Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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VI.

(Beamtenlaufbahn. – Shakspeare als Nahrungsquelle. – Leiden eines jungen Dramatikers. – Hinter den Coulissen.)

So leben wir ein Jeder,
Der von der Gans, der von der Feder!

Wenn ich im Gymnasium ein sogenannter fleißiger Student war, auch in den philosophisch-philologischen Classen nicht zurück blieb, so waren dagegen die juridisch-politischen Studien meinerseits nicht eben auf das Eifrigste betrieben, noch die Collegien besonders frequentirt worden. Nur unmittelbar vor dem Examen ging es immer heiß her! Durch vierzehn Tage, wohl auch die Nächte, wurde »gebüffelt«, um die nöthigen »Eminenzen« zusammen zu raffen, deren ich bedurfte, um mein Stipendium nicht zu verlieren. Zufälliger Weise bestand ich besonders glänzend bei Professor Vincenz August Wagner, der auch sonst persönliches Wohlgefallen an mir gefunden hatte. Der lebhafte Mann, noch in den besten Jahren, tradirte Lehen-, Handels- und Wechselrecht, gerichtliches Verfahren und Geschäftsstyl, war zugleich der Herausgeber der ersten österreichischen juridischen Zeitschrift. Leider daß mit ihm eine bedeutende wissenschaftliche Kraft frühzeitig verloren ging. – Der Antheil, den er an der Literatur überhaupt nahm, hatte ihn auf mich aufmerksam gemacht, der ich, noch als Student, mit der Uebersetzung mehrerer Shakspeare'schen Dramen debutirte, – ein kühnes Unternehmen, dessen in der Folge des Näheren erwähnt werden soll. – Als ich nun meine Zeugnisse bei dem Fachgelehrten abholte, sagte er mir vieles Schmeichelhafte, sowohl über meine Schriftstellerarbeit, wie über meine mündliche und schriftliche Prüfung, meinen Stil und meinen guten mündlichen Vortrag insbesondere betonend. Dabei verkannte aber der treffliche Mann meine etwaigen Anlagen so wie meine eigentliche Natur so sehr, daß er mir schließlich in Aussicht stellte, mich zu seinem Adjuncten annehmen zu wollen, nur müßt' ich mir erst den Doctorhut verschaffen. Dazu fehlten mir aber die Lust wie die Mittel. Ich lehnte daher gerührten Herzens ab – im Stillen verwundert und beschämt, wie sich der elegante Jurist durch mein zwar gut vorgetragenes, aber nur flüchtig und obenhin, ad hoc (des Examens) zusammen gestoppeltes Wissen zu meinem Gunsten und weit über mein Verdienst hatte täuschen lassen. – Auch ein anderer Plan, der meinem Wesen näher lag, mich um eine philologische Lehrkanzel zu bewerben, ließ keinen nahen Erfolg voraussehen –so erübrigte dem Mittel- und Gönnerlosen nichts, als in irgend ein Amt unterzukriechen!

Im August 1825 hatte ich mein Jus absolvirt – so war kein Hinderniß, die Beamtenlaufbahn anzutreten, zu welcher auch meine Angehörigen mich zu drängen suchten. Ich war lange unschlüssig, zögerte, wartete ab. Die Poesie und das Burgtheater standen als Zukunftslockungen vor mir und Platen's Verse klangen mir im Ohr:

»Wandle Keiner, der den Dichter-Lorbeer tragen will davon,
Morgens zur Kanzlei mit Acten, Abends auf den Helikon!« –

Was hast Du zu eilen, ein Sclave zu werden! rief ich mir zu – Du bist jung und hast ein ganzes Leben vor Dir! –

So ging ich vorläufig noch nicht unter das Joch, sondern machte im Frühjahr 1826 mit einem Freunde eine Gebirgsreise nach Kärnten, Tirol und in das Salzkammergut. Ueber volle drei Monate trieb ich mich mit Bauern, Jägern, Verwaltern und Landpfarrern herum und kehrte gegen Herbst, gestärkt an Leib und Seele, doch mit ziemlich leeren Taschen nach dem heißen und staubigen Wien zurück.

»Gestern hab' ich mein Anstellungsdecret erhalten – es ist mir, als sollt' ich gehängt werden!« – Also steht zu lesen in meinem Tagebuch, unter'm 11. September 1826. Ich diente als Conceptspraktikant anfangs bei der n. ö. Regierung, dann beim Kreisamt V. U. W. W., legte die Prüfung ab für den Dienst als politischer Verwalter und für das Richteramt in »schweren Polizei-Uebertretungen«, später auch die Finanz-Prüfung, trat zur Hofkammer über, und beendete meine Beamtenlaufbahn als Concipist der Lotto-Direction. Seit dem 13. März 1848 hatt' ich es verschworen, je ein Bureau wieder zu betreten. –

Als Student bezog ich meinen Unterhalt, mit Beihilfe eines bescheidenen Stipendiums, hauptsächlich durch »Stunden geben«; der junge Beamte, erst nach Jahren mit einem »Adjutum« von 400 Gulden bedacht, war genöthigt, die pädagogische Robot fortzusetzen. Inzwischen hatte sich mir, schon während der letzten Studienjahre, eine andere, etwas ausgiebigere Nahrungsquelle eröffnet. Der Lithograph Trentsensky suchte mich nämlich zu einem allerdings gewagten literarischen Unternehmen anzuwerben. Keck, wie die Jugend ist, schlug ich ein! Es war eine Arbeit, von der man sich nicht nur anständig ernähren, sondern sich auch tüchtig daran üben, daran lernen konnte. Vorschüsse waren geleistet worden, die Vorarbeiten seit mehr als Jahr und Tag im Vereine mit Freunden und Genossen im stillen Fleiße vollbracht – nun sollte das Werk endlich in's Leben treten!

Im Mai 1824 hatten die Anschlagzettel der Wiener Shakspeare-Ausgabe an allen Straßenecken geprangt, und die Namen von unbekannten Studenten und angehenden Literaten dem des größten Dichters aller Zeiten beigesetzt, mochte wohl Manchem, der die Ankündigung las, fast wie Ironie erscheinen. Aber daran dachten wir kaum in unserer Uebersetzerwuth! Eilf Stücke waren in neuen metrischen Uebersetzungen zu liefern; auf mein Theil kamen: »Die beiden Edelleute von Verona«, »Heinrich VIII.«, »Troilus und Cressida«, »Das Lustspiel der Irrungen«, ein paar Acte von »Antonius und Cleopatra«, dazu später noch die Gedichte. Der Rest wurde unter literarische Freunde wie Hermannsthal, Andreas Schumacher und Andere vertheilt. Wir Uebersetzer, wie auch Moriz Schwind, der die Vignetten zu zeichnen hatte, standen völlig im Solde Trentsensky's und erhielten jeden Samstag unsere Wochengage, gleich den übrigen Arbeitern der lithographischen Anstalt. Wir gingen übrigens mit aller Gewissenhaftigkeit und Pietät an unsere Arbeit, nur daß der Eine mehr in der Manier des alten Voß mit derben Sprachquadern bauen wollte, der Andere es vorzog, gleich A. W. Schlegel lauter zarte linguistische Mosaiksteinchen sorgsam zusammenzufügen. So gab es häufig philologischen Streit bis auf's Messer, wir konnten nie völlig einig werden, und zuletzt übersetzte ein Jeder, wie ihm der Schnabel gewachsen war.

Wir hatten uns nach und nach so sehr in unsern Autor eingelebt, daß wir gar nicht mehr conversiren konnten, auch mit fremden Personen, ohne uns Shakspeare'scher Floskeln und der beliebten »Humours« zu bedienen, wie ihrerzeit – si parva licet componere magnisGoethe mit Lenz und Genossen. Auch die Damen unseres Kreises wurden in diese Geheimsprache eingeweiht, und Trentsensky's geistreiche Schwester Therese wußte sich geschickt in den blühenden Unsinn zu fügen. Reichte ihr z. B. Einer von uns beim Nachtisch einen Apfel mit den Worten des Fähnrich Pistol: »So iß und sei fett, schönste Callipolis!« war sie nicht faul, flugs zu erwidern: »Kommt, gebt uns Sekt!« – »Gebt mir was Sekt!« jubelte der Chorus, worauf wir uns wacker zutranken. Wurden wir zu einem Diner oder auf einen Ball geladen, so lautete die Annahms-Floskel unweigerlich: »Sei's lebend oder todt, ich komme, wenn ich kann!«

Diese Schwänke gaben wohl auch Gelegenheit zu Mißverständnissen. So eines Tages, als wir bei Trentsensky zu Tische waren und der Bediente die Schüssel herumreichte, fragte ich pathetisch: »Ist das gemeiner phrygischer Lungenbraten?« – Trentsensky's Mama, die sich als Hausfrau beleidigt glaubte, erwiderte darauf in etwas gereiztem Tone: »Nein, das ist Rehbraten!« – »Also gemeiner phrygischer Rehbraten!« versetzte ich kaltblütig. Ein allgemeines Gelächter klärte die gutmüthige Dame auf, daß man ihre Küche durchaus nicht tadeln, sondern nur eine Shakspeare'sche Redensart habe anbringen wollen. Diese Spässe hatten aber auch ihre ernste Kehrseite. Man tappt nicht ungestraft jahrelang an einem großen Genie herum, welchem zugleich eine gewisse greifbare, zur Nachahmung anreizende äußere Manier nicht abzusprechen ist, an die man sich hält, und wenn man sie tant bien que mal nachäfft, Aehnliches producirt zu haben wähnt. Die Shakspearomanie, an welcher die deutsche Literatur eine geraume Zeit gelitten und welche an dem trefflichen Immermann wie an dem pathologisch-genialen Grabbe vorzugsweise zum Ausdrucke gelangte, ist noch immer nicht völlig überwunden – Zeuge dessen das Preislustspiel v. J. 1868, »Schach dem König«, welches Laube ganz richtig als eine »Shakspeare-Studie« bezeichnet. Kein Zweifel, daß sich der junge Verfasser in sein großes Vorbild verbissen hatte, wie das bei mir vor einigen vierzig Jahren der Fall war.

So hatte ich im Jahre 1824 ein Lustspiel: »Die Geschwister von Nürnberg«, zu Stande gebracht, in Manier und Ton stark an die »Edelleute von Verona« mahnend, von meinen damaligen Freunden und Genossen gepriesen, von Grillparzer und Schreyvogel mit Einschränkungen gelobt, doch jedenfalls, der lebendigen Bühne gegenüber, für lebensunfähig, für »unpraktisch« erklärt, wie vieles Andere von meiner Mache.

In meinen Jünglingsjahren hatte mich nun eine wahre Verzweiflung ergriffen über meine endlos verfehlten Versuche, und ich bekam nicht übel Lust, Shakspeare, Tieck und die gesammte Romantik über Bord zu werfen. Von der Uebersetzungs-Robot, die mir längst in der Seele zuwider geworden, war ich endlich im Laufe des Jahres 1825 befreit – ich legte das Original einstweilen beiseite.

Das Burgtheater, dem ich seit Jahren gegenüber gewohnt, schaute mich so einladend an. Wie aber auf die heißersehnten Bretter gelangen? Die Neuigkeiten von Deinhardstein, Töpfer, Frau v. Weissenthurn und Anderen wurden immer brühwarm auf die Bühne gebracht – standen sie denn gar so himmelhoch über meinen eigenen Versuchen, die der bärbeißige Dramaturg mit eiserner Consequenz zurückwies! Schreyvogel verlangt durchaus ein modernes Lustspiel – das läßt sich auch noch machen!

»Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So commandirt die Poesie!«

Ein bürgerlich-häuslicher Stoff hatte mir längst vorgeschwebt. Ich las nun den halben Kotzebue eifrig durch, ging auch ein paarmal ins Theater, um mir den modernen Ton zu vergegenwärtigen und aufzufrischen, zugleich das Romantische aus den Gliedern zu bringen. Und so an's Werk! – Im Spätherbst 1826 lagen drei Acte des Lustspiels: »Leichtsinn aus Liebe« fertig vor mir, die sich endlich der Billigung des Dramaturgen erfreuen durften. Im Februar 1827 war das mehrmals überarbeitete Stück glücklich zu Stande gekommen, und ich sollte damit in meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre auf die Bretter des Hofburgtheaters gelangen. Gleich hing mir der Himmel voll Geigen – die sich leider nur zu bald garstig verstimmten.

Schreyvogel, der ehrenwertheste Mann und mir insbesondere geneigt, war in Theatergeschäften äußerst gewissenhaft und bedächtig. Das Erstlingswerk eines beinahe unbekannten jungen Dichters auf die Hofbühne zu bringen, sei keine Kleinigkeit, hieß es. Das Lustspiel war endlich im August unbeanstandet von der Censur herabgelangt, aber auch im Herbst und Spätherbst war von der Aufführung nicht die Rede; ich wurde auf die nächste Fastenzeit vertröstet! Bis dahin sollte ich fasten? Denn es brannte mir längst auf den Nägeln. Die Shakspeare-Geldquelle war versiegt und als unbesoldeter Kreisamts-Praktikant war ich auf's neue genöthigt, mir meinen Unterhalt durch »Stunden geben« zu verschaffen. So hatte ich längst auf das Honorar für die Komödie gerechnet, beinahe aber noch mehr auf eine Freikarte zum täglichen Besuche des Burgtheaters, wonach es mich zumeist sehnte. Beides sollte mir durch Grillparzer's Beihilfe zu Theil werden, wenn auch nur in beschränktem Maße. Ich erhielt nämlich im Verlaufe des Winters 1828 einen Honorarvorschuß, zugleich wurde mir die Erlaubniß ertheilt, mir in der Wohnung des obersten Kämmerers Grafen Czernin eine Freikarte abzuholen, die ich am nächsten Morgen immer wieder zurückbringen und durch den Kammerdiener Sr. Excellenz auf's neue anfragen sollte, ob die Benützung der Karte auch für den heutigen Tag hohen Ortes gestattet würde! Dieser Theaterbesuch »mit Hindernissen« sagte mir wenig zu, und ich bediente mich der Karte nur bei bedeutenderen Vorstellungen.

Inzwischen war der Honorarvorschuß beiläufig aufgezehrt, dafür aber ein neues Lustspiel zu Stande gekommen: »Der Brautwerber«, in fünf Acten und in – Alexandrinern! Ich hatte das Stück zuerst meinem Gönner Grillparzer überbracht. Als ich ihn das nächstemal besuchte, ging er mit offenen Armen auf mich zu, drückte mich auf's herzlichste an die Brust – er freue sich immer, wenn sich in unserem Oesterreich etwas Geistiges rege und rühre; bessere Alexandriner wären kaum jemals auf der deutschen Bühne gesprochen worden. (Der Rhythmus also war es, welcher den Dichter für das Stück eingenommen hatte, über dessen sonstige Mängel er leicht hinwegging.) Das Lustspiel müsse aufgeführt werden, behauptete er, denn es gehöre der Literatur an, wenn man sich auch von »Leichtsinn aus Liebe« vielleicht eine größere Theaterwirkung erwarten dürfe.

Grillparzer hat sein Lebenlang die Ansicht fest gehalten, daß ich den mit dem versificirten Lustspiel eingeschlagenen Weg niemals hätte verlassen sollen. Daß die Verse nicht übel waren, mochte ich mir ohne Unbescheidenheit selber zugestehen – aber ob das Publicum Geduld und Ausdauer genug besitzen würde, um das Reimgeklapper durch ein paar Stunden auszuhalten? Sowohl Hofrath Mosel als Theater-Director, wie Schreyvogel als Dramaturg glaubten übrigens für den Erfolg einstehen zu können, und so war von meinem Erstlingswerke weiter nicht mehr die Rede. Der »Brautwerber« wurde angenommen, censurirt, die Rollen ausgetheilt, die Leseprobe für April 1828 angesetzt. Nun aber fingen die eigentlichen Theaterleiden an! Löwe, der anfangs wenig Lust zeigte, die nicht eben bedeutende Liebhaber-Rolle zu übernehmen, ließ sich endlich erbitten, dagegen sandte seine Schwester, Madame Löwe, ihren Part einfach zurück. Sie spiele zwar das Fach der eleganten Anstandsdamen, allein zur Uebernahme einer Mutter-Rolle fühle sie sich durchaus nicht verpflichtet. Merkwürdig, daß diese Damen niemals älter, ja nicht einmal so alt auf dem Theater erscheinen wollen, als sie wirklich sind!

Auch Anschütz hatte nach langem Bedenken herausgefunden, daß der ihm zugemuthete Part für ihn nicht tauge; statt seiner wurde Koberwein gewählt. Zu gleicher Zeit eröffnete mir Schreyvogel, das Stück sei zu lang; von den mehr als 2000 Versen müßten etwa vierhundert weg – ich sollte mich ohne Zögern darüber machen! Ich war erst wie vom Donner gerührt, bekam aber bald eine wahre Streichwuth und wüthete zuletzt erbarmungslos gegen mein eigenes Fleisch.

Inzwischen wurde Madame Löwe's Weigerung im langsamen schriftlichen Geschäftswege verhandelt, doch stand eine glückliche Beilegung der Sache in Aussicht – allein ein neues Unglück! Madame Anschütz, damals noch die naive Liebhaberin, war nicht unbedenklich erkrankt, und zum Ueberflusse war meinem komischen Alten, Wilhelmi, ein Urlaub für den Monat Juni bewilligt worden. Unter diesen Verhältnissen hatte die Direction beschlossen, das Stück bis zum September hinauszuschieben. Quousque tandem!

Schreyvogel, der meine Entmuthigung sah, suchte mich zu trösten; wer auf's Hoftheater kommen wolle, müsse sich Einiges gefallen lassen! Uebrigens wolle man darauf antragen, daß ich einstweilen die »Hauskarte« und das Honorar bekäme – da geschah es aber, daß sich Graf Czernin, dermalen in Baden, den Fuß gebrochen hatte, wodurch alle Geschäftsanträge wegfielen.

Endlich, am 23. August, kam es zur Leseprobe, die mir nicht den günstigsten Eindruck hinterließ. Der Neuling hatte sich erwartet, die Damen und Herren würden ihre Rollen völlig im Charakter con amore vortragen, in lebhafter Rede und Gegenrede, so daß sich trotz der mangelnden Action doch immerhin ein geistiges Bild des Ganzen dem aufmerksamen Zuhörer kundgäbe – statt dessen war ein schläfriges Herunterlesen, ein häufiges Stocken und Stottern, von raschem Einfallen keine Rede, auch wurden Worte wie Sätze bisweilen ohne Sinn vorgebracht, die Schreibfehler langsam verbessert, dadurch die einzelnen Scenen wie der Zusammenhang nur zu oft unterbrochen – kurz, man wußte nicht, woran man war, und mein Stück kam mir bei dieser höheren Buchstabir-Uebung geradewegs wie eine Schülerarbeit vor. In der Folge hatte ich mich an dieses summarische Leseverfahren gewöhnt, welches eigentlich zu nichts dient, als den Copisten zu controliren, und wobei die Darsteller der Hauptrollen häufig durch ihr Nichterscheinen glänzen.

Wie oft hatte der dienstthuende Regisseur die zarten Aeußerungen meiner weiblichen Heldin mit der Lorgnette herunterbuchstabiren müssen! Man gewöhnt's. Bisweilen las ich selber mit, und Freund Laube, ein Lesekünstler, ersetzte nicht ungern einen fehlenden Helden oder Intrigant.

Bei den Proben des »Brautwerbers« benahmen sich die Schauspieler äußerst gefällig und zuvorkommend, manche Scene wurde drei-, viermal wiederholt; die gefürchtete Madame Löwe erwies sich unermüdlich, den Versen wurde von allen Seiten ihr Recht angethan, Schreyvogel war ganz guter Dinge, lobte mich, wie seine Schauspieler, und ich selbst, der ich die Tage her vor Aufregung kaum einen Bissen hatte hinunterbringen können, noch in den letzten Nächten ein Auge zugethan, höchstens vom Auspfeifen geträumt, begann bei der Generalprobe etwas frischeren Muth zu schöpfen. Endlich war der 5. September 1828, der Tag der ersten Aufführung, herangekommen.

Ich schlich im Dunkel durch die Straßen, kam erst auf die Bühne, als der halbe erste Act vorüber war. Ein eigenes Gefühl überkam mich, als ich die Verse vernahm! Du hast einen Unsinn gemacht, mußt' ich mir selber sagen. Schreyvogel zeigte sich zufrieden. Das Publicum hatte hin und wieder gelacht, einige artige Stellen wurden ziemlich lebhaft applaudirt. Doch fiel der Vorhang nach dem ersten Act, ohne daß sich ein Beifallszeichen vernehmen ließ. Ich schwankte zwischen den Coulissen herum. Die Schauspieler, die mich heute Vormittags auf der Generalprobe wie ein werdendes Genie behandelt hatten, schlüpften nun stumm an mir vorüber, nur daß mir der Eine oder der Andere ein flüchtiges und mitleidiges: »Nun, es geht ja!« oder: »Wird sich machen!« an den Kopf warf. »Wenn nur mehr Handlung wäre!« meinte ein Anderer, lobte aber die Sprache, die geistreichen Pointen. Inzwischen wurde der Einbläser über sein schlechtes Souffliren ausgezankt, ebenso der Requisiteur, der irgend einen nothwendigen Gegenstand erst im letzten Moment herbeigeschafft; dem Liebhaber saßen Frack und Halsbinde nicht zurecht, wofür der Ankleider einen »Dummkopf« bekam; die Damen wurden mit der Garderobe nicht fertig; die langen Zwischenacte sind gefährlich, Schreyvogel drängte, der Regisseur schrie herum – »fertig!« riefen endlich Ansager und Nachleser, die Klingel ertönt, der Vorhang erhebt sich zum zweitenmale.

Der zweite und dritte Act gaben ein ähnliches Resultat wie der erste. Ich ward nicht weiter beachtet. Auch Schreyvogel richtete kein Wort an mich. Die unbeschäftigten Schauspieler lagerten im Hintergrunde der Bühne, gähnten oder lasen die Zeitung, Andere gingen auf und ab und recapitulirten ihre Rollen. Eine kleine Gruppe schien im eifrigen Gespräch. Wovon kann die Rede sein, als von meinem Stück? Ich schlich in die Nähe und lauschte. Die jungen Leute hatten sich über ein Bierhaus für heute Abend und über eine »fesche« Landpartie für übermorgen, wo sie »frei« waren, »vereinbart.« Nebstbei wurden Glossen gemacht über die gar zu jugendliche Toilette der Madame Löwe, zuletzt ein paar mehr als zweideutige Anekdoten erzählt, bis die Klingel auf's neue ertönte und Alles auseinanderstiebte, sich zum nahen Auftreten anschickte.

Der vierte Act fiel etwas besser aus, und einiger Applaus ertönte zum Schlusse. Die Damen und Herren gratulirten dem jungen Autor – aber es ging wohl nicht so recht vom Herzen.

Der Komiker (Wothe) zog mich beiseite. Seine Rolle sei charmant, versicherte er mich, aber zu kurz, um eine Episode – ob sich nicht für die Wiederholungen etwas hinzufügen lasse? Jedenfalls sollte ich ihn das nächstemal besser bedenken.

Das nächstemal! Gibt es für mich ein nächstesmal?– Der fünfte Act, das Ganze erhielt – was man einen succès d'estime nennt – nach meiner Empfindung war's ein gelinder Durchfall.

Das Lustspiel wurde ein paarmal wiederholt, ich erschien aber nur mehr bei der zweiten Aufführung, in den letzten Acten, saß mit Schreyvogel auf der gewohnten Theaterbank hinter der ersten Coulisse, ließ das verfehlte Zeugs an mir vorübergehen. – »Warum haben wir statt der verwünschten »Alexandriner« nicht lieber die »Täuschungen« aufgeführt?« sagte ich zu dem Dramaturgen. – »Das ist nun nicht mehr zu ändern!« versetzte dieser trocken, stand auf und verlor sich hinter den Coulissen, die Vorstellung eines Stückes für den nächsten Abend anordnend. Auf dem Theater geht's wie im Leben überhaupt! Was vorüber ist, ist vorüber, der Tag setzt sich fort und Niemand kümmert sich morgen um den, der gestern gestorben oder verdorben ist.

Die Kritik benahm sich wie immer, wo kein eigentlicher Erfolg vorliegt; die meisten Journale sprachen mir alles dramatische Talent ab, ein wohlmeinender Recensent rieth mir, mich zum »komischen Epos« zu wenden. Um allem weiteren Gerede zu entgehen und meine bittere Empfindung loszuwerden, erbat ich mir vom Kreishauptmann einen Urlaub von einigen Wochen, die ich in der Brühl zubrachte, im Kreise der mir längst lieb gewordenen und liebenswürdigen Familie des Leopold v. Schmerling. Die Geselligkeit, die Jugend und der raisonnirende Leichtsinn des durchgefallenen Autors frischten ihn bald wieder auf, so daß er im October, den Kopf voll neuer dramatischer Pläne, in seine einsame Klause und in sein Kreisamt zurückkehrte.

Ich wollte die Scharte auswetzen, das Theater im Sturmschritte erobern.

So hatte ich unter Anderem ein fünfactiges Schauspiel – »Braut und Bräutigam« – binnen drei Tagen zusammengestoppelt und Grillparzer die fingerfertige Arbeit noch am Abende des dritten Schöpfungstages brühwarm vorgelesen. Er sprach sich nicht ungünstig darüber aus, schrieb auch ein Scenarium auf, worin er mir Aenderungen vorschlug; doch warf ich die Arbeit bald wieder beiseite, fing was Neues an. Die Schreibewuth hatte mich ergriffen. Im Jahre 1828 wurden nicht weniger als neun Stücke zu Stande gebracht, darunter »Der Musicus von Augsburg« und die Anfänge eines »Fortunat.«

Von »Leichtsinn aus Liebe« war seit lange nicht mehr die Rede. Im Sommer 1830 änderte und feilte ich zum letztenmale daran, reichte es auf's neue ein.

Endlich, am 12. Januar 1831 (am Vorabend meines Geburtstages und beiläufig fünf Jahre nach der ersten Ueberreichung), kam das Lustspiel auf die Bretter und behauptet sich dort seit vollen vierzig Jahren bis zur heutigen Stunde.

So sauer wurde es Einem gemacht, bevor man in das Heiligthum gelangte, dessen hoher Priester (der Oberstkämmerer) die Dichter nur wie dienende Brüder behandelte. Den Tempel selbst hielt er möglichst rein von aller Poesie – darum wurden auch die Stücke von Goethe und Schiller erst gehörig durchräuchert, das Herz wie alle edelsten dichterischen Eingeweide herausgenommen und verbrannt. Der Rest, mit der gewohnten scharfen Censurbeize zubereitet, ward dann den Logen, welche damals nie ein bürgerlicher Fuß betrat, als beliebte leichte Abendspeise vorgesetzt, um Verdauung und Schlaf des hohen Adels nicht zu hindern.

Das Volk bekam ab und zu einen liberalen »Tell«- oder »Egmont«-Brocken zugeworfen! Bei diesem theatralischen Götzendienst, welcher alles rein Menschliche und Natürliche fanatisch von sich wies, konnte weder Tragödie noch Komödie gedeihen. Ließ sich nun gar ein Dichter beikommen, einen patriotischen Stoff zu wählen, wie Grillparzer mit seinem »Ottokar« es gewagt, so wurde das Anathem über ihn ausgesprochen und sein Werk mit unerbittlicher Strenge aus dem aristokratisch-theatralischen Pantheon gewiesen.

Seitdem ist's etwas besser geworden, obschon die reichen Bankiers, die jetzt den Logenbesitz mit dem hohen Adel theilen, ebensowenig wie dieser in ihrer theatralischen Verdauung gestört werden wollen. Im Ganzen haben sich die Hoftheater beiläufig überlebt, so gut wie die Fabriken auf Staatskosten. Die Privaten arbeiten besser, rascher und wohlfeiler. Die deutsche Stadt Wien, wenn sie erst mit der Wasserleitungs-, Gas-, Donau-Regulirungs- und anderen Fragen fertig ist, würde daher wohl thun, ein großes Schauspielhaus zu bauen, einen würdigen und wahren Tempel für den Gottesdienst der deutschen Kunst.

Das Theater war bei uns jederzeit eine Capitals- und Lebensfrage. In der guten alten Zeit, als Kaiser Franz noch täglich sein Burgtheater besuchte, war das österreichische Gouvernement eine Art »Theatrokratie

Ich kann diesen Artikel nicht schließen, ohne noch ein paar Worte über mich selbst, meine Versuche und Leistungen beizufügen.

Mau hat mir häufig den Vorwurf gemacht, daß meine Lustspiele, vom »Liebesprotokoll«, den »Bekenntnissen« und »Bürgerlich und Romantisch« bis auf die neueren: »Aus der Gesellschaft« und »Moderne Jugend« die Wiener Localfarbe mehr oder minder zur Schau trügen – ich leugne das nicht! Diese meine Art und Weise hat aber ihre Entschuldigung, vielmehr ihre Berechtigung. Die Lustspieldichter aller Zeiten, von Aristophanes, Terenz und Plautus bis auf den französischen Molière, den Dänen Holberg und den kleindeutschen Kotzebue haben dasselbe gethan wie ich: sie haben ihre nächste Umgebung und darin ihre Zeit abgeschildert. Mit mehr oder weniger Genie – darauf kommt freilich Alles an! Wir sind eben Epigonen, und ein Schelm, der mehr gibt oder sich zu geben anstellt, als er hat! – Ich bin und bleibe Wiener mit Haut und Haar, und kann und will in meinen Lustspielen wie in den vorliegenden Skizzen schlechterdings nichts bringen, als die Anschauungen eines Deutsch-Oesterreichers, der unsere Zustände, wie sie ihm erscheinen, im Ernst und Scherz, sine ira et studio, wahrheitsgetreu darzustellen sich zur Aufgabe gemacht. Daß ich dabei das deutsche Gesammt-Vaterland, das gemeinsame Bildungs-Element immer und ewig im Auge behalte, versteht sich von selbst!

Ich empfinde mich nun einmal weit mehr als Landsmann Lessing's oder Goethe's, denn irgend eines »Wenzel« oder »Janos« oder sonst eines Menschen auf »inski«, »icki« und »vich«, mit denen mich ein politisches Schicksal zusammengeschweißt und die im Grunde so wenig mit mir zu schaffen haben wollen, als ich mit ihnen.


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