatur unter den Tisch trank, mag nebenbei erwähnt werden. –
Von der Wiener Gemüthlichkeit war sonst viel die Rede! Nun, zu meiner grünen Zeit waren noch Spuren davon aufzufinden. So hatte man uns längst ein wackeres Bürger- und Ehepaar angepriesen, Besitzer eines Gasthauses in der Herrengasse, dem ständischen Gebäude gegenüber; die guten Leute, versicherte man uns, würden sich's zur Ehre schätzen, wenn wir einmal bei ihnen einsprechen wollten. So wurden Grillparzer, ich und noch einige Poeten ab und zu dem fixen »Stern« untreu und wir begaben uns in das schismatische Wirthshaus des Herr Adelgeist. Man hatte uns die braven Wirthsleute nicht ohne Grund angerühmt! Wirth und Wirthin, stattliche Erscheinungen, hielten auf Ordnung, gute und rasche Bedienung, waren immer selbst bei der Hand, legten dabei ein höchst freundliches und zutrauliches Wesen an den Tag, ohne sich an- und aufzudrängen, es waren echte Bürgersleute vom alten guten Wiener Schlag. Daß sie aber für Schriftsteller und Künstler eine besondere Achtung hegten, ihnen übermäßigen Respect erwiesen, das war jedenfalls eine Wiener Ausnahme. Wir wurden wie eine Art höherer Wesen behandelt, man konnte es dem Wirthe ansehen, wie schwer es ihm fiel, von uns Geld annehmen zu müssen. Die einzige Tochter der braven Leute, ein hübsches und blühendes Mädchen von siebzehn Jahren, bediente uns bei Tisch, in einem besonderen Zimmer, gemeinschaftlich mit Vater und Mutter. Den gewöhnlichen Gästen war die artige Kellnerin unnahbar. Wir waren bei Adelgeist's kaum warm geworden, als der Wirth mit höchst bescheidenen Manieren sich die Ehre ausbat, uns nächster Tage in seiner Privat-Wohnung mit einem kleinen Souper bewirthen zu dürfen. Herablassend wie Poeten sind, nahmen wir die Einladung an, die sich ein paarmal wiederholte. Die Hausleute waren über die Dichter entzückt, die wie die homerischen Helden aßen und tranken. Bei einem dieser Gelage, wobei der Champagner bis gegen drei Uhr Morgens nicht sparsam floß, fingen wir Alle in übermüthiger Laune zu tanzen an. Mir fiel die Haustochter zu, Grillparzer ergriff die stattliche Wirthin, die Lyriker und Dramatiker walzten miteinander, und ein übrig Gebliebener – der ernsthafte Witthauer, wenn ich nicht irre – hopste mit dem Hauspudel herum.
Im Ganzen hatte unser Hauswirth an uns Allen bisher schwerlich so viel verdient, als er bei diesem einzigen Festmahle d'rauf gehen ließ – und zwar mir zu Ehren, denn es war am Abend nach der ersten Ausführung der »Bekenntnisse« (am 8. Februar 1834). Marie Adelgeist beschenkte mich überdies mit einer hübschen Handarbeit und erbat sich dafür ein paar Verse in ihr Stammbuch. –
Unter diesen zeitweisen Schwänken und Tollheiten fehlte es auch nicht an ernsten Abenden und bedeutenden Mittheilungen, die häufig bis tief in die Nacht hinein währten und zu denen ausgezeichnete fremde Besucher nicht selten ihr Scherflein beitrugen. So hatte Hofrath Martius aus München im Frühjahr 1834 bei uns zugesprochen, und uns an mehreren Abenden nicht nur über die Abenteuer seiner Brasilianer-Reise mit Spix auf das Trefflichste unterhalten, sondern uns auch sein System der ursprünglichen und secundären Vegetation in großen Umrissen so klar und lebendig auseinander gesetzt, wie man sich dessen nicht von einem jeden deutschen Gelehrten zu versehen hat.
Aber auch die neueste und modernste Literatur sollte ihr Besuchs-Contingent beitragen! Es war, denke ich, noch vor Martius' Erscheinen, daß ein paar junge Leute uns im »Stern« aufsuchten, ein blonder und ein schwarzer Jüngling, der Verfasser des »Maha Guru« und der Herausgeber des »jungen Europa«, zwei seit Kurzem aufgetauchte Weltenstürmer und Schriftsteller, dem sogenannten »jungen Deutschland« angehörig – Karl Gutzkow und Heinrich Laube.
Die beiden revolutionären Genie's verweilten nur kurze Zeit in der Metropole des Polizeistaates par excellence, kamen auch meines Erinnerns kein zweites Mal in unsere literarische »Herberge der Gerechtigkeit«. Einige Jahre darauf, zur Zeit, da Wolfgang Menzel als Denunciant gegen das junge Deutschland auftrat, wurden Gutzkow und Laube mit Wienbarg und Heine in Einen Topf geworfen, der Bann über sie ausgesprochen. Ein österreichisches Regierungs-Circular verbot ihre sämmtlichen, gegenwärtigen und zukünftigen Werke. Und wieder nach einer Reihe von Jahren finden wir den quondam Weltenstürmer Heinrich Laube als artistischen Director des k. k. Hof-Burgtheaters! Doch hatte man ihm seine Jugendstreiche nicht völlig verziehen und eine zähe Hofpartei, die ihre Zeit abzuwarten versteht, wußte es dahin zu bringen, ihm seinen Posten zu verleiden. So zog das junge, inzwischen alt gewordene Europa wieder nach Leipzig zurück, von wannen es ausgegangen war.
Unser »Stern« aber hatte inzwischen seinen Höhepunkt erreicht, von da an geht's in jedem geselligen Kreise abwärts, bis der Glanz völlig verlischt. Der gute Raimund, der treffliche Enk hatten ein trauriges Ende gefunden, der urgesellige Holtei war für längere Zeit aus Wien geschieden, und Grillparzer, der seit Jahren treu zu uns und mit uns gehalten, zog sich plötzlich zurück. Der Mißerfolg seines Lustspiels: »Weh' dem, der lügt« hatte ihn verstimmt, und so verbittert, daß er jede Geselligkeit, jeden vertraulichern Umgang scheute und mied. So verlor er sich aus unserm Kreise und man hat nicht immer den Muth, ihn in seiner Klause aufzusuchen. Adler und große Genie's horsten gern einsam. –
Ein inniges Zusammenhalten von Schriftstellern und Künstlern, wie das eben geschilderte aus der alten naiven Wiener Zeit, ist heut zu Tage bei dem Journal- und Parteigetriebe kaum denkbar. An Parteien fehlte es zwar auch damals nicht, doch war es nur Einer vergönnt, sich zu rühren – die honneten Leute mußten schweigen, wenn das »System« in seinen beiden Leib-Journalen, der »Wiener-Zeitung« und dem »Oesterreichischen Beobachter« von Zeit zu Zeit versichern ließ, wie Alles in der Welt, besonders in der österreichischen, so ganz vortrefflich stünde! Bäuerle mit seiner »Theater-Zeitung« durfte als Neben-Lobhudler fungiren.
»'s gibt nur Ein' Kaiserstadt, 's gibt nur Ein Wien!« |
war die Parole des Tages. Das dicke Wien mit seinem Strauß-, Lanner- und Sperl-Dusel und dem Scholz- und Nestroy-Cultus bekümmerte sich auch blutwenig um öffentliche Dinge. Erst mit den Juli-Tagen kam die Peripetie. Das Glück der »Augsburger-Allgemeinen« datirt von daher. Die österreichische Regierung benützte das Volks-Vertrauen zu der, gelegentlich liberal schillernden Zeitung, und ließ durch ihre Seïden [Ergebene Diener. Seïd (Zaid), ein Sklave Mohammeds, war einer der Ersten, welche seinen Herrn als Propheten anerkannten; dafür beschenkte ihn Mohammed mit der Freiheit und verheiratete ihn mit der schönen Zeinab, einer Verwandten von sich. Seïd war ein begeisterter Schüler und Anhänger Mohammeds und blieb es auch, als ihm derselbe die Zeinab wieder nahm und selbst heiratete.] die öffentliche Meinung in dem Journal des Herrn von Cotta gehörig bearbeiten. Auch Saphir ist nicht zu vergessen, der mit seinem »Humorist« gleichfalls in das Regierungshorn stieß und ab und zu Allarm-Signale gegen uns liberale Schriftsteller erschallen ließ. Da aber der Werke meiner Freunde Auersperg und Lenau in keinem Wiener Journale erwähnt werden durfte (es war nicht einmal erlaubt, ihre Pseudonymen A. Grün und N. Lenau in österreichischer Druckerschwärze erscheinen zu lassen), so ließ man die Schreibehunde auf mich los, zur Strafe, weil ich mit den verpönten Schriftstellern zusammen hielt. Ich war also eine Art »Prügelknabe« für meine literarischen Genossen, und Bäuerle und Saphir gewissermaßen die offiziösen Vollstrecker der mir zudecretirten Schläge. –
Ich kenne Niemanden, der sich von seinen Jünglingsjahren bis in das volle Mannesalter so vollkommen selber gleich geblieben wäre, als Anton Alexander Graf Auersperg. Eine kräftige Natur, gesund an Leib und Seele, als geborner Krainer auch mit der nöthigen Ausdauer und Zähigkeit ausgerüstet, trieb er seine Studien mit Ernst und Fleiß und opferte der Muse anfangs nur schüchtern und insgeheim, gleich dem Verfasser der »Griseldis.« Einzelne Gedichte, die »Blätter der Liebe« und Anderes, tauchten als verschämte Erstlinge auf; »Der letzte Ritter« hatte seinem Verfasser bereits einen hübschen Namen verschafft. Als die »Spaziergänge eines Wiener Poeten« erschienen, die Vorstrahlen der in Oesterreich hereinbrechenden Freiheitssonne, da rieth man auf Diesen und Jenen. Der junge Dichter, verschlossen, sogar etwas schroff, wenig gesellig, nur unter Freunden aufthauend, ging zwischen den Hin- und Herrathenden still und schweigsam herum, und als zuletzt das Incognito nicht länger aufrechtzuhalten war, nahm er die Ruhmeskränze, die ihm jetzt und später reichlich zufielen, bescheiden hin, beinahe verlegen, und ließ sich durch nichts aus seinem männlichen Geleise bringen. Nur die Verfolgungen von Seite der Polizei machten ihn ärgerlich und verleideten ihm Wien, für das er sonst immer eine Vorliebe gehegt. Eine zeitlang dachte er sogar an Auswanderung. Inzwischen ging er auf Reisen, nach Frankreich, Italien, England und zog sich schließlich auf sein Thurn am Hart zurück, wo er seine Aecker, aber auch die »Rosen« pflegte, die in allen seinen Gedichten eine so große Rolle spielen. Drei- oder viermal im Jahre kam er übrigens immer nach Wien, wo er gewissenhaft niemals versäumte, jeden der Freunde besonders aufzusuchen. Wir waren mündlich und schriftlich stets im Zusammenhange geblieben, auch nach seiner Verheiratung mit Marie Comtesse Attems.
Nach Jahren, bei einem Besuche in Thurn am Hart, überzeugte ich mich von den glücklichen häuslichen Verhältnissen meines Freundes, sowie von dem Ernst und der Tüchtigkeit des Poeten, womit er sein Gut verwaltete, sein Eigen überhaupt als tüchtiger Haushalter zusammenhielt, vormundschaftliche und andere Geschäfts-Angelegenheiten besorgte. Dabei schlummerte seine Muse nicht, und der Name Anastasius Grün wurde immer gefeierter – die Vaterfreude aber, den Namen Auersperg in einem frischen und lebhaften Jungen fortzusetzen, wurde dem Dichter erst spät zu Theil.
Bei der Bewegung des Jahres 1848, welche uns Andere wohl über uns selbst und gelegentlich über alle Schranken hinaushob, bewies der Graf, Gutsbesitzer und Dichter denselben Mannesmuth und Freisinn wie bisher, nicht mehr, nicht minder – aber auch dasselbe Pflichtgefühl. Er verließ Gattin, Haus, Hof und Herd, um zuerst im Frankfurter Parlamente die Stelle im linken Centrum einzunehmen und im liberalen und großdeutschen Sinne zu stimmen, wie es seiner Natur gemäß war. Die Bezeichnung »alt-liberal« wurde wohl auch zu Zeiten als Schimpfwort angewendet – eigentlich bedeutet es aber doch das einzig Vernünftige und Mögliche, obwohl auch eine radicale und äußerste Partei als Stachel und zur Ausgleichung des Ganzen ihre praktische Seite haben dürfte. Radicalcuren sind sogar ab und zu nothwendig. Die Zeiten Schwarzenberg's und Bach's, der Reaction und des Concordats fanden den Grafen Auersperg als Gegner wie uns Alle.
Ich wiederhole es: mein Freund ist vom Anfang seiner Laufbahn bis zum heutigen Tage sich selber gleich geblieben – das Beste, was er thun konnte! Ich werde des Mannes im Verlaufe dieser Memoiren noch öfter zu erwähnen haben, auch bei Schilderung der Märztage und einer Art Don-Quixote-Zuges, den ich nach Hofe unternahm und bei welchem mir der Freund als fidus Achates zur Seite stand. –
N. Lenau und A. Grün, die poetischen Dioskuren Oesterreichs, waren durch geraume Zeit die gefeiertsten Dichternamen in ganz Deutschland, und Lenau's melancholische Lyraklänge fanden auch an den Ufern der Themse ihren Widerhall. Beide Dichter, ein jeder in seiner Weise, kämpften zugleich für die geistige Freiheit – natürlich, daß sich das »österreichische System« darüber erboste. Niembsch war jedoch in der angenehmen Lage, den Quängeleien der Wiener Polizei seine magyarische Nationalität als unnahbaren Schild entgegenhalten zu können. Die beiden schnell berühmt gewordenen Dichter waren sich zugleich traute Freunde und Genossen. Obwohl mich Naturell und Neigung mehr zu dem lebenskräftigen Dichter des »letzten Ritters« zogen, dem selbst ein gewisser Humor nicht fehlte, so hatte doch auch der ernste und grübelnde Schöpfer des »Savonarola« meinen Antheil in nicht geringem Maße geweckt. Jugend und geistiges, wenn auch nicht geradewegs verwandtes Streben sind rasche Bindungsmittel, und so hielten wir Drei bald fest zu einander.
Mit Niembsch war ein eigener Verkehr. Er war durchaus nicht ungesellig, und zeitweise auch zu Scherz und Possen aufgelegt, wie wir anderen Sterblichen; aber mitten in der Fröhlichkeit, im Gasthause oder sonst, verstummte er plötzlich, stierte in die Luft oder in's Trinkglas, in sich versenkt – oder er fuhr auf, wendete sich an mich oder sonst einen Freund: »Bruder, wollen wir nicht lieber ein zusammenhängendes Gespräch führen?« Bisweilen gingen wir auf seine Wünsche ein, und Literatur wie Politik wurden wohl bis in die tiefe Nacht hinein durchgesprochen; waren wir aber nicht in der Stimmung, lachten wir über seine Anforderung und fuhren fort, Witze zu machen, so ließ er es geschehen und konnte herzlich mitlachen. Unter seine näheren Freunde gehörte auch Dessauer, dessen melancholische Lieder ihn besonders anzogen, wie der dichterische Alexander Graf v. Würtemberg. In Dessauer, auch meinem alten Freunde, fand Lenau zugleich eine Natur, die ihm zusagen mußte, das ihm ähnliche, innige und sinnige Element; Beide waren zum Grübeln geneigt, schwärmten philosophisch und musikalisch mit einander – nur daß der Compositeur den häufig wilden und brausenden Poeten durch das Zarte, Weiche, beinahe Weibliche, das in seinem Wesen liegt, nicht selten glücklich zu beschwichtigen verstand. Alexander v. Würtemberg war einer der feurigsten Verehrer Lenau's, ihm zugleich in manchem pathologischen Zuge verwandt. Man kann sagen, daß die beiden Dichter schon in der Jugend den Keim des Todes in sich trugen. Alexander litt an einem dumpfen, fast unaufhörlichen Kopfschmerz. Bei Tische klagte er mir eines Tages, daß ihn sein Leiden heute besonders quäle. Er habe nun einmal das»Wespennest« im Haupte! Ich hielt das für eine Redefigur, wurde aber allen Ernstes belehrt, daß sich unfigürliche und wirkliche Wespen in dem Kopfe des schwäbischen Grafen angesiedelt, so gut wie die Poltergeister im Hause des gemüthlichen Justinus Kerner frei ein- und ausgehen mochten. Ich nahm die Aufklärung über die Wespen schweigend hin, ohne mir einen Witz darüber zu gestatten, da auch Lenau an das Wespennest seines Freundes unbedenklich zu glauben schien.
Beiden Männern wohnte eine besondere Zartheit des Gemüthes inne. Ich erinnere mich, daß sie, als ich in einem literarischen Kreise mein Lustspiel: »Der Vater« vorlas, der munteren und leichten Arbeit zwar im Ganzen ihren Beifall nicht versagten, allein gewisse sittliche Bedenken äußerten über die Figur einer koketten Putzmacherin, welche von dem Herrn Papa den Auftrag erhält, seinen Neuling von Söhnchen gewissermaßen zur Liebe vorzubereiten. Wie würden die strengen Moralisten erst in Schrecken gerathen sein über die dramatischen Erzeugnisse unserer Tage, so des Monsieur Dumas fils und eines Victorien Sardou! – Ein anderes meiner Lustspiele: »Industrie und Herz«, fand mehr Gnade vor den Augen meines rigorosen Freundes; er erbat sich sogar das Manuscript, um es in einer ihm besonders nahestehenden Familie vorzulesen.
Niembsch liebte ernstes Gespräch, und was er selber zur Unterhaltung beitrug, war nie ohne Bedeutung, sowohl dem Inhalte als dem Ausdrucke nach. Seine Lieblings-Lectüre war übrigens mehr eine philosophisch-theologische, als die historische oder poetische. Ich zweifle beinahe, ob er Shakspeare und Goethe genau und in allen ihren Werken kannte. Zu »Savonarola« machte er wohl ziemlich ausführliche historische Studien, aber auch theologische, die ihn überwältigten, so daß ihm die geschichtlichen Gestalten in ein gewisses mystisches Dunkel gehüllt, wie im Hohlspiegel, vor's Auge traten. Er wurde ernstlich böse, als ich ihn vor der gefährlichen Mystik und insbesondere vor dem Umgang mit einem schwedischen Theologen warnte, mit welchem er sich in die Irrgänge der Scholastik zu vertiefen liebte. »Das verstehst du nicht« – brauste er auf – »dafür bist Du zu leichtsinnig!« – »Und Du, lieber Freund, etwas zu schwerfällig, um das helle Leben der Medicäer naturgetreu zu schildern. Du hast nur deine Symbole im Kopfe, Dir fehlt der eigentliche historische Blick und Sinn, wie er zum Beispiel unserem Freunde Auersperg innewohnt.«
Lenau sah mich groß an. »Du magst vielleicht Recht haben, Bruder«, sagte er nach einigem Nachdenken, »aber ein jeder Vogel singt nach seinem Schnabel.« –
Unter seine Lieblingsschriftsteller gehörte Franz von Baader, dessen Ausspruch: »beim Teufel seien Licht und Wärme getrennt, er sei kaltes Licht und finstere Wärme« – er nicht oft genug citiren konnte. –
Als Einer der literarischen deutschen Stimmführer in den dreißiger Jahren Wien besuchen kam und wir ihm, mehr als nöthig, die Honneurs machten, äußerte sich Lenau verdrießlich: »Was soll uns das literarische Mastschwein? Bald kommt ein anderes, das vielleicht noch mehr gelehrten Speck ansetzt! Die Deutschen müssen immer so einen Popanz als Flügelmann haben, schon von Gottschedt's Zeiten her, bis ein neuer Leithammel kommt, der den alten verdrängt.« – Freund Lenau hatte richtig prophezeit. Dem grobschrotigen Wesen Menzel's machte das noch weit gröbere »junge Deutschland« ein rasches Ende. Der kritische Zuchtmeister aus Stuttgart hatte aber nicht übel Lust bekommen, den Aufenthalt in dem nüchternen und etwas langweiligen Schwabenland mit der genußreicheren Existenz in dem fetten Phäakien zu vertauschen. Man behauptete auch damals, der Mann habe in dieser Absicht insgeheim bei Metternich angeklopft. Der Fürst Staatskanzler, der sich um einheimische Schriftsteller nicht im Geringsten bekümmerte, hatte es in seiner Gewohnheit, zureisende deutsche Literaten von einigem Namen freundlich zu empfangen, auch ihren freisinnigen Aeußerungen ein geneigtes Ohr zu leihen, obwohl er ihnen dabei insgeheim an den Zahn zu fühlen verstand. War ihr Liberalismus echtfärbig, so erfolgte eine Schluß-Einladung zum Diner und damit war der Brutus abgefertigt. Dagegen hat es das österreichische System niemals verschmäht, »ausgerauchte« Liberale von Zeit zu Zeit in seinen Dienst zu ziehen, wie man ja auch ehemalige Spitzbuben als Polizei-Spitzeln zu verwenden pflegte. So bekam der übel berüchtigte Groß-Hoffinger die Bewilligung, in Wien seinen schmählichen »Adler« zu gründen. Die hofräthlichen Wiener-Anstellungen von Gentz und Adam Müller bis auf Jarke, Hurter, Bernard Meyer u. s. w. liefern übrigens den Beweis, daß auch bedeutendere Männer, freilich von mehr Talent als Charakter, nicht immer stark genug sind, den österreichischen Syrenen-Lockungen aus dem Universal-Kämeral-Zahlamte zu widerstehen; daß man aber in der Folge sogar einen untergeordneten Börsenspeculanten zum Hofrath gemacht, das konnte nur unter dem Sistirungs-Ministerium geschehen – das System Franz Metternich hielt zu sehr auf Anstand, um sich zu einer solchen Brutalität hinreißen zu lassen. –
Menzel erhielt keinen Antrag, in österreichische Staatsdienste zu treten. Vielleicht war die Gesinnung des künftigen »Franzosenfressers« damals noch nicht lauter und geläutert genug dafür! –
Lenau's Lebensweise war in keiner Hinsicht zu loben. Er lag halbe Tage im Bette, rauchte die stärksten Cigarren ohne Unterbrechung, trank schwarzen Kaffee dazu, was ihm, da er auch niemals freiwillig Bewegung machte, nach und nach die Eßlust gänzlich benahm. Goethe's Ausspruch in der »Pandora«:
– »aller Fleiß, der männlich schätzenswertheste, Ist morgendlich –« |
hatte unserem Freunde wohl niemals vorgeschwebt, der es nur liebte, bei nervenanspannender Nachtwache seine Phantasie walten zu lassen, in welcher die Zigeuner und ausgebalgten Geier die Stelle der Rosen von A. Grün vertraten; auch wurden die gewuchtig klingenden Verse nicht immer mit Leichtigkeit auf dem poetischen Amboß geschmiedet. Nichts ist gefährlicher als ein allzu glänzender Erfolg, und Achim v. Arnim's Bemerkung: »Das eigene Werk und die eigene Kunst gibt Ueberdruß; jenes, wenn es fertig und zu steigender Erfindung verpflichtet, diese, wenn wir über sie sprechen sollen« – ließ sich vollkommen auf Lenau anwenden. Er wollte sich mit jedem neuen Werke überbieten – das ließ ihn nicht zu Ruhe und Rast kommen; er duldete keinen Einspruch gegen irgend eine seiner Schöpfungen, vertheidigte seine poetischen Kinder, auch die minder gerathenen, wie die Löwin ihr Junges, und so mußte ihn auch die Art und Weise, in welcher sich Menzel und Gutzkow über seinen »Faust« aussprachen, in gelinde Verzweiflung bringen. Daß die Frauen den Sänger des »Weltschmerzes« besonders begünstigten, ist wohl begreiflich; auch war es eine Frau, deren Verehrung für ihn grenzenlos war, in deren geistiger Hingabe wie in ihrem Wesen, ihrer ganzen Persönlichkeit er seine höchste Befriedigung gefunden hatte. Die ganze Familie dieser Dame war zugleich gewohnt, den Dichter als den eigentlichen Mittelpunkt ihres geselligen und gemüthlichen Seins zu betrachten und danach zu behandeln, ihm auch alle äußere Behaglichkeit und Bequemlichkeit zu verschaffen, jede seiner Launen nicht nur zu befriedigen, sondern sie zu errathen und ihnen zuvorzukommen, was dem Gefeierten nicht eben unangenehm war. Auch in Stuttgart, wohin er sich häufig begab, erwartete ihn ein ähnliches, poetenbegeistertes Haus, das er wie sein eigenes ansehen durfte. Bei solcher Verzärtelung von Seite seiner Verehrer und Verehrerinnen, die jedes rauhe Lüftchen von ihm abzuwehren sich bemühten, mochte es kein Wunder nehmen, wenn er sich einer Art Quietismus ergab und der Anbetung, die man ihm angedeihen ließ, kein unübersteigliches Hinderniß in den Weg legte. Der Umgang mit den Freunden wurde demungeachtet fortwährend unterhalten, nur ließ sich der contemplative und etwas bequeme Poet äußerst selten dazu bewegen, an unseren großen Fußtouren theilzunehmen, die wir leidenschaftlich betrieben. Ein einzigesmal konnten wir ihn zu einem derlei Ausfluge bewegen, welcher glücklicherweise im Wagen begann und woran auch A. Grün theilnahm. Wir fuhren nach Mauerbach und wollten von da aus den Tulbinger Kogel besteigen. Im Gasthause wurde ein Mittagsmal bestellt – dann flugs auf die Beine! Wir waren kaum ein paar hundert Schritte gewandert, als mein guter Niembsch innehielt. »Da ist ein prächtiger Baum« – sagte er –»wie wär's, wenn wir im Schatten ein wenig ausruhten?« – Es geschah nach seinem Willen, und der Freund hatte nicht übel Lust, ein »zusammenhängendes Gespräch« einzuleiten, allein meine Ungeduld trieb vorwärts. Die Andern sprangen auf – nur Einer blieb liegen. »Bruder« – flehte er mich wie wehmüthig an – »laß mich da – ich erwarte euch!« – Alle Einwendungen waren vergebens; er blieb liegen. Und als wir nach mehreren Stunden wiederkamen, lag er noch auf demselben Flecke, still vor sich dahinbrütend. Es wohnte ein Stück der melancholischen Puszta-Einsamkeit in dieser Poetenseele! –
Niembsch wurde zuweilen von Heiratsgedanken überschlichen, und er war vielleicht nahe daran, die geistreiche Caroline Unger heim zu führen, was zu Beider Wohl unterblieb. Ich glaube überhaupt nicht, daß der grübelnde Dichter zur Ehe geeignet war, und wenn er an Heirat dachte, so leitete ihn vielleicht eine Art Instinct, sich von den Fesseln jenes metaphysischen Verhältnisses zu befreien, welches mehr auf ihm lastete, als ihm wol selber deutlich war. Plötzlich, im Hochsommer 1844, hieß es, er sei Bräutigam.
Ich erschrack über die Nachricht, noch mehr über den Freund, als er nach Wien kam und eine gewisse kindliche oder soll ich sagen kindische Bräutigamsseligkeit zur Schau trug. Die Wogen des Liberalismus schlugen damals bereits hoch auf in Oesterreich; wir dachten an nichts als an die ständische Opposition, die sich mächtig zu rühren begann, schmiedeten Artikel in die »Grenzboten«, träumten von Preßfreiheit, ich hatte überdies bereits einen »Deutschen Krieger« in petto – und nun kommt uns Einer, der an alledem keinen Antheil nimmt, uns dagegen sein künftiges häusliches Glück ausmalt, die Zimmer-Einrichtung beschreibt bis auf die Möbel und Fenstervorhänge, der von den Reizen und dem poetischen Gemüthe seiner Braut schwärmt – kurz, eine Geßner'sche Idylle mitten in der Epopöe, die sich uns bereits aufzurollen schien! Wir ließen den Schwärmer laufen. Er reiste ab – und bald kam die Kunde der tragischen Katastrophe in Stuttgart!
Das Jahr darauf, nach meiner Rückkehr von London und Paris, kam ich über Stuttgart und besuchte den Schauspieler Moriz, der mich nach Winnenden begleitete. Der Vorsteher der Anstalt, Doctor und Hofrath Zeller, empfing mich mit der Bemerkung, es sei schade, daß ich nicht einen Tag früher gekommen – gestern habe sich der Kranke vortrefflich befunden, heute sei er etwas unruhig. Er habe übrigens von meinem Besuche gehört und freue sich darauf. Wir wurden sonach in seine Zelle geführt. Wir treten ein. Niembsch ruft mich an: »Ah, Banernfeld!« und umarmt mich. – Er ist stärker geworden, seine Haltung kräftiger, die Gesichtsfarbe gesünder, das Auge feurig. aber wilder, unheimlicher als sonst; der lange Bart, die weite flatternde Blouse geben ihm das Ansehen, als wäre er in einer Art Costüme – er ist schön wie Tasso. – Wir waren in Begleitung des Arztes gekommen und fanden den Wärter bei dem Kranken; dieser machte die Honneurs seines Zimmers und rückte Stühle zurecht. Im Gespräch verwirrte er sich bald, sprang von einem Gegenstande auf den andern, lachte auch viel, was immer seine Gewohnheit war, unterbrach sich selber mitten in einem Satze, auch lateinische Floskeln von natura naturans und natura naturata und dergleichen wurden ohne eigentlichen Zusammenhang dazwischen vorgebracht. – Er führte mich ans Fenster. »Siehst du den schönen Thurm?« sagte er. »Da drinnen hausen Geister« – setzte er geheimnißvoll hinzu. »Ja Geister – Gespenster – spectra!« – Hierauf wieder ein lautes Lachen. Ich gab ihm eine Cigarre, er rauchte, schien etwas ruhiger geworden, und so gingen wir in den Garten. Ich wandelte eine zeitlang Arm in Arm mit ihm, sprach von unbedeutenden Dingen, suchte ihn bei der Stange zu halten. Da er sich des Neuner'schen Kaffeehauses, sowie unseres Gasthofes »zur Stadt Frankfurt« mit Vergnügen zu erinnern schien, so lenkte ich das Gespräch nach und nach auf Personen, die ihm werth waren, wie A. Grün und Dessauer; er äußerte einigen Antheil, der aber bald wieder verschwand und sich mit Unsinnsbildern untermischte. Er sang oder summte dazwischen, mit tiefer Baßstimme, immer lauter, unheimlicher; dann pflückte er Blumen, gab sie abwechselnd mir und Moriz. Dem Letzteren überreichte er auch ein Blatt und einen dürren Zweig mit den Worten: »Diese Bekanntschaft danke ich Ihnen.« Er brach unreife Aepfel ab, wovon er mir einen schenkte; er biß auch in die saure Frucht, und als ich ihn abhalten wollte, meinte Hofrath Zeller, das schade ihm nicht, wirke sogar günstig bei seiner Constitution – er esse übrigens viel und mit Appetit.
Im Gespräche wurde auch jener Frau erwähnt, für welche Lenau eine so große Verehrung hegte. Er selbst nannte ihren Namen zuerst und sagte zu mir halb lachend: »Ich weiß, du hast was gegen sie – auch gegen mich – aber ein reines Verhältniß, Bruder, ein reines Verhältniß! Sie ist ausgezeichnet, sag' ich dir, ausgezeichnet! Und so gebildet, so gut – (laut lachend) und sie spricht vortrefflich Französisch.« – Darauf, zu Moriz gewendet, der ihm als Schauspieler vorgestellt worden: »Ich werde auf dem Stuttgarter Theater den Verrina spielen – die Stuttgarter werden sich wundern!« – Hierauf wieder eine laute Lache. Auch einige ungarische Erinnerungen mischten sich bei, sowie Ideen von Kampf und Schlacht. Wir kamen zu einer Schaukel, der Doctor schaukelte ihn. Er sang – seine Miene bekam einen immer wilderen Ausdruck, sein Singen wurde ein Brüllen – es war beinahe schauerlich, trotz des sonoren und kräftigen Organs. Der Doctor hieß ihn aus der Schaukel steigen, es thue ihm nicht gut. Der Kranke gehorchte ohne Widerspruch. Kein Zweifel, mein Besuch hatte ihn aufgeregt – ich flüsterte das dem Hofrathe Zeller zu, welcher meine Meinung theilte. Wir blieben hinter den Bäumen zurück; der Patient, der wieder laut zu singen begonnen, wurde von dem Assistenten in seine Zelle zurückgeführt.
Was ich selber gesehen und erfahren, so wie was mir Aerzte und Wärter der Anstalt, die ich befragte, an Details mitgetheilt, ließ mich wenig Hoffnung für unsern Kranken schöpfen. Dr. Zeller war anderer Ansicht. Der Ausgang sei freilich immer ungewiß, meinte er, aber er hoffe den Dichter zu heilen. Zu ruhiger Zeit äußere dieser die scharfsinnigsten Gedanken, spreche auch milde über Personen, nur äußerst strenge über Literatur und mit höchster Präcision, wobei es an den erhabensten Ideen nicht fehle. Erst unlängst habe er sich geäußert: »sein Zustand sei ihm zum Heile geworden, denn er habe nun einen persönlichen Gott gewonnen«. Er bat auch seinen Arzt, »er möchte die Geduld nicht verlieren, er werde gewiß genesen. Das Meer sei oft unruhig, und wenn der tiefste, sonst stille Grund aufgewühlt worden, dann halte es schwer, diesen wieder ins Gleichgewicht zu bringen!«
Dr. Zeller meinte ferner: wenn der Kranke Blumen, Blätter und dergleichen schenke, so müsse man das bei einer so poetischen Natur nicht wie das Behaben eines gewöhnlichen Narren annehmen. Lenau denke sich das Schönste und Erhabenste dabei.
(Kommt das bei anderen Patienten seiner Art nicht vielleicht gleichfalls vor? Das Gleichgewicht der Seele in der Anschauung, im Denken und Empfinden ist nun einmal gestört – und worin besteht die Geisteskrankheit, als darin, daß man die Dinge sowie die Ideen anders ansieht, als sie sind, und in einem anderen Nexus, als dem der Vernunft und Logik, der für gesunde Menschen gilt?)
Wir äußerten gegen den Hofrath, daß sein Beruf, wenn auch theilweise lohnend, sich doch im Ganzen als ein höchst schwieriger, ja peinvoller herausstellen müsse. Der wackere Mann – seit zwölf Jahren leitete er die Anstalt – verhehlte uns nicht, daß es ihm, wenn er sich auf ein paar Tage aus der Mitte seiner Kranken entferne, immer Ueberwindung koste, sich wieder hineinzufinden. In meinem Tagebuch vom Jahre 1845 finde ich folgende Stelle über den Arzt und seinen Patienten: »Dr. Zeller ist ein edler und geistreicher Mann; aus Allem geht aber hervor, daß er seinen Kranken zu günstig beurtheilt. Ich kann fast nur glauben, daß dieser Zustand in Blödsinn ausgehen werde.« –
Daß mich die Stunde mit dem kranken Freunde mächtig ergriffen hatte, mag man sich wohl denken! Ich hielt aber an mich und suchte meiner Empfindungen Herr zu werden, da ich als eine Art Beobachter gekommen war und in Wien über meine Autopsie zu berichten hatte. Moriz dagegen, ein gemüthlicher und weicher Mensch, war von der tragischen Zusammenkunft mit Lenau, den er nur aus seinen Werken kannte, so ergriffen, daß er immer stumm und unter hervorquellenden Thränen hinter uns herschlich, und noch auf dem Rückwege, in Waiblingen, wo wir zu Mittag aßen, den entsetzlichen Eindruck nicht loswerden konnte. Indem ich mir nun alle Mühe geben mußte, den bedenklich aufgeregten Freund zu beschwichtigen, hatte ich mich innerlich abermals selber zu bekämpfen, und erst in Stuttgart im einsamen Zimmer gelangte ich dazu, die eigentliche Trauer um den so gut wie Verlorenen nachzufühlen.
Nach meiner Rückkehr legte ich den Verwandten und Freunden des Kranken in Wien von meinem Besuche in Winnenden gewissenhafte Rechenschaft ab; aber erst viel später, nachdem sich Lenau's Zustand bedeutend verschlimmert hatte, im Mai 1847, ward er nach Oberdöbling zu seinem Freunde Dr. Görgen gebracht. Anfangs schien es sich mit ihm zu bessern; die gewohnte Umgebung von Freunden und Angehörigen that ihm wohl, er spielte bisweilen Violine, sprach ab und zu ein Wort, das wie verständig klang – obwohl es auch an wunderlichen Aussprüchen nicht fehlte. So betrachtete er eine Büste lange Zeit und fragte endlich: »Wer ist das?« – Das sei Plato, hieß es.
»Aha! Plato!« murmelte er – »der die dumme Liebe erfunden hat!«
Bald verschlimmerte sich sein Zustand, und meine Ahnung von 1845 sollte sich leider bewahrheiten. Das Thierische gewann immer mehr Oberhand über den Geist. Als ich den Freund mit A. Grün das letztemal besuchte, kannte er uns nicht mehr, sprach auch kaum in articulirten Lauten. Erst beim Fortgehen rief er uns nach – Auersperg behauptete, er habe meinen Namen genannt. Wir kehrten zurück, konnten aber nichts weiter aus ihm herausbringen.
Die Hülle des Dichters wurde am 22. August 1850 zur Erde gebracht. – Der Eine der Dioskuren, der sich das Motto gewählt:
»Der Mensch muß sterben, darum eilen,«
hat seit lange vollendet.
Trauern wir darüber! Aber freuen wir uns, daß sein Genosse, welcher die Freiheit nicht nur im Dichtermunde, sondern auch in seinem Mannesherzen trägt und pflegt, noch immer kräftig und frisch-thätig unter uns wandelt wie damals, als ihm die Göttin ihren Strahl zum erstenmal »durch's Herz gegossen«!