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(In Graz. – Die Mai- und Octobertage. – Brünn und Wien.)
Der Weltgeist macht die Politik.
Doblhoff.
Die Kunde von dem großen politischen Ereignisse der Märztage war durch Freund Auersperg zuerst nach Graz gelangt und zwar bereits am 16. März 1848. Erst vier Tage darauf erfolgte die officielle Mittheilung. Der alte gemüthliche Schlendrian! Oder war's Widerwillen der Behörden gegen die neue constitutionelle Aera?
Im April kam ich nach Graz. Auf den Wiener Tumult wirkte die Ruhe der anmuthigen Provinzstadt doppelt wohlthätig. Der Grazer Liberalismus war damals noch im hohen Grade kindlich und unschuldig, und man durfte sich anheischig machen, die ganze Steiermark mit leichter Mühe in »Ruhe und Ordnung« zu erhalten. An den gefürchteten »Democraten« fehlte es zwar durchaus nicht, an ihrer Spitze der berüchtigte Emperger. Er schwärmte für Deutschland und drängte auf entschiedenes constitutionelles Regiment – beiläufig wie meine Wiener Freunde. In diesem Sinne stellte er sich auch häufiger beim Gouverneur ein, als diesem erwünscht war, wollte ihn zu »energischen Schritten« veranlassen, die eben nicht in der Natur des überaus humanen und liebenswürdigen, nur etwas unentschiedenen, ja ängstlichen Grafen Wickenburg gelegen waren. Er hatte viel für die Provinz gethan, dabei einen Theil seines Vermögens aufgeopfert, sich auch bisher einer großen Beliebtheit erfreut. Allein die neue Bewegung war ihm über den Kopf gewachsen, wie später dem Volke, das er im Geleise erhalten sollte. –
Die Grazer Ruhe wurde bald gestört. Mitten in der Nacht ertönte Feuerlärm. Es brannte in irgend einer Fabrik, in der Nähe der Stadt. Mein Hausherr als »Garde« mußte hinaus. Oft war's nur blinder Lärm, aber nicht selten auch Ernst, und mein gequälter Garde kam erst gegen Morgen völlig erschöpft nach Hause zurück. – Kein Zweifel, diese Feuer waren gelegt! Man rieth daher dem Gouverneur, sogleich das Standrecht zu verkündigen. –
»Wie kann ich? Ohne Weisung aus Wien?« –
»So telegraphiren Sie!« –
»Was hilft's? Wenn ich bei Pillersdorf anfrage, so kommen lauter glatte, ausweichende Antworten. Ich soll mich mit den Leuten verhalten, jedes Aufsehen vermeiden. Dabei macht man mich verantwortlich für die Ruhe der Provinz. Kann man da scharf auftreten? Und soll ich den letzten Rest meiner Popularität in die Schanze schlagen, da ich zuletzt doch nur auf gütlichem Wege das Ganze noch im Geleise erhalte?« –
So konnte man den armen, mehr gubernirten als gouvernirenden Gouverneur in jenen Tagen bitter klagen hören.
Die nothwendig gewordene Maßregel kam demungeachtet zur Ausführung. In einer Nacht stand abermals eine Fabrik in Flammen. Der mehr erschrockene als schreckliche Emperger lief zum Gouverneur.
»Excellenz, wir müssen Standrecht haben!« rief er ihm von weitem zu. So ward nun das Auskunftsmittel nach den Willen der Democratie in's Werk gesetzt, ohne weitere Anfrage nach Wien. Von der Stunde an konnten wir ruhig schlafen, mein »Garde« und ich. –
Die Pillersdorf'sche Constitution hatte sich in dem inzwischen bereits »fortgeschrittenen« Graz nur geringen Antheils zu erfreuen. Auch Wien verhielt sich gleichgiltig gegen eine Urkunde, welche mehr freiheitliche Grundsätze und Bestimmungen enthielt und in Aussicht stellte, als man sich noch vor sechs Wochen nur jemals konnte träumen lassen. Man wollte aber noch mehr und immer mehr! Der Appetit kommt mit dem Essen. – Mit dem alten Oesterreich stand es übrigens schlimm genug. Ungarn hatte sein eigenes Ministerium und war schon damals so gut wie losgerissen, Böhmen verfolgte ähnliche Ziele, in der Lombardei war offener Krieg, in Galizien ein Aufstand vor der Thür – und die deutsch-österreichischen Provinzen prangten wohlgemuth in den »deutschen Farben«, denen, so oft sie sich blicken lassen, nach Heine's Bemerkung, stets eine neue Dummheit auf dem Fuße nachzufolgen pflegt. – Wo war nun das Gesammt-Vaterland? In gewissem Sinne hatte Grillparzer (damals) recht, wenn er von der Armee gesungen:
»In Deinem Lager ist Oesterreich!« –
Allein die democratisirenden Oesterreicher wollten von der Soldateska, die im Dienste der »Reaction« stünde, nun einmal nichts wissen! So kam es zwei Monate später nach Radetzki's Siegen in Italien dahin, daß der Antrag im Wiener Reichstage auf ein Vertrauensvotum für die österreichische Armee: »sie habe die Ehre des Vaterlandes gerettet« – wegen Zischens der Linken fallen gelassen wurde. Jedenfalls eine Kurzsichtigkeit und folglich ein politischer Fehler! Denn die Armee hatte ja damals gegen die Feinde Oesterreichs, gegen Piemont und die päpstlichen Crocciati gestritten. –
In den ersten Tagen des (sonst) Wonnemonats Mai begab ich mich durch's Gebirge über Mariazell zu dem alten Castelli nach Lilienfeld. Dort erhielt ich einen Brief meines Freundes Doblhoff, vom 9. Mai datirt, doch an verschiedenen Tagen mit Unterbrechungen geschrieben. Die öffentlichen Dinge werden darin eben nicht im rosenrothen Lichte geschildert und die feste Begründung unserer constitutionellen Freiheit stark angezweifelt. –
»Unser Zustand hier« – heißt es in dem Schreiben – »ist Anarchie, unser Zustand draußen Verfall der österreichischen Monarchie; wir werden hin und her gerissen, um zu helfen oder abzuwehren, allein das Wasser dringt von allen Seiten ein. Ich werde genöthigt, ein Ministerium zusammen zu setzen und ich bin auch bereit, auf dieses Schaffot zu steigen, allein ich besorge, daß es mir nicht gelingen wird, ein Ministerium zu bilden, das kein todtgebornes ist.« –
»Abermals unterbrochen melde ich dir, daß ich ohne meine Zustimmung zum Minister des Ackerbaues, des Handels und der Gewerbe ernannt wurde. Mit peinlichem Gefühle und nur den Vorwurf widerlegend, daß ich mich von Anderen in der Bereitwilligkeit, dem Vaterlande Alles aufzuopfern, übertreffen lasse, habe ich angenommen; allein ich habe die Bedingungen meines Verbleibens gestellt, und werden sie nicht erfüllt, so trete ich aus und die Zurückbleibenden mögen sehen, daß sie sich in dieser Unentschiedenheit und Schwäche erhalten. Bedaure mich, daß ich Einer der Ersten politisch begraben werde; bedaure Jeden, der verpflichtet ist, seine Rolle auf dieser schwankenden Bühne auszuspielen.« – –
In diesen Zeilen gibt sich der Charakter des ehrlichen, biedern Mannes kund, welcher, ohne allen Ehrgeiz, des eigenen Vortheils uneingedenk, nur darauf bedacht ist, seine Pflicht zu erfüllen, dabei rastlos zu arbeiten, und so bis in sein Alter, bis zu seiner letzten Stunde, welche ihm am 16. April 1872 schlug. Ehre seinem Andenken! Zum Minister in so bewegter Zeit hatte er freilich kaum das Zeug, auch waren ihm die Hände nach Oben beiläufig gebunden und von Unten gähnte das Chaos. –
Der eigentliche politische Hexen-Sabbat hatte am 15. Mai 1848 begonnen. Systeme und Ministerien wechselten seitdem in rascher Folge bis zum heutigen Tage. Kein Mann hielt Stand, keine Idee – leider auch keine Armee. Der letzte und schlimmste Wirrwarr vom Februar bis October 1871 lenkte im November in eine bessere Phase ein. Möge sie sich dauernd erhalten! Bisher konnte man aber mit Proudhon ausrufen:
»Car en vérité nous ne pouvons plus dire le soir, par qui nous aurons l'honneur d'être gouvernés le matin!« –
Am 16. Mai kehrte ich nach Wien und zu Freund Doblhoff zurück, den ich so entmuthigt fand, wie sein Brief ihn darstellt. Die Stimmung der Wiener wechselte zwischen Uebermuth und Hoffnungslosigkeit oder Abspannung. Die plötzliche Entfernung des Kaisers nach Innsbruck brachte zuerst eine wunderliche und unerwartete Wirkung hervor. Man hatte Unruhen befürchtet – und siehe da, Militär, Nationalgarden und akademische Legion machten gemeinschaftliche Patrouillen durch die Straßen Wiens, mit ernsthaften, ja ängstlichen Mienen, allein nichts regte und rührte sich; das Proletariat, dieser beständige Wiener Cauchemar, war wie verschwunden, es herrschte allenthalben »Ruhe, Ordnung und Sicherheit.« Am 19. Mai finde ich hierüber die Stelle in meinem Tagebuche: »Heute sind die Wiener wieder so niedergeschlagen, daß sie sich zur Abwechslung nach Metternich sehnen.«
Das hielt aber nicht an, und der 26. Mai und die Baricaden blieben nicht aus. »Democratische Monarchie« war damals das Losungswort. Die Wiener Zeitung, einen Tag ohne Adler, nahm ihn aber gleich wieder auf, erschien in der Folge als Staatszeitung.
Inzwischen hatte die Frankfurter Deputation dem Erzherzog Johann seine Wahl zum Reichsverweser überbracht.
Mit dem liebenswürdigen Raveaux und dem grundgescheiten Heckscher kam ich bald in ein vertrautes Verhältniß. Am 8. Juni machten die Deputirten eine halbofficielle Lustfahrt nach Reichenau auf erzherzogliche Kosten und unter Führung meines Freundes Gutherz, der in Frankfurt mit ihnen getagt hatte. Jucho, Saucken-Tarputschen aus Preußen, Rottenhan aus Bayern, Schilling und Mühlfeld aus Oesterreich fuhren mit mir und Anderen in offenen Hofequipagen, Cigarren rauchend, zum Bahnhof. Von da eine Art Triumphzug. Auf jeder Station prangten Blumenkränze und Guirlanden und eine Unzahl deutscher Fahnen; die Bürgermeister und die Nationalgarden machten die Honneurs, eine Masse Volkes hatte sich allenthalben eingefunden, und die tönenden Reden der Deputirten von deutscher Einheit und vom freien Oesterreich erregten einen weithin schallenden Enthusiasmus. Bei Waißnix war Festdiner. Natürlich wieder Reden und Toaste auf den Reichsverweser, auf die Constitution u. s. w.
Beim Nachhausefahren unter Fackelbeleuchtung abermals Reden auf jeder Station. Ich hatte bereits an die dreißig derlei Speeches gezählt, vermochte kaum mehr zuzuhören, noch konnten sich die Redner vor Heiserkeit verständlich machen. Vor dem Wiener Bahnhofe, der festlich beleuchtet war und von Garden und Bürgern wimmelte, erwarteten uns die längst sehnlichst von mir herbeigewünschten Hofequipagen – doch das Vivatgeschrei und die Aufforderungen zum Reden wollten auch dort kein Ende nehmen. Wir saßen bereits im Wagen, da erhob sich Mühlfeld an meiner Seite und brachte mit seinem gewaltigen Organe die deutsche Begeisterung noch ein letztesmal zum vollgiltigen Ausdruck. Nun fuhren wir um eilf Uhr Nachts davon, und die jubelnde Menge eilte uns nach. Ich fiel todesmüde in mein Bett. Aber man mußte sich sagen: Wien fühlte sich an diesem Tage wirklich als eine deutsche Stadt!
Beim Erwachen aus dem Begeisterungstaumel fand man die alte gemüthliche Anarchie auf den Straßen wieder; Niemand wußte, wer uns eigentlich regierte, und so bekam der spätere Ausspruch, daß der »Weltgeist« die Politik mache, gewissermaßen seine Berechtigung und Bestätigung.
Der 8. Juli 1848 war ein heißer Tag! Erzherzog Johann, seit Kurzem als Alter ego des Kaisers in Wien, wurde dringend in Frankfurt verlangt, die Eröffnung des Wiener Reichstages stand vor der Thür, Pillersdorff war allgemein mißliebig geworden und man wußte, daß der democratische Club und der»Ausschuß« auf die allsogleiche Entfernung des Ministers und auf Ernennung eines neuen »volksthümlichen« Ministeriums bei dem Stellvertreter des Kaisers antragen würden – und zwar heute noch. – An demselben Tage gab Eduard Todesco den Frankfurter Deputirten ein Festmal, an welchem ich mit Bach, Mühlfeld, Hornbostel und anderen Freunden theilnahm. Auch Damen waren zugegen. Die Stimmung war demungeachtet begreiflicherweise eine nicht besonders heitere. Da kam plötzlich die Nachricht, der Erzherzog habe der Democratie nachgegeben – Pillersdorff war im Handumdrehen gestürtzt, Doblhoff zum Minister-Präsidenten ernannt und beauftragt, ein Ministerium zusammenzustellen. Wir erwarteten den neuen Dignitar, der sich hatte ansagen lassen. Freund Bach war in sichtbarer Aufregung, zappelte auf seinem Sessel – der Moment schien gekommen, sein Ehrgeiz sollte nun bald die lange gesuchte Befriedigung finden. –
Wenige Tage darauf brachte Doblhoff sein Ministerium Bach-Schwarzer-Hornbostel zu Stande. Der neue Reichsverweser hatte sich quasi re bene gesta nach seinem Frankfurt begeben, wo ihm bald Schmerling zur Seite stand.
Die Eröffnung des Wiener Reichstages, wie Alles, was später erfolgte, gehört der Geschichte an. In den ersten Tagen des October kam ich (aus Baden, wohin mich mein, noch immer nicht völlig bezwungenes Kopfleiden verwiesen) nach Wien und in das halb verlassene Landhaus zurück, mit der Idee zu einem Drama: »Ulrich v. Hutten« beschäftigt. Eine mir besonders werthe Freundin begab sich mit ihrem Töchterlein nach Brünn zu ihren Eltern, ich hatte versprochen, mit Anderen nachzukommen; wir träumten von einem gemüthlichen Zusammenleben in der ruhigen Provinzstadt – da brach der 6. October herein. Bach und Doblhoff waren auf der Flucht, Hornbostel verschwand später, zuletzt blieben nur Philipp Krauß und der Reichstag, die ihr wunderliches Spiel mit einander trieben. An die 20,000 Wiener, von den Ausharrenden als »Schwarz-Gelbe« bezeichnet, verließen in wenig Tagen die ihnen unheimlich gewordene Stadt.
Aber nachdem die erste Aufregung vorüber war, herrschte hier mehr Ruhe und Eintracht als die ganze Zeit her, besonders nachdem man dem beständigen Glockenläuten und Zu-den-Waffen-rufen Einhalt gethan und als man die bis jetzt müßigen, von Pillersdorff für ihr Nichtsthun bezahlten Arbeiter in die Mobilgarde gesteckt hatte und sie zu schaffen bekamen. Die Kerle waren tollkühn genug und ließen sich in der Folge, als die Vorposten der Croaten sichtbar wurden, durchans nicht abhalten, mit ihnen anzubinden. Die so verschrienen »Proletarier« verübten sonst bis zum halben October schlechterdings keine bösen Streiche, auch muß man der gleichfalls vielgeschmähten »Aula« nachsagen, daß sie als einzige Behörde, welche noch Gehorsam fand, ihrer Sendung: die Ordnung zu erhalten, gewissenhaft nachkam. Der Wiener Bevölkerung überhaupt läßt sich nur Gutes nachsagen. Man versuche es einmal und lasse Paris oder London nur durch ein paar Tage ohne Regierung – welche Scenen würde man da erleben! Nun, Wien war durch sieben Monate, vom März bis November beiläufig regierungslos, und die Katzenmusiken abgerechnet ist nichts vorgefallen, was der Stadt zur Schande gereichen konnte, da man das einzige böse Factum: die Ermordung Latour's, durch fremde Emissäre veranlaßt und bezahlt, kaum dem Wiener Boden zur Last schreiben darf.
Meine liebe Freundin rief mich durch ihre Briefe wiederholt nach Brünn, sendete auch Boten, mich abzuholen – ich harrte aber aus. Wien sei ernsthaft, aber gefahrlos, schrieb ich zurück – ich hier so sicher wie ein Kind im Mutterschoß. – Und so war es auch. Ich hatte mich in die academische Legion einschreiben lassen, machte aber die mir verhaßte Soldatenspielerei nicht mit, ging ohne Stürmer und Schleppsäbel. Man ließ mich gewähren. Häufig in Verkehr mit Löhner, Schuselka, der akademischen Legion, bekam ich einen Einblick in die Vorgänge, wie in ihre Motive, nahm jedoch mehr ein dramatisches als ein politisches Interesse an der Bewegung, die gewaltiger aussah, als sie eigentlich war. Im Grunde spielten alle Parteien eine Art Versteckens mit einander. Philipp Krauß, als der einzige Minister, erwies dem Reichstage allen Respect und machte Gelder flüssig für »Vertheidiger Wiens«, obwohl zu gleicher Zeit (insgeheim) klingende Sendungen an Jellacic und seine Croaten ergingen. Ebenso wurde der Grazer Landsturm nach Wien entboten – aber nur zum Schein. Ferner wollten die Ungarn nach Wien kommen, falls der Reichstag sie herbeirufen würde – und der Reichstag schien nicht gerade abgeneigt, die fremden Gäste zu empfangen, nur dachte er nicht daran, eine bestimmte Einladung an sie ergehen zu lassen. So wurde Einem zuletzt klar, daß der Reichstag nichts weniger als den Muth hatte, offen revolutionär aufzutreten – man wollte laviren, einen Schimmer von Loyalität beibehalten. Die Permanenz, mit Schuselka an der Spitze, klammerte sich an diesen schwachen Balken, und der sanguinische Mensch äußerte mir wiederholt seine bestimmte Ueberzeugung, es werde sich mit Windischgrätz verhandeln lassen und noch Alles zum Besten ausgehen. Ich aber, der einer anderen Meinung war und die Soldatenhaufen heranrücken, Wien umschließen sah, begab mich gelegentlich zu Messenhauser und seinem Generalstabe, um zu erfahren, was sich denn von der militärischen Vertheidigung meiner guten Wiener erwarten lasse. Der Durcheinander, der in der Stallburg herrschte, zeigte mir das Hauptquartier in keinem besonders günstigen Lichte. Jedermann theilte Befehle aus, Niemand wollte gehorchen. Messenhauser, welchem Fenneberg im Stillen, gelegentlich auch offen, Opposition machte, klagte über die Hauptleute, die seine besten Dispositionen nur lässig ausführten, wenn sie dieselben nicht völlig ignorirten, auf eigene Faust oder nach fremden Einflüssen handelten. Auch die Mannschaft sei nicht verläßlich; man müsse ihr gute Worte geben, mehr auf ihren guten Willen bauen, als auf eigentliche Subordination zu rechnen wäre. Am schlimmsten stünde es mit den »Mobilen«, bei denen sich die Disciplin von Tag zu Tag immer mehr und mehr zu lockern beginne, und doch müsse man bei einzelnen Excessen durch die Finger sehen, um nicht böses Blut zu machen.
Diese Schilderung war nicht eben anmuthend. Diese und jene Meldung über Mangel an Waffen und Munition, über Eigenmächtigkeiten von Officieren und dergleichen, von den Adjutanten Messenhauser's ganz ungenirt in meinem Beisein vorgebracht, ließ mich die Jeremiaden des poetischen Commandanten mehr als begreiflich finden. Ich beklagte ihn und seine Sendung, äußerte meine Zweifel und daß er wohl kaum im Stande sein dürfte, es mit Windischgrätz, Jellacic und ihren Heeren aufzunehmen; »er werde im Einvernehmen mit dem Reichstage seine Pflicht thun und fallen, wenn es ihm bestimmt sei« – erwiederte mir der schwärmerische Mann.
Niemand durfte mehr aus dem Weichbilde der Stadt heraus. Da ich aber intra muros genug gesehen und erfahren, und durchaus keine Lust hatte, mich von den Croaten und Seressanern erobern zu lassen, nahm ich das Anerbieten des dienstfertigen Commandanten an, der mir sogleich einen Paß ausfertigen ließ. Mich überkam ein eigenes Gefühl, als wir uns zum Abschiede die Hände reichten. Auch diese ehrliche Seele wird ihrem Verderben entgegengehen! rief es in mir.
Am 15. October im Abenddunkel warf ich mich mit einigem Gepäck in den Fiaker und fuhr dem Rothenthurmthore zu. Mobilgarden hielten dort Wache, ließen Niemand ohne Paß hinaus. Ein Arbeiter mit der Fackel trat an meinen Wagen, prüfte Paß und Unterschrift. »Verzeihen Sie!« sagte er mit ernsthafter Artigkeit, – »aber für die Freiheit muß man sich schon etwas gefallen lassen!« – Die Köhler-Einfalt des Mannes rührte mich. Ich übernachtete in Floridsdorf, fuhr mit dem Morgenzuge nach Brünn, sah unterwegs Cavallerie und Infanterie in Massen heranrücken, als gälte es einen gewaltigen Eroberungszug. In Lundenburg standen Truppen, das Gewehr bei Fuß. Mit dem Brünner Zuge kamen Garden, die den Wienern zu Hilfe eilten. Soldaten und Garden sprachen und tranken miteinander, händeschüttelnd, trotz ihrer höchst divergirenden Sendungen; die Officiere sahen schweigend zu. Sollte Schuselka Recht haben? »Du bist kein politischer Kopf!« hatte er mir in Wien lachend zugerufen, – »wie kannst du glauben, daß Windischgrätz ernsthaft daran denkt, Wien zu belagern? Er will nur drohen und schrecken, und zuletzt wird sich Alles ausgleichen.« –
Brünn war nicht minder democratisirt als Wien. Am 18. October war aber Wien beiläufig völlig cernirt und die Lundenburger Gemüthlichkeit war bereits zu Ende. Das Militär hatte dort den aus Wien zurückkehrenden Brünner Garden, sowie den dahinziehenden die Gewehre und das Gepäck abgenommen, sie auch dabei nicht eben auf das artigste behandelt. Das machte in Brünn böses Blut. Der democratische Club declamirte, das Volk demonstrirte, die Brünner Garnison mußte in die Kasernen abziehen, die Nationalgarde bezog die verlassenen Posten. Nun ein paar Tage Ruhe, obwohl die Hiobsposten aus Wien immer dicker kamen, oder auch nur Gerüchte, denn die Postverbindung war bereits unterbrochen, und so fehlten zuletzt auch die Zeitungen. – Am 29. October sollte der Brünner Landsturm nach Wien aufgerufen werden. Allarm, Läuten mit allen Glocken. Auf dem Marktplatz Tausende von Bürgern, Arbeiter, auch Bauern. Ich drängte mich durch, gelangte bis zu den democratischen Führern. – Was sie sich denn von dem Landsturme erwarteten? fragte ich die Herren. Ein Vielbebarteter antwortete mir: »Da liegen die Bogen zum Einschreiben. Noch steht kein Name darauf. Wenn aber Baron Rothschild eine Million beisteuert, so werden sich vielleicht ein paar Dutzend ködern lassen.« – Wozu also der viele Lärm und das Krakehlen? – Man müsse doch dergleichen thun, hieß es, das Volk in Athem erhalten.
Des Abends kam eine telegraphische Depesche: »Windischgrätz vor den Mauern Wiens, neunstündiger Barricadenkampf, Waffenstillstand. Es wird verhandelt.« – In der Nacht vom 29. zum 30. große Unruhe. Ein paar Kramläden wurden demolirt und ausgeraubt. Die Brünner Proletarier, etwas wilder als die Wiener, rumorten auch am Morgen des 30. October, drohten Bracegirdle's Waffenfabrik zu stürmen. Ich hatte den wackeren Mann Tags vorher besucht, fand ihn und seine Arbeiter bis an die Zähne bewaffnet. Auch eine Art Handkanonen waren am Gartenthor aufgestellt. »Die Bursche sollen nur kommen«, sagte der Waffenschmied, »wir werden sie gehörig empfangen!« –
Inzwischen hatten die ängstlich gewordenen Bürgergarden das vor ein paar Tagen heimgeschickte Militär wieder zum eigenen Schutze herbeigerufen. Ich wohnte im »Hôtel Padowetz« und las gegen Mittag eben die Volksscenen im »Julius Cäsar« – da, großer Tumult, Trommeln, ein paar Schüsse, ich eilte an's Fenster, das nach der Hauptwache sah – die Soldaten schleppten ein paar Rädelsführer hinein, die Posten wurden militärisch besetzt wie früher, die Menge verlief sich nach und nach, die democratischen Führer wurden plötzlich unsichtbar, die Brünner Revolution, der Sturm im Wasserglas war zu Ende – und ich las weiter in meinem Shakspeare. –
Die Nachrichten aus Wien lauteten höchst betrübend. Der Kampf war durch Mißverständnisse auf's neue losgegangen, die Wiener wurden furchtbar bombardirt; weit ärger als im Jahre 1809 von Napoleon und den Franzosen! Am 1. November hieß es, die Stadt brenne an allen Ecken, die Hofbibliothek sei ein Schutthaufen. Ich beklagte den unersetzlichen Verlust dieser Schätze, betrachtete die paar Bände, die ich als unlängst ernanntes »correspondirendes Mitglied« aus der Bibliothek mitgenommen, mit Wehmuth, wie theure Reliquien. Zum Glück hatte sich das düstere Gerücht nicht bestätigt, man that dem Feuer noch zu rechter Zeit Einhalt, obwohl es nicht von dem wendischen Omar und Eroberer des Burgtheaters abhing, daß nicht noch mehr des Unheils verübt worden. Fürst Windischgrätz war zu vorsichtig, zu schlecht berichtet, oder er traute den besseren Berichten nicht, wenn er es für nöthig hielt, ganze Armeen gegen Messenhauser, Schuselka und die Aula aufzubieten! Ein kurzes Verhandeln und rasches Einrücken konnte viele Opfer hüben und drüben ersparen, ohne die Schlußdecoration mit dem Feuerwerk à la Stuwer. –
Am 6. November kehrte ich nach Wien zurück, welches einem Feldlager glich. Die Reaction hatte begonnen, ich ließ meinen politischen Dilettantismus völlig fahren und vertiefte mich dafür in die »Geschichte des deutschen Bauernkrieges« und in ein Drama: »Franz von Sickingen.«
Die große Bewegung des Jahres 1848 war eine Art geistiges Naturereigniß. Die Machthaber wie das Volk wurden wie unwillkürlich in den freiheitlichen Strudel mitgerissen, und die Professoren wie die Studenten plätscherten in den wildschäumenden Wellen, denen selbst ein unfehlbarer Papst zu Anfang nicht völlig widerstehen konnte. Von Organisation kann in Zeiten, wo »Alles fließt« (παντα ρει) nicht wohl die Rede sein, nur so viel stand fest: daß sich das Alte und Ausgegoltene nicht länger erhalten lasse und daß das Werdende und Neue schließlich zu irgend einer vernünftigen Gestaltung gelangen werde und müsse. Und so ergaben sich zwei Parteien von selbst: die früheren Machthaber und ihre Anhänger, und die modernen Fortschrittsmänner, oder wie sie sich gegenseitig zu schelten pflegten: die Umsturz- und die Reactions-Partei. Im Anfange wollte man von Oben aufrichtig nachgeben, erschrak aber, als das Drängen von Unten gar zu gewaltsam wurde, ergriff, vielleicht ohne Absicht, ohne Plan jede starke Hand, die da schützen und helfen wollte und konnte, und wär's nur für den Moment. Die andere Partei erblickte darin den festen Vorsatz einer eigentlichen und vorbedachten Reaction. Man will die schönen Keime der jugendlichen Freiheit zertreten, hieß es; so gelte es denn einen Kampf um die Idee, einen Kampf auf Leben und Tod!
So ward der anfangs ideale Kampf zugleich zum physischen, der Länder und Städte verwüstet und zerstört, Tausende von Menschenleben gekostet.
Der Menschen- und Völkerfreund blickt auf die blutigen Kämpfe, die nimmer wiederkehren mögen, mit Wehmuth zurück – auf die Jahre 1848 und 1849, wo man um Dinge eingekerkert und erschossen wurde, für welche man zwanzig Jahre später mit Orden und Auszeichnungen belohnt ward.
Der geistige Kampf, seit zwei Decennien fortgeführt, war nicht vergebens; man muß nur den Muth haben, ihn fortzusetzen, und zwar auf jedem Felde, wo uns ein Gegner droht. Die Idee der Freiheit, mächtig genug, um Siegerin zu bleiben, Millionen von Bajonneten gegenüber, braucht auch nicht vor der schwarzen Rotte zu erschrecken, die uns nur gar zu gern in den alten Geisteszwinger zurück führen möchte.